Höllmann | China und die Seidenstraße | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 537 Seiten

Reihe: Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung

Höllmann China und die Seidenstraße

Kultur und Geschichte von der frühen Kaiserzeit bis zur Gegenwart

E-Book, Deutsch, 537 Seiten

Reihe: Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung

ISBN: 978-3-406-78169-8
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Seidenstraße, die Ostasien mit dem Mittelmeerraum verbindet, ist zum Inbegriff einer frühen Globalisierung geworden. Der Sinologe Thomas O. Höllmann schaut von China aus auf das legendenumrankte Routennetzwerk. Er beschreibt anschaulich, wie die Menschen reisten und wie Güter und Ideen weitervermittelt wurden. Ein Ausblick macht deutlich, warum China mit der 'Neuen Seidenstraße' auf das symbolische Kapital der alten Verbindungen setzt.
Seit der Antike nutzten Gesandte, Händler, Missionare und Abenteurer die Seidenstraße. Auf dem Landweg passierten sie dabei lebensfeindliche Wüsten wie die Taklamakan, überwanden hoch aufragende Gebirge wie den Pamir und verweilten in betriebsamen Oasenstädten wie Buchara, Samarkand oder Turfan. Davon künden zahllose archäologische Zeugnisse, von denen viele erst in den letzten Jahrzehnten erschlossen wurden. Thomas O. Höllmann rekonstruiert mit ihrer Hilfe sowie anhand von historiographischen Quellen, fesselnden Reisebeschreibungen und lebensnahen Gedichten, welche Waren nach China gelangten, wie der Buddhismus und andere Religionen im Reich der Mitte rezipiert wurden und welche Schlüsseltechnologien, allen voran Papier und Buchdruck, von dort aus ihren Siegeszug über die ganze Welt antraten. Das Buch geht den ökonomischen Grundlagen, politischen Motiven und kulturellen Rahmenbedingungen des Austauschs nach und führt faszinierend konkret vor Augen, was Globalisierung in einem Zeitraum von rund zwei Jahrtausenden bedeutete.
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1. Begriffe und Quellen
Was hat die von China derzeit mit großem Aufwand propagierte «Neue Seidenstraße» mit der im 19. Jahrhundert im Westen entwickelten Vorstellung von einem Verkehrsnetz, das seit der Antike weite Teile Eurasiens umfasste, gemein? Nicht nur die Rhetorik. Beide Konzepte deuten die Geschichte aus ihrem eigenen Zeithorizont heraus; beide unterstellen Kontinuitäten, die es so nie gab; beide betonen den ökonomischen Nutzen des Kontakts; beide verbinden damit zumindest implizit Hegemonieansprüche und Globalisierungsoptionen. Oder anders formuliert: Unter Umständen wurde lediglich eine eurozentrische Perspektive durch eine sinozentrische Weltsicht ersetzt. Sollte man also, wie zuletzt mehrfach gefordert, ganz auf die Verwendung der Bezeichnung verzichten? Ich glaube nicht; denn als Metapher für die Kommunikationsstränge zwischen fernen Ländern, Völkern und Kulturen taugt die «Seidenstraße» noch allemal. Und im Übrigen müssten dann wohl die meisten historischen Schlagwörter im Hinblick auf ihre Aussagekraft durchforstet werden, was bei nicht wenigen Termini noch weitaus heftigere Verstörungen zur Folge hätte. Die Namensgebung
Die Wortschöpfung «Seidenstraße» ist vergleichsweise jungen Datums. Sie fand sich im Titel einer Vortragsveranstaltung, zu der die «Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin» für den 2. Juni 1877 eingeladen hatte. Dabei sprach Ferdinand Freiherr von Richthofen, damals Präsident der Vereinigung, «ueber die centralasiatischen Seidenstrassen». Nur wenige Monate danach wurden seine Ausführungen veröffentlicht,[1] und im selben Jahr tauchte der Begriff zudem im ersten Band der Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien auf.[2] Vier Wege mochten die Kenntnisse liefern, durch deren Verbindung Einige zu einer Ahnung der richtigen Verhältnisse gelangten: die oben betrachtete Seidenstrasse über Baktrien, der Handelsweg durch Tibet, der Seeweg, und eine Verbindung zwischen Assam und dem südwestlichen China.

