Eine globale Geschichte 1780-1920
E-Book, Deutsch, 736 Seiten
ISBN: 978-3-406-80053-5
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
im 19. Jahrhundert teilten die großen europäischen Mächte die Welt unter sich auf. Das Britische Empire reichte von Kanada über weite Teile Afrikas bis nach Indien und Australien. Das Russische Reich erstreckte sich vom Baltikum bis zum Pazifik, und Habsburg expandierte auf dem Balkan, während das Osmanische Reich als "kranker Mann am Bosporus" erschien. Doch was ist gemeint, wenn von Imperien und Empires die Rede ist? Diese Buch erzählt ihre Geschichte neu, indem es die Begegnungen der Menschen unter den Bedingungen von Kolonialismus untersucht. Es stellt die zentralen Herausforderungen der Empires, den Untergang ethnischer Vielfalt, in den Mittelpunkt. Und es erklärt, wie Kolonisierte mit Eroberung, Beherrschung, Intergration und Ausbeutung umging. So wird die Logik imperialen Handlens und die Dynamik der Gewalt ebenso erkennbar wie die Strategien der Kolonisierten, die in einfachen Gegensätzen zwischen Herrschern und Beherrschten nicht aufgingen. Das Ergebnis ist eine innovative und zeitgemäße Geschichte der Empires in der Welt des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
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Einleitung Empires in einer globalen Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
Sein Auftreten in London verunsicherte die europäischen Zeitgenossen und zog sie zugleich in seinen Bann. Dieser groß gewachsene Mann in seinen eleganten Maßanzügen strahlte Würde und Höflichkeit aus, und mit seinen perfekten Manieren in den Empfangs- und Gesellschaftsräumen der britischen Hauptstadt schien er alles zu besitzen, was einen viktorianischen Gentleman auszeichnete. Und doch war er in britischen Zeitungen nur drei Jahre zuvor noch als barbarischer Wilder dargestellt worden, dem man die Schuld am Tod Hunderter britischer Soldaten gegeben hatte, die während des Zulu-Kriegs 1879 im südlichen Afrika gefallen waren. Geboren um 1832 war Cetshwayo Mpande nach dem Tod seines Vaters im September 1873 mit Unterstützung der britischen Kolonialbehörden zum König der Zulus aufgestiegen, deren Gebiet sich entlang der südlichen Ostküste am Indischen Ozean erstreckte. Nachdem Großbritannien bereits 1843 Natal und dann 1877 die Transvaal-Republik annektiert hatte, schien das Herrschaftsgebiet der Zulus, nun weitgehend von britisch beherrschtem Territorium umgeben, eine permanente Bedrohung darzustellen. Um die südafrikanischen Gebiete langfristig zu unterwerfen, drängte der neue britische Hochkommissar Henry Bartle Frere auf eine Eroberung aller noch unabhängigen Regionen. So kam es 1879 zum Krieg mit dem Zulu-Königreich und ein Jahr später mit den Buren, den europäisch-stämmigen Siedlern im südlichen Afrika. Cetshwayo gelangen dabei zunächst überraschende Siege gegen die britischen Kolonialtruppen, bevor er sich im Sommer 1879 geschlagen geben musste. In Capetown interniert, versandte er Bittschreiben an die britische Queen Victoria und führende Politiker in London, um die Wiederherstellung seiner Herrschaft und die Rückkehr in seine Heimat zu erreichen. Vor diesem Hintergrund veränderte sich die Wahrnehmung Cetshwayos in der britischen Öffentlichkeit. Während der britische Hochkommissar wegen seines eigenmächtigen Vorgehens unter Druck geriet und seinen Posten verlor, hob die Londoner Presse nun die Tapferkeit der afrikanischen Zulu-Krieger und zumal Cetshwayos hervor.[1] Mit der Korrespondentin der London Morning Post, Lady Florence Dixie, gewann diese Perspektive eine einflussreiche Vermittlerin in den britischen Medien. Dieser Meinungsumschwung vergrößerte zunächst Cetshwayos Spielraum in Südafrika, wo er aus der Internierung entlassen wurde. 1882 konnte er auf britische Kosten in die Metropole des Britischen Empire reisen. Dort bemühte er sich in einer persönlichen Audienz bei Queen Victoria darum, seine Wiedereinsetzung als Zulu-Herrscher zu erreichen. Sein Name galt nun nicht mehr als Synonym für die barbarische Gewalt unzivilisierter Afrikaner, mit der die britische Intervention als Zivilisationsmission begründet worden war. Vielmehr erschien Cetshwayo in der britischen Öffentlichkeit jetzt als «liebenswerter Wilder», als «personable savage», dem man heroische Qualität und persönliche Würde zugestand.