E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Autor:innenreihe
Texte eines Universalkünstlers
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Autor:innenreihe
ISBN: 978-3-8438-0685-5
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im Mittelpunkt vieler seiner Werke stehen oft idealistische Künstler, die am Alltag, an Nichtanerkennung und unerfüllter Liebe scheitern und dem Wahnsinn verfallen.
Komik, Ironie, Groteske aber auch schauerliches Grauen bietet der Autor seinen Lesern, denen er zudem seine Auseinandersetzungen mit der zeitgenössischen Medizin und den Naturwissenschaften zumutet.
Dieses Lesebuch bietet einen chronologischen Querschnitt durch das fantastische Prosawerk E.T.A. Hoffmanns und mit den ausgewählten Abbildungen wird auch der bedeutende Karikaturist gewürdigt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Einleitung
Hoffmanns Leben war das eines stets rastlos Suchenden, zwischen den Polen seines künstlerisch kompromisslosen Strebens und seiner konservativen richterlichen Amtsausübung Schwankenden, das Leben eines mit tiefer Leidenschaft Liebenden und an unerfüllter Liebe Leidenden, auf Unverständnis Stoßenden, der von Schmerz und Sehnsucht erfüllt war und im bürgerlichen Dasein gerade so viel Halt erfuhr, dass ihm das Leben nicht entglitt. Ins Leben geworfen wurde Hoffmann am 24. Januar 1776 in der Französischen Gasse in Königsberg als Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann. Als er die Verantwortung für sein Leben in die eigenen Hände genommen hatte, entschied er sich 1805 aus Verehrung für Mozart dafür, den Vornamen Wilhelm durch Amadeus zu ersetzen. Mozart lernte er jedoch nie persönlich kennen. Umso größer war für Hoffmann später die Freude, als dessen Sohn auf einer Europa-Tournee in Berlin weilte und er sich in fröhlich beschwingter Runde als Gastgeber würdig erweisen konnte. Noch war Hoffmann nicht der erfolgreiche Schriftsteller, Komponist, Musikkritiker, Zeichner und Jurist, als der er heute bekannt ist. Noch war ihm nicht bewusst, konnte er nicht wissen, welche Schicksalsschläge ihn treffen, an welchen Umständen er wachsen und welche ihn schier an den Rand der Verzweiflung treiben würden. Seine Kindheits- und Jugendjahre waren alles andere als unbeschwert. Die Mutter stammte aus der in Königsberg angesehenen Juristenfamilie Doerffer. Der Vater, ebenfalls Jurist, entstammte einer Familie, deren Vorfahren väterlicherseits meist Pfarrer waren, die Theologie an der Königsberger Universität studiert hatten. Nachdem der Vater zum Hofgerichts-Advokaten avancierte, entsprach er für die Familie der Ehefrau den gesellschaftlichen Ansprüchen. Die Familienverhältnisse der Hoffmanns waren zerrüttet: Die Mutter kränkelte, wurde als schwermütig oder gar hysterisch beurteilt und litt unter dem geistvollen, aber trinkenden Vater. Aus der Ehe stammten neben Ernst zwei ältere Brüder, von denen der eine noch als Kind verstarb und der andere nach der Scheidung der Eltern mit dem Vater nach Insterburg zog. Die Mutter kehrte nach der Trennung mit dem dreijährigen Ernst in den Schoß ihrer Familie zurück. Zum Hausstand des Doerfferschen Hauses gehörten neben ihnen Hoffmanns Großmutter, sein Onkel Otto und die unverheirateten Tanten Johanna Sophia und Charlotte Wilhelmine, die mehr Einfluss auf sein Leben haben sollten, als es nach ihrer Rolle im Hause den Anschein hatte. Je älter Hoffmann wurde, desto mehr litt er unter dem Regime des wegen Unvermögens als Justizrat früh aus dem Dienst entlassenen Onkels, den er auch »O-weh-Onkel« nannte und mit dem er sich ein Zimmer teilen musste. Schon die eigene Familie betrachtete mit Argwohn die Ähnlichkeit des jungen Hoffmanns mit dem unsteten, künstlerisch begabten, sich den äußeren Zwängen nicht beugen wollenden Vater. Hoffmann erschien das eintönige und anspruchslose Dasein des Onkels als ein Dahinvegetieren zwischen Mahlzeiten und Schlafen, gelegentlich unterbrochen von Hausmusik und Literatur zur Erbauung. Möglicherweise schwang in der Kritik gegenüber dem Onkel auch Hoffmanns jugendliche Rigorosität mit, wonach sich der Sinn des Lebens nur in tiefem, künstlerischem Schöpfertum widerspiegele. Otto Doerffer war es aber auch, der sich um die musische Erziehung des Neffen bemühte. Schon als kleiner Junge hatte Hoffmann diszipliniert den längsten Stücken der Hausmusik zu folgen, die der Onkel mit Musikfreunden unternahm. Wovon der Onkel nichts ahnte, das war die Schärfe der Beobachtung durch den kleinen Neffen, der in späteren Erzählungen den beim Spiel bis zur körperlichen Erregung gesteigerten Enthusiasmus der Musiker nachzeichnete. Der Junge spielte bald Klavier, Violine und Harfe. Daneben wurde er im Gesang ausgebildet. Gerne spielte er »auf einem alten Flügel phantasierend oder eigene Kompositionen versuchend«. Jedoch hatte Kunst in der Familie lediglich zur Bildung, Erbauung und Zerstreuung Platz. Dies ähnelt der Situation, die