Ferdinand von Richthofen (1877) über die wichtigsten Handelsrouten Chinas[3] Allerdings war Richthofen (1833–1905) entgegen der landläufigen Auffassung nicht der erste Geograph, der den Begriff verwendete. Dieses Verdienst kommt vermutlich Carl Ritter zu, der bereits 1838 in seiner vielbändigen Erdkunde von einem «nördlichen continentalen Weg der Seidenstraße, von China gegen den Westen zur kaspischen See hin» sprach.[4] Neu war allerdings bei Richthofen das Konzept eines kohärenten Verkehrsnetzes, das zwei Kontinente miteinander verband und zudem auf Resonanz in der Öffentlichkeit stieß. Der damals bereits weithin anerkannte Geomorphologe verfügte über eine solide Allgemeinbildung. Zwar hatte er mehrere Jahre in China gelebt, doch erwuchsen daraus keine philologischen Ambitionen. Die von ihm zitierten Quellen erschlossen sich ihm lediglich durch (nicht immer zuverlässige) Übersetzungen. Der vielleicht wichtigste Antrieb für seine historischen Recherchen war ein lebhaftes Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen.[5] In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es auch für Vertreter primär naturwissenschaftlich ausgerichteter Disziplinen durchaus üblich, ihre Untersuchungen mit ökonomischen Fragestellungen zu verknüpfen. Schließlich bemühten sich die damals um Anteile am Weltmarkt konkurrierenden westlichen Staaten intensiv darum, ihr Profil als Kolonialmächte zu schärfen, und von weit gereisten Forschern wurde erwartet, dass sie mit ihren Erkenntnissen zum Ruhm des Vaterlands beitrügen.[6] Richthofen mischte dabei kräftig mit. Der Umstand, dass er sein Augenmerk schon früh auf mögliche Gebietsannexionen richtete, zeigt, dass ihm bei der Wiederbelebung der Seidenstraße nicht nur ein einvernehmlicher Güter- und Kulturaustausch vorschwebte. Als dann schließlich 1897 das deutsche Schutzgebiet in Shandong errichtet wurde, berief man sich nicht zuletzt auf seine Empfehlungen. Schon kurz nach Richthofens Vortrag fand die «Seidenstraße» als silk road Eingang in den englischen Wortschatz.[7] Wesentlichen Anteil an der Popularisierung des Begriffs hatten Sven Hedin, der zwei Jahre lang bei Richthofen studiert hatte und 1938 einen Band mit dem Titel «The Silk Road»[8] veröffentlichte, und Albert Herrmann, dessen 1935 in den USA erschienener China-Atlas[9] die Routenverläufe anschaulich vermittelte. Beide waren – und sind – nicht nur wegen ihrer Nähe zu Nazi-Deutschland umstritten, sondern auch wegen ihrer gelegentlichen Entfernung von der wissenschaftlichen Seriosität. Daneben waren aber auch noch zahlreiche Synonyme gebräuchlich, darunter silk route, caravan route, long road und great Central Asian trade route.[10] Am international erfolgreichsten war jedoch auf Dauer der Begriff silk road, von dem unter anderem die gängigste japanische Bezeichnung lautlich abgeleitet ist: shiruku rodo (in der für Lehnwörter üblichen Morenschrift Katakana). In China entschied man sich hingegen für eine wörtliche Übersetzung: sichou zhi lu (oder abgekürzt silu). Bis dahin gab es keine chinesische Entsprechung für die «Seidenstraße». Am nächsten kamen noch die «Westlande» (xiyu), worunter im Allgemeinen die jeweils entlegensten Regionen Zentralasiens verstanden wurden, die man in einer Epoche – diesseits und jenseits der Reichsgrenzen – bewusst wahrnahm. Also mit zwei Einschränkungen: einer nachvollziehbaren Entfernung und einer vorgegebenen Himmelsrichtung. Die nördlichen Steppengebiete und ihre Karawanenrouten waren nicht einbezogen. Im Fokus standen hingegen die Randzonen des Tarimbeckens, die man in Europa als «Ostturkestan» bezeichnete. Immerhin unterschied man aber schon während der Han-Zeit (von 207 v. Chr. bis 220 n. Chr.) zwischen der südlichen und nördlichen Umgehung der Taklamakan am Fuße von Kunlun und Tianshan. Vom Jadetorpass und vom Südpass aus führen zwei Wege in die Westlande. Auf der südlichen Route folgt man von Loulan aus dem Flusslauf an der Nordseite der Südberge in westlicher Richtung bis Yarkand. Von dort begibt man sich weiter nach Westen, übersteigt den Pamir und erreicht Baktrien und Parthien. Auf der nördlichen Route folgt man von Turfan aus dem Flusslauf entlang der Nordberge in westlicher Richtung bis nach Kashgar. Dann geht es noch weiter nach Westen, und man überquert den Pamir, um nach Fergana, Samarkand und Sogdien zu gelangen.[11]

Hanshu (115) Kap. 96 Sollte man nun, wie von der UNESCO ab 1988 propagiert, vom Singular zum Plural wechseln, um die Heterogenität und Vernetzung der Verkehrswege zu verdeutlichen? Also nurmehr von «Seidenstraßen» sprechen? Der zusätzliche Erkenntnisgewinn ist wohl eher gering. Es sollte daher reichen, wenn bei der Verwendung des Sammelbegriffs klar ist, dass es sich dabei um ein Konstrukt handelt, für das unterschiedliche Phänomene und Zeithorizonte zusammengeführt wurden, auch auf die Gefahr hin, dass Politiker davon gerne den Gründungsmythos der Globalisierung ableiten. In den letzten Jahrzehnten haben sich überdies einige Historiker – gelegentlich recht apodiktisch – dafür ausgesprochen, die «Seidenstraße» völlig aus dem wissenschaftlichen Sprachschatz zu streichen: zum einen, weil sich dahinter ein eurozentrischer Blickwinkel verberge, zum anderen, weil die riesige Auswahl der im Fernhandel vermittelten Güter durch eine eindimensionale Bezeichnung nicht verdeutlicht werden könne.[12] Beide Vorbehalte sind nachvollziehbar, aber nicht zielführend. Vor allem gibt es keine stimmigen Alternativen, die Korrektheit und Prägnanz gleichermaßen für sich in Anspruch nehmen können. Stelen und Palastbibliotheken
Die offizielle Überlieferung oblag in China den Historiographen: einer Gruppe von Spezialisten, die in der Tradition der Schreiber stand, welche im ausgehenden 2. Jahrtausend v. Chr. die Orakelbefragungen dokumentiert hatten. Eine leichte Affinität zur...


Thomas O. Höllmann ist Professor em. für Sinologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er war Mitglied des Internationalen Konsultativkomitees für das Seidenstraßenprojekt der UNESCO. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u.a. "Das alte China" (2008), "Schlafender Lotos, trunkenes Huhn. Kulturgeschichte der chinesischen Küche" (2010) sowie "Die chinesische Schrift" (C.H.Beck Wissen, 2017).


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