Hillenbrand | Berufswunsch Henker | Buch | 978-3-593-39723-8 | sack.de

Buch, Deutsch, 292 Seiten, KART, Format (B × H): 140 mm x 213 mm, Gewicht: 371 g

Hillenbrand

Berufswunsch Henker

Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten

Buch, Deutsch, 292 Seiten, KART, Format (B × H): 140 mm x 213 mm, Gewicht: 371 g

ISBN: 978-3-593-39723-8
Verlag: Campus


Tausende Menschen starben während der nationalsozialistischen Diktatur durch das Fallbeil. Einige wenige Scharfrichter töteten damals im Auftrag einer skrupellosen Justiz unterschiedslos Widerstandskämpfer, Diebe und Gewaltverbrecher. Berichte über diese Henker verlockten viele Deutsche dazu, sich selbst um das einträgliche Amt des Scharfrichters zu bewerben. Hunderte Schreiben gingen bei den Behörden ein; doch nur den wenigsten gelang es, tatsächlich zum "staatlich bestallten Mörder" zu werden. Die Bewerber waren teils überzeugte Nationalsozialisten, teils Arbeitslose in großer persönlicher Not. Unter ihnen fanden sich Frontsoldaten ebenso wie Metzger, Polizisten und Krankenpfleger. Das Buch stellt die Praxis der Vollstreckung der Todesstrafe im "Dritten Reich" dar und bietet den Versuch einer Typologie der Henker. So wird deutlich, zu welchen Gewaltexzessen manche Deutsche im NS-Staat bereit waren.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Inhalt
Vorwort 9
Die verhinderten Henker: Männer, die töten wollten 12
Die Bewerber 20
Die privaten Verhältnisse 23
Die Gründe für die Bewerbungen 25
Das System der vielen Fallbeile: Scharfrichter im NS-Staat 46
"Bin eingearbeitet und würde meinen Posten zur Zufriedenheit ausfüllen": Der Scharfrichter Alois Weiß 108
"Hätte große Lust, Scharfrichter zu werden": Die Dokumentation 153
Vorbemerkung 153
Die Verarmten 155
Die Überzeugten 178
Die Brutalen 188
Die Unauffälligen 206
Die Verwirrten 230
Die an den Tod Gewöhnten 236
Die Erfahrenen 251

Anmerkungen 264
Quellen- und Literaturverzeichnis 280
Archivalien 280
Zeitungen und Zeitschriften 282
Internet 283
Literatur 283
Personenregister 290


