Eine praxisorientierte Darstellung in Zeiten von Komplexität und Nachhaltigkeit
E-Book, Deutsch, 254 Seiten
ISBN: 978-3-17-043736-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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2.1VUCA: Ein neues Paradigma für die Steuerung von Unternehmen
Lernziele für das Kapitel 2.1 Sie können das Akronym VUCA beschreiben und verstehen, warum VUCA das neue Paradigma für das Management ist. Sie erkennen insbesondere die zunehmende Bedeutung von Dynamik und Komplexität im Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerung. Sie erhalten einen ersten Eindruck davon, warum Management auf Unterstützung durch das Controlling zurückgreift. In arbeitsteiligen und weltweit vernetzten Gesellschaften ist es erforderlich, dass das Zusammenwirken zielgerichtet und koordiniert abläuft. Dies betrifft erwerbswirtschaftliche Unternehmen (Konzerne oder Kleinbetriebe) ebenso wie Non-Profit-Organisationen, beispielsweise Vereine, Verbände, Wohlfahrtsorganisationen, Kirchen, staatliche Hochschulen oder Interessenverbände. All diese Institutionen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie soziale Systeme darstellen, auf ein Ziel hin ausgerichtet sind und gemanagt werden müssen. Management bedeutet in diesem Zusammenhang die Führung eines zweckgerichteten, sozialen Systems. Management benötigt unbedingt ein Objekt, z.?B. das Unternehmen, denn ein Führen an sich wäre sinnlos (Ulrich/Probst, 1991, S. 240). Management ist vielfältig und vielschichtig und kann verstanden werden als »zielorientiertes Gestaltungs- und Lenkungshandeln in Betrieben als organisierten, kontinuierlich zweckgerichteten menschlichen Handlungsgemeinschaften« (Jung et al., 2018, S. 6). Ausgeführt wird diese Tätigkeit von Personen, die als Führungskräfte die Gestaltungs- und Lenkungsfunktion im Unternehmen übernehmen (Jung et al., 2018, S. 6). In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wird bisweilen eine Abgrenzung zwischen Management und Führung vorgenommen, dabei enthält das Management als umfassenderer Begriff sämtliche Führungsaufgaben im Unternehmen und die Führung wird auf die Mitarbeiterführung beschränkt (Thommen et al., 2020, S. 548). Im weiteren Verlauf dieses Buches wird zwischen Management und Führung nicht explizit unterschieden und die Begriffe werden synonym verwendet, wie dies in der betriebswirtschaftlichen Literatur häufig erfolgt. Das Management ist stetigen Herausforderungen ausgesetzt, denn das Führen und Steuern bezieht sich auf das soziale System Unternehmen, das als offen, komplex, dynamisch, autonom, marktgerichtet und produktiv beschrieben werden kann (Thommen et al., 2020, S. 8). Diese Verflechtung mit anderen Systemen ist essenziell, denn Unternehmen erhalten ihre Existenzberechtigung durch die Austauschbeziehungen eben mit anderen Systemen (Jung et al., 2018, S. 9). So kann etwa seit längerem festgestellt werden kann, dass das Handeln von Unternehmen verstärkt einer öffentlichen Exponiertheit unterliegt und Unternehmensentscheidungen nicht nur von der Öffentlichkeit wahrgenommen, sondern auch kritisch hinterfragt werden (Ulrich, 1998, S. 438). Der Bezug zu anderen Systemen (z.?B. sozio-ökonomisch, politisch-rechtlich, technologisch, natürlich) in einer globalisierten Welt sowie die Interaktion von Subsystemen (z.?B. Abteilungen, informelle Gruppen) steigern Dynamik und Komplexität. Malik identifiziert Komplexität als einen Haupttreiber der fundamentalen Transformation vom 20. ins 21. Jahrhundert und führt als weitere Treiber an (Malik, 2015, S. 51-72): Demografie Ökologie Wissenschaft Technologie Ökonomie und Verschuldung. Für eine erste Annäherung an die Wechselwirkungen und die sich daraus ergebenden Implikationen für das Management dient Darstellung 2.1.1, beispielhaft ist hierbei die Einbettung eines Unternehmens in sein direktes Umfeld (Branchenumwelt) und in die allgemeine Umwelt skizziert. Ferner sind bei dieser Darstellung wesentliche Treiber aus den Umweltbereichen aufgeführt (z.?B. Nachhaltigkeit in der politisch-rechtlichen Umwelt). Heute heißt das Management-Paradigma ›VUCA‹ (Amerland, 2023). Dieses Akronym beinhaltet die englischen Begriffe ›Volatility‹ (Schwankung, Volatilität), ›Uncertainty‹ (Unsicherheit), ›Complexity‹ (Komplexität) und ›Ambiguity‹ (Vieldeutigkeit, Ambiguität). Bei Volatilität handelt es sich ursprünglich um einen Begriff aus der Statistik, ausgedrückt als Varianz oder Standardabweichung, der die Unsicherheit des Ausmaßes einer Veränderung quantifiziert. So ist die Schwankung eines Kursverlaufs am Aktienmarkt oder der Öl- oder Gaspreis an den Energiemärkten über einen definierten Zeitraum durch ein derartiges Volatilitätsmaß beschreibbar. Aus diesen Vergangenheitsbeobachtungen können Wahrscheinlichkeiten