E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Hantke / Görges Traumasensible Supervision
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7495-0217-2
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Begleitung in der Krise
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0217-2
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Supervision als traumasensibles Lernfeld Krisen gehören zum Alltag und stellen besondere Anforderungen an die Gestaltung von Beratungsprozessen. Traumasensibles Handeln fängt in der Krise an: Blockierungen auflösen, Verarbeitung ermöglichen und (unbekannte) Ressourcen mobilisieren heißt, Traumafolgen zu verhindern. Der Supervision kommt die Rolle zu, eine Draufsicht zu ermöglichen. Dafür braucht es Hintergrundwissen zur Traumaverarbeitung, Spannungsregulierung und zum Ausstieg aus Krisendynamiken sowie Handwerkszeug und neue Ideen. All das bietet dieses Buch. Die Autorin und der Autor beschreiben Standards, die in allen Bereichen der traumasensiblen Arbeit Anwendung finden. Sie arbeiten die Spezifika für die Metaebene der Supervision heraus und zeigen anhand vieler Beispiele und Übungen auf, wie Supervision zum traumasensiblen Lernfeld werden kann. Inhalte: - Verarbeitungsblockaden erkennen und auflösen - mit Ängsten, Wut und Hilflosigkeit umgehen - gemeinsam ein sicheres Hier und Jetzt herstellen - ungewöhnliche Ressourcen aus unbekannten Kontexten sammeln - Dynamiken im Team in die Erklärung einbinden - vertraute Techniken traumasensibel überprüfen
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Familientherapie, Paartherapie, Gruppentherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Kognitionspsychologie Emotion, Motivation, Handlung
Weitere Infos & Material
Vorwort
Im vorliegenden Buch möchten wir Ihnen einen Ansatzpunkt, viele Ideen und einige Tools dafür vorstellen, wie Sie Ihre gewohnte Supervisionspraxis ergänzen können – um Elemente, die sie zu einer Praxis machen, die traumasensibel genannt werden kann. Traumasensibilität, so unsere Überzeugung, die sich in zwei Jahrzehnten Lehrtätigkeit und Supervision gefestigt hat, ist in allen supervisorischen Ansätzen, in allen Feldern unserer Arbeit von unschätzbarem Wert. Sie fördert die Verarbeitung von belastenden Erfahrungen und erleichtert den Umgang mit Krisen. Dies ist kein Lehrbuch für eine traumaspezifische Supervisionsausbildung, sondern ein Buch für alle, die schon Erfahrung im supervisorischen Handwerk gewonnen haben, dies aber um einige neue Pfeiler erweitern wollen, um dem allfälligen Thema Traumatisierung gerecht zu werden, ohne Expert*innen in Traumadiagnostik und -behandlung zu sein oder werden zu müssen. Dass dies bedeuten kann, liebgewordene Gewohnheiten, Methoden oder Sichtweisen zu hinterfragen oder gar zu verändern, sei hier warnend vorangestellt. Seit der ersten Idee hat sich das Thema des Buches und damit das Buch selbst verändert und entwickelt. Das geschah entlang der uns umgebenden Realitäten. Ursprünglich wollten wir die traumasensible Arbeit, wie wir sie in dem neuen Curriculum für ausgebildete Supervisor*innen vermitteln, darstellen und zusammenfassen. Das Buch sollte zum einen ein kleines Nachschlagewerk für die Kolleg*innen aus den Weiterbildungen sein, um das Gelernte noch einmal aufrufen zu können. Zum anderen hätte es für gestandene Supervisior*innen eine Möglichkeit bieten können, sich den Tools und der Grundhaltung, die wir vermitteln wollen, anzunähern und sich eingehender mit den Fragestellungen und Herausforderungen traumasensibler Arbeit auseinanderzusetzen. Viele Menschen nutzen ja auch unser weiterbildungsbegleitendes Handbuch Traumakompetenz erfolgreich als Nachschlagewerk für „Neulinge“ und „alte Hasen“ (Hantke & Görges 2012). Doch schnell war klar: Dieser Ansatz reicht nicht mehr, wir müssen weiter und anders denken. Da ist zum einen das, was unter dem Schlagwort „Klimawandel“ zusammengefasst werden kann. Auswirkungen menschlichen Handelns, die sich in anderen Ländern und Gegenden bereits sehr viel deutlicher zeigen als bei uns: Überschwemmungen, Stürme, Trockenheit, Brände, Heuschreckenplagen etc. In die Planungen zu diesem Buch fielen zum anderen ein weiterer langer und sehr heißer Sommer und die Aktivitäten von Fridays for Future und Extinction Rebellion. Wir hatten den zwingenden Eindruck, unsere Arbeit in einen neuen Rahmen stellen zu müssen. Welche Rolle wollen wir einnehmen? Es kann ja nicht angehen, dass wir den Umgang mit unserer Zukunft auf private Entscheidungen wie Flugverzicht und eine Umstellung auf vegane Ernährung reduzieren. Wo kommt unsere Profession, der traumasensible, hypno-systemisch geleitete Diskurs ins Spiel? Wie lässt sich die Klimawende in unserer Arbeit abbilden? Wie lässt sich die Permanenz von Krisen und Umwandlungsprozessen, in denen kein Status quo mehr fixiert werden kann, traumasensibel wahrnehmen, darstellen und supervisorisch begleiten? Wie kann man einen Über-Blick gewinnen, wenn nach und nach unsere gewohnten Lebensgrundlagen wegbrechen? Diese Veränderungen treffen uns – wieder einmal – nicht alle gleich. Ständiger Wandel und existenzielle Bedrohung sind nur für einen kleineren Teil der Menschheit neue Herausforderungen. Der weit größere Teil ist bereits permanent mit unabsehbaren Veränderungen und lebensbedrohlichen Situationen konfrontiert – und oft genug hängen diese von Entscheidungen und dem Lebensstil des kleineren Menschheitsteils ab. Ob als Geflohene aus allen Kontexten vertrieben oder als Reisbäuerin hinweggeschwemmt: Welche Copingstrategien haben diese Menschen entwickelt? Was können wir lernen, wenn wir den Kontakt aufnehmen – zu unseren eigenen Privilegien und Positionen und zu denen, die oft genug davon abhängig sind bzw. darunter leiden? Können wir noch gemeinsam lernen, wenn wir uns der Unterschiede bewusster sind? Können wir lernen, sie zu nutzen? Wir müssten uns zunächst der Notwendigkeit stellen, unsere eigene limitierte und limitierende Position wahrzunehmen: als mittelständische weiße Bio-Deutsche mit Hochschulzugang – „Mehrheitsgesellschaft“ und immer noch diskursbestimmend. Wir müssten uns der Limitiertheit unserer Ansätze und Möglichkeiten klar werden und mit der Angst umgehen, die das verursacht; uns Offenheit erarbeiten und einen Umgang mit Infragestellung, Schuldgefühlen, Privilegien. Nachfragen, ob wir fragen dürfen, welche Bewältigungsmechanismen uns helfen könnten, ob wir uns etwas abschauen dürfen … Angesichts dieser Themen und Fragen scheint das Thema Supervision weit hinten zu stehen. Wie soll in einem Szenario, das sich jeder Einschätzung und Einordnung in Gewohntes verweigert, Übersicht entstehen und eine Draufschau möglich sein? Wir zweifelten also generell am Sujet und zogen die ersten neuen Samen auf der Fensterbank, als das Coronavirus sich selbstständig machte. Wir kauften Solarpaneele. Gummistiefel für die Enkel. Gute Fahrräder. Stellten die Weiterbildungen auf online um und richteten uns ein. Eine neue Normalität wurde etabliert und wir gehörten zu denen, deren Ressourcen und Privilegien Anpassung ermöglichten. Das meiste ging weiter. Auch die Supervision. Gerade noch hatten wir versucht uns vorzustellen, wie die ganz große Krise supervisorisch konzeptualisiert werden könnte, und schon waren wir mittendrin: In einer bis dato noch sehr leichten Form, einer scheinbar homöopathischen Dosis der zu erwartenden Krise(n), in der wir unsere eigene Reaktion wahrnehmen und die unseres Klientels beobachten und begleiten konnten. Traumasensible Supervision in der Krise war jetzt in allen unseren Arbeitskontexten präsent, denn plötzlich war alles unsicher: das Setting, die Art des Kontakts, die benötigten Ressourcen und die Frage, wo das alles hinführen soll. Im Tun selbst, in der Suche wurde deutlich: Längst hatten wir die Spur aufgenommen, den Zusammenhang im Handeln hergestellt. Supervison in der Krise muss traumasensibel sein. Denn in unserem Verständnis heißt traumasensibel vor allem, präventiv zu handeln, Traumafolgestörungen zu verhindern. Die dissoziationsbasierte Traumatheorie, die wir Ihnen hier vorstellen möchten, ist vor allem eine Theorie der Verarbeitung. Krisen fordern unsere Verarbeitungskapazitäten heraus. Hier entscheidet sich, ob eine Neuorientierung gelingt. Hier entscheidet sich aber auch, wie wir mit den Symptomen aus der Überforderung umgehen. Wenn die Krise alle umfasst, ein Ende nicht in Sicht ist, muss Supervision neu gedacht und auf neue Weise durchgeführt werden. Der analytische Blick muss neu definiert werden, wenn ein Überblick nicht möglich ist. Wir müssen den Bestand überprüfen, die Lagerware aussortieren und zielgerichtet neue Ressourcen hereinnehmen und ausprobieren. Damit wollen wir hier anfangen. Wir wissen nicht, wie das alles aufzulösen ist. Wenn diese Zeilen geschrieben sind, werden sie kein endgültiges Konzept abgeben. Es ist ja gerade das Wesen der Krise, dass wir uns immer wieder neu bestimmen. Was Sie hier lesen ist also – Stand heute – unser Beitrag in einem neuen Diskurs, und unser Augenmerk wird darauf liegen, wie wir eine Krise, deren Ende nicht absehbar ist, traumasensibel fassen können, wie trauma- und krisensensible Standards formuliert werden können, die offen bleiben für Veränderung. Ausgangspunkt dieser Annäherung sind wir selbst, mit unseren jeweiligen Standpunkten. Wir können keine Antworten erwarten, wenn wir nicht bereit sind, uns infrage zu stellen bzw. stellen zu lassen. Und mit der traumasensiblen Brille betrachtet: Wir können nicht integrieren, wenn wir uns nicht klar werden, was unsere alten Muster sind – soziopolitisch wie traumaassoziiert. Was Sie in diesem Buch finden Es geht uns darum, den Supervisionsprozess um grundlegende Variablen eines ressourcenorientierten Verständnisses dessen zu bereichern, was die neuere Traumatheorie und -praxis an Erkenntnissen bereithält. Diese Erkenntnisse beziehen sich nicht nur auf Menschen, die eine traumaassoziierte Diagnose bekommen haben. Denn: Die dissoziationsfundierte Traumatheorie, die die Diskurse seit etwa 30 Jahren zunehmend bestimmt, ist keine Störungs-, sondern eine Verarbeitungstheorie. Und egal, was in unserem Leben passiert: Wir verarbeiten – wir alle. Mit diesem Buch wenden wir uns an diejenigen, die in der Beratungs-, Coaching- und Supervisionsarbeit vor allem indirekt mit Menschen arbeiten, die hohen Belastungen ausgesetzt waren und / oder es noch sind. Doch in vielen Fällen gehören auch Ihre Supervisand*innen zu diesen Belasteten, aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen oder eigener Hintergründe und Zusammenhänge. Auch Sie selbst sind nicht gefeit gegen Überlastung, haben Ihre eigenen Motive für diese Arbeit. Und je tiefer sich die Krisen auch in unsere Gesellschaften fressen, desto deutlicher wird es zu einer Querschnittsaufgabe, Verarbeitung fördern und Traumatisierung vorbeugen zu können. Wir selbst sind seit vielen Jahren als Supervisor*innen und ebenso lange als Weiterbildner*innen in traumasensibler Arbeit tätig. Unsere Supervisionsprozesse definieren wir schon lange als traumazentrierte Supervision, weil ein Bezug zur Theorie der Verarbeitung von Belastungen für uns eine notwendige Basis fast aller Prozesse ist. Denn schließlich soll Supervision genau dies gewährleisten: ein leichteres, flüssigeres, integrierteres Handeln....