Hermann | Der Liebhaberautomat | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Hermann Der Liebhaberautomat

Kurzgeschichten - Band 1

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

ISBN: 978-3-7393-2048-9
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz



In diesem Buch finden Sie fantastische und skurrile Kurzgeschichten von Uwe Hermann, die in den Jahren 1998 bis 2006 in der c´t - dem Magazin für Computertechnik - erschienen sind. Lernen Sie den Mann kennen, der seine große Liebe in einem Automaten findet, den Filmschauspieler, der im Jahre 2020 an einem Filmcasting teilnimmt und seitdem auf der Jagd ist, oder den Reiseveranstalter, der Zeitreisen zu historischen Höhepunkten anbietet.

Uwe Hermann schreibt seit fast dreißig Jahren Kurzgeschichten. Ob Science Fiction, Fantasy, Thriller oder ein Mix aus allem, der Autor vermengt die Zutaten zu einer humorvollen und spannenden Geschichte. Zahlreiche seiner Erzählungen wurden für Literaturpreise nominiert. 2018 gewann »Das Internet der Dinge« den Kurd Laßwitz Preis und den Deutschen Science-Fiction-Preis als beste Erzählung des Jahres 2017. Zusätzlich belegte er mit einer weiteren Kurzgeschichte auch den zweiten Platz beim KLP.
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Othello 2020
Splitterfasernackt stand ich in einer langen Reihe von Wartenden und versuchte mit meiner Laufkarte, die man mir an der Anmeldung ausgehändigt hatte, meine Blöße zu bedecken, doch entweder war die Laufkarte zu klein oder meine Blöße zu groß, denn die Blicke, die mir einige Frauen und ein Mann zuwarfen, waren alles andere als zufällig. Selbst die Fotos der Filmschauspieler an den weiß getünchten Wänden schienen nur auf mein bestes Stück zu starren. Seit fünfzehn Jahren war ich am Theater und ich hatte durchaus schon die eine oder andere Nacktszene gespielt, und auch wenn sich diese nur auf meinen bloßen Oberkörper beschränkt hatten, war ich doch keineswegs prüde. Hätte ich allerdings geahnt, wie sich das Filmcasting entwickeln würde, hätte ich unter keinen Umständen dem Drängen meines Agenten nachgegeben und wäre hier erschienen. Jo Klein, das war der Name meines Agenten, hatte mit Sicherheit gewusst, wie freizügig man hier mit dem Begriff Intimsphäre umging. Doch anstatt mich vorzuwarnen, hatte er mir erklärt, dass es sich um ein ganz gewöhnliches Casting für einen neuen Film handelte. Als ich nun inmitten unzähliger, extrem leicht bekleideter Menschen stand, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich überhaupt nicht gefragt hatte, für welche Art Film ich denn nun vorsprechen sollte. Jo konnte nur hoffen, dass er mir in der nächsten Zeit nicht über den Weg lief, andernfalls hätte Hollywood einen Theateragenten weniger. Ich spürte, wie mir jemand auf die nackte Schulter tippte. »Träumen Sie?« Als ich mich umschaute, sah ich einen älteren Herrn, nur bekleidet mit einem gewaltigen Schmierbauch und einer angelaufenen Nickelbrille. Ärgerlich schwenkte er seine Laufkarte und deutete auf die Schlange vor mir, die bereits einige Meter weiter gewandert war. Ich beeilte mich tippelnd (mehr ließ die Größe der Laufkarte nicht zu) den Anschluss wiederzufinden. Weit vor mir, zwischen den nackten Körpern hindurch, sah ich manchmal einige elektronische Geräte aufblitzen, doch es sollten weitere vierzig Minuten vergehen, bis ich mein Ziel endlich erreicht hatte. Dann stand ich vor einer zwei mal drei Meter großen Nische in der Wand. Mehrere Stufen führten zu einem erhöhten Podest in der Mitte, das von etlichen elektronischen Apparaten und einem unübersichtlichen Gewirr aus Kabeln und Leitungen umgeben war. Vor der Nische, auf einem quietschenden Bürostuhl, saß eine schlaksige Frau (komplett bekleidet!), mit bartstoppelkurzen, regenbogenfarbenen Haaren und blickte gelangweilt auf einen Bildschirm vor sich. »Ihre Laufkarte!