Hoffmann in Ritter Gluck seinem Ich-Erzähler in den Mund legt: »Ich lernte ehemals Klavierspielen und Generalbass, wie eine Sache, die zur guten Erziehung gehört …« Die Vorstellung, Kunst als etwas anderes als ein Amüsement zu begreifen, mit und in ihr zu leben, eine alles verzehrende Leidenschaft für sie zu empfinden, die eigenen Kunstfertigkeiten zur Vervollkommnung zu treiben und darin völlig aufzugehen, war der Familie fremd. Zu Theodor Gottlieb von Hippel, dem Neffen des gleichnamigen Stadtpräsidenten von Königsberg, entwickelte Hoffmann eine tiefe und unzertrennliche Freundschaft, die wie jede dauerhafte Beziehung von Zuneigung, gemeinsamen Interessen und gegenseitigem Verständnis, aber auch von gelegentlichen Missverständnissen und Unstimmigkeiten geprägt war. Und auch in der Einschätzung dieser Beziehung sollte die Familie im Weiteren noch einem Fehlurteil unterliegen. Selbst die Spiele mit Hippel standen unter der gestrengen Aufsicht der Familie. Die Jungen fanden für den »O-weh-Onkel« immer neue Namen; nach der Lektüre von Shakespeares Heinrich IV. und Die lustigen Weiber von Windsor sprang den Jungen die Ähnlichkeit des Onkels mit Falstaff ins Auge, weshalb für ihn auch Namen wie »Sir Ott« und der »dicke Sir« gefunden wurden. Neben Shakespeare war für Hoffmann auch die Lektüre der Werke unter anderem von Jean Paul, Sterne, Rousseau und Schiller prägend. Peinlich genau plante Sir Ott zur Wahrung des bürgerlichen Scheins den Besuch bei Honoratioren der Stadt. Diese Tage, es war immer ein Mittwoch, boten die Möglichkeit, dem Drang, sich selbst auszuprobieren, wilde Musik zu spielen und herumzutoben, nachzugeben. Dem Urteile des Freundes Hippel zufolge war Hoffmanns Musik »genial, kühn, aber oft bizarr«. Einzig die Tante, Johanna Sophia Doerffer, war aufgrund ihres geistreichen Wesens in der Lage, Hoffmanns Naturell zu erfassen. Die andere Tante, Charlotte Wilhelmine, war 1779 im Alter von dreiundzwanzig Jahren an Pocken verstorben. Bei Sophia fand der Junge den Halt und das Verständnis, die die Mutter wohl aufgrund ihres labilen Gesundheitszustandes nicht in der Lage war, dem Jungen zu bieten. Als Hoffmann heranwuchs, blieb sie die Vertraute auch seiner Schwächen. In der Jugendgeschichte des Kapellmeisters Kreisler in den Lebens-Ansichten des Katers Murr setzte er seinen Tanten ein rührendes Denkmal, indem er der dortigen Tante »Füßchen« (Kindersprache für Sophiechen) den Namen auf die jüngere Tante übertragen hatte. Hippel wunderte sich noch Jahre später in seinen Erinnerungen darüber, dass er Hoffmanns Mutter und Tante – er wusste wohl nichts von der Existenz der Tante Charlotte – in all den Jahren, in denen er im Doerfferschen Haus ein- und ausgegangen war, vielleicht drei- oder viermal zu Gesicht bekommen hatte. Der Lebensmittelpunkt der Damen war ihr Zimmer. Hoffmann saß in der Königsberger Burgschule neben seinem Freund Hippel, der zwar ein wenig älter war als er, aber wegen der Zusammenfassung der Jahrgänge in demselben Raum unterrichtet wurde. In der Schule fiel der Junge kaum auf. Der quirlige Bursche, der schon in der Schulzeit die Gabe entwickelte, mit seinem beißenden Spott zu treffen, schien den Mitschülern wohl suspekt. Hippel, der bei seinem Onkel, dem Königsberger Stadtpräsidenten und Freund Immanuel Kants, lebte und streng auf eine Karriere im Staatsdienst vorbereitet wurde, war der sanfte und brave Junge, der Hoffmann beim Griechischen und Lateinischen half. Hoffmann hingegen war der, der bei gemeinsamen Unternehmungen die Initiative ergriff und den Freund mitriss. Als sie heranwuchsen, weckte das hinter der Gartenmauer liegende Fräuleinstift mit den jungen Damen das Interesse der Burschen. Schnell war der Plan gefasst, einen unterirdischen Gang zu graben, um die Grazien beobachten zu können. Nach einigen Tagen anstrengender Arbeit durchkreuzte der »O-weh-Onkel« die Pläne: Er bemerkte den Gang. Die Jungen, von ihm zur Rede gestellt, behaupteten kühn, dass sie ihm eine Freude bereiten wollten und die Grube für eine seltene amerikanische Pflanze ausgehoben hatten. Der Onkel musste zwei Arbeiter beauftragen, die genügend Mühe obwalten lassen mussten, um den Gang aufzufüllen, die Erde zu verdichten und den Garten in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Hippel erwies sich auch in anderen Situationen als treuer Freund. Wenn Hoffmann wie zufällig Mädchen in den Straßen begegnen wollte, deren Weg er zuvor ausgespäht hatte, begleitete ihn Hippel und spendete Trost, wenn sie ihn nicht bemerkten oder seiner spotteten. Hoffmann empfand den eigenen Körper als Hemmnis gegenüber seinem Verlangen. Seinem Freunde Hippel gestand er: »Da ich sie einmal nicht durch die Annehmlichkeit meines Äußeren interessieren kann, so wollt ich, daß ich ein Ausbund von Häßlichkeit wäre …, damit ich ihr auffiele, damit sie mich wenigstens ansähe.« Dieses Gefühl der körperlichen Unzulänglichkeit thematisierte er...