E-Book, Deutsch, 398 Seiten
Reihe: Systemische Therapie
Hanswille / Kissenbeck Systemische Traumatherapie
5. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8497-8365-5
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Konzepte und Methoden für die Praxis
E-Book, Deutsch, 398 Seiten
Reihe: Systemische Therapie
ISBN: 978-3-8497-8365-5
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Reinert B. Hanswille, Diplom-Pädagoge, ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Traumatherapeut, Paar- und Familientherapeut, Supervisor, Lehrtherapeut und Lehrsupervisor u. a. bei der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) und EMDR-Therapeut (EMDRIA). Er arbeitet in der Aus- und Weiterbildung von Familien- und Traumatherapeuten und leitete bis 2021 das Institut für Familientherapie, Systemische Supervision und Organisationsentwicklung (ifs) in Essen. Außerdem ist er Ausbildungsleiter der ersten staatlich anerkannten Ausbildungsstätte und des Ausbildungsgangs 'Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie im Vertiefungsgebiet Systemische Therapie'. Daneben ist er in eigener Praxis für Traumatherapie und Systemtherapie tätig. Berufspolitisch engagiert er sich in unterschiedlichen Verbänden und Gremien mit dem Ziel der sozialrechtlichen Anerkennung der systemischen Therapie. Zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themen Systemische Traumatherapie, Familien- und Sexualtherapie. Annette Kissenbeck ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Pädiatrie, Lehrtherapeutin bei der Deutschen Gesellschaft für Systemische Forschung (DGSF), Psychotraumatherapeutin, EMDR-Therapeutin und Supervisorin. Sie arbeitet in eigener Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie sowie in der Fort- und Weiterbildung für systemische Kinder- und Jugendtherapeuten und Traumatherapeuten.
Zielgruppe
Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichentherapeuten, Ärzte, psychosoziale Berufsgruppen
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Systemische Beratung & Therapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
Weitere Infos & Material
Vorwort
Der Bereich der Therapie von KlientInnen, deren Beschwerden als Ausdruck schwerer Traumatisierungen erklärt und beschrieben werden, hat in den letzten 20 Jahren eine Entwicklung genommen, die man sinnbildlich fast als Flutwelle bezeichnen könnte. Zuvor war dies ein vergleichsweise eher unterbelichtetes Feld – was erstaunlich ist, denn die Zahl von Interaktionen und Erfahrungen, die als traumatisierend wirken können, war sicher nicht geringer als heute. Aus meiner Sicht lässt sich die Tatsache, dass etwa das schmerzliche Thema des »sexuellen Missbrauchs« an Kindern endlich wieder als real erlittenes Phänomen ernst genommen wurde, auch schon zu einem beträchtlichen Teil auf die systemische, familientherapeutische Arbeit zurückführen. (Den Begriff »sexueller Missbrauch« halte ich für sehr unglücklich, weil er implizieren könnte, dass es einen sexuell passenden »Gebrauch« geben könnte, und das halte ich an sich schon für nicht akzeptabel.) In der Geschichte der Psychotherapie waren solche Themen ja über viele Jahrzehnte eher als Ausdruck neurotischer Fantasien von KlientInnen bewertet worden, nachdem Freud sich entschlossen hatte, dieses brisante Thema doch lieber als Ausdruck individueller Störung zu behandeln – wohl auch deshalb, um im Wien der Jahrhundertwende nicht noch mehr anzuecken.
Die systemische Arbeit sieht individuelles Erleben als ernst zu nehmenden Ausdruck von kontextbezogenen Prozessen und berücksichtigt damit immer auch die Perspektive, dass es sich als adäquat verstehen lässt, wenn man nur den relevanten Kontext dafür auffinden kann. Sie hat dadurch ganz sicher entscheidend dazu beigetragen, dass Menschen, die durch solches Leid gegangen sind, entsprechend gewürdigt werden und dass man ihre Wahrnehmungsprozesse als Ausdruck von Kompetenz betrachtet, anstatt sie als neurotisch eingebildet abzuwerten.
Als Konsequenz aus der Traumadiskussion gibt es für Menschen, die als Opfer sexueller oder sonstiger Gewalt durch andere Menschen gelten, inzwischen sehr viele Angebote an diversen Formen der Psychotherapie. Für viele Problembereiche, auch gerade für solche, die als besonders »schwierig« gelten, haben sich systemische Konzepte als sehr wirksame Hilfen bewährt (siehe auch v. Sydow et. al. 2007, Simon 2008, Schmidt 2004). Erstaunlicherweise fehlte es aber bisher an fundierter Literatur zur systemischen Therapie von Traumata, obwohl in diesem Bereich in der Praxis längst mit systemischen Konzepten gearbeitet wird.
Um so erfreulicher und verdienstvoller finde ich, dass dieses Buch nun endlich vorliegt. Es schließt die skizzierte Lücke in der Literatur auf eine Weise, die ich als äußerst nützlich und hilfreich für die Betroffenen selbst, ebenso aber auch für die Angehörigen und für die potenziellen »Helfer« halte. Bedingt durch die Tradition vieler bis heute vorherrschender Therapieansätze, die auf der Basis von Pathologie- und Defizit-Konzepten arbeiten, herrscht im Bereich der Trauma-Arbeit noch immer die Sichtweise vor, dass Menschen, die unter Traumatisierungen leiden, sehr fragil, kaum belastungsfähig und häufig sowohl psychisch als auch somatisch äußerst labil seien. Auch wenn dies oft tatsächlich zu beobachten ist, drückt es nur einen Aspekt der Dynamik aus.
Leider geht mit dieser Sichtweise sehr oft (sicher gut gemeint) einher, dass man solche Menschen als stark gestörte »Patienten« und kaum die Möglichkeit in Betracht zieht, dass sie über vielfältige autonome und sehr hilfreiche Kompetenzen verfügen. Das traumatische Geschehen und seine leidvollen Folgen werden dabei sehr häufig als so zentraler Aspekt des Lebens der Betroffenen angesehen, dass wie mit einem »Röhrenblick« viele andere wesentliche Bereiche ihrer Fähigkeiten nahezu vollständig ausgeblendet werden.
In den letzten Jahren hat aber nun die Forschung in den Bereichen der Salutogenese (Gesundheitsentwicklung) und der Resilienz (die sich mit der Widerstandsfähigkeit und Lösungsfähigkeit von Menschen auch in Extremsituationen beschäftigt) deutlich zeigen können, dass selbst extreme Traumata und sehr leidvolle Reaktionen von Menschen auf sie keineswegs bedeuten, dass diese Menschen einen grundsätzlichen Mangel an Fähigkeiten aufweisen oder als grundsätzlich »gestörter« als andere Menschen angesehen werden müssten. Diese Erkenntnisse fließen zwar zunehmend auch in traumatherapeutische Konzepte ein, an der Beschreibung und Behandlung von als traumatisiert angesehenen Menschen als sehr schwierig und oft nur sehr langwierig zu therapierend hat dies bis heute allerdings wenig geändert.
Viele Definitionen und Erklärungskonzepte zur Trauma-Dynamik – auch manche, die aus den Ergebnissen der modernen Hirnforschung abgeleitet werden – wirken wie Wirklichkeitskonstruktionen, die allein die traumatischen Ereignisse selbst als die wirklichkeitsgestaltende Kraft (das gestaltende Agens) erscheinen lassen. Sie laden dadurch aber zu Perspektiven ein, die die Erlebenden eher als ausgelieferte Opfer ohne jede Gestaltungschancen erscheinen lassen. Das trägt zu Fokussierungen mit Ohnmachtserleben bei und kann leidvolles Erleben eher noch verstärken. Aus lösungsorientierter, hypnosystemischer Perspektive muss man dagegen unbedingt beachten, dass es auch nach den traumatischen Ereignissen viele Episoden im Erleben eines Menschen gibt, in denen es ihm/ihr relativ gut geht. Auch wenn dies nicht anhält, beweist es doch, dass im unbewussten Erlebnisrepertoire die Kompetenzen für eine andere Art des Umgangs mit dem leidvoll Erlebten vorhanden sind. Eine therapeutisch hilfreiche Arbeit muss – neben der Empathie für das Leid – genau dies in den Fokus rücken. So kann der Zugang zu den Selbstgestaltungsfähigkeiten der KlientInnen wieder schneller hergestellt werden. Auch hier muss beachtet werden (in Orientierung an den Autopoiese-Konzepten), dass nicht das Ereignis selbst etwas zum nachhaltig schlimmen Trauma macht, sondern die Art, wie es verarbeitet wird, und auf welche Beziehungsnetzwerke sich die Betroffenen nach dem Trauma stützen können. Hierin liegen viele Chancen für erfolgreiche Therapie. Ich halte es für ein großes Verdienst der Autoren, diesen Beziehungsaspekt und diese Ressourcenorientierung immer wieder herauszuheben.
Seit vielen Jahren zeigt unsere Arbeit ambulant (z. B. am Milton-Erickson-Institut Heidelberg) wie auch stationär (an der Fachklinik am Hardberg und an der SysTelios-Klinik für Gesundheits- und Kompetenzentwicklung, beide in Siedelsbrunn) mit großem Erfolg, dass Menschen mit Traumatisierungen über enorme Kompetenzen verfügen und deshalb auch keineswegs wie »Patienten« »behandelt« werden sollten, sondern als völlig gleichrangige, autonome Kooperationspartner mit vielen Stärken, trotz großen Leids, dem sie ausgesetzt waren. Ich werbe deshalb schon sehr lange um eine konsequente Haltung der Kompetenzorientierung und der Fokussierung auf die (oft zunächst unbewussten) Lösungsfähigkeiten der Betroffenen.
Das vorliegende Buch bietet für diese Sichtweise sehr viel und sehr überzeugendes Material, wofür ich den Autoren besonders dankbar bin. Es macht in sehr differenzierter und fundierter Form deutlich, dass bei aller Empathie und Wertschätzung des Leids der Betroffenen und ihrer Angehörigen die Aspekte der vielfältigen Kompetenzen unbedingt beachtet werden müssen – nicht nur bei den einzelnen KlientInnen selbst, sondern auch bei ihren Beziehungssystemen. Denn infolge der traditionellen, eher pathologieorientierten traumatherapeutischen Konzepte wurden und werden die Beziehungssysteme, besonders die Familien, wenn das traumatische Geschehen innerfamiliär auftrat, noch immer sehr oft als massiv gestörte, »kaputte Beziehungsruinen« beschrieben. Den KlientInnen selbst hilft das überhaupt nicht, sondern es schwächt sie eher und pfropft auf ihr ohnehin schon schlimmes Leid oft noch massive Loyalitätskonflikte auf. Dass in diesem Buch der Blick systematisch ausgeweitet wird auf das umfassendere Beziehungssystem – und dies mit sehr wertvollem Material differenziert illustriert wird –, halte ich für ein weiteres bedeutsames Verdienst der Autoren.
Viele Beiträge zur Traumatherapie bereiten mir insofern Unbehagen, als sie für mich suggerieren, dass man traumatisierte KlientInnen wie zerbrechliche Porzellanfiguren behandeln müsse, weil sie so wenig belastungsfähig seien. Sicher ist eine achtsame und behutsame Haltung empfehlenswert. Es sollte aber auch nie vergessen werden, welche ungeheure Überlebenskompetenz notwendig ist, um die zum Teil extrem schrecklichen Erfahrungen, denen die KlientInnen ausgesetzt waren, zu überleben. Manchmal frage ich mich, ob ich selbst das so überstanden hätte, oft auch mit der Vermutung, dass die betroffenen KlientInnen da mehr Kompetenzen aufweisen, als ich sie bei mir vermute. Auf diese großen inhärenten Fähigkeiten kann auch den KlientInnen gegenüber nie genug hingewiesen werden, denn gerade daraus entsteht bei ihnen allmählich wieder eine Perspektive der Zuversicht und des Vertrauens in die eigene Kompetenz, was eine der...