«, sagte sie und streckte ihre Hand aus, ohne den Blick von ihrem Monitor zu nehmen. Zögernd reichte ich ihr mein letztes noch verbliebenes Kleidungsstück und sah zu, wie die Frau meine Laufkarte mit dem aufgedruckten Datenspeicher in einen Spalt in ihrem Kontrollpult steckte. »Stellen Sie sich auf das Podest, strecken Sie ihre Arme seitlich aus, schließen Sie die Augen, bewegen Sie sich nicht, und bitte etwas zügig, es warten noch mehr Leute!« Ich beeilte mich die Stufen hinauf zu kommen. Rechts vor der Nische hing ein zusammengeschobener, gelber Plastikvorhang mit orangefarbenen Sonnenblumen von der Decke und ich überlegte einen Moment, ob ich ihn hinter mir zuziehen sollte. Doch da er so aussah, als wäre er das letzte Mal von Buster Keaton persönlich benutzt worden, unterließ ich es und stellte mich stattdessen so auf das Podest, dass ich mit dem Gesicht zur Wand stand. »Bitte anders herum, mit dem Gesicht zu mir!« Widerstrebend drehte ich mich um und schaute in die unzähligen Gesichter der Wartenden. Direkt vor mir, neben dem Mann mit der Nickelbrille, stand eine junge Frau mit einem Silberblick und himmelte meinen Körper völlig ungeniert an. »Augen zu!«, hörte ich die Stimme der Frau am Kontrollpult. Ich kniff die Augen fest zusammen. Das Brummen, das aus den Apparaturen um mich herum drang, wurde lauter. Ich glaubte spüren zu können, wie ein Dutzend Laserstrahlen über meinen Körper tanzten und jeden Millimeter scannten. Leise hörte ich das Kichern der Wartenden und ich stellte mir vor, wie sie ihre Köpfe zusammensteckten und tuschelnd auf meinen Körper zeigten. Jo Klein war ein toter Mann! Der peinlichste Moment in meinem Leben schien Ewigkeiten zu dauern. Das Brummen verstummte. »Der Nächste!« Als ich die Augen öffnete, stand bereits der Mann mit der Nickelbrille neben mir auf dem Podest und schob mich zur Seite. Ich eilte die Stufen hinunter, griff nach meiner Laufkarte, die mir die Frau mit der ungewöhnlichen Frisur reichte, und verließ fluchtartig den Raum durch eine Seitentür. Ich vergaß sogar, meine Blöße zu bedecken. Im angrenzenden Umkleideraum stellte ich eine neue persönliche Bestzeit im Ankleiden auf. Danach fühlte ich mich wohler. Das Sichtfenster auf meiner Laufkarte hatte sich grün verfärbt und so folgte ich der grünen Markierung auf dem Fußboden zu meiner nächsten Station. Diesmal war die Warteschlange und damit die Zeit, die ich mir die Beine in den Bauch stehen musste, sogar noch länger. In einer schalldichten Kabine musste ich ein Dutzend Sätze von einem Bildschirm ablesen und in ein Mikrofon sprechen. Als der Computer meine Stimmcharakteristik auf dem Datenstreifen meiner Laufkarte gespeichert hatte, folgte ich der nun roten Markierung zu meiner letzten Station, wo mein Gesicht in höchster Auflösung gescannt wurde. Als ich schließlich wieder auf dem Rückweg zur Anmeldung war, schmerzten meine Füße, als wäre eine Herde Elefanten darüber gelaufen. Die fünf Frauen hinter dem chromglänzenden Tresen mit dem Schriftzug Schock Produktion taten nichts anderes, als die Laufkarten einzusammeln und in ein Lesegerät zu schieben, von dem die Daten in den Zentralrechner überspielt wurden. Ich gab meine Karte ab und beeilte mich, aus dieser Irrenanstalt zu verschwinden. Während ich noch darüber nachdachte, was Schock Produktion doch für ein seltsamer Name für ein Filmstudio war, rief mich eine der Frauen zurück. »Mister Jones, einen Moment bitte!