E-Book, Deutsch, 80 Seiten
Reihe: 99 Welt-Klassiker
E-Book, Deutsch, 80 Seiten
Reihe: 99 Welt-Klassiker
ISBN: 978-3-96281-167-9
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Paul Heyse (1830-1914) ist ein Mitglied der Riege deutscher Literaturnobelpreisträger. Er bekam den Preis 1910 als erster deutscher Dichter überhaupt verliehen - Mommsen (1902) war Historiker. Theodor Fontane glaubte 1890, dass Heyse seiner Epoche »den Namen geben« und ein »Heysesches Zeitalter« dem Goetheschen folgen werde. Heyse war Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Er pflegte zahlreiche Freundschaften und war auch als Gastgeber berühmt. Viele seiner Novellen siedelte Heyse in seiner Wahlheimat Italien an.
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Kleopatra
(1865) Wer jene Park-Vorstadt durchwandert, deren Paläste mitten in die Waldstille des alten Berliner Tiergartens alle Schätze der Kunst und des Reichtums verpflanzt haben, bemerkt noch hie und da in der Reihe der glänzenden Villen neuesten Datums eines jener älteren Landhäuser bescheideneren Stils, die nicht auf den Prunk gebaut, meist von der Straße etwas zurückgezogen, unter dem Schutz alter Ahorn- und Akazienbäume liegen und es verschmähen, mit Springbrunnen und Statuen den Vorübergehenden anzulocken. Ein starkes Eisengitter trennt den wohlgepflegten Rasen mit wenigen Blumengruppen von dem Fahrweg. Erst hinter dem Hause ist es dem Gärtner erlaubt, seine Kunst zu zeigen und den selteneren Flor der Treibhäuser um die Veranden und Ruhesitze anzubringen, dem echt aristokratischen Grundsatze getreu, dass der beste Geschmack darin bestehe, »nicht aufzufallen«. Vor einem dieser seltenen Häuser aus der guten alten Zeit hielt eines schönen Sommerabends ein eleganter Wagen, aus dem ein junges Paar leicht heraussprang, um dann einer schwerfälligen alten Dame sorgsam den Arm zu bieten. Draußen am Gitter waren müßige Nachbarn stehen geblieben, um die Herrschaften aussteigen zu sehen; man konnte aus ihren Reden erfahren, dass der stattliche junge Herr mit dem leichten Bärtchen und dem dichten krausen Haar ein Freiherr von L., die blonde junge Dame seine Cousine und Braut, und die ältere ihre Pflegemutter, ein hochadliges Fräulein sei, das ehemals Hofdame bei einer königlichen Prinzessin gewesen und sich dann auf ihre Güter zurückgezogen habe, um sich der Erziehung ihrer Nichte zu widmen. Der Freiherr sei ebenfalls Rittergutsbesitzer, habe aber vor wenigen Monaten auch dieses Grundstück gekauft, um hier bei der Stadt ein Absteigequartier zu haben; wer das Haus früher gesehen – im Innern – und jetzt wieder betreten, konnte nicht genug sagen, mit wie viel Geschmack und Aufwand die ganze Einrichtung von Grund aus umgeschaffen worden sei. So redeten die Leute noch, als die drei Menschen, die ihre Neugier beschäftigten, schon längst in der reich mit immergrünen Gewächsen umrahmten Tür verschwunden waren. Der Bräutigam führte die alte Dame am Arm, das schöne Mädchen ging mit schwebenden Schritten neben ihnen her. Sobald sie den Fuß über die Schwelle des Hauses gesetzt hatte, das nun in wenigen Tagen ihr Haus sein sollte, hatte sie in lieblicher Verwirrung den Strohhut abgenommen, als würde es ihr zu heiß, und ihre Hand suchte heimlich die Hand ihres Verlobten, um sie nach einem verstohlenen Druck wieder freizugeben. Ihr ganzes Wesen schwamm in einer süßen seligen Munterkeit; es war als fühle sie sich beständig versucht, die Formen der aristokratischen Welt, in denen sie sich doch ohne Zwang bewegte, zu durchbrechen und in fröhlichem Mutwillen etwas Törichtes zu begehen, um ihrem