Eine seltsame Katergeschichte, die irgendwann in den Sommerferien beginnt und mit einer doppelten Weihnachtsüberraschung endet
E-Book, Deutsch, 228 Seiten
ISBN: 978-3-7583-8708-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Heinz Georg Held hat vergleichende Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Berlin und Venedig studiert und war anschließend Fremdsprachenlektor und Dozent für deutsche Literatur an der Universität Pavia. Er lebt heute als freier Schriftsteller und Übersetzer in Italien und schreibt neben Sachbüchern vor allem Kinder- und Tiergeschichten, Gedichte und Theaterstücke.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
ERSTES HEFT
4. September Heute bin ich nach Hause gekommen. Eigentlich nicht richtig nach Hause, denn die neue Wohnung kenne ich noch gar nicht wirklich, weil ich die ganze Zeit im Krankenhaus war, nachdem Papa hier eingezogen ist. Beim Umzug habe ich erst noch geholfen, die Sachen hochzutragen, und dabei bin ich ausgerutscht und hingefallen und dann musste ich ins Krankenhaus. Aber zu Hause ist eigentlich in Schattenfelde, wo wir früher gewohnt haben und ein richtiges Haus hatten mit Garten. Vor den Ferien, bevor nämlich Papa ohne mich in Urlaub gefahren ist, haben wir uns zusammen die Wohnung in Berlin angeguckt, die mitten in der Stadt liegt und gar nicht weit von seinem Institut, wo er arbeitet, weswegen er nicht mit dem Auto fahren muss, und Papa hat immer wieder gefragt, ob mir die Wohnung gefällt. Sie war ziemlich leer und kahl und außerdem im dritten Stock und sie gefiel mir überhaupt nicht. Aber ich habe nichts gesagt, weil ich gemerkt habe, dass Papa sie auf jeden Fall haben wollte, und wenn Papa irgendwas auf jeden Fall will, hat es sowieso keinen Zweck, etwas dagegen zu sagen. „Du bekommst das große Zimmer ganz für dich allein“, hat er gemeint. Das große Zimmer! Es ist viel kleiner als alle die anderen Zimmer, sein Arbeitszimmer, sein Schlafzimmer, das Ess- und Wohnzimmer, das so groß ist, dass man darin ganz toll spielen könnte, aber jetzt hat Papa dort seinen teuren Sessel hingestellt und seine Musikanlage aufgebaut, so dass man vorsichtig sein muss und nicht toben darf. Jetzt bin ich in meinem „großen Zimmer“ und liege im Bett. Es ist wirklich größer als mein Zimmer in dem alten Haus. Aber da habe ich ja auch nur geschlafen und spielen konnte ich in den anderen Zimmern oder auf dem Speicher oder im Keller und meistens im Garten, wenn es nicht regnete. Oma Mathilde und Opa Eugen wohnten ganz in der Nähe, aber jetzt sind sie ein ganzes Stück entfernt, obwohl Papa sagt, ich kann ganz leicht mit der Bahn hinkommen, wenn ich will und er keine Zeit hat, mich zu bringen. Dafür wohnt Großvater Willibald hier, aber nicht hier in der Wohnung, sondern hier in Berlin. Er hat mich immer im Krankenhaus besucht und das war den Krankenschwestern gar nicht recht. Großvater Willibald macht nämlich andauernd Faxen, so dass man immer lachen muss, und ich sollte doch nicht lachen, weil das nicht gut für meinen Kopf war. Aber manchmal mussten auch die Krankenschwestern lachen und sogar die Ärztin, als Großvater nachgemacht hat, wie der Chefarzt den Flur entlanggegangen ist, doch sie hat dann immer gesagt, dass ich viel Ruhe brauche, und einmal hat sie ihn sogar richtig weggeschickt und Großvater hat sich das gefallen lassen. Das nächste Mal hat er ihr eine Riesenkiste Pralinen mitgebracht, damit sie sich ordentlich bei ihm bedanken musste, hat er gesagt, und außerdem wäre das gut für ihre Diät und dann hat er eine Fratze geschnitten, aber außer mir hat es niemand gesehen. Großvater Willibald war auch da, als ich aus dem Krankenhaus gekommen bin, zusammen mit Papa. Er hat ganz geheimnisvoll getan, Großvater meine ich, und dann hat er mir etwas geschenkt, das noch eingewickelt war. Ich wusste erst gar nicht, was ich damit anfangen sollte, und das ist immer so: Großvater Willibald schenkt einem total verrückte Sachen, aber man merkt das erst später. Es ist nämlich das Heft, in dem ich jetzt schreibe, ein Heft mit lauter leeren Seiten, das Großvater Willibald selbst gemacht hat, jedenfalls den Einband. Und in dieses Heft soll ich schreiben, was mir gerade einfällt, jeden Tag, wenn ich Langeweile habe, sagt Großvater Willibald, und deswegen ist es auch ein Tagebuch. Und ob ich Langeweile habe. Den ganzen Tag muss ich liegen oder jedenfalls still sitzen, auf keinen Fall viel herumlaufen und schon gar nicht aus dem Haus gehen. Kein Fernsehen oder nur ganz wenig, nicht einmal lesen soll ich, jedenfalls nicht den ganzen Tag. Immerhin muss ich nicht zur Schule. Dabei wüsste ich ganz gern, wie die neue Schule aussieht und wo sie ist, denn ich muss jetzt natürlich auf eine andere Schule gehen, nachdem wir umgezogen sind, und ich war noch gar nicht da. 6. September Gestern hat mir Papa aus den Hobbits vorgelesen, fast eine ganze Stunde lang, und einiges hat er so erzählt, weil das Lesen zu langsam geht, das war toll. Aber sonst hat er wenig Zeit. Mein Vater ist Professor und kann alte Schriften lesen, die sonst keiner versteht außer ihm. Darum ist er früher auch viel herumgereist, weil er überall auf der Welt solche Schriften lesen musste. Jetzt ist er auch noch viel unterwegs oder er arbeitet in seinem Arbeitszimmer und dann will er auf keinen Fall gestört werden. Meine Mama lebt nicht mehr. Sie ist nämlich bei einem Autounfall gestorben, als ich noch ganz klein war. Papa sagt, dass ich noch viel zu klein war, um mich an Mama zu erinnern, aber ich erinnere mich trotzdem an sie. Sie hatte braune Haare und die dufteten nach Blumen. Aber Papa will nicht, dass man davon redet, und wenn doch, wird er ganz komisch. Dafür habe ich drei Großeltern: Großvater Willibald ist der Vater von meinem Papa, Oma Mathilde und Opa Eugen sind die Eltern von Mama, die noch dort wohnen, wo wir früher gewohnt haben. Deswegen können sie jetzt auch nicht einfach vorbeikommen, so wie früher. Dann hat Oma immer den Kopf geschüttelt, wenn sie die Unordnung sah, und gesagt: „der arme Junge ...“ und damit meinte sie mich, aber ich weiß eigentlich nicht, warum. Und dann hat sie angefangen, aufzuräumen und sauberzumachen, und meistens hat sie Kuchen mitgebracht. Manchmal kommt Rita vorbei und guckt, wie es mir geht. Als ich aus dem Krankenhaus kam, hat sie einen Haufen Bücher mitgebracht, aber weil ich nicht so viel lesen soll, hat Papa sie alle weggepackt, damit ich nicht heimlich lese. Rita ist ganz nett, aber ich glaube, sie ist Papas Freundin. Sie ist nämlich jetzt andauernd bei uns in der Wohnung und bestimmt war sie schon Papas Freundin, bevor er in Urlaub gefahren ist. Außerdem kommt noch eine Putzfrau, und Oma Mathilde sagt, dass sie das nicht versteht, warum eine Putzfrau kommen muss, weil sie doch auch einmal in der Woche kommen könnte oder auch zweimal. Papa will auch gar nicht, dass man Putzfrau sagt, sondern Haushaltshilfe. Sie heißt Frau Dadalau und kocht ganz andere Sachen als Oma Mathilde und sagt auch nicht immer „der arme Junge“. Sie schenkt mir manchmal Süßigkeiten, die sind alle selbstgemacht, und sie macht enorm viel Krach, wenn sie putzt, und deshalb flüchtet Papa immer aus der Wohnung, sobald sie kommt, aber meistens ist er sowieso nicht da. 7. September Am meisten fehlt mir Murashu. Murashu ist mein Kater und er heißt Murashu, weil das Katze bedeutet, sagt mein Vater, in einer der Sprachen, die er lesen kann und sonst fast niemand außer ihm. Aber eigentlich bedeutet es Wildkatze, und das stimmt auch, weil Murashu nämlich manchmal ziemlich wild sein kann. Murashu war auf dem Bauernhof von Jessicas Großeltern, aber da hieß er noch Murri. Dann hat Jessica ihn mir geschenkt, weil sie jetzt im Internat ist, und im Internat darf man keine Katzen haben. Vielleicht ist sie noch böse mit mir, wegen Murashu, deswegen ruft sie nie an, und ich weiß nicht, wo ihr Internat ist. Es hat ihr nämlich so leid getan, dass sie Murashu weggeben musste, und dann haben wir uns am letzten Tag gestritten, obwohl ich das gar nicht wollte. Als wir umgezogen sind, haben wir Murashu bei Oma Mathilde und Opa Eugen gelassen, weil er sonst nur im Wege gewesen wäre, und dann bin ich hingefallen und musste ins Krankenhaus und darum ist Murashu immer noch bei Oma und Opa, weil ich keine Aufregung haben darf. Hoffentlich geht es ihm gut. Opa Eugen sagt, er fängt Mäuse, aber das muss neu sein, denn früher hat es Murashu nie geschafft, Mäuse zu fangen. Seitdem ich nicht mehr im Krankenhaus bin, kommt manchmal unser neuer Arzt, um mich zu untersuchen, und Papa sagt, sie sind alte Freunde, noch von der Schule her, aber wie ein Arzt sieht er gar nicht aus. Er ist ziemlich klein und hat einen großen Kopf, richtig klotzig, und wenn er spricht, verzieht er den Mund ganz komisch, deswegen nenne ich ihn Doktor Simpson, aber nur heimlich, denn wenn er da ist, sage ich ganz ordentlich „Herr Doktor Heckel“. Wenn er mit mir spricht, sagt er immer „wir“, zum Beispiel „Wie geht es uns denn heute?“ oder „Was macht denn unser Köpfchen?“ und „Nehmen wir auch regelmäßig unsere Medizin?“, obwohl er doch nur meinen Kopf meint und er garantiert nicht jeden Morgen diese ekligen Tropfen schlucken muss wie ich. Und dann leuchtet er mir in die Augen und befühlt meinen Nacken und sagt dann noch „Das wird schon wieder“, jedes Mal. 8. September Ich habe Papa gesagt, dass ich möchte, dass Murashu endlich zu uns in die neue Wohnung kommt, aber Papa will einfach nicht, obwohl er vorher gesagt hat, dass Murashu so bald wie möglich nachkommt, wenn es mir besser geht, und jetzt geht es mir schon sehr viel besser. Bei dem Umzug sind auch alle Sachen von Murashu mitgekommen, die Bürste und das Körbchen, in dem er immer geschlafen hat, jedenfalls manchmal, weil er meistens in meinem Bett war, wenn Papa es nicht gesehen hat, und das...