E-Book, Deutsch, 194 Seiten
Reihe: Standards der Psychotherapie
Hötzel / von Brachel Änderungsmotivation fördern
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8444-2917-6
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 194 Seiten
Reihe: Standards der Psychotherapie
ISBN: 978-3-8444-2917-6
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Förderung der Änderungsmotivation gehört störungsübergreifend zu einem der wichtigsten Behandlungsbausteine in der psychotherapeutischen Praxis. Die Bearbeitung der Ambivalenz und letztlich die Steigerung der Motivation, sich für die Genesung mit all ihren Konsequenzen zu entscheiden, ist eines der Hauptziele in der Behandlung – beispielsweise von Abhängigkeitserkrankungen und Essstörungen. Aber auch bei anderen Störungsbildern, wie z.B. Angststörungen oder subklinischen Schwierigkeiten, ist ein professioneller Umgang mit motivationalen Herausforderungen von großer Bedeutung. Dieses Buch stellt den aktuellen Wissensstand dar und beschreibt praxisnah Interventionen zur Förderung der Änderungsmotivation.
Bei der Bearbeitung ambivalenter Themenbereiche empfehlen sich eine offene, therapeutische Haltung sowie bestimmte Strategien der Gesprächsführung, um Reaktanz und Widerstand zu vermeiden. Dies gilt vor allem für ein solches Klientel, welches mit geringem bzw. keinem Problembewusstsein – möglicherweise fremdmotiviert – in die Behandlung kommt. Aber auch diejenigen Patientinnen und Patienten, die von sich aus den Weg in die Psychotherapie finden, können ambivalent gegenüber einiger Aspekte der Veränderung sein oder im Therapieverlauf werden, wenn ein gewisser Nutzen oder „Krankheitsgewinn“ der bisherigen Erkrankung durch die Therapie bedroht wird. Auch diese Personen profitieren im therapeutischen Prozess von Interventionen, die zu einer besseren Einsicht bzw. Klärung der Ambivalenz führen und damit letztlich einer Entscheidungsfindung dienen. Der Band stellt störungsübergreifend Standard-Interventionen sowie Elemente neuer „Dritte-Welle“-Verfahren vor. Dabei werden zunächst relevante Aspekte zum Verständnis und zur Diagnostik von Änderungsmotivation beleuchtet. Der Hauptfokus liegt dann auf der therapeutischen Gesprächsführung sowie konkreten Interventionen zur Klärung und Steigerung der Änderungsmotivation.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut_innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut_innen, Fachärzt_innen für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psycholog_innen, Psychologische Berater_innen, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
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|16|3 Diagnostik und Indikation
3.1 Fortlaufende Motivationsdiagnostik
Da motivationale Schwierigkeiten zu jeder Zeit im Therapieprozess auftreten können, ist es ratsam, über den gesamten Prozess wachsam gegenüber auftretenden Ambivalenzen, Zielkonflikten oder sonstigen Unstimmigkeiten zu sein. Diese können aus direkten Äußerungen des Patienten (z.?B. „Ich weiß nicht, ob sich die ganze Arbeit überhaupt lohnt.“) oder indirekt aus Verhaltensweisen (z.?B. „Vergessen“ von Terminen, therapeutischen Aufgaben oder verminderter Rapport) geschlossen werden. Dementsprechend kann vermehrter Widerstand (vgl. Kapitel 4.1) – verbal oder nonverbal – ein Anzeichen für derartige Probleme darstellen. Hier sollte der Therapeut prüfen, ob der Patient vermehrt Ambivalenz erlebt bzw. eine Unstimmigkeit („Mismatch“) zwischen der aktuellen Phase der Veränderung gemäß des TTM (Prochaska & DiClemente, 1984) des Patienten und der vom Therapeuten für die aktuelle Intervention vorausgesetzten Phase entstanden ist („Matching-Hypothese“; vgl. Kapitel 2). Dafür ist ein kontinuierliches Motivationsmonitoring hinsichtlich der Phasen der Veränderung nötig. Klassischerweise entsteht eine Störung im Prozess dann, wenn sich der Patient noch oder wieder in der Phase der Nachdenklichkeit bezüglich eines bestimmten (Teil-)Problems befindet, der Therapeut jedoch Interventionen vorschlägt, welche die Handlungsphase voraussetzen. Wenn der Therapeut die oben erwähnten Störungen im therapeutischen Prozess wahrnimmt, sollten diese angesprochen bzw. mit einer angemessenen Gesprächsführung (vgl. Kapitel 4.1) aufgefangen werden. Die motivierende Gesprächsführung heißt nicht umsonst im englischen Original „Motivational Interviewing“, da sich Intervention und Diagnostik im Falle der Motivierung von Patienten nicht klar trennen lassen. Das gleiche gilt für ähnliche Ansätze, wie z.?B. das „Systematic Motivational Counselling“ (Cox & Klinger, 2004), bei dem Diagnostik und Intervention ebenfalls rekursiv stattfinden. „Assessment is intervention, and intervention is assessment“ (Nathan, 2004, S. 17). Diagnostik und Intervention stellen eine wirksame Kombination