E-Book, Deutsch, Band 51, 458 Seiten
Reihe: edition lendemains
Die ganze Vielfalt des Publizierens in französischer Sprache?
E-Book, Deutsch, Band 51, 458 Seiten
Reihe: edition lendemains
ISBN: 978-3-381-10213-6
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Luise Hertwig war wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin im Forschungsprojekt « Buchmessen als Räume kultureller und ökonomischer Verhandlung » (2017-2020, gefördert von der DFG) am Romanischen Seminar der Europa-Universität Flensburg und arbeitet nach Abschluss ihrer Dissertation wieder im Verlagswesen.
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1 Einleitung
Notre participation à la Foire du livre de Francfort est tournée vers la jeunesse, l’innovation et la langue française : nous avons souhaité que ‹Francfort en français› soit une vitrine internationale d’une littérature d’expression française dans sa plus grande diversité. (Le Drian 2017) Im Jahr 2017 war Frankreich zum zweiten Mal Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Während der französische Gastlandauftritt 1989 noch von einer eher nationalen Herangehensweise geprägt war, stellte das Organisationskomitee des Gastlandauftritts Francfort en français im Jahr 2017 nicht die Literatur Frankreichs, sondern die französische Sprache in den Mittelpunkt. Ziel des Ehrengastauftritts war es dem damaligen französischen Außenminister Jean-?Yves Le Drian zufolge also, die kulturelle Vielfalt der Literatur in französischer Sprache zu zeigen. Diese kulturelle Vielfalt bezogen auf das Buchwesen wird auch als Bibliodiversität bezeichnet. Die vorliegende Studie widmet sich der Frage, wie Bibliodiversität im Kontext des französischen Ehrengastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse 2017 und in der Interaktion der beteiligten literarischen Felder einzuordnen und zu bewerten ist. Aufgrund der Entscheidung Frankreichs, die Einladung der Frankfurter Buchmesse auf die französische Sprache auszuweiten, gehörte zu den beteiligten literarischen Feldern neben dem deutschsprachigen (mit der Buchmesse als Gastgeberin) und dem französischen auch das frankophone literarische Feld. Das Projekt Francfort en français präsentierte auf der Frankfurter Buchmesse unter anderem eine Vielzahl von Autorinnen und Autoren mit unterschiedlicher Herkunft, die aber alle das Französische als ihre Literatursprache teilten. Auf institutioneller Ebene wurden die frankophonen Gebiete der Schweiz, Luxemburgs und Belgiens sowie die Organisation internationale de la Francophonie (OiF) am Auftritt beteiligt. Die Frankfurter Buchmesse legt wie auch andere internationale Buchmessen jedes Jahr den Schwerpunkt auf ein anderes Land oder eine Region mit einer eigenen Präsentation auf der Messe, kulturellen Begleitveranstaltungen und häufig intensiver Medienberichterstattung. Damit möchte sie dem anwesenden Publikum sowie der Gesellschaft einen neuen Zugang zum jeweiligen Gastland und seiner Literatur ermöglichen und den kulturellen Dialog zwischen den beteiligten Akteurinnen und Akteuren der Buchbranchen unterstützen (vgl. Website Frankfurter Buchmesse, „Informationen rund ums Thema Ehrengast“). So verfolgt die Buchmesse mit dem Ehrengastkonzept neben ökonomischen Zielen und der Absicht, Sichtbarkeit für die Buchmesse zu generieren, auch die Intention, Bibliodiversität zu begünstigen. Das Konzept der Bibliodiversität, ihre Indikatoren und Messbarkeit wurde bisher kaum erforscht, gerade auch in internationaler Perspektive. Um auch in Zukunft die Vielfalt im internationalen Buchwesen zu erhalten und Möglichkeiten zu ihrer Stärkung auszuloten, ist es gerade angesichts der bevorstehenden Transformation der Buchmessen durch die Effekte der Covid19-Pandemie von großem Interesse, zu untersuchen, ob und inwieweit Ehrengastauftritte auf internationalen Buchmessen zur Demonstration, Erhaltung und Förderung der kulturellen Vielfalt im Buchwesen beitragen können. Diese Forschungsarbeit bietet daher eine erste größere empirische Studie zur Bibliodiversität im Kontext des Phänomens der Ehrengastauftritte auf der Frankfurter Buchmesse am Beispiel von Francfort en français sowie im Teilbereich der Übersetzungen aus dem Französischen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Die Studie klärt erstens, wie Bibliodiversität bei der Umsetzung des Ehrengastauftritts Francfort en français berücksichtigt wurde, das heißt insbesondere in der Integration verschiedener Akteurinnen und Akteure in dieses Projekt. Zweitens analysiert sie das Projekt Francfort en français und seine Folgen für die Akteurinnen und Akteure der beteiligten Buchmärkte im deutsch- und französischsprachigen Raum. Entsprechend der Orientierung des Ehrengastauftritts hin zur Frankophonie ist es besonders wichtig, auch die Perspektive der Akteurinnen und Akteure anderer frankophoner Länder bzw. die Auswirkungen des Projekts für die Bibliodiversität im frankophonen literarischen Feld zu betrachten. Drittens untersucht sie, wie es um die Bibliodiversität von Übersetzungen aus dem Französischen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt in einem längeren