E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Ein zeitgeschichtlicher Bilderbogen
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-7543-3568-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Volker Himmelseher führt ein großes Unternehmen der Versicherungsbranche mit Sitz in Köln. Dem Ruhestand nahe, schreibt er Krimis und geschichtliche Romane. Eine Lebenserinnerung kommt hiermit hinzu.
Autoren/Hrsg.
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Elektronik, Digitalitätund ihr Elektroschrott in der Wissenschaft Die Theorie ist eine Vermutung mit Hochschulbildung. (Jimmy Carter) Herbst 2015, es war gegen 7:00 Uhr morgens, Bochum erwachte. Die kreisfreie Stadt war neben Duisburg, Essen, Dortmund und Hagen eine der fünf Oberzentren des Ruhrgebiets. Heute würde es ruhiger zugehen, als während der meisten Zeit des Jahres. Die Ruhruniversität hatte Semesterferien, und von den über 40.000 Studierenden, die zu den etwa 370.000 Einwohnern gehörten, war eine Vielzahl zurzeit nicht in der Stadt. Professor Dr. Emil Fischer, Leiter der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik, wollte heute zu Hause arbeiten und nicht in die Uni gehen. Der Professor war Frühaufsteher und saß bereits in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und schaute sinnierend in den gepflegten Garten. Für ihn, wie die meisten Menschen, brauchte es am Morgen vor allem eins: eine duftend heiße Tasse Kaffee. Ohne sie erschien der Start in den Tag unmöglich. Zum Frühstück aß er später nur einen Apfel. Kaffeegeruch füllte wohltuend den Raum. Die Gedanken des Professors befassten sich mit seiner persönlichen Situation. Im Resümee war er mit seinem Leben sehr zufrieden. Alle Bereiche passten. Mit seiner Frau Elisabeth war er schon viele Jahre glücklich verheiratet. Die Ehe resultierte aus einer Studentenliebe, die gehalten hatte. Elisabeth hatte ein Semester nach ihm Pädagogik studiert und das Studium, wie er, erfolgreich abgeschlossen. Mit Gerd und Mareike hatten sie zwei Kinder bekommen, die schon flügge waren und sich gut machten. Nun waren sie beide in der geräumigen Villa übriggeblieben, die in Nähe des botanischen Gartens und damit fußläufig zum Universitätsgelände lag. Sie wohnten im Stadtteil Stiepel, in der teuersten Wohngegend der Stadt. In der Nähe lagen die Erholungsgebiete Lotten-Tal und Kemnader-See. Oberhalb des Stausees befand sich, eingebettet in einen Grüngürtel, der landschaftlich reizvolle 18-Loch-Golfplatz des Bochumer Golfclubs, den seine Frau und er so liebten. An ihm klebten Erinnerungen vieler schöner Runden. Der Professor war inzwischen 55 Jahre alt und immer noch sportlich und fit. Darauf achtete er sehr. Mens sana in corpore sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, war ihm eine geläufige Redewendung. Er spielte, wenn immer möglich, Golf, um seinen Körper fit zu halten und mit der dabei abverlangten Konzentration seinen Geist zu trainieren. In seinem Fach hatte er schon seit Längerem über die Landesgrenzen hinaus hohes Ansehen gewonnen. Diesem Umstand, vielleicht auch ein wenig dem Zutun eines Parteifreundes der Christdemokraten, war geschuldet, dass er von der Bundesregierung mit einem Einführungsreferat zum Thema Elektroschrott, Spuren des Wohlstands, des Elends und der Gefahr beauftragt worden war. Mit dem Thema sollte im nächsten Frühjahr ein renommiert besuchter Fachkongress eröffnet werden. Heute wollte sich Professor Fischer über die Grundzüge des Vortrags im Klaren werden. Er hatte bereits eine Vorstellung über die Vorgehensweise: Für die richtige wissenschaftliche Darstellung war nur die intakte Funktionsweise des menschlichen Verstandes vonnöten. Seiner würde ihm die Art und Weise schon zeigen. Teile der bisherigen Forschung mussten infrage gestellt werden, andere getroffene Entscheidungen waren zu präzisieren und zu begründen. Quod erat demonstrandum. Ein Handwerker nutzte dieselbe Denkarbeit in gleicher Art, dachte er demütig. Fischer musste lediglich für seine komplexeren Analysen fein abgestufter zu Werke gehen. Für morgen hatte er sich mit dem Dozenten Dr. Manfred Simmel verabredet. Der wollte es übernehmen, zusammen mit Doktoranden, aus Fischers Rohkonzept ein stimmiges Ganzes zu erarbeiten. Die Zusammenführung der einzelnen Referatsteile lag in Simmels Hand. Professor Fischers Frau schätzte Manfred Simmel sehr und hatte sofort angeboten, für morgen etwas Leckeres zu kochen. Also trafen sich die beiden Männer gegen 13:00 Uhr im Privathaus des Wissenschaftlers. Emil Fischer war froh, dass seine Einführung insbesondere für Kollegen gedacht und nicht nur als Statement für Politiker bestimmt war. Die ordnete er im Stillen in der Mehrzahl gerne als Münchhausen-Täter ein. Sie agierten in seinen Augen meist nur, um auf sich selbst aufmerksam zu machen. Sein Lieblingsmoderator und Showmaster Frank Elstner hatte mal gesagt: »Mikrofone sind das Einzige, das sich Politiker gerne vorhalten lassen.« Der Professor musste in Erinnerung dieser Aussage grinsen. Seine Zeit wäre ihm wirklich zu schade gewesen, nur für Politiker dienlich zu sein. Dafür waren die zu erörternden Probleme viel zu ernst. Der Zustand der Welt, auch in diesem Bereich, konnte einem durchaus den Schlaf rauben. Fischer hatte sich schon länger mit dem Thema befasst. Nun galt es, seine bisherigen Überlegungen in Kurzfassung vorzutragen. Emil Fischer stand auf und holte sich aus der Kaffeemaschine eine weitere Tasse Kaffee schwarz. Die sollte der Startschuss werden, mit dem Brainstorming zu beginnen. Er hatte bereits Block und Stift auf der Schreibtischplatte zurechtgelegt. Er bevorzugte zunächst handschriftliche Aufzeichnungen, bevor er sie genauer formuliert in seinen Laptop übertrug. Zunächst suchte er für den Hauptbegriff »Elektroschrott« eine griffige Definition. Eigentlich lehnte er abschließende Definitionen ab, Probleme waren viel zu komplex, um sie mit einer Definition zu beschreiben. Außerdem verlangten Definitionen meist Fortentwicklungen. Aber eine Arbeitsdefinition für den Moment und für ein eingegrenztes Thema brauchte man. Er sammelte fast eine halbe Stunde Einzelbestandteile, die ihm wichtig erschienen und erarbeitete die folgende Definition, die Herr Simmel mit seinen Leuten natürlich nochmals überprüfen musste: Als Elektroschrott werden all jene Geräte oder deren Bauteile bezeichnet, welche strom- oder batteriebetrieben waren und aus objektiven Gründen in ihrem momentanen Zustand oder auch endgültig ausgedient haben. Nun kam er fast automatisch auf die sechs W-Fragen: Wer, was, wann, wo, wie, warum? Mit seinen Überlegungen wollte er ein Formblatt ausfüllen. Seine Stichworte und Verweise sollten so ausführlich ausfallen, dass seine Helfer die große Linie seiner Gedanken vor Augen hatten, wenn sie das Referat ausarbeiteten. Er begann mit der Frage: Wann wurde das Problem Elektroschrott evident? Der Professor entschloss sich, den Zeitpunkt am ersten großen internationalen Abkommen gegen Elektroschrott festzumachen: Das Elektroschrottproblem hatte eine große Anzahl Vertragsstaaten auf einer Konferenz in Nairobi mit der sogenannten Baseler Konvention (1989) erstmals zum Thema gemacht. 169 Länder unterzeichneten Anfang der 90er Jahre ein weltweites Verbot von Giftmüllexporten. Elektroschrott durfte laut dem Übereinkommen nicht in Länder exportiert werden, die keine angemessene Recycling-Infrastruktur hatten. Giftmüll musste möglichst nah am Ort seines Anfallens entsorgt werden. Eine internationale Verschiffung sollte die Ausnahme sein. Nur reparable Altgeräte durften noch in Schwellen- und Entwicklungsländer exportiert werden, weil sie, repariert, für die lokale Bevölkerung erschwinglicher als neue Geräte waren. Für den rasanten Anstieg des Elektroschrottvolumens gab er einige Statistiken vor, die während des Referats an die Wand geworfen werden sollten. Wer waren die an den Problemen beteiligten Parteien? Professor Fischer stellte die relevanten Gruppen zusammen: Industrieländer, Schwellenländer, Entwicklungsländer, Hersteller, Händler, Exporteure, Verbraucher, Politiker, Sammler und Verwerter des Elektroschrotts. Um was es ging, hatte er bereits in der Definition festgelegt. Aber was war zu tun? Er ordnete seine Gedanken danach, wie die Spuren des Elektroschrotts seiner Meinung nach in den Griff bekommen werden konnten. Er führte die entsprechenden Stichworte zu seinen Gedanken auf: Zu Wohlstand (global): Faire Verteilung der Erträge. (Quid pro quo als Rechtsgrundsatz). Schonen der knappen Primärrohstoffe aus natürlichen Ressourcen, durch Verzicht auf unnötigen Konsum. (Vermeidung des Konsums überhaupt, längere Nutzung der Geräte, Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit der Geräte). Lückenloser Recyclingkreislauf zwecks Ressourcenerhalt. (Sekundärrohstoffe, wiedergewonnene Rohstoffe anstatt Abbau weiterer Primärrohstoffe). Als wegweisend ist das europäische Projekt aus 2007 make IT fair zu nennen: Unternehmen erkennen Rohstoffverantwortung an. In den Haushalten gelagerte Altgeräte für Recycling in den Kreislauf zurückführen. Ressourcenrelevante Geräte für das Ausschlachten besser erfassen. Sammelmenge für Recycling erhöhen (kein Versickern im Restmüll). Anmerken wollte er dazu, dass die weltweite Rücklaufquote von Elektronikgeräten schätzungsweise nur bei 15 bis 20...