Henry | Liebe zwischen den Zeilen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Henry Liebe zwischen den Zeilen

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-20650-5
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-641-20650-5
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde.' Jean Paul
Die kleine Buchhandlung Nightingale Books hat Emilia von ihrem geliebten Vater übernommen. Im Herzen des verschlafenen Städtchens Peasebrook ist sie eine Begegnungsstätte für die unterschiedlichsten Menschen mit ihrem Kummer und ihren Träumen. Doch Julius Nightingale war ein großer Buchliebhaber und kein Buchhalter - der Laden steht kurz vor dem Ruin. Emilia bleiben nur wenige Monate, um diesen besonderen Ort vor einem Großinvestor zu retten. Denn nicht nur sie findet hier Freundschaft und Liebe ...

'Ein großartiges Roman über die Kraft von Büchern und Geschichten.' The Sun on Sunday



Veronica Henry arbeitete für die BBC und als Drehbuchautorin für zahlreiche Fernsehproduktionen, bevor sie sich dem Schreiben von Romanen zuwandte. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in Devon, England.

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KAPITEL 2

1982

Die Buchhandlung lag in der Little Clarendon Street, etwas abseits des Trubels im Zentrum von Oxford und ganz in der Nähe von St. Giles zwischen schicken Modeboutiquen und Cafés. Neben der neuesten Belletristik und Bildbänden wurde hier auch Kunstbedarf verkauft, und es herrschte eher Lebensfreude als akademischer Ernst wie in den intellektuelleren Buchhandlungen der Stadt. Hier konnte man die Zeit vergessen. Es kam nicht selten vor, dass Leute sich so zwischen den Regalen verloren, dass sie Termine und Züge verpassten.

Seit er vor vier Jahren nach Oxford gezogen war, arbeitete Julius Nightingale in dem Buchladen, um sein Stipendium aufzubessern. Und jetzt, nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte, wollte er gar nicht mehr aus Oxford und der Buchhandlung weg. Auch die Uni würde ihm fehlen, aber er wusste natürlich, dass ihm die Verhältnisse, aus denen er stammte, kein Leben als Wissenschaftler ermöglichten. Doch noch hatte er keine Pläne gefasst, was er aus sich machen wollte.

Zunächst einmal wollte er den Sommer über Vollzeit im Buchladen arbeiten und etwas Geld zusammensparen. Anschließend würde es vielleicht für eine kleine Reise reichen, bevor er sich den Mühen unterwarf, einen Lebenslauf zurechtzubasteln, Bewerbungsschreiben zu verfassen und sich auf Vorstellungsgespräche einzustellen. Abgesehen davon, dass er sein Studium als Jahrgangsbester abgeschlossen hatte, gab es nichts, was ihn auszeichnete, dachte er oft. Er hatte bei ein paar Theaterstücken Regie geführt, aber das war nichts Besonderes gewesen. Außerdem hatte er eine Zeitschrift für Poesie herausgegeben, aber auch das war nicht gerade eine einzigartige Errungenschaft. Er stand auf Livemusik, Wein und hübsche Frauen, wie viele junge Männer. An ihm war nichts außergewöhnlich, außer vielleicht der Tatsache, dass die meisten Leute ihn zu mögen schienen. Er war in West-London bei seiner kultivierten, aber mittellosen, alleinerziehenden Mutter aufgewachsen und hatte eine Gesamtschule besucht. Er war gewieft, aber gut erzogen, sodass er sowohl mit Snobs als auch mit den Jungs von der Schule gut klarkam, die weniger selbstbewusst waren als ihre Altersgenossen, die vorher private Eliteschulen besucht hatten.

Es war das letzte Augustwochenende, und er überlegte gerade, ob er seine Mutter besuchen und zum Notting Hill Carnival gehen sollte. Seit er ein kleiner Junge war, ließ er sich die jährliche Veranstaltung nicht entgehen. Er liebte die Atmosphäre, das Dröhnen der Trommeln, den durchdringenden Duft nach Marihuana, das Gefühl, dass alles möglich war.

