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E-Book, Deutsch, 465 Seiten
Bildungs- und Übergangsverläufe im Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität
E-Book, Deutsch, 465 Seiten
ISBN: 978-3-7799-8569-3
Verlag: Julius Beltz GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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2Forschungsdesign der Untersuchungen
Für die Voruntersuchung habe ich ein exploratives, qualitatives und für die Hauptuntersuchung ein qualitatives Untersuchungsdesign konzipiert, welche sich durch methodologische Überlegungen aus der Übergangsforschung begründen. Diese nimmt einen „mehrdimensionale[n] Forschungszugang“ (Stauber/Walther 2007, S. 45) ein, der subjektive Relevanzen und Handlungsstrategien ebenso wie strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen einbezieht (vgl. ebd., S. 44 f.). Damit wird versucht, der Komplexität von Übergängen Rechnung zu tragen: Denn an Übergängen werden biographische Weichenstellungen, die aus dem Zusammenspiel von institutioneller Steuerung und individuellen Bewältigungsstrategien hervorgehen, sichtbar (vgl. Heinz 2001, S. 6). Übergänge im Bildungssystem resultieren „aus der institutionalisierten Ablaufslogik der Schulkarriere eines Bildungssystems“ (Kramer/Helsper 2013, S. 593) und sind somit institutionell indiziert und strukturiert. Zugleich werden diese Strukturen durch das biographische Handeln und die Lebenslagen der Subjekte bestätigt oder ggf. verändert (vgl. Walther/Stauber 2007, S. 40). Dies trifft auch auf die in diesem Forschungsprojekt untersuchten Übergänge zu: Das individuelle Handeln der Schüler:innen und ihre subjektiven Wahrnehmungen des Übergangs nach einem stationären KJP-Aufenthalt vollziehen sich in der Interaktion mit und im Orientierungsrahmen der Institutionen des Bildungssystems mit seinen Normierungen und Steuerungsmechanismen. Um Übergangsprozesse rekonstruieren und darin enthaltene Probleme und Bewältigungsformen analysieren zu können, ist daher eine Verknüpfung von struktureller und subjektorientierter Perspektive im Sinne einer Mehrebenenperspektive notwendig (vgl. Kutscha 1991, S. 113 ff.; Hensel/Wagner 2017, S. 102). Die subjektorientierte Perspektive dieser Untersuchung wird durch die Forschungsfrage formuliert. Ihr Erkenntnisinteresse zielt auf subjektive Sichtweisen von Jugendlichen, die in einer KJP (teil)stationär behandelt wurden und den Übergang von dort zurück in das allgemeine Schulsystem durchlaufen haben. Bei der Beforschung von Übergängen beziehen sich subjektorientierte Ansätze auf die Ebene der subjektiven Deutung, Bewältigung und Gestaltung von Übergängen und die dafür vorhandenen biographischen Voraussetzungen sowie übergangsbedingte Probleme oder Ressourcen beim Aufbau neuer Identitätssegmente. Für die Analyse von subjektivem Erleben und Bedeutungszuschreibungen von Übergängen bedarf es qualitativer Zugänge (vgl. Stauber/Walther 2007, S. 44, 47; Kutscha 1991, S. 117, 123). Denn qualitative Forschung deckt „Lebenswelten ‚von innen heraus‘ aus der Sicht der handelnden Menschen“ (Flick/Kardorff/Steinke 2012b, S. 14) auf und analysiert Strukturmerkmale, Handlungsprozesse und Abläufe (z. B. von Übergängen), um so zu einem „besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen“ (ebd.) zu können. Ihr Interesse richtet sich auf Alltagsgeschehen, Wissen und Deutungsmuster beteiligter Subjekte sowie auf soziale und subjektive Konstruktionen von Welt (vgl. ebd., S. 14 ff., 23). Ein qualitatives Forschungsdesign ist für die vorliegende Untersuchung daher notwendig. Die Forschungsfrage, die den zentralen Referenzpunkt bei der Entscheidung für den Forschungszugang darstellt (vgl. Maxwell 2013, S. 75), ist für die Verwendung eines qualitativen Forschungsdesigns daher der erste wesentliche Grund. Die Strukturperspektive dieser Untersuchung umfasst zum einen die am Übergang beteiligten Institutionen bzw. Akteure:innen des Hamburger Schulsystems und zum anderen wie diese aufeinander bezogen sind (vgl. Stauber/Walther 2007, S. 46). Dabei ist insbesondere das BBZ und dessen strukturelle und konzeptionelle Ausrichtung sowie dessen schulorganisatorische Anbindung innerhalb des Hamburger Schulsystems relevant. An dieser