Nach 90 Jahren wiederentdeckt: die erschreckende Analyse eines prominenten Nazi-Gegners
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-451-83385-4
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bereits im Herbst 1934 erscheint die Schrift »Hitler rast« eines gewissen Klaus Bredow. Ungeheuer informiert und klarsichtig beschreibt er den Aufstieg Hitlers und der Nazis in engstem Schulterschluss mit Ernst Röhm und der SA, erste Entfremdungen und schließlich den Ablauf der Mordaktionen. »Bredow« ist das Pseudonym für Konrad Heiden, einen der bedeutendsten und erfolgreichsten Publizisten der 20er und 30er Jahre. Ein faszinierender Zeitzeugenbericht, der 90 Jahre verschollen war!
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I.
Die »Eiserne Faust«
Es war eine sonderbare Zeit, das Jahr 1919. Seit einem Jahr war Deutschland eine Republik, aber man merkte nicht viel davon. In Berlin saß ein Reichspräsident, und der Reichstag hatte auf dem Papier alle Macht im Lande. In Wirklichkeit aber herrschten die Offiziere. Nicht einmal die Generäle, sondern die Oberstleutnants und Majore. Die alten Herren konnten sich in die sonderbare Zeit doch nicht so recht finden, aber ihre Gehilfen aus den mittleren Chargen begriffen jetzt erst richtig, warum sie nicht ein Jahr zuvor auf den Stufen des Thrones, den Degen in der Faust, für ihre respektiven Landesväter heldenmütig in den Tod gegangen waren. Ein schöneres Leben als in der Republik konnten sie sich gar nicht wünschen. Überall im Lande saßen sie, die Majore und Oberstleutnants, und hatten ihre Büros. Man nannte das passenderweise Stäbe, denn das klingt militärischer. Von dort aus regierten sie irgendein Freikorps, ein eisernes Bataillon oder eine Einwohnerwehr und mit ihnen regierten sie das Land und ließen sich von den Ministern den Buckel lang rutschen. In Bayern war das nicht anders als in Mecklenburg oder Pommern, eher noch schlimmer. Dort hielt die ganzen militärischen Fäden ein noch junger Mann in der Hand, der noch nicht einmal Major war, sondern erst Hauptmann. Er hieß Ernst Röhm. Dieser Röhm hatte nur einen Gedanken, er wollte in Bayern eine illegale Armee aufstellen, die stark genug wäre, um die Republik zu stürzen. Obgleich er selbst rein militärisch dachte, obgleich er von anderen Dingen als dem Kommiß kaum etwas verstand und zumal Politik ihm ein Gräuel war, sah er doch ein, daß er für seine schwarze Armee irgendeinen politischen Vorspann brauchte. Lange fand er nicht das Richtige, bis ein Zufall ihm das Gewünschte in den Weg führte. Röhm hatte mit mehreren Offizieren und sonstigen Gesinnungsgenossen einen geselligen Kreis gebildet, in dem allerhand dunkle Sachen ausgeheckt und bedenkliche Unternehmungen vorbereitet wurden, von denen nachher noch die Rede sein wird. Er führte den schönen Namen: die »Eiserne Faust«. Man kam in der Wohnung eines Kameraden namens Römer zusammen. In diesen Kreis brachte eines Tages jemand einen dreißigjährigen Gefreiten mit, der trotz geringen Ranges als etwas Gehobenes gelten konnte, denn er war bei dem Freikorps des Generals Epp auf der Pressestelle beschäftigt. Diese sogenannten Pressestellen waren halb Spionage-, halb Reklameabteilungen, die für die Popularität des Freikorps zu sorgen hatten. Das Spionieren und das Reklamemachen waren also das Geschäft des jungen Gefreiten, der da zum ersten Mal mit dem Hauptmann Röhm bekannt wurde. Er hieß Adolf Hitler. Wie Hitler den »Völkischen Beobachter« kaufte