Er wollte gerade den Buchladen schließen, als die Tür aufflog und eine junge Frau hereinstürmte. Sie hatte wildes, leuchtend rotes Haar – garantiert gefärbt – und schneeweiße Haut, die durch die schwarze Spitze an ihrem Kleid noch blasser wirkte. Sie sah aus wie ein Rockstar, dachte er. Wie eine von diesen Sängerinnen, die total aufgedonnert aus der Ankleide kamen und auf der Bühne umherstolzierten.

»Ich brauch ein Buch«, verkündete sie und überraschte ihn mit ihrem Akzent. Amerikanerin. Normalerweise kamen Amerikaner meist mit Reiseführern und Kameras bewaffnet in den Buchladen und sahen nicht im Entferntesten aus wie Madonnas rothaarige Schwester.

»Da sind Sie hier richtig«, erwiderte er, bemüht, scherzhaft und nicht schroff zu klingen.

Sie schaute ihn an, dann zeigte sie mit Daumen und Zeigefinger einen Abstand von etwa fünf Zentimetern an. »Ungefähr so dick. Es muss für meinen Heimflug reichen. Zehn Stunden. Und ich lese sehr schnell.«

»Okay.« Julius mochte Kurzanweisungen. »Also, dann würde ich Ihnen Anna Karenina empfehlen.«

Sie lächelte und entblößte zwei Reihen perfekte Zähne. »›Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich. Jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich‹.«

Er nickte. »Also gut. Wie wär’s dann mit Ulysses von James Joyce? Das hält Sie bestimmt beschäftigt.«

Sie nahm eine theatralische Haltung ein. »›Ich hab ja gesagt ja ich will ja‹.«

Sie zitierte Molly Bloom, die promiskuitive Ehefrau des Protagonisten, und einen Moment lang dachte Julius, dass sie genauso aussah wie Molly, bis ihm einfiel, dass dies eine fiktive Figur war. Er war beeindruckt. Er kannte nicht viele Leute, die Joyce zitieren konnten. Aber er würde sich von ihrem anscheinend universalen literarischen Sachverstand nicht einschüchtern lassen, das wäre ja noch schöner. Er würde ihr ein weniger intellektuelles Buch vorschlagen, eines, das er trotzdem sehr gerne mochte.

»Garp und wie er die Welt sah?«

Sie strahlte ihn an, wobei sich ein riesiges Grübchen in ihrer rechten Wange zeigte. »Guter Vorschlag. Ich liebe John Irving. Aber Das Hotel New Hampshire gefällt mir noch besser als Garp

Julius grinste. Er war schon lange niemandem mehr begegnet, der so belesen war wie die Rothaarige. Und er kannte ziemlich viele belesene Menschen, in Oxford wimmelte es nur so von ihnen. Die meisten waren allerdings intellektuelle Snobs. Diese junge Frau dagegen war eine Herausforderung.

»Wie wär’s mit Middlemarch?«

Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, und er wusste sofort, dass er etwas gefunden hatte, was sie noch nicht gelesen hatte.

Sie lachte unbeschwert. »Perfekt. Haben Sie das vorrätig?«

»Selbstverständlich.« Er führte sie zu dem Regal mit den schwarzen Penguin-Classics und zog den Band heraus.

Einen Moment lang schauten sie einander an.

»Welches ist Ihr Lieblingsbuch?«, fragte die junge Frau.

Julius war perplex. Mit der Frage hatte sie ihn kalt erwischt. Er überlegte. Als er zu einer Antwort ansetzte, hob sie einen Finger.

»Sie haben nur eine Antwort.«

»Aber das ist genauso, als würden Sie jemanden fragen, welches sein Lieblingskind ist.«

»Ich bestehe auf einer Antwort.«

Er sah ihr an, dass sie nicht nachgeben würde. Er hatte seine Antwort bereits parat – 1984, der kleine, perfekt geschriebene Roman faszinierte ihn immer wieder aufs Neue –, doch damit würde er nicht so schnell herausrücken.