Zeitraum, von 2007 bis 2019, bestellt ist, und welche Auswirkungen der Ehrengastauftritt von 2017 auf den Literaturtransfer vom frankophonen ins deutschsprachige literarische Feld hatte. Unter Bibliodiversität wird in dieser Studie die Fähigkeit des Buchwesens verstanden, in allen Stufen des Entstehungs- und Verbreitungsprozesses von Literatur bis hin zu ihrer Lektüre Vielfalt zu produzieren (vgl. Galliand 2011b, 3). Bibliodiversität wird vor allem durch die Vielfalt der Akteurinnen und Akteure, die in den literarischen Feldern (inter-)agieren, aufrechterhalten. Eine besondere Rolle für die Bibliodiversität spielen kleine, unabhängige Verlage, die entgegen der Tendenz größerer Verlagsgruppen, Bestseller zu produzieren und sich insbesondere auf Übersetzungen aus den anglophonen Buchmärkten zu konzentrieren, mit ihren Veröffentlichungen von Stimmen abseits des Mainstreams und Übersetzungen aus diversen Sprachräumen ein vielfältiges Literaturangebot schaffen (vgl. Hawthorne 2017 und Bourdieu 1999). Die Vielfalt und das Gleichgewicht im ökosozialen System des Buchwesens sind zunehmend durch ökonomische Effekte der Globalisierung der Buchmärkte gefährdet. Durch Konzentrationsprozesse und international agierende Konzerne, die auch im Buchwesen in Erscheinung treten, nehmen Homogenisierungserscheinungen auf den Buchmärkten zu (vgl. Schiffrin 1999). Es besteht die Herausforderung, kulturelle Vielfalt und freie Meinungsäußerung zu erhalten und zu stärken. Die Globalisierung birgt für das internationale Buchwesen neben den Risiken aber auch Chancen. So erleichtert etwa die zunehmende Digitalisierung neue Interaktionsformen zwischen Akteurinnen und Akteuren unterschiedlicher literarischer Felder. Diese fördern die Entstehung sozialer Netzwerke, welche im Verlagswesen unter anderem in Form von internationalen Interessensgemeinschaften wie der Alliance internationale des éditeurs indépendants (AIEI) in Erscheinung treten. Die Entscheidung, die Einladung zur Frankfurter Buchmesse auf die französische Sprache auszuweiten, statt eine Nationalliteratur Frankreichs darstellen zu wollen, war für das Organisationsteam des Ehrengastauftritts Francfort en français unumstritten (vgl. Hertwig 2018a), und wurde grundsätzlich auch als positiv und in der heutigen Zeit als selbstverständlich aufgenommen. Dennoch handelte es sich bei Francfort en français um ein hauptsächlich vom Institut français (IF) organisiertes und damit vom französischen Staat finanziertes Projekt der Außenkulturpolitik, in dem die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Interessen verschiedenster Akteurinnen und Akteure aus dem politischem, dem literarischen sowie weiteren Feldern ausgehandelt werden mussten. Der vorliegenden Untersuchung der Bibliodiversität im Kontext des französischen Gastlandauftritts auf der Frankfurter Buchmesse 2017 liegt daher folgende Hypothese zugrunde: Francfort en français repräsentierte vor allem diejenigen Akteurinnen und Akteure, die bereits eine starke Position im frankophonen bzw. französischen literarischen Feld innehatten. Die Studie geht davon aus, dass das Projekt Francfort en français, indem es die französische Sprache anstatt der Literatur Frankreichs in den Mittelpunkt stellte, zwar die Darstellung der ganzen Vielfalt des Publizierens in französischer Sprache anstrebte. In der konkreten und praktischen Umsetzung stand aber die französische Verlagswirtschaft im Mittelpunkt, was sich auch in der zentralen Rolle des Syndicat national de l’édition (SNE) als Mitorganisator des Auftritts manifestierte. Verlage außerhalb Frankreichs erlebten im Vorfeld und während des Ehrengastauftritts kaum spürbare Effekte im Hinblick auf die internationale Anerkennung und das Interesse an ihrer Literatur. Deutschsprachige Verlage, die anlässlich der Ehrengastauftritte der Frankfurter Buchmesse üblicherweise einen Fokus auf Übersetzungen aus der jeweiligen Landessprache legen, konnten im Jahr des französischen Ehrengastauftritts in besonderer Weise profitieren, da das Interesse an dem Nachbarland allgemein sehr groß ist und Französisch ohnehin eine etablierte Übersetzungssprache im deutschsprachigen Verlagswesen darstellt. So konnten deutschsprachige Verlage besonders viele Anknüpfungspunkte an das Ehrengastprojekt Francfort en français finden. Dennoch spricht die Studie dem Projekt Francfort en français und den ausgelösten Diskussionen um die ungleichen Chancen französischsprachiger Autorinnen und Autoren sowie Verlage im globalen Norden und Süden positive Veränderungen zu. Francfort en français rückte die bestehenden asymmetrischen Machtverhältnisse stärker ins Bewusstsein der Akteurinnen und Akteure auch der französischen Buchbranche, und die Entstehung von Netzwerken und Initiativen zur Änderung des Status Quo hatten mit der Veranstaltung der États généraux du livre en langue française dans le monde (États Généraux) auch politische Folgen. Die vorliegende Studie stellt zunächst eine punktuelle Studie zur Bibliodiversität im Kontext des französischen Ehrengastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse dar. Darüber hinaus wird über einen...