Stelle wirken sich die in Kapitel 1.4 dargelegten Feldbedingungen der Diffusität und Unübersichtlichkeit sowie der geringe Forschungsstand (s. Kap. 1.2 und 4.1) maßgeblich auf die Konzipierung des Untersuchungsdesigns aus und bilden den zweiten wesentlichen Grund für einen qualitativen Zugang. Denn bei standardisierten Verfahren ist für die Konzipierung von Erhebungsinstrumenten eine feste Vorstellung über den zu untersuchenden Gegenstand notwendig. Die dafür erforderlichen aktuellen Informationen über das BBZ als Teil der strukturellen Rahmung des Übergangs sind jedoch weder in der Fachliteratur noch in öffentlichen bildungspolitischen Dokumenten ausreichend vorhanden. Gerade bei Untersuchungen, die „die Erschließung eines bislang wenig erforschten Wirklichkeitsbereichs ('Felderkundung')“ (Flick/Kardorff/Steinke 2012a, S. 25) zum Ziel haben, empfehlen sich qualitative Forschungsstrategien, die in ihren Zugangsweisen „offener und dadurch ‚näher dran‘“ (Flick/Kardorff/Steinke 2012b, S. 17) sind und unter Einbezug subjektiver und sozialer Konstruktionen innerhalb des Forschungsfelds zunächst „genaue und dichte Beschreibungen liefern“ (ebd.). Für die Erfassung des institutionellen Aufbaus und der konzeptionellen Ausrichtung des BBZ (gerade in Bezug auf die Vorbereitung und Gestaltung des Übergangs) waren daher im Vorfeld explorative Gespräche und Beobachtungen sowie die Sichtung interner Dokumente und Konzepte im ‚Feldausschnitt des BBZ‘ im Sinne einer explorativen Annäherung erforderlich. Darauf aufbauend konnten qualitative Interviews mit am Übergang beteiligter Fachkräfte verschiedener Institutionen der Hamburger Schullandschaft durchgeführt werden. 2.1Beschreibung des Forschungsfelds: Hamburgs Klinikschulen, Schullandschaft und umliegende Bildungsangebote
Zur Nachvollziehbarkeit der Systematik der Hamburger Schullandschaft – in dessen Rahmung sich der Übergang von der KJP in die allgemeine Schule vollzieht – ist es notwendig, zunächst die darin vorhandenen verschiedenen Bildungsangebote darzustellen. Denn Abläufe und Mechanismen von Teilsystemen und Übergängen des Schulsystems lassen sich nur unter Kenntnis des gesamten Schulwesens einordnen und verstehen (vgl. Ellger-Rüttgardt/Hensel 2019, S. 195). Zudem resultieren aus der in diesem Kapitel beschriebenen Systematik, die von den zugehörigen Bildungsinstitutionen an die Schüler:innen und Erziehungsberechtigten weitergegeben wird (z. B. Schullaufbahnberatung durch Klinikschulen), die schulischen Anschlussmöglichkeiten nach einem KJP-Aufenthalt und dementsprechend die verschiedenen Übergangsverläufe. Bei der folgenden Darstellung greife ich auf die bereits in Kapitel 1.4 vorgenommene Unterteilung von ‚Feldausschnitt BBZ‘ und Feldausschnitt ‚schulische Anschlussmöglichkeiten nach der Entlassung‘ zurück. Dabei wird auf die Darstellung des Hamburger Aus- und Berufsbildungssystems verzichtet, da diese Untersuchung den Übergang von der KJP in berufsbildende Schulen nicht einschließt. Die verwendeten Informationen stammen aus behördlichen und schulischen Dokumenten, Informationsmaterialien und Homepages und werden in Kapitel 3 und 5.2 stellenweise durch mein empirisches Datenmaterial ergänzt. 2.1.1Feldausschnitt ‚schulische Anschlussmöglichkeiten nach der Entlassung‘
Das allgemeine Schulwesen in Hamburg setzen sich aus den Grundschulen, Stadtteilschulen und Gymnasien sowie den speziellen Sonderschulen und den Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) zusammen. Die Grundschule umfasst die Klassenstufen eins bis vier. Im Halbjahreszeugnis der 4. Klassenstufe sprechen die Grundschulen eine Übergangsempfehlung für die Sekundarstufe I aus. Diese ist nicht bindend, sodass die Entscheidung, welche Schulform Schüler:innen im Anschluss an die Primarstufe besuchen, bei den Erziehungsberechtigten liegt (vgl. BSB-HH 2017b, S. 18). Stadtteilschulen sind mit den Gesamtschulen anderer Bundesländer vergleichbar. Sie umfassen die Klassenstufen fünf bis dreizehn und vergeben den ersten sowie den erweiterten ersten allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA) (ehemals Hauptschulabschluss), den mittleren allgemeinbildenden Schulabschluss (MSA) (ehemals Realschulabschluss), den schulischen Teil der...