E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: zur Einführung
Hennecke Friedrich August von Hayek zur Einführung
ergänzt
ISBN: 978-3-96060-065-7
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: zur Einführung
ISBN: 978-3-96060-065-7
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Welchen Beitrag haben Privateigentum, Marktwirtschaft und Wettbewerb zum Aufstieg der westlichen Zivilisation geleistet? An welchen Irrtümern ist der Sozialismus gescheitert? Wie können individuelle Freiheit und Wohlstand in der Demokratie gesichert werden? Diese und andere Fragen hat der Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek (1899-1992) in seinem Werk gestellt und damit nicht zuletzt Spuren in der Realpolitik von Margaret Thatcher bis Václav Klaus hinterlassen. Der vorliegende Band stellt den Lebensweg dieses wohl einflussreichsten Liberalen des 20. Jahrhunderts dar und gibt einen Überblick zu zentralen Themen seines Denkens wie Markt und Wissen, Freiheit und Zwang, kulturelle Evolution und spontane Ordnung, Gerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit, Recht und Gesetz sowie Demokratiekritik und Demokratiereform.
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3. Die sensorische Ordnung: Psychologische und erkenntnistheoretische Grundlagen
Auch wenn im Laufe einer nahezu sieben Jahrzehnte umfassenden Publikationstätigkeit die Themenschwerpunkte, intellektuellen Einflüsse und politischen Zeitbedingungen unvermeidlich wechseln, beruht Hayeks weitgespanntes Denken auf einem einheitlichen philosophischen System und ist kontinuierlich und über alle intellektuellen Phasen hinweg auf ein Kernproblem ausgerichtet: die Erklärung menschlicher Ordnungsformen. Seine Beiträge zu den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften können in einem umfassenden Sinne als Moralwissenschaft (moral science) bezeichnet werden, deren Vorbild Hayek vor allem in der schottischen Aufklärungstradition um David Hume, Adam Smith und Adam Ferguson fand. Hayek war zwar ein exzellenter Kenner der Theoriegeschichte der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, der über einen ausgeprägten Ehrgeiz als bibliophiler Jäger und Sammler verfügte und bei vielen Gelegenheiten wichtige Anstöße für die Interpretation der ihn anregenden Denker gab. Aber die Theoriegeschichte diente ihm eher zur Unterfütterung und Präzisierung von theoretischen Überlegungen, die er auf gedanklich eigenständige Weise angestellt hatte. Der geeignete Ansatzpunkt zum Verständnis von Hayeks Werk ist daher nicht in Vergleichen mit anderen Klassikern wie Hume, Kant oder Mill zu suchen, sondern in den intellektuellen Anknüpfungspunkten, die er um 1920 in Wien vorfand. Dieses Milieu beschränkte sich nicht auf die Österreichische Schule der Nationalökonomie, in deren Tradition Hayek zunächst durch Friedrich von Wieser und später durch Ludwig von Mises eingeführt wurde, sondern umfasste in einem weiteren Sinne die zeitgenössischen Debatten in Naturwissenschaften und Philosophie, die in der geistigen Elite der Metropole geführt wurden. Die wohl größte Anziehungskraft auf den nach Orientierung suchenden akademischen Nachwuchs ging am Ende des Ersten Weltkriegs von dem Werk des 1916 verstorbenen Physikers Ernst Mach aus, das allein schon deshalb von politischer Brisanz war, weil es sowohl Befürwortern einer sozialistischen Planwirtschaft zur theoretischen Grundlage ihrer Forderungen diente als auch Argumente gegen die metaphysische Staatslehre eines Othmar Spann bot. Es ist nicht nur ein biografischer Zufall, dass der erste wissenschaftliche Gehversuch des Studenten Hayek, das auf September 1920 datierte, aber erst 2006 publizierte Typoskript Beiträge zur Theorie zur Entwicklung des Bewußtseins, eine Auseinandersetzung mit Ernst Machs Vorstellungen über das »Zellengedächtnis« war. Für denjenigen, der mit Hayeks Werk wenig vertraut ist, mag es auf den ersten Blick überraschen und als ein etwas beschwerlicher Umweg erscheinen, dass dieser Aufsatz, den der etablierte Ökonom 1952 zu dem Buch The Sensory Order ausarbeiten sollte, auch der systematische Ausgangspunkt für dessen Ordnungstheorie ist.40 Hayek sieht aber in der Frage nach der Herausbildung und den Ordnungsprinzipien des menschlichen Bewusstseins den Schlüssel für die Ordnungsformen menschlichen Verhaltens und für die methodologischen Anforderungen an die Wissenschaften, die das menschliche Verhalten theoretisch erfassen wollen. Der methodologische Individualismus Hayeks erschöpft sich also nicht in der Rezeption des Subjektivismus der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, wie er vor allem in deren Lehre vom subjektiven Grenznutzen eines Gutes für einen wirtschaftlichen Akteur verankert ist, sondern stützt sich auch auf sein Interesse an den psychologischen und biologischen Voraussetzungen menschlichen Verhaltens. Zu verstehen, wie der Mensch seine Umwelt wahrnimmt und wie die Wahrnehmung der Umwelt sein Bewusstsein prägt, ist der erste Schritt zu einem subjektivistischen Verständnis der Ordnung menschlichen Zusammenlebens. Hayek geht es um den Nachweis, dass das Bewusstsein nichts Selbständiges, kein über oder neben den Dingen der äußeren Welt Stehendes sei, sondern auf der Fähigkeit beruhe, Sinneseindrücke zu klassifizieren und sich aus dem Wiedererkennen von Regelmäßigkeiten als Klassifikationsapparat spontan zu entwickeln. Anders formuliert ist für Hayek die Rationalität des Menschen nicht a priori gegeben, sondern sie ist das Ergebnis von Erfahrungen, die das Individuum bei der Beobachtung seiner Umwelt macht. Sozialwissenschaftliche Ansätze wie beispielsweise die Neoklassik in den Wirtschaftswissenschaften, die dem Menschen eine unabhängig von den subjektiven Erfahrungen und Interpretationen der Wirklichkeit gegebene Rationalität unterstellen, stehen daher aus Hayeks Sicht auf tönernen Füßen. Mit der von Ernst Mach formulierten Vorstellung von reinen, einfachen Empfindungen als den Elementen der Sinneswahrnehmung gibt sich Hayek in den Beiträgen nicht zufrieden. Er will diese Vorstellung widerlegen und stattdessen die These begründen, dass der ganze Aufbau der Empfindungswelt auf Relationen von Sinneseindrücken zurückzuführen sei. Aufgabe einer Theorie der Entwicklung sei es zu erklären, wie sich durch Erfahrung ein die Eindrücke der Sinnesorgane umfassendes System von Qualitäten bilde, dessen grundsätzliche, immer wiederkehrende Beschaffenheit durch die regelmäßigen Zusammenhänge in der Natur gegeben, dessen besondere Ausbildung beim Einzelwesen aber durch Art und Reihenfolge der gemachten Erfahrungen bestimmt werde. Der zentrale Gedanke, der wörtlich sowohl in den Beiträgen als auch in The Sensory Order auftaucht, lautet: »Wir haben […] nicht Empfindungen, die dann vom Gedächtnis aufbewahrt werden, sondern erst durch das Gedächtnis wird die physiologische Erregung zur Empfindung oder zu einem anderen Bewußtseinswert.«41 Lässt man die vielen physiologischen Details beiseite, auf die Hayek seine Position in The Sensory Order und einigen ergänzenden Artikeln stützt, stellen sich die Grundzüge dieser Vorstellung folgendermaßen dar: Von der physikalischen Ordnung, die Gegenstand der Naturwissenschaften ist, muss die mentale oder sensorische Ordnung unterschieden werden, mit deren Hilfe das Individuum Erfahrungen aufnimmt und verarbeitet – und zwar in einer Weise, dass auf denselben Reiz unterschiedlich und auf unterschiedliche Reize gleichartig reagiert werden kann. Unter »Geist« versteht Hayek daher »eine besondere Ordnung einer Reihe von Ereignissen, die in einem Organismus stattfinden und auf eine gewisse Art mit der physikalischen Ordnung von Ereignissen in der Umwelt verbunden, aber nicht identisch sind«42. Das Problem bestehe darin, wie in einem Teil der physikalischen Ordnung, also einem Organismus, ein Subsystem gebildet werden könne, von dem sich sagen lässt, es spiegele einige Züge der physikalischen Ordnung als Ganzes wider und versetze dabei den Organismus in die Lage, sich angemessen gegenüber seiner Umwelt zu verhalten. Die Aufgabe der theoretischen Psychologie sieht Hayek darin zu erklären, warum sich die sensorische Ordnung jedes Einzelnen von der physikalischen Ordnung unterscheidet, obwohl doch die neuronalen Impulse, die ein äußerer Reiz im Nervensystem auslöst, sich als Elemente nicht unterscheiden und physikalisch-chemisch bestimmbar sind. Damit sieht Hayek die Frage aufgeworfen, »wie es möglich ist, aus den bekannten Elementen des neuronalen Systems eine Struktur zu konstruieren, die in ihren Reaktionen auf Stimuli solche Unterscheidungen vorzunehmen in der Lage wäre, wie sie, wie wir wissen, unser Geist tatsächlich vornimmt«43. Da das Nervensystem zu solchen Unterscheidungen fähig ist, beschreibt Hayek dieses als ein Klassifikationssystem, wobei er unter Klassifikation einen Prozess versteht, »der jedes Mal, wenn ein gewisses wiederkehrendes Ereignis eintritt, den gleichen spezifischen Effekt hervorruft und bei dem die von jeder beliebigen Ereignisart hervorgerufenen Wirkungen denen, die irgendeine andere Ereignisart auf eine ähnliche Weise hervorrufen, entweder entsprechen oder nicht«44. Angesichts der Komplexität der physikalischen Umwelt, die viele sensorische Impulse simultan auftreten lässt, muss das Nervensystem eine anspruchsvolle Klassifikationsleistung erbringen, bei der mal ein Reiz mehreren Klassifikationsklassen und mal mehrere Reize derselben Klassifikationsklasse zuzuordnen sind. Hayek behauptet nun im Unterschied zu gängigen psychologischen Theorien, dass »die sensorischen […] Qualitäten auf keine Weise den individuellen physiologischen Impulsen ursprünglich anhaften oder deren ursprüngliche Eigenschaft sind, sondern daß die Gesamtheit dieser Qualitäten durch das System von Verbindungen bestimmt wird, durch das die Impulse von Neuron zu Neuron übertragen werden können […]«45. Es sei somit die Position des individuellen Impulses oder der Gruppe von Impulsen im Gesamtsystem solcher Verbindungen, die diesem System eine besondere Qualität verleihe. Dieses System von Verbindungen werde im Laufe der Zeit durch »Erfahrung« und »Lernen« erworben und reproduziere in jedem Stadium seiner Entwicklung gewisse Beziehungen, die in der...