[2] Abb. 1: Das Spiel mit den Erwartungen der europäischen Kolonialmächte: Cetshwayo auf der Fotografie während seines Aufenthalts in London 1882 Die Reise von Afrika nach London, der Aufenthalt in der Hauptstadt und die Audienz bei der britischen Monarchin illustrierten nicht nur die Mobilität des in einem brutalen Kolonialkrieg unterlegenen afrikanischen Herrschers. Sie unterstrichen vor allem seine temporäre Handlungsmacht, der sich Cetshwayo umso mehr bewusst war, weil sein Aufenthalt so intensiv von den zeitgenössischen Medien begleitet wurde. Für einen Moment gerieten dabei festgefügte Vorstellungen von Zentrum und Peripherie, Europa und Afrika, von Kolonisatoren und Kolonisierten, weißen Akteuren und schwarzen Unterworfenen, von britischer Fortschrittlichkeit und afrikanischer Rückständigkeit in Bewegung. Dass kurzzeitig sogar eine Umkehr der unterstellten Rollenbilder möglich schien, trug zur Verunsicherung bei. Denn Cetshwayos Auftreten in London passte so gar nicht zur Erwartung der britischen Öffentlichkeit und der Regierung, die mit wachsender Nervosität die Reaktionen in der Presse verfolgte. Während seines Aufenthalts trug Cetshwayo ganz bewusst europäische Kleidung und ließ sich in einem Atelier in der Bond Street in einem perfekt sitzenden Maßanzug mit Lederhandschuhen fotografieren. Mit dieser Selbstinszenierung spielte er geschickt mit den Vorstellungen des britischen Publikums, wie sich auch bei seiner Audienz bei Queen Victoria erwies. Beeindruckt von seiner Persönlichkeit, aber verunsichert durch seinen Auftritt in der Kleidung eines viktorianischen Gentleman, notierte sie in ihr Tagebuch: «Cetewayo ist ein sehr feiner Mann … Er ist groß, ungeheuer breit und stämmig, mit einer gut gelaunten Miene und einem intelligenten Gesicht. Leider erschien er in einem hässlichen schwarzen Gehrock und Hosen, trug aber immer noch den Ring um seinen Kopf, der ihn als verheirateten Mann auswies.»[3] Abb. 2: Die europäische Vorstellung des afrikanischen Kriegers: Porträt Cetshwayos von Karl Rudolf Sohn, 1883 An diesen Erwartungen orientierte sich auch der deutsche Maler Karl Rudolf Sohn, der Cetshwayo nach der Audienz als exotischen afrikanischen Häuptling mit einem Bärenfell um seine nackten Schultern und einem Halsband aus Tierzähnen porträtierte, obwohl solche Attribute in der Heimat der Zulus in dieser Weise unbekannt waren. Das Ölgemälde gründete auf verbreiteten Vorstellungen, die sich europäische Zeitgenossen von einem afrikanischen Herrscher machten. Obwohl der Künstler Ruhe, Würde und Autorität Cetshwayos zu vermitteln suchte, entsprach das Porträt der europäischen Tendenz, die prinzipielle Andersartigkeit, die Exotisierung des «personable savage» herauszustellen, in dem sich Faszination und Schrecken trafen. Damit war eine von Europa aus gedachte koloniale Ordnung verbunden, die eindeutige Statusbezeichnungen, klare Hierarchien zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten, festgefügte Machtbeziehungen zwischen Zentrum und Peripherie und einen entsprechenden Zivilisierungsauftrag voraussetzte. Indem Cetshwayo diese imperiale Ordnungsvorstellung für einen kurzen Moment unterlief, konnte er auch als militärisch Unterlegener eine gewisse Handlungsmacht gewinnen, obwohl sie sich schon bald als fragil erweisen sollte. Angesichts neuer Konflikte im Gebiet der Zulus empfahl er sich den britischen Kolonialbehörden noch einmal als Stabilisierungsfaktor, so dass er 1883 erneut als Zulu-Herrscher eingesetzt wurde. In den Auseinandersetzungen mit konkurrierenden afrikanischen Chiefs, die nun auch von burischen Söldnern unterstützt wurden, musste Cetshwayo schließlich erneut fliehen und kam im Februar 1884 ums Leben.[4] Empires: historisch und analytisch
Cetshwayos Reise nach London, die veränderte Wahrnehmung und die Verunsicherung, die von seinem Auftreten ausging, widersprechen der Vorstellung festgefügter Rollen zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen weißen Kolonisatoren und schwarzen Kolonisierten. Das galt für sein Auftreten in London, aber auch für sein Agieren in Afrika. Damit ist das zentrale Thema dieses Buches angesprochen: Es konzentriert sich auf die Entstehung, Erfahrung und den Umgang mit ethnischer Vielfalt als grundlegendem Kennzeichen von Empires und fragt von hier aus nach ihrem Ort in einer globalen Geschichte zwischen 1780 und 1920. Sich in der Gegenwart mit Empires zu beschäftigen, ist nicht allein historischem Interesse geschuldet. Auf den ersten Blick scheint es, als seien Empires in unsere Welt zurückgekehrt. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine seit Februar 2022 wird vielerorts als imperialistische Aggression und Rückkehr zu einer imperialen Expansions- und Gewaltpraxis gedeutet, die wir noch vor Kurzem mit dem 19. und frühen 20. Jahrhundert verbanden. Chinas militärische Expansion, seine Politik gegenüber Taiwan, sein wirtschaftliches Ausgreifen und das global angelegte Projekt einer neuen Seidenstraße sehen westliche und chinesische Kommentatoren als Rückgriff auf historische Traditionen. Durch diese Perspektive verändert sich auch der Blick auf die Vereinigten Staaten als Imperium Americanum und die Autonomie Europas. Die Begriffe Empire und Imperialismus sind allgegenwärtig geworden, wenn es darum geht, eine unübersichtliche, polyzentrische und multipolare Welt zu deuten.[5] Angesichts der inflationären Verwendung dieser Begriffe, deren Erklärungskraft häufig ...