abgeleitet werden, Schwankungen werden damit fassbar und im Rahmen von Risikomodellen in gewisser Weise auch beherrschbar. ›In gewisser Weise‹ deutet schon darauf hin, dass die Beherrschbarkeit kein Absolutum darstellt, wie anhand des Beispiels für den Gaspreismarkt in Darstellung 2.1.2 nachvollzogen werden kann. Der Gaspreis in Dar. 2.1.1:Unternehmen und seine Umwelten Europa entwickelte sich über einen langen Zeitraum stabil, der Gaspreis schwankte um 1,82 Euro um den Durchschnittspreis von 5,43 Euro, für die Prognose und Planung ein ›angenehmes‹ Szenario. Die Schwankungen nahmen aber ab dem Jahr 2021 und dann nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine deutlich zu (Durchschnittspreis: 29,00 Euro; Schwankung um den Durchschnittspreis: 15,67 Euro), was z.?B. die Prognose von Kosten und Geschäftsjahresergebnissen sowie die Planung der Unternehmen für die Folgejahre durchaus erschwert. Volatilität ist zwar meist auch beherrschbar, beispielsweise können Preisschwankungen durch entsprechende Future- oder Forward-Kontrakte abgesichert werden (sofern diese am Markt existieren), dies ist aber mit Absicherungskosten verbunden und belastet die Unternehmensergebnisse. Das Controlling beschäftigt sich sehr stark mit den Themen Prognose und Planung, wie wir an anderer Stelle des Buches noch feststellen werden. Durchschnittsbetrachtungen können da eine gute Unterstützung sein, insbesondere wenn die Vergangenheitswerte eben stabil sind oder klaren Mustern folgen. Ungewissheit hingegen bringt zum Ausdruck, dass eben keine verlässlichen Gesetzmäßigkeiten aus Beobachtungen vergangener Ereignisse vorliegen und Wahrscheinlichkeiten nicht ermittelt werden können. Lange geltende Gesetzmäßigkeiten an den Märkten oder über große Zeitspannen andauernde, stabile politische Allianzen sind keine Konstanten mehr und betreffen auch die Entscheidungssituation im Management. Ein Mangel an Klarheit erschwert die Einschätzung aktueller und künftiger Entwicklungen (Mack/Khare, 2016, S. 6). In den letzten Jahren werden Veränderungen verstärkt wahrgenommen und lassen den Eindruck entstehen, dass Unsicherheit etwas völlig Neues ist. Unsicherheit bestand aber schon immer, sie war jedoch in gewisser Weise beherrschbarer, Dar. 2.1.2:Preisentwicklung für Erdgas in Europa (Quelle: eigene Darstellung und eigene Berechnung, Daten von Statista2) da sie in vorhersagbareren Pfaden abgelaufen ist. Entwicklungen aus der Vergangenheit konnten häufig als gute Datenbasis für künftige Entwicklungen herangezogen werden, trotz aller Schwankungen entwickelte sich die Welt in stabileren Bahnen. Heute ist, auch durch den Anstieg von Vernetzungen, in vielen Bereichen zunehmende Instabilität (keine stabilen Muster) feststellbar und die Vorhersagbarkeit schwindet (Dufft et al., 2018, S. 35). Unsicherheit ist nicht immer gleichzusetzen mit Risiko, das aufgrund existierender Wahrscheinlichkeiten für Umweltzustände beherrschbar ist. Unsicherheit geht verstärkt mit Ungewissheit einher, dann gibt es nämlich keine Wahrscheinlichkeiten und Entscheidungen sind auf einer neuen Grundlage zu treffen. Vielleicht helfen Heuristiken, also einfache Daumenregeln dann weiter, das werden wir in Kapitel 2.2 vertiefen. Häufig wird der Begriff der Komplexität umgangssprachlich oder mit obskurer Bedeutung verwendet. Komplexität entsteht etwa durch eine immer stärker zunehmende Vernetzung von Teilsystemen (Dufft et al., 2018, S. 35). Gerne werden Komplexität und Kompliziertheit gleichgesetzt, obwohl beide Begrifflichkeiten unterschiedliche Bedeutung haben. Der Bau einer Maschine beispielsweise ist ein kompliziertes Unterfangen. Es ist etwa eine Vielzahl an Materialien, Zeiträumen und Arbeitsschritten aufeinander abzustimmen. Diese Probleme sind aber grundsätzlich zu bewältigen, da ein Konstruktionsplan beim Zusammensetzen hilft oder Arbeitspläne die Fertigungsschritte strukturieren, Planung kann folglich helfen. Zudem verändert sich die Maschine nicht von selbst, sie ist statisch. In vielen Unternehmen besteht noch heute ein ähnliches Grundverständnis für die Managementaufgabe: Problemstellungen werden analysiert (Nach dem Motto: ›Ich brauche mehr Informationen!‹) und dann werden Einzelentscheidungen getroffen (Nach dem Motto: ›Handeln, Führung zeigen und nicht zaudern‹). Das Verständnis für die Organisation (Unternehmen) ist dabei ein eher technisch-statisches: Problem erkannt, Problem gelöst und weiter geht es. Ursache-Wirkung und lineares Denken und Handeln sind dabei die Leitmaximen. Bei komplexen Sachverhalten stellt sich die Problemstellung aber anders dar. »Komplexität wird definiert als Fähigkeit eines Systems, in einer gegebenen Zeitspanne eine große Zahl von verschiedenen Zuständen annehmen zu können.« (Ulrich/Probst, 1991, S. 58) Komplexe Systeme...