dar und Diagnostik allein kann bereits Veränderungen initiieren. Eine angemessene Sprache hinsichtlich der Veränderung und Sensibilität für Ambivalenzen im therapeutischen Prozess wird dem Therapeuten sowohl wichtige Informationen zu den Gründen für und gegen eine Veränderung, der aktuellen Phase der Veränderung gemäß dem TTM und möglichen Zielkonflikten liefern, als auch gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit für Widerstand reduzieren und eine Verhaltensänderung in die gewünschte Richtung wahrscheinlicher machen. Therapeutisch gesehen kann man also „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“, wenn |17|während des gesamten therapeutischen Prozesses mit einer angemessenen Sprache sensibel auf Ambivalenzen oder motivationale Probleme reagiert wird. Im Grunde genommen muss der Therapeut dafür in der Therapie „zweigleisig fahren“, indem er nämlich zwei verschiedene Wege gleichzeitig betrachtet: Einmal den der Motivation und andererseits den der Intervention. Je nachdem, ob die für die Interventionen vorausgesetzte Motivation gegeben ist (also im Sinne „klassischer“ KVT-Manuale: sich der Patient in der Handlungsphase befindet), kann sich der Therapeut vorrangig auf die Interventionsseite konzentrieren und für die Handlungsphase konzipierte Methoden einsetzen. Ist die Grundvoraussetzung dafür nicht gegeben (insbesondere in der Phase des eingeschränkten Problembewusstseins und der Nachdenklichkeit), muss sich der Therapeut zunächst auf die Motivation konzentrieren und die dafür passenden Techniken (Gesprächsführung und konkrete Methoden zur Steigerung der Änderungsmotivation; vgl. Kapitel 4) einsetzen. Dieser Zusammenhang wird im „dualen Therapiemodell“ (Schulte & Eifert, 2002) beschrieben, wobei hier zwischen dem „Methodenstrang“ und dem „Motivationsstrang“ (vgl. Tabelle 2) unterschieden wird. Methodenstrang Motivationsstrang Identifizierung der für die zu behandelnde Symptomatik relevanten aufrechterhaltenden Bedingungen Kontinuierliche Überprüfung der vorliegenden Veränderungsmotivation Auswahl therapeutischer Interventionen mit höchster Erfolgswahrscheinlichkeit, individuell angepasst nach empirischer Befundlage individueller Fallkonzeption Identifizierung möglicher motivationaler Probleme im Zusammenhang mit der geplanten therapeutischen Intervention Umsetzung ausgewählter Strategien nach den entsprechenden Vorgaben Bei Bedarf Einsatz von Methoden zur Stärkung der Veränderungsmotivation In diesen fortlaufenden Diagnostikprozess kann der Patient – auch im Sinne einer Intervention – explizit mit einbezogen werden: Dafür empfiehlt es sich, mit Patienten ab der Phase der Nachdenklichkeit eine Psychoedukation zu den Phasen der Veränderung (vgl. Kapitel 4.2 und „Arbeitsblatt: Die Phasen der Veränderung“ auf S. 166) durchzuführen. Anschließend kann durch den kontinuierlichen Bezug auf das Phasenmodell oder durch den kontinuierlichen Einsatz der sogenannten „Contemplation-Leiter“ (Biener & Abrams, 1991; vgl. auch „Arbeitsblatt: Contemplation-Leiter“ auf S. 168) eine regelmäßige Selbsteinschätzung seitens des Patienten auf einer symbolischen Leiter vorgenommen werden. Der Patient sollte dabei zunächst das zentrale (Teil-)Problem festlegen, zu dem er eine Einschätzung vornimmt. Er ordnet sich dann selbst hinsichtlich seiner Mo|18|tivation zur Veränderung dieses Teilproblems ein. Dies kann zu Beginn der Sitzung oder auch schon im Warteraum als Vorbereitung stattfinden. Der Therapeut kann das Arbeitsblatt nutzen, um direkt über die aktuelle motivationale Lage ins Gespräch zu kommen. Die Selbsteinschätzung auf der „Contemplation-Leiter“ kann z.?B. folgendermaßen eingeleitet werden: Man kann sich die Veränderung eines problematischen Verhaltens vorstellen wie das Erklimmen einer Leiter. Jede Sprosse ist wichtig und notwendig, um oben anzukommen. Dabei kann man manchmal auch eine Sprosse auslassen oder einen Schritt zurückgehen, beides ist ganz normal und natürlich. Das Bild dieser Leiter kann Ihnen und mir helfen, einzuschätzen, an welcher Stelle der Veränderung Sie sich gerade befinden. 3.2 Motivationale Diagnostik in der ersten Therapiephase
Grundsätzlich sollte die motivationale Lage kontinuierlich im therapeutischen Prozess überwacht werden. Bezüglich des Erstgesprächs ist unserer Ansicht nach insbesondere die Klärung zweier Aspekte von Bedeutung: Warum (aus welchem Grund bzw. durch wen motiviert) kommt der Patient und das ausgerechnet jetzt? Durch die Klärung dieser Frage ist eine erste diagnostische Einordnung (z.?B. Zuordnung zu einer Phase der Veränderung nach Prochaska und DiClemente, 1984) möglich. Für den Therapeuten bietet diese Information Ansatzpunkte für die weitere Therapieplanung (z.?B. Anpassung der Interventionen an die jeweilige Phase der Veränderung des...