Eine Sommerreise
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-99027-165-0
Verlag: Jung u. Jung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lafcadio Hearn, 1850 als Sohn einer Griechin und eines Iren auf Lefkas geboren, wuchs bei Verwandten in England auf, ehe er als junger Mann mittellos nach Amerika geschickt wurde. Er lebte als Journalist und Autor in Cincinnati und New Orleans, später in New York, dazwischen länger auf den französischen Antillen. 1890 wurde er als Korrespondent nach Japan entsandt. Er heiratete eine Japanerin, nahm die japanische Staatsbürgerschaft an und arbeitete zunächst als Lehrer, später als Professor für englische Literatur in Tokio, wo er 1904 starb.
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VIII
Von der Bucht aus gesehen, unter dem grünen Schatten der darüber aufragenden Berge, sieht Frederiksted8 wie eine schöne spanische Stadt aus, mit seinen romanischen Piazzas, Kirchen, vielen gewölbten Gebäuden, die hinter einer Reihe aus Mahagoni-, Brotfrucht- und Mangobäumen sowie Tamarinden und Palmen hervorlugen – eine unregelmäßige Ansammlung aus mindestens fünfzig verschiedenen Farben, von feurigem Smaragdgrün bis zu einem trüben Bläulichgrün. Setzt man jedoch einen Fuß auf die Straßen, schwindet die Illusion von Schönheit: Man befindet sich in einer zerfallenden, verrottenden Stadt, mit Gebäuden, die lediglich zwei Stockwerke hoch sind. Der untere Teil, in gewölbtem spanischem Stil, ist gewöhnlich aus Lavastein oder Backstein, die Wände sind in einem hellen, warmen Gelb gestrichen; die Steine der oberen Stockwerke sind meist ungetüncht und grob aus einem hellen Holz gefertigt. Es gibt viele wuchtige Arkaden und Höfe, die sich zur Straße hin öffnen, mit großen Torbögen. Lavablöcke werden sowohl als Pflastersteine als auch zum Bauen verwendet; und mehr als eine der schmalen Straßen, die im Sonnenglanz den Hang hinaufführen, ist erkennbar durch zerfurchte Massen von Vulkangestein gehauen. Doch alle Häuser sehen baufällig aus; überall bröckelt der Verputz, und die Farbe blättert ab; sind Risse in den Wänden, zerfallende Fassaden, eingestürzte Dächer. Die unteren Stockwerke, so solide gebaut, als müssten sie für Erdbebengebiete taugen, wirken ungewöhnlich massiv im Gegensatz zu den zerbrechlichen Überbauten aus Holz. Ein Grund dafür mag sein, dass die Stadt 1878 während eines Sklavenaufstands niedergebrannt und geplündert wurde; – die spanischen Fundamente hielten dem Feuer stand, und man hatte es für nötig gehalten, nur die oberen Stockwerke der Häuser neu zu bauen; doch wurde die Arbeit billig und dürftig ausgeführt, nicht massiv und stabil, wie von den ersten kolonialen Baumeistern. Die Vegetation ist äußerst üppig. Kohl- und Kokospalmen überragen all die Straßen, beugen sich über so gut wie jedes Bauwerk, ob Hütte oder öffentliches Gebäude; – überall sieht man das gespaltene Grün von Bananenblättern. In den Innenhöfen erblickt man gelegentlich eine herrliche Palme mit silbergrauem Stamm, dessen reifenartige Gliederung an einen Regenwurm erinnert. Auf dem Marktplatz – einem großen gepflasterten Platz, der von zwei Reihen Tamarinden gekreuzt und an einer Seite von einer spanischen Piazza begrenzt wird – kann man ein wildes, malerisches Schauspiel beobachten. Es gibt keine Bänke, keine Stände, keine Buden; die Verkäufer stehen, sitzen oder hocken in der prallen Sonne am Boden oder auf den Stufen der angrenzenden Arkade. Die Waren sind größtenteils zu ihren Füßen aufgehäuft. Einige haben kleine Tische, doch für gewöhnlich werden die Nahrungsmittel einfach auf den staubigen Boden gelegt oder auf den Stufen der Piazza aufgehäuft – rötlichgelbe Mangos, die wie große, unförmige Äpfel aussehen, Bananenbüschel, Pyramiden aus hellgrünen Kokosnüssen, riesige gold-grüne Orangen und verschiedene andere Obst- und Gemüsesorten, die nördlichen Augen vollkommen fremd sind … Fragen zu stellen ist zwecklos – die schwarzen Verkäufer sprechen keinen Dialekt, den man außerhalb der Antillen verstehen kann; es ist ein Negerenglisch, das wie eine afrikanische Sprache klingt – ein sprudelnder Schwall aus Vokalen und Konsonanten, die so rasch hervorströmen, dass das unerfahrene Ohr kein verständliches Wort heraushören kann. Mithilfe eines freundlichen Weißen, der zufällig des Wegs kam, lernte ich einen Satz: »Massa, youwancocknerfoobuy?« (Master, möchten Sie eine Kokosnuss kaufen?) Der Markt ist ziemlich gut besucht – voll leuchtender Farben unter dem ungeheuren Mittagslicht. Käufer und Verkäufer sind im Allgemeinen schwarz – unter all den Menschen sieht man nur sehr wenige gelbe und braune. Die Mehrzahl der Anwesenden ist weiblich; die Frauen sind sehr schlicht gekleidet, fast wie Wilde – nur mit Rock oder Unterrock, über dem sie eine Art kurzes Kalikokleid tragen, das kaum zwei Zoll unterhalb der Hüfte endet und um die Taille von einem Gürtel oder einer Schnur zusammengehalten wird. Der Rock bauscht sich wie der Rock einer Tänzerin, sodass die Füße und nackten Beine gut zu sehen sind; und der Kopf ist bedeckt von einem weißen Tuch, das so verdrillt wird, dass es wie ein Turban aussieht. Scharen dieser schwarzen Frauen mit nackten Beinen gehen an uns vorbei – tragen Bündel oder Körbe auf dem Kopf und rauchen sehr lange Zigarren. Sie sind meist klein und korpulent und schreiten erstaunlich aufrecht und mit langen, entschlossenen Schritten einher, wobei sie die Brust weit vorstrecken. Ihre Glieder sind kräftig und zart gerundet. Ob sie gehen oder stehen, ihre Haltung ist bewundernswert – man könnte sie anmutig nennen, fehlte es den kompakten, kräftigen kleinen Gestalten nicht an echter Anmut. Alle tragen leuchtend bunte Baumwollstoffe, und die allgemeine Wirkung der Gewänder in einer großen Menschenmenge ist äußerst gefällig, die vorherrschenden Farben sind Rosa, Weiß und Blau. Die Hälfte der Frauen raucht. Alle schwatzen laut, sprechen ihren englischen Dialekt in einer Tonlage, die sich gänzlich von der englischen Klangfarbe unterscheidet: Manchmal klingt es, als versuchten sie, mit hoher Stimme in französischer Aussprache schnell Englisch zu sprechen. Diese grünen Orangen riechen köstlich und sind erstaunlich saftig. Eine zu schälen, reicht aus, um sich für den Rest des Tages die Haut der Hände zu parfümieren, egal wie oft man Wasser und Seife benutzen mag … Wir rauchen Porto Rico Zigarren und trinken westindische Limonaden mit einem guten Schuss Rum. Der Tabak hat einen vollen, süßen Geschmack; der Rum ist samtig, zuckrig und hat eine angenehme, beruhigende Wirkung: Beides hat ein starkes Aroma. Der Geschmack dieser Waren ist von einer gesunden Originalität, einer Einzigartigkeit, die ihre naive Reinheit bezeugt: ebenso üppig und offenherzig wie die Säfte und Gerüche tropischer Früchte und Blumen. Die Straßen, die von dem Platz wegführen, schimmern grell im starken Sonnenlicht; – der Boden, fast völlig weiß, flimmert in den Augen … Man sieht nur wenige hübsche Gesichter – alle auf den Straßen sind schwarz. Doch durch offene Ladentüren erhascht man gelegentlich einen Blick auf ein schönes Quadroongesicht9 – mit riesigen schwarzen Augen –, ein Gesicht, gelb wie eine reife Banane. … Jetzt ist es kurz nach Mittag. Blickt man hinauf zu den Bergen oder die abschüssigen Straßen zur Küste hinunter, trifft das Auge auf wunderbare Variationen von Pflanzenfarben: goldgrün, saftiggrün, blau- und metallischgrün in vielen Schattierungen, rötlichgrün, gelblichgrün. Die Zuckerrohrfelder sind weite Flächen aus schönem Goldgrün; und fast ebenso hell leuchten die Massen von Zimtapfel-Blättern, die Zitronen- und Orangenbaumhaine; während Tamarinden und Mahagonibäume ernst und düster erscheinen. Überall ragen Palmwipfel über den Wäldern auf und zittern metallisch schimmernd im blauen Licht. Aus einem massigen Dickicht aus Tamarinden ragt der Kirchturm; ein Skelett aus offenem Mauerwerk, ohne Fensterscheiben oder Gitter oder irgendeine Verkleidung an seinen kahlen Öffnungen; alles ist offen für die Winde des Himmels; es scheint mit all seinen Granitmündern nach Luft zu schnappen – in der azurblauen Hitze zu keuchen. In der Bucht sieht das Wasser grüner aus denn je: Es ist so klar, dass das Licht unter jedem Boot und Schiff bis zum Meeresgrund hinab dringt; die Schiffe werfen nur sehr dünne grüne Schatten – es ist so klar, dass man deutlich sieht, wie Fische von Sonnenlicht zu Sonnenlicht hindurch eilen. Der Sonnenuntergang bietet ein prachtvolles Spektakel aus reinen Farben; da ist nur ein ungeheures gelbes Glühen im Westen – ein zitronenfarbenes Lodern; doch wenn es in das Blau zerfließt, entsteht ein herrliches grünes Licht … Wir fahren am nächsten Tag ab. … Morgen: Die grünen Berge ragen in einen bläulichen Nebel: Auf dem langen, blassgelben Hang am Strand zur Linken der Stadt, unter den Mangobäumen und Tamarinden, wimmelt es bereits von Badenden – alles Männer oder Knaben, alle nackt: schwarz, braun, gelb und weiß. Die weißen Schwimmer sind dänische Soldaten aus den Kasernen; die nordische Helligkeit ihrer Haut bildet einen beinah erschreckenden Kontrast zu den dunklen Farben der Natur ringsum und zu den dunklen Gesichtern der Eingeborenen. Einige sehr schlanke, anmutige braune Burschen schwimmen mit ihnen – sie sind von leichter Statur wie Rotwild: wahrscheinlich Kreolen. Einige der schwarzen Badenden wirken schwerfällig und haben merkwürdig lange Beine … Dann kommen kleine Jungen herunter, Pferde führend; – sie ziehen sich aus, springen...