E-Book, Deutsch, Band 04, 320 Seiten
Reihe: Liz-Phoenix-Serie
ISBN: 978-3-8025-8549-4
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Weitere Infos & Material
1 Die Anführerin der übernatürlichen Mächte des Guten zu sein ist längst nicht so cool, wie es klingen mag. Zum Beispiel hat die Welt immer oberste Priorität, alles andere kommt an zweiter, dritter und vierhundertneunundfünfzigster Stelle. Und ich spreche von so wichtigen Dingen wie Liebe, Freundschaft und Familie. Letztlich hat das dazu geführt, dass ich den Mann getötet habe, den ich liebte. Schon wieder. Oh nein, ich habe ihn nicht zweimal umgebracht. Ich meinte vielmehr: Ich habe zwei Männer getötet. Der eine ist nicht tot geblieben, und der andere … bei dem bin ich mir nicht so sicher. Ja, ich liebe zwei Männer. Das war mir auch neu. Dazu kommt noch der Anfang vom Ende der Welt – und schon ist das Chaos komplett. Als jemand, der sich damit auskennt, kann ich nur sagen: Chaos kann einem wirklich auf die Nerven gehen! Seit der Nacht, in der meine Pflegemutter in meinen Armen starb und mir die Verantwortung für die Apokalypse hinterließ, war das Chaos für mich der Normalzustand. Einige Wochen, nachdem ich Sawyer getötet hatte, tauchte er in meinen Träumen wieder auf. Er war