Hermann / Weiss-Sussex | Die daheim blieben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 445 Seiten

Reihe: Georg Hermann. Werke in Einzelbänden

Hermann / Weiss-Sussex Die daheim blieben

Roman

E-Book, Deutsch, 445 Seiten

Reihe: Georg Hermann. Werke in Einzelbänden

ISBN: 978-3-8353-8485-9
Verlag: Wallstein Erfolgstitel - Belletristik und Sachbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Georg Hermanns letzter Roman schildert das Schicksal einer deutsch-jüdischen Familie unter dem Nationalsozialismus.

Berlin Anfang 1933, wenige Tage nach dem Reichstagsbrand: im Hause des jüdischen Papiergroßhändlers Heinrich Simon kommt die ganze großbürgerliche Familie zusammen, um das 75-jährige Firmenjubiläum zu begehen. Doch während vorne in den Salons die Gäste feiern, diskutiert man im Hinterzimmer die Dringlichkeit der Emigration. Denn die Lage im Land wird immer bedrohlicher, die ersten Großkunden ziehen sich zurück, auf der Straße marschieren SA-Trupps und Gerüchte über Verhaftungswellen machen die Runde: »Ahnten die wirklich noch nicht, was hier gespielt werden sollte?« Und dann muss es plötzlich ganz schnell gehen …
In seinem letzten Roman fängt Georg Hermann humorvoll, empathisch und mit klarem Blick die Verunsicherungen in einer deutsch-jüdischen Familie vor dem Hintergrund des beginnenden nationalsozialistischen Terrors ein. Ursprünglich vierteilig angelegt, konnte Hermann nur zwei Teile des Romans beenden, die zu Lebzeiten unveröffentlicht blieben und hier erstmals publiziert werden.
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Ilse und Liese (Die daheim blieben. Zweiter Teil) Roman von Georg Hermann   Hand auf Herz! Eigentlich begreife ich garnicht, warum die Menschen sich nur beklagen. Es ist doch einfach wunderhübsch hier auf dieser Erde. Man kann sich garnichts Netteres mehr vorstellen. Vor allem, da einem ja bislang alle Vergleichsmöglichkeiten mit vielleicht vor ihr bevorzugteren jüngeren und älteren Planeten dieses oder anderer Sonnensysteme doch fehlen. Ebenso wie die Vergleichsmöglichkeiten eines Lebens außerhalb oder jenseits unseres Lebens. Und auch die mit einem Vorher oder Nachher unseres Lebens. Also, wenn Baudelaire gern sagte, wenn man ihn fragte (und er hat das auch in einer Prosaskizze behauptet) »Wo möchten Sie leben?« »Überall! Überall!!! Nur nicht auf dieser Erde!« so war das sicherlich übertrieben. Der Mann neigte ja überhaupt sehr zu Excentricitäten. Nur gleich … zum Beispiel: da steht solch ein Kastanienbaum am alten Kanal. Nicht einer nur. Sogar eine ganze Reihe. Mehr noch. Eine Doppelreihe sogar. Unter denen, zwischen denen kann man entlanggehn. Und es knirscht einem selbst noch soetwas wie Kies unter den Stiefelsohlen. Genau so wie vor sechzig Jahren schon. Und die meisten der Bäume sind hochgeworden und dickstämmig. Und zuerst im allerersten Vorfrühling spielt die Sonne Zeck mit den Schattenflecken um die graue Rinde. Während die blanken Knospen dazu glitzern. Dieses Glitzern aber spiegelt sich wiederum nochmals im Wasser unten, und mischt sich mit den Silberfischchen, die da springen. Das heißt: es sieht zwischen den steinernen Böschungen nur so aus, als ob. Denn es sind garkeine Silberfischchen da. Und dann springen sie auch nicht. Sondern der Wind fängt sich zwischen den Häuserreihen hüben und drüben, und damit rauht er eben das Wasser auf der Oberfläche etwas auf. Und wenn dazu noch so die ersten Strahlen der Frühlingssonne hineinfallen, blitzt und glitzert es daraufhin da unten, daß man beinahe an Silberfischchen glauben könnte, die es hier garnicht gibt. Und man erkennt dann ebenso die Fassaden noch drüben durch die kahlen Zweige und Ästchen, die mit den blanken Fensterreihen und dem gelblichen Putz und den grauen Dächern wie unruhig herüberschimmern, und ein ganz klein bischen dann nach Seine, und nach Paris, und nach Impressionismus schmecken. So ähnlich, wie