« Ich drehte mich um. »Wir haben in der Warteschleife einen Anruf für Sie. Benutzen Sie bitte Kabine fünf.« Sie deutete auf eine lange Reihe von Türen am anderen Ende der Anmeldung. Die Telefonkabine erwies sich als so winzig, dass die Toilette in meiner Dreizimmerwohnung dagegen wie ein Opernsaal gewirkt hätte. Ich zog die Tür hinter mir zu und zwängte mich in den Sitz, der überraschend bequem war. Eine Datenglocke schob sich von der Decke über meinen Körper und vertrieb das Licht in der Kabine. Es wurde so finster wie meine Laune, dann saß ich mit meinem Stuhl plötzlich in einer endlosen Wüstenlandschaft. Über mir am Himmel schob der Wind weiße Schäfchenwolken vor sich her. Ich kannte plötzlich meinen Anrufer. Jo Klein liebte diese Hintergrundsequenz, was vielleicht daran liegen mochte, dass er mehr Feinde als Freunde hatte und ihm diese unendliche Wüstenlandschaft Sicherheit vorgaukelte. Direkt vor mir erschien ein mahagonifarbener Schreibtisch, hinter dem mein Agent hervorschaute. Jo Klein machte seinem Namen alle Ehre. Er war so klein, dass er sich extra einen erhöhten Schreibtisch mit passendem Bürostuhl hatte anfertigen lassen, um nicht ständig zu seinen Gesprächspartnern aufschauen zu müssen. »Na, wie ist es gelaufen?«, fragte er und sein Goldzahn, den er sich angeblich hatte einsetzen lassen, um beeindruckender auszusehen, blitzte mich an. Ich schnappte nach Luft. »Was glaubst du denn, wie es gelaufen ist? Ich musste stundenlang Schlange stehen, um mich dann nackt vor allen Leuten scannen zu lassen. Ich durfte noch nicht einmal meine Unterhose anbehalten. Und jetzt erzähl’ mir nur nicht, dass du das nicht gewusst hast!« »Natürlich habe ich das gewusst. Hast du etwa erwartet, komplett bekleidet gescannt zu werden? Was hast du denn geglaubt, um welche Rolle es geht? Kardinal Richelieu?« Sein Goldzahn lächelte mich an. »Du solltest wirklich nicht so verklemmt sein. Früher sind die Schauspieler mit den Produzenten ins Bett gestiegen, um an eine gute Rolle zu kommen, du musstest dich nur ausziehen.« »Ich bin nicht verklemmt, aber ich stand Ewigkeiten zwischen gaffenden und grinsenden Exhibitionisten, die nur darauf aus waren, mich unsittlich zu berühren. Die Moralvorstellungen unserer Gesellschaft gehen den Bach runter. Wenn es nach mir ginge, müsste man Nacktheit gesetzlich verbieten.« Er sah mich seltsam an. »Nun, zumindest verstehe ich jetzt, warum du bisher jede Rolle in einem modernen Theaterstück abgelehnt hast. Wie auch immer, wir werden uns ein anderes Mal darüber unterhalten müssen, Steve Playhill wird sich jeden Moment in dieses Telefongespräch einschalten.« »Wer zur Hölle ist Playhill?« »Wer zur Hölle ist Playhill?«, äffte mich Jo nach. »Steve Playhill ist der Besitzer dieses Filmstudios, der Mann, der dich engagieren will.« »Und warum interessiert er sich ausgerechnet für mich?« Jo lächelte. Ich wurde immer misstrauisch, wenn Jo lächelte. »Vielleicht hat er von deinem Talent gehört?« »Unsinn, wir wissen doch beide, dass beim Film das Talent nur noch aus dem Computer kommt. Heutzutage kann jeder Neandertaler eine oscarreife Vorstellung abgeben. Also, was will er wirklich von mir? Und erzähl’ mir nicht, dass er sich mit jedem, der hier vorspricht, persönlich unterhält.« Mein Agent seufzte. »Also schön. Ich habe mich finanziell an seinem nächsten Film beteiligt und dich für eine Rolle vorgeschlagen.« »Du...


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