Von da ab machten beide ihren Weg gemeinsam. Sie traten ziemlich gleichzeitig in eine winzige Partei ein, die sich damals noch »Deutsche Arbeiterpartei« nannte und unter der Führung eines gewissen Drexler stand. Hitler bekam in dieser Partei die Abteilung »Propaganda« zugewiesen, veranstaltete große Versammlungen, wurde ein beliebter Redner und schwang sich allmählich zum Führer der Partei auf. Dazu brauchte er aber Geld. Dieses besorgte ihm nun sein Freund Röhm, der sich auch in der Partei mehr im Hintergrund hielt, dafür aber eine andere wichtige Aufgabe leistete: er führte ihr Mitglieder zu, und zwar nicht beliebige, sondern Reichswehroffiziere und Soldaten. Auf diese Weise bekam die Deutsche Arbeiterpartei, die sich bald Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei nannte, die richtigen Leute für den Zweck, den Röhm mit ihr vorhatte. Ihm lag nicht so viel an einem Verein, in dem schöne Reden gehalten wurden, sondern er wollte ein neues Freikorps haben, das für seine primitiven politischen Absichten brauchbarer sein sollte, als es die andern Korps bisher waren. Hierfür schien ihm Hitler gerade der richtige Mann. Da eine richtige Partei aber auch eine Zeitung braucht, so sorgte Röhm dafür, daß Hitler eine bekam. Ein kleines antisemitisches Winkelblättchen stand 1921 zum Verkauf. Röhm besorgte mit Hilfe seines Chefs, des Generals v. Epp, bei der bayerischen Industrie 60 000 Mark und das Blatt wurde für die nationalsozialistische Partei gekauft. Das Blättchen hieß »Völkischer Beobachter«. Drei Monate Gefängnis
Röhm und Hitler haben dann in guten und bösen Tagen viele Jahre lang zäh zusammengehalten. Röhm war bis 1923 immer der einflußreichste Berater des kommandierenden Generals der bayerischen Reichswehr und namentlich auch des bayerischen Infanterieführers, des Generals von Epp. Die nationalsozialistische Partei war damals nichts anderes als eine Filiale der bayerischen Reichswehr. Röhm sorgte dafür, daß sie Mitglieder aus den Offizieren und Soldaten bekam, daß sie eine SA bekam, daß sie Geld bekam und daß sie den Schub vor Polizei und Staatsanwalt bekam, den sie äußerst nötig hatte. Denn diese Nazis gingen auf die Straße, überfielen in Haufen einzelne Gegner oder auch ganz harmlose Menschen und verprügelten sie. Hitler selbst drang einmal ohne allen Grund mit einem seiner Haufen in eine politische Versammlung ein und prügelte den Redner vom Podium herunter; dafür bekam er drei Monate Gefängnis. Französisches Geld
Es kamen auch noch dunklere und verdächtigere Sachen vor. Im Jahre 1922 wurden in einem großen Hochverratsprozeß mehrere Münchner Politiker zu Zuchthaus verurteilt, weil sie mit Hilfe Frankreichs Bayern vom Deutschen Reiche hatten losreißen wollen; dabei waren sie mit Geld von dem französischen Obersten Richert unterstützt worden. Dieser Oberst Richert hatte damals seinen Sitz in Saarbrücken und reiste häufig nach Bayern, um dort die separatistischen Bestrebungen zu schüren. Einer der angeklagten Separatisten war der Redakteur Machhaus vom »Völkischen Beobachter«. Er hat sich an seinem Hosenträger in seiner Zelle erhängt – angeblich selbst erhängt. Bis heute wollen die Gerüchte nicht verstummen, daß seine ehemaligen Kameraden ihm diesen Henkersdienst besorgt haben, weil sie seinen Verrat fürchteten; man begreift ja auch sonst nicht, warum dem Machhaus sein Hosenträger gelassen worden sein soll, während sonst den Gefangenen alle derartigen Sachen