das vor dreißig, vierzig und mehr Jahren schon Paul Hoeniger gemalt hatte. Und Skarbina. Denn die wohnten da. Hoeniger da oben an der Potsdamer Brücke … Skarbina hinter der Bendlerbrücke. Und Hoeniger, wie Skarbina, sahen wohl manchmal zum Fenster hinaus. Und da war ihnen das aufgefallen. Und deshalb malten sie es. Denn das war ja ihr Beruf. Skarbina dürfte das noch heute malen, wenn er nicht längst auf irgendeinem Berliner Friedhof läge. Hoeniger aber … wenn ich da recht informiert bin! … (vordem kümmerte man sich nicht soviel darum) trotzdem auch er wohl längst auf irgendeinem Friedhof liegt, dürfte das heute nicht mehr malen. Dem wäre das Malen – nicht etwa nur das Ausstellen seiner Bilder! – durch die Reichskulturkammer verboten worden. Und es war beiden sogar aufgefallen, daß es hier so etwas Ähnliches, wie eine heure bleue gäbe. Ähnlich sogar, wenn auch bescheidener im bleu, wie an der Seine. Aber dafür sind die Sonnenuntergänge hier, vor allem so im Vorfrühling, und in den späten Septembertagen, mit den braundunkeln, sich zum Horizont zusammenschließenden Koulissen der Wipfel … die Abenddämmerung mit ihrem Gelbrot, durch das ein von einer Zille aufgestörtes Wildentenpaar zieht, und das sich da unten spiegelt: der grelle Himmel und das Wildentenpaar hier … Beides! … wie nach einem japanischen Rollbild kopiert. Und, wenn man soetwas grade mal erwischt, so ist das doch immer eine erfreuliche und lebensversöhnende Angelegenheit, denn man lebt ja doch vor allem durch die Augen. Doch das habe ich ja letzthin und vordem vielleicht auch schon manchmal (ich erinnere mich dessen so dämmerhaft!) so schön, wie das meine Art ist, beschrieben. Also wollen wir jetzt hier garnicht mehr davon reden, und uns überhaupt erst garnicht damit aufhalten, daß es zu jenen Dingen gehört, die das Dasein hier nicht nur erträglich, sondern angenehm machen könnten – und es ehedem mal gemacht haben! – , sondern schnell fortfahren!!! In zwei, drei Wochen nämlich später – mal hat es inzwischen geregnet, mal schien die alte Sonne. Zur Abwechselung schneite es auch noch mal; aber es blieb nicht. Es graupelte sogar etwas (wozu schreibt man denn April?!) – da jedoch plasterten die lakierten Hüllen der Kastanienknospen ab, und in mitten von vier, fünf schlaffen, grünen Kinderhändchen, die noch ganz kraftlos, wie bei Neugeborenen sind, hebt sich doch solch ein graubräunlicher kleiner Schaft ins Licht. Und in noch drei Wochen wieder sind es schon sehr große fünffingerige Blätterhände, ganz breit und leicht-gesenkt, als segneten sie die Menschen die unter ihnen dahingehn. Und zwischen diesen segnenden Händen stehen bald hohe, zugespitzte Blütenkegel. Weiß und leuchtend von dem Goldschimmer im Silberschimmer jeder einzelnen Blüte. Doch das ist nun jedes Jahr hier wieder so. Alle zwölf Monate. Mindestens ein Mal drei, vier Wochen lang. Ich begreife garnicht, was man dagegen einwenden kann: Das ist doch eine durchaus erfreuliche Tatsache, wenn man dabei Zuschauer sein darf. Und nicht genug damit: die Blätter dehnen sich immer breiter aus, und das grünlichgoldene Schattendunkel unter ihnen wird immer tiefer, denn sie beginnen jetzt in ihrem Grün einen bläulichen Schimmer zu bekommen, während sie vordem in einem Lichtgelb strahlten. Die weißen Blütchen jedoch sind dann längst von den Kegeln abgestäubt. Es sitzen kleine grüne Stacheldinger statt ihrer an den Stielen. Und dann heben diese grünen Igel wieder an zu wachsen. Und ein paar Monate weiter platzen so die ersten von ihnen auf, und lassen in den Spalten Streifchen braunen Mahagonis durchschimmern. Bis sie – aber dann ist der Sommer in Wahrheit, wenn auch noch nicht im Kalender, zu Ende, die frühsten Früchte samt den grünen Stachelhüllen (das heißt: die zerspringen von selbst bei dem ersten kräftigen Wind!) auf den Weg, auf den Fahrdamm, unter die breiten Gummireifen der Autos, auf die Steinwangen, und in