übervollen Herzen Luft zu machen. Sie hatte diesen Mann geliebt, seit sie denken konnte. Als ein entfernter Cousin war er zu ihren Eltern gekommen, als sie noch mit Puppen spielte, er damals ein bartloser junger Fähnrich, der sie kaum beachtete, da er schon ein gesuchter Tänzer war und an ganz andere Eroberungen dachte. Dann war er ihr freilich lange aus den Augen verschwunden, aber nicht aus dem Sinn; denn als er vor mehreren Jahren bei der Tante eintrat, unangemeldet, nun als ein reifer Mann und in Zivilkleidern, hatte sie allein ihn auf der Stelle erkannt und sogleich wieder den alten kindischen Ärger empfunden, dass sie scheinbar so wenig Eindruck auf ihn machte. Warum war er so zerstreut, so fremd und einsilbig? Es mochten ihm wohl seine vielen Geschäfte durch den Sinn gehen, da er im Begriff stand, Güter zu kaufen, um das eben von den Eltern ererbte große Vermögen sicher anzulegen. Und wieder zwei Jahre Trennung, während deren er nur selten schrieb, immer an die Tante, und der Nichte nur mit einem flüchtigen Gruß gedachte. Als er aber zum dritten Mal kam, da sollte die lange Probezeit ein fröhliches Ende finden. Da hatte er sie eines Tages gefragt, ob sie ihm noch so gesinnt sei, wie vor zwölf Jahren, und als sie betroffen erwiderte, was er denn von ihren achtjährigen Gefühlen wisse, hatte er ihr eine alte Geschichte erzählt, die sie selbst fast vergessen, wie sie einst, als Gesellschaft bei ihren Eltern gewesen, aus der Kinderstube an die Saaltür geschlichen sei, um nach dem jungen Fähnrich zu horchen, der eben am Klavier eine Romanze sang, und wie sie dort von der Gouvernante ertappt mit glühendem Gesicht gebeten habe, nur noch das Lied aushören zu dürfen. Er gestand ihr, als sie sich lachend und errötend herauszuwinden suchte und auf seine frühgereifte Eitelkeit schalt, dass ihm dieser Sieg über ihr junges Herz damals ziemlich leicht gewogen habe. Doch habe er oft in späteren Jahren an die kleine Lauscherin zurückgedacht und es sei ihm wunderlich gewesen, bei seinem ersten Besuch nach langer Zeit dasselbe Lied auf ihrem Flügel zu finden. Mit Gesang sie zu erobern, könne er jetzt nicht mehr hoffen. Er habe diese fröhliche Kunst über ernsteren Dingen völlig vernachlässigt. Aber zugleich sei ihm auch die Selbstgewissheit der Jugend abhanden gekommen, und wenn er zwei Jahre seitdem geschwiegen, sei es nur geschehen, weil er die ernstlichsten Zweifel gehegt habe, ob er es wert sei, diesen Schatz zu gewinnen. Da hatte sie zwischen Lachen und Weinen ihre Arme zutraulich wie ein Kind um seinen Hals gelegt und ihm zugeflüstert, dass sie nie von einem anderen Glück geträumt habe, als die Seine zu werden. Auch heut, als sie zum ersten Mal das schöne Haus mit ihm betrat, das er während der Brautzeit heimlich hatte einrichten lassen, schweiften ihre Augen nur zerstreut an den glänzenden Wänden hin, nicht als nähme sie all diese Herrlichkeiten wie ihr künftiges Eigentum in Besitz, sondern als werde nichts in diesem Zauberschlösschen ihr so eigen gehören, wie der Herr des Hauses selbst. Sie nickte halb zerstreut, als er in dem heiteren Treppenflur auf dem dicken Teppich stehen bleibend sie fragte, ob es sich nicht freundlich und einladend mache, die schöne graue Marmorstiege mit dem vergoldeten Geländer, der luftige Raum, von oben durch das bunte Kuppelfenster erhellt, unten im Flur die Rauch’schen Victorien zwischen den blühenden Granatbüschen und Palmen in großen Kübeln von gebranntem Ton. Ein Diener öffnete die Flügeltür dem Eingang gegenüber, und man trat in den kühlen Speisesaal, zu dessen Fenstern der Garten hereinsah....