»Ich verrate es Ihnen«, sagte er und wunderte sich über seine eigene Kühnheit, »wenn Sie mit mir auf einen Drink ausgehen.«

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief. »Ich weiß nicht, ob ich es so dringend wissen will«, sagte sie, doch ihr Lächeln strafte ihre Worte Lügen.

»Das sollten Sie aber«, erwiderte er und ging zur Kasse in der Hoffnung, dass sie ihm folgte.

Sie war unberechenbar. Sie wollte sich mit ihm kabbeln. Und er war fest entschlossen, es ihr nicht zu leicht zu machen.

Julius gab den Preis in die Kasse ein, und sie reichte ihm eine Pfundnote.

»Heute Abend wird in einem Pub in der Stadt Livemusik gespielt. Es wird viel getrunken werden und hoch hergehen, aber ich kann mir für eine junge Amerikanerin keine bessere Art vorstellen, ihren letzten Abend in England zu verbringen.« Damit ließ er das Buch in eine Tüte gleiten und reichte es ihr.

Sie schaute ihn beinahe ungläubig und zugleich irgendwie fasziniert an.

Julius hatte sich im Umgang mit Frauen immer relativ sicher gefühlt. Er respektierte sie. Dass er sich meist mehr für ihr Denken als für ihr Aussehen interessierte, machte ihn in gewisser Hinsicht unwiderstehlich. Er wirkte nachdenklich und zugleich ein bisschen unergründlich. Ganz anders als die eingebildeten Typen aus reichem Haus, die Oxford zuhauf bevölkerten. Er kleidete sich auch etwas anders. Ganz der Bohemien bevorzugte er Samtjacketts und Seidenschals und trug das Haar leicht blondiert. Vermutlich schadete es auch nicht, dass er gut aussah – hohe Wangenknochen und große Augen, die er hin und wieder mit einem Lidstrich hervorhob. Als Londoner Großstadtgewächs pflegte er seinen Stil, ohne die Verachtung derjenigen zu fürchten, die die Mode der Zeit nicht verstanden.

»Ach, warum eigentlich nicht?«, erwiderte sie schließlich.

»Ich werde ab acht dort sein«, sagte er.

Es war bereits zwanzig nach acht, als Julius im Pub eintraf. Von ihr keine Spur. Entweder hatte sie sich auch verspätet, oder sie war schon wieder gegangen. Oder sie hatte es sich anders überlegt. Er würde sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Wenn es nicht sein sollte …

Er bestellte sich am Tresen ein Glas trüben Cider, ließ den Geschmack des Apfelmosts auf sich wirken und ging anschließend nach draußen, um sich einen Platz im letzten Sonnenlicht zu suchen. Der Pub war sehr beliebt, wenn auch etwas rustikal, aber Julius mochte die urige Atmosphäre. Außerdem spielten hier immer gute Bands. Heute lag etwas Feierliches und Erwartungsvolles in der Luft. Die letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Tages kündeten vom bevorstehenden Sommer. Julius spürte, dass sich eine Veränderung anbahnte. Ob das etwas mit der Rothaarigen zu tun hatte, wusste er nicht, aber er hatte so ein Gefühl, dass das durchaus sein konnte.

Um neun klopfte ihm jemand von hinten auf die Schulter.

Er drehte sich um, und da stand sie.

»Erst wollte ich nicht kommen«, sagte sie. »Weil ich mich nicht in dich verlieben und dann morgen ins Flugzeug steigen wollte.«

»Ob man sich verliebt, kann man doch selbst entscheiden.«

»Nicht immer.« Sie wirkte ernst.

»Na, dann wollen wir mal sehen, was wir tun können, um es zu verhindern.« Er stand auf und nahm sein leeres Glas. »Schon mal Cider probiert?«

»Nein«,...


Henry, Veronica
Veronica Henry arbeitete für die BBC und als Drehbuchautorin für zahlreiche Fernsehproduktionen, bevor sie sich dem Schreiben von Romanen zuwandte. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in Devon, England.

Breuer, Charlotte
Charlotte Breuer und Norbert Möllemann übersetzen Literatur aus dem Englischen, u.a. von Chloe Benjamin, Elizabeth George und Kate Morton.



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