das träg dahinschleichende Wasser des Kanals kugeln. Die Kinder aber, die so sehnsüchtig die ganze Zeit zu ihnen hochsahen, bekommen, als sollten sie sich frühzeitig an ihr Menschenlos hier gewöhnen, kaum welche! So ist das jedes Jahr. Und warum sollte es 1933 anders gewesen sein?! Und dann werden die Blätterhände mit der fingerspreizenden segnenden Gebärde plötzlich leuchtend gelb in der Farbe der chinesischen Trauerfahnen. Und alsbald brechen auch schon einzelne Blattfinger ab und segeln ins Wasser hinunter. Oder auch ganze Hände auf einmal, die erst beim kreisenden Gleitflug auseinanderbrechen, selbst wenn garkein Wind grade geht. Die Natur stirbt nämlich stets sehr vornehm. Und bald kichern nur noch ein paar allerletzte verkrauste braune Blättchen irgendwo hoch oben, wo der Wind grade nicht gut herankann, um sie herunterzupusten. Endlich jedoch gehn auch die dahin. Dann aber steht wieder, wie anfangs das groteske Gerüst der Äste und Ästchen da mit den Knospen für das nächste Jahr schon. Und wenn der erste verfrühte Schnee bald kommt, der weich und flutterig ist … lang bleibt er meist nicht liegen! … so zieht er mit Deckweiß auf der chinesischen Tusche nochmal – ein raffinierter Architekt – …seine dominierenden Linien nach, um zu zeigen, daß sie, die scheinbar durchaus zufällig schienen, sogar sehr fein durchdacht waren. Und so kam das im Winter 1933-34. Und dann fing das schöne Spiel von Neuem an. Das ganze Jahr 1934 hindurch. Bis es wiederum 1935 an der gleichen Stelle erst recht einsetzte in genau der gleichen angenehmen Folge. Warum beklagen sich die Menschen da immer?! Ich sage ja schon lange: Wenn die Ochsen solche Menschen wären, wie die Menschen Ochsen sind, wäre es die fabelhafteste Rasse, die je ein Gott geschaffen hat, und Hutten hätte nicht ganz unrecht: es wäre eine Lust zu leben! Also schon platzten (1935) die ersten dicken grünen Igel in den Nähten auf. Man konnte sie auch mit Morgensternen vergleichen, wie sie die Ritter, in kultivierteren Zeiten, oder mehr noch jene freundlichen Mitbürger, die Landsknechte, um andern die Schädel damit einzuschlagen, privatim bei sich führten … diese Morgensterne also begannen wieder aufzuspringen und die Streifen Mahagoni ihrer Früchte zwischen den Stachelschalen braun und blank aufschimmern zu lassen. Vielleicht, daß schon einige so unter die Autoreifen gekullert waren, und von ihnen zerquetscht worden waren bis zur Unkenntlichkeit. Viel waren es jedenfalls noch nicht. Vielleicht auch, daß schon ein paar von ihnen ins Wasser gepurzelt waren. Aber das Gros würde doch erst in vierzehn Tagen herunterprasseln. Nach der Nürnberger Tagung. Und dann würde auch erst die richtige, sonnige Melancholie des Frühherbstes über den Beeten mit den Eisblumen, den rosigen großen Dolden des Sedum maximum um das Denkmal der Königin Luise auf der Rousseauinsel liegen. Genau so wie 1933 und 34 sie auch schon ihre...


Hermann, Georg
Georg Hermann (1871-1943) war einer der meistgelesenen und produktivsten Autoren seiner Zeit. Berühmtheit erlangte er durch seine Berliner Familien- und Gesellschaftsromane »Jettchen Gebert« (1906) und »Henriette Jacoby« (1908), mit denen er sich einen Namen als Chronist des deutsch-jüdischen Lebens machte. Hermann, der als »jüdischer Fontane« gefeiert wurde, etablierte sich schnell als einflussreiche Größe im Literaturbetrieb seiner Zeit. In seinen zahlreichen Essays zeigte er sich als Kunstkenner und kritisierte später immer wieder die politischen Entwicklungen der Weimarer Republik.
Er floh 1933 ins niederländische Exil und wurde in Auschwitz ermordet.

Weiss-Sussex, Godela
Godela Weiss-Sussex ist Professorin der Germanistik an der School of Advanced Study, University of London.

Weiss-Sussex, Godela
Godela Weiss-Sussex ist Professorin der Germanistik an der School of Advanced Study, University of London.


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