Vorwort
Dieses Buch behandelt eines der furchtbarsten Kapitel der nationalsozialistischen Herrschaft: den juristisch sanktionierten Mord, ihre Vollstrecker und seine Sympathisanten. Etwa 12.000 Menschen wurden von 1933 bis 1945 zum Opfer. Sie verloren ihr Leben unter dem Handbeil. Sie wurden von einer Guillotine geköpft. Sie wurden gehenkt. Sie wurden erschossen. Sie alle starben, weil ein ziviles Gericht sie zum Tod verurteilt hatte. Nur die wenigsten von ihnen hatten sich tatsächlich etwas zuschulden kommen lassen. Ein Teil der Menschen wurde wegen lächerlich anmutender Delikte, etwa dem Diebstahl einiger Hühner, getötet. Ein Mann wurde umgebracht, weil er sich bei einer Metallsammlung für die Wehrmacht einen Löffel im Wert von 75 Pfennig angeeignet hatte. Eine Mutter von vier Kindern starb, weil sie Wollsachen im Wert von 30 Mark bei einer Wintersachensammlung entwendet hatte. Nur selten wurde den Verurteilten ein Kapitalverbrechen vorgeworfen, etwa, einen anderen Menschen getötet zu haben. Die allermeisten Opfer starben, weil sie sich am Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime beteiligt hatten - sei es, weil sie wie die Attentäter des 20. Juli 1944 versuchten, das Regime und seinen "Führer" Adolf Hitler zu beseitigen, oder auch nur, weil sie an Bekannte oder Arbeitskollegen weitergaben, was sie in einem ausländischen Rundfunksender zur Kriegslage gehört hatten. Die Möglichkeiten der Gerichte im Nationalsozialismus, einen Menschen zum Tod zu verurteilen, waren nahezu unbegrenzt und kaum ein Richter hat den Mut besessen, sich der Aufforderung, stets von der Höchststrafe Gebrauch zu machen, zu entziehen.
Doch nicht um die Opfer geht es in diesem Buch, sondern um die Täter. Genauer: um das letzte Glied der Kette, beginnend mit dem Denunzianten oder Schutzpolizisten, der die vermeintliche Tat meldete und zur Anzeige brachte, über den Gefängnisaufseher und die Gestapo, die den vermeintlichen Täter in Untersuchungshaft einsperrte, befragte und folterte, das Gericht, das die Todesstrafe gegen den angeblich Schuldigen verhängte - und endend beim Scharfrichter und seinen Gehilfen, die das Urteil gegen den Verurteilten vollstreckten. Die Henker im NS-Regime waren eine kleine Gruppe von zuletzt nur wenigen Dutzend Personen. Anders als die Massenmörder der SS empfanden sie sich selbst wohl kaum als eine Elite, wie denn auch das NS-Regime Wert darauf legte, eine gewisse Distanz zu den Vollstreckern ihrer Urteile zu wahren. Der Scharfrichter tötete zwar im Auftrag der Nationalsozialisten, aber er blieb ein Ausgestoßener der Gesellschaft. Mit den Henkern wollte man über das unbedingt notwendige Maß nichts zu tun haben. Oder vielleicht doch?
Dieses Buch basiert auf der Auswertung von etwa 500 Briefen - Schreiben von deutschen Männern, die sich darum bewarben, vom Staat als Scharfrichter eingestellt zu werden. Nur die wenigsten unter ihnen - ehemalige Henker oder frühere Scharfrichtergehilfen - wussten wirklich, worauf sie sich da einlassen wollten. Aber sie alle einte der Wunsch, mit dem Töten anderer Menschen den eigenen Lebensunterhalt verdienen zu wollen.
Diese Briefe, von denen hier eine Auswahl rund 70 Jahre später erstmals veröffentlicht wird, sind Dokumente der Verrohung. Sie zeigen, dass ganz normale Männer es für erstrebenswert hielten, das NS-Regime nicht nur zu unterstützen, sondern die Herrschaft der Nationalsozialisten für die Erfüllung des eigenen Interesses zu nutzen, Menschen gegen Bezahlung zu töten. Die Briefe legen davon Zeugnis ab, dass für diese Männer Moral im traditionellen Sinn keine Gültigkeit mehr besaß. Du sollst nicht töten? Diese Männer wollten töten, sei es aus Gewinnsucht und Habgier, sei es, um den Nazis, die sie verehrten, einen besonderen Gefallen zu tun, oder sei es, weil gerade kein anderes Stellenangebot verfügbar war.
Aus manchen der Bewerbungen spricht große Verzweiflung über elende soziale und wirtschaftliche Verhältnisse, die die Männer auf die Idee brachte, es mit dem Beruf des Scharfrichters zu versuchen. Andere glaubten, mit ihrem Berufswunsch nützlicher Helfer und Teilhaber an Verbrechen werden zu dürfen, die sie selbst als überzeugte Nationalsozialisten guthießen. In einigen wenigen Briefen ist zu erkennen, dass da noch Reste von Zweifeln am Töten vorhanden waren. Doch die meisten versprühen Gewalt, Hass und den Willen, dem Staat beim Kampf gegen das "Untermenschentum" hilfreich zur Seite stehen zu wollen. Die Bewerber nahmen auch keinen Anstoß daran, dass der Beruf des Scharfrichters auch im NS-Regime gleichbedeutend mit einer sozialen Deklassierung und Ächtung geblieben war.
Die Schreiben ergeben einen Einblick in das Denken vieler, auch wenn die Bewerber nicht für das Denken aller Deutschen stehen. Denn es ist selbstverständlich davon auszugehen, dass sehr viele andere Deutsche, ja, die übergroße Mehrheit, sich eben nicht vorstellen konnten, als Mörder im Dienst der NS-Justiz tätig zu werden. Sicherlich prägte ein besonders starkes Maß an Gefühllosigkeit, Rohheit und Gewaltphantasien, bisweilen Sadismus, verbunden mit der unbedingten Bejahung des Regimes, diese Männer. Manche biographische Vorgeschichte, die in den Bewerbungen genannt wird, zeugt davon - etwa der positiv gedeutete blutige Einsatz an der Front im Ersten Weltkrieg oder die aktive Beteiligung an bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen danach.
Die Bewerbungsschreiben sind Dokumente politischer Pornographie. Sie öffnen wie der Blick durch ein Schlüsselloch einen Einblick in Vorstellungen und Denken besonders gewaltbereiter deutscher Männer im Nationalsozialismus. Die Schreiben dürften in ihrer Art einmalig sein. Denn anders als die Scharfrichter-Bewerber haben die Massenmörder an den Juden und anderen verfemten Gruppen keine solchen oder ähnlichen Schreiben hinterlassen können - weil sie nie geschrieben worden sind. Zur Durchführung des Holocaust wurde man abgeordnet oder befohlen. Möglicherweise meldete man sich freiwillig oder bewarb sich auf eine Stelle als KZ-Wächter. Aber man schrieb nicht solche Briefe.
Kaum einer der Bewerber wusste Näheres über das System der vielen Fallbeile, das der NS-Staat begründet hatte, um seine Gegner zu töten. Tatsächlich etablierten das Reichsjustizministerium und nachgeordnete Behörden ab 1937 ein umfassendes Regelwerk zum juristisch legitimierten Mord, das, immer weiter vergrößert, vergröbert und den Wünschen der NS-Spitze angepasst, für die effiziente Tötung von über zehntausend Menschen sorgte. Über diese in der Literatur häufig nur angedeutete Thematik gibt Kapitel II Auskunft.
Nur für die allerwenigsten Bewerber ging ihr Wunsch in Erfüllung. Sie wurden zum Scharfrichter ernannt. Einer dieser wenigen war Alois Weiß, der als Henker von Prag zwischen 1943 und 1945 mehr als 1.000 Menschen umgebracht hat. Ihm ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das aufzeigt, wie es möglich war, dass ein gescheiterter Kaufmann per Initiativbewerbung zum staatlichen Henker wurde - und wie er, vielen anderen NS-Scharfrichtern gleich, nach dem Krieg sein Leben weiterführen konnte, ohne sich für sein Tun verantworten zu müssen.


Hillenbrand, Klaus
Klaus Hillenbrand ist langjähriger leitender Redakteur bei der Berliner tageszeitung (taz) und beschäftigt sich dort unter anderem mit zeitgeschichtlichen Themen.

Klaus Hillenbrand ist langjähriger leitender Redakteur bei der Berliner tageszeitung (taz) und beschäftigt sich dort unter anderem mit zeitgeschichtlichen Themen.


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