abgenommen werden. Fest steht: einer der engsten Mitarbeiter Hitlers hat 1922 mit französischem Gelde in Bayern Separatismus betrieben und ist dann auf rätselhafte Weise ums Leben gekommen. Im Oktober 1923 besuchte der englische Unterhausabgeordnete Morel das in vollem politischen Aufruhr befindliche, von Hitler terrorisierte München. Diktator Bayerns war damals der Generalstaatskommissar Dr. Gustav von Kahr. Da der bayerische Diktator kein Englisch verstand, war als Dolmetscher der Kapitänleutnant a. D. Richard Wenig zugegen. Über die Unterredung zwischen Morel und Kahr hat Wenig im Februar in einem politischen Beleidigungsprozeß als Zeuge unter Eid eine sehr interessante Angabe gemacht. Er berichtete: »Morel sagte wörtlich: Ich möchte Ihnen mitteilen, daß meine in hohen Stellungen befindlichen Pariser Freunde, darunter ein Mitglied des französischen Kabinetts, mir aufs bestimmteste erklärt haben, daß ein großer Teil des Geldes, das Hitler erhält, aus französischer Quelle stammt. Das Geld geht durch acht bis neun Stellen über das besetzte Gebiet.« Nun, auch das Geld des Obersten Richert ging über das besetzte Gebiet, und einer seiner Empfänger war Hitlers Redakteur Hugo Machhaus. Morel ist inzwischen gestorben. Hugo Machhaus, der vielleicht etwas hätte erzählen können, wurde an seinem Hosenträger erhängt aufgefunden. Aber Röhm lebte, und Gustav von Kahr lebte. Kahr wußte bestimmt etwas und wir sagten schon, daß auch Röhm von diesen Dingen schwerlich etwas verborgen geblieben ist. Die Zusammenhänge zwischen dem Obersten Richert, dem Redakteur Machhaus und den anderen bayerischen Separatisten hat er sehr genau gekannt, denn die Gelder sind, wie im Prozeß nachgewiesen wurde, auch an einen Wehrverband gegangen, der gleichfalls von Röhm kontrolliert wurde. Jetzt sind diese beiden Mitwisser tot. Und mit Röhm starben alle Vertrauten seines Kreises, die möglicherweise ebensoviel wissen konnten wie er. Darum starb nicht nur Heines, den Röhm nach seinem eigenen Geständnis geliebt hat und der noch aus eigenem von den Anfangszeiten der Bewegung her, aus der Periode des Freikorps Roßbach, vieles wußte; darum wurde sogar ein Mann wie Ernst noch vom Schiffssteg heruntergeholt, damit er sein gefährliches Wissen nicht ins Ausland bringe. Die Frage »Hat Adolf Hitler französisches Geld genommen?« werden sie nicht mehr beantworten. Die Flucht an der Feldherrnhalle
Gerüchtweise sind außer Kahr anfangs auch der General a. D. von Lossow und der ehemalige Polizeioberst Seisser als tot gemeldet worden. Kahr, Lossow und Seisser bildeten im Jahre 1923 das Triumvirat, das den Hitlerputsch niederschlug. Hitler hatte die drei Männer mitten in einer politischen Versammlung zusammen mit dem heutigen Minister Heß überfallen, während Röhm und Göring an der Spitze der SA die Stadt besetzten. Er hatte sie mit vorgehaltener Pistole gezwungen, zusammen mit ihm eine ziemlich alberne Proklamation zu erlassen, in der die Reichsregierung und der damalige Reichspräsident Ebert für abgesetzt erklärt wurden. Aber sobald sie wieder frei waren, hatten die drei ein paar Handvoll Truppen zusammengezogen und mit diesen wenigen Mann am nächsten Tage das ganze, nach Tausenden zählende Rebellenheer zusammengeschossen. Vor einem Häuflein Polizisten nahm die ganze SA Reißaus. Und Hitler war dabei der erste, worüber wir Zeugenaussagen vor dem Untersuchungsrichter besitzen. »Sobald das Feuer schwieg, stand Hitler als erster auf und lief nach...