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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Holdinghausen Dreimal anziehen, weg damit

Was ist der wirkliche Preis für T-Shirts, Jeans und Co?

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-86489-592-0
Verlag: Westend
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was zieh ich an, damit ich ein gutes Gewissen haben kann? Was zieh ich an? Diese Frage stellen wir uns täglich. Während Kleidung in Werbung und Alltag allgegenwärtig ist, ist ihre Produktion aus Deutschland hingegen so gut wie verschwunden. Hergestellt wird sie in Asien, meist unter menschen- und umweltfeindlichen Bedingungen - und das gilt nicht nur für Billigware! Heike Holdinghausen zeigt, was zu tun ist. Monatlich wechseln die Modeketten ihre Kollektionen, per Mausklick lassen sie sich nach Hause ordern. Noch nie konnten sich Menschen in den Industrieländern so leicht und billig Kleider kaufen wie heute. Für den Verbraucher sind die verschlungenen Lieferketten kaum zu durchschauen. Nur zaghaft bildet sich in der hiesigen Öffentlichkeit daher ein Bewusstsein dafür, dass der Kleiderberg einen Preis hat, den nicht die Kunden in den reichen Industrieländern zahlen, sondern die Arbeiter(innen) und die Umwelt in den Entwicklungsländern. Wir brauchen daher dringend mehr Übersicht im Labeldschungel für gute Kleidung - und strengere Gesetze für die Modekonzerne.

Heike Holdinghausen ist Redakteurin der taz. Im Ressort Wirtschaft und Umwelt schreibt sie vor allem über Chemikalien-, Abfall- und Rohstoffpolitik. Zuvor betreute sie in der Meinungsredaktion die Kommentarseiten der taz.
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Was soll ich bloß anziehen? Es ist wohl eine der ganz alten Menschheitsfragen: »Was soll ich bloß anziehen?« Als der Steinzeitmann Ötzi vor 5 300 Jahren in den Südtiroler Alpen starb, trug er einen Patchworkmantel aus Fell. Der war nicht nur warm; kunstvoll waren die Felle von Schafen, Gämsen und Ziegen vernäht, sodass sie ein Streifenmuster ergaben. Vielleicht hatte Ötzi gerade keine anderen Felle zur Hand und hat das Beste aus Second-Hand-Ware gemacht. Oder aber er legte Wert auf eine schicke Erscheinung. Mit seiner Kleidung könnte er seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bekundet oder seinen Rang innerhalb dieser betont haben; vielleicht hatte das Muster auch praktische Gründe (Insektenschutz, wie bei einem Zebra) oder war schlicht Ausdruck seines persönlichen Geschmacks. Die Funktionen von Kleidung sind vielfältig: Sie soll den Träger oder die Trägerin umhüllen und bedecken, soll wärmen oder vor Sonne und Regen schützen. Kleidung betont, nach dem Soziologen Pierre Bourdieu, den »kleinen Unterschied« und damit die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu. Sie kann Statussymbol sein oder Haltungen ausdrücken – zum Beispiel die, keinen Wert auf Kleidung zu legen. Zudem sollen Kleider schmücken und für Wohlbefinden, Selbstsicherheit und Spaß sorgen. Nach einer anderen Lesart definieren sich Menschen mit ihrer Kleidung als Frau oder Mann, oder, mit Vivienne Westwood gesprochen: »Fashion is always about sex.« In der Frage »Was soll ich bloß anziehen?« schwingen all diese Funktionen von Bekleidung mit, ob uns das bewusst ist oder nicht; also ist die Antwort darauf notwendigerweise kompliziert. Auch deshalb hat sich, quasi fast sofort nach Erfindung des Buchdrucks, ein umfangreiches Zeitschriftenwesen entwickelt, um den Fragestellern Antworten zu liefern. Das Journal des Luxus und der Moden aus Weimar oder die Londoner Gallery of Fashion lieferten den Damen des Adels und des Bürgertums schon vor dreihundert Jahren Informationen darüber, was in dieser und in der nächsten Saison zu tragen sei, beschrieben die Outfits von Prinzessinnen und Königinnen und nahmen sich dabei vor allem das modische Geschehen in London und Paris zum Vorbild. Vogue, Brigitte und Co. funktionieren noch immer nach diesem alten Muster. Und noch etwas ist gleich: Die Männer und Frauen, die ihre Leserinnen vor dreihundert Jahren über die Hüte der Saison informierten, waren Zeugen der Industriellen Revolution, in der sich die Struktur der Gesellschaft, Geschwindigkeit, Mobilität, Arbeit, Konsum und Alltag grundlegend änderten. Seinen Ausgang nahm diese epochale Umwälzung in der Herstellung zunächst von Garnen, dann von Stoffen. Die Zeitgenossen nahmen diesen Umbruch selbstverständlich war und diskutierten ihn intensiv – aber nicht in den Journalen, die sich mit Kleidung befassten. Ebenso heute: Die Herstellung der Kleidung oder gar die Erzeugung ihrer Rohstoffe spielt auch in den aufwändig produzierten Modestrecken kaum eine bis überhaupt keine Rolle, in den regelmäßigen Rezensionen der Modeschauen in Tageszeitungen (endlich mal eine Gelegenheit, Bilder schöner, junger Frauen zu drucken!) kommen diese Themen ebenfalls nicht vor. Auf den Gesellschaftsseiten geht es um Mode als kultureller Faktor, die Produktionsbedingungen finden hinten im Wirtschaftsteil statt, bebildert mit gebückten Näherinnen in Saris. Als vor wenigen Jahren die Globalisierung die gesamte Textilindustrie aus West- und Mitteleuropa fegte, entfachte dies zwar intensive Debatten. Nur nicht in den Zeitschriften, die über Kleidung berichteten. Weder Elle noch www.themandarinegirl.com interessiert es, woher das »dunkle Denim«, der »edle Lederblouson« oder die »herbstliche Bluse« stammen, wer sie wo und wie gewebt, gefärbt und genäht hat. Auch darum kann der Regisseur eines Films über die Modeindustrie in einem Interview sagen, er habe bis zu den Recherchen für seine Dokumentation nicht darüber nachgedacht, woher seine Klamotten eigentlich kommen. »Wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich die Vorstellung, diese Kleidung wird von irgendwelchen Maschinen hergestellt oder wächst auf Bäumen«, sagte Andrew Morgan der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.1 Damit ist er ganz sicher nicht alleine. Zwar geben Verbraucher bei Umfragen regelmäßig an, dass ihnen die Herstellungsbedingungen ihrer Kleidung wichtig seien. In einer Umfrage im Sommer 2014 sagte sogar ein Drittel der Befragten, keinesfalls würden sie ein Kleidungsstück kaufen, das unter unmenschlichen Produktionsbedingungen hergestellt worden sei.2 Aber für Konsumenten ist es schwer, einigermaßen verantwortungsbewusste Firmen von den ganz schwarzen Schafen zu unterscheiden. Preis und Herkunft eines Kleidungsstücks geben keine Auskunft darüber, wie es produziert wurde. Dutzende von verschiedenen Labeln über eine (angeblich) nachhaltige Herstellung verwirren die Kunden eher, als ihnen den Weg zu guten Sachen zu weisen. Der Siegelwirrwarr im Klamottenladen ist seit zwanzig Jahren umstritten, aufgelöst hat ihn noch niemand. Langsam beginnen sich einige wenige Siegel durchzusetzen; im Bereich der sozialen Lage der Arbeiterinnen etwa die »Fair Wear Foundation«, die konstruktiv zusammen mit Unternehmen an einer fairen Lieferkette arbeitet, und auf dem Feld der Ökologie der GOTS, der »Global Organic Textile Standard«. Zum Teil ist es überraschend, welche Marken sich auf den Weg gemacht haben. Neben bekannten Öko-Versandhändlern wie Hess Natur oder Waschbär arbeitet auch der Billiganbieter Takko mit der »Fair Wear Foundation« zusammen. Es lohnt sich für die Verbraucher also, genau hinzuschauen – auch in ihrer Umgebung. In vielen Städten finden sich Schneiderinnen oder Designer, die kleine Kollektionen mit nachvollziehbarer Lieferkette anbieten. Zwar sind deren Kleider meist nicht ganz billig, aber weniger ist bekanntlich mehr. Über eine Milliarde noch tragbarer Kleidungsstücke werfen die Deutschen Jahr für Jahr aus ihren Schränken, um Platz für neue zu schaffen. Die ausgemusterten Stücke landen im Altkleidercontainer – und irgendwann auf einem Markt in Osteuropa oder Afrika. Noch immer gehen die Meinungen darüber auseinander, ob gute Gebrauchtkleidung in armen Ländern ein wichtiges Angebot für die dortigen Konsumenten darstellt, mit einer eigenen Wertschöpfung aus Reparatur und Handel – oder ob die Altkleiderschwemme aus dem reichen Norden die örtliche Textilindustrie zerstört und die Entwicklung behindert. Auf jeden Fall beruhigt sie das Gewissen der Verbraucher in den Industrienationen; sie können weitershoppen – ihre alten Kleider tun ja Gutes, fasst es eine Entwicklungsorganisation zusammen. Die Sache hat nur einen Haken: Der Ressourcenverbrauch der »Fast Fashion« ist zu hoch. Zwischen zwei und drei Milliarden Jeanshosen werden weltweit jedes Jahr verkauft, und damit Unmengen von Baumwolle. Sie wächst auf um die zwei Prozent der weltweiten Ackerfläche, verbraucht aber ein Viertel aller in der Landwirtschaft eingesetzten Insektengifte. Die durstige Pflanze lässt Flüsse und Seen vertrocknen, Ackerboden wird versalzen und unfruchtbar. Für beinahe jedes T-Shirt aus »reiner Baumwolle« wurde ein bisschen wertvoller Boden vernichtet und eine Frau, womöglich sogar ein Kind ausgebeutet. Das gute Gefühl auf der Haut schwindet bei dem Verbraucher, der um den Giftcocktail darauf weiß. Damit ein Kleidungsstück aus Pflanzenfasern seine Form behält, sich problemlos waschen und bügeln lässt und kunterbunt oder gar schwarz gefärbt werden kann, sind Dutzende teils hochgiftiger Chemikalien notwendig. Einst hat die Kleiderproduktion die Flüsse in Europa orange gefärbt und ihr Wasser ungenießbar gemacht, heute schillern die Flüsse in China in den Farben der Saison. Obwohl das einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist, haben die traditionellen Faserpflanzen wie Flachs und Hanf gegen die billige und leicht zu verarbeitende Baumwolle keine Chance. In den Faserstatistiken sind sie kaum sichtbar, so gering sind ihre Produktionsmengen. Chemiefasern aus Erdöl aber haben der Baumwolle inzwischen den Rang abgelaufen, jährlich steigen ihre Produktionsraten. Sogar Ökodesigner interessieren sich für Kunstfasern, allerdings aus Recyclingmaterial. Die Ökobilanz von Recyclingpolyester ist gar nicht schlecht, trotzdem ist ihr massenhafter Einsatz in Kleidung ein zweischneidiges Schwert. Wolle hingegen ist einer der ältesten Bekleidungsrohstoffe der Welt, lange Zeit war sie der bedeutendste. Heute spielt auch sie nur noch eine kleine Rolle; das ist einerseits schade, besitzt das Fell der Schafe doch wunderbare Eigenschaften. Doch massenhaft gehalten, geht es ihnen wie allen Tieren, die für einen auf schnelles Wachstum gepolten Markt gehalten werden: schlecht. Überweidete und überdüngte Gebiete, in denen zu viele Herden gehalten werden, gehören auch zur Bilanz von »reiner Schurwolle«. »Was soll ich bloß anziehen?« Diese Frage bekommt einen ganz neuen Klang, wenn der Alltag der Arbeiter in den Textilfabriken in die Antwort mit einfließt, die Masse der Chemikalien, die für die billigen und bunten Kleider nötig sind, die unglaubliche Menge an Wasser und Boden, die für »noch mal eben schnell was shoppen gehen« verbraucht werden. Die Bilanz unseres massenhaften Kleiderkonsums kennen die meisten Verbraucher relativ genau – doch sie handeln nicht danach. Jugendliche wissen laut einer Umfrage von Greenpeace gut darüber Bescheid, dass viele der begehrenswerten Kleidungsstücke im Laden oder Onlineshop mit hochgiftigen Chemikalien behandelt wurden. Mit 96 Prozent ist eigentlich auch allen Befragten klar, dass die Arbeiter in der Modeindustrie zum Teil unter miesen Bedingungen schuften. Doch anders shoppen sie...


Heike Holdinghausen ist Redakteurin der taz. Im Ressort Wirtschaft und Umwelt schreibt sie vor allem über Chemikalien-, Abfall- und Rohstoffpolitik. Zuvor betreute sie in der Meinungsredaktion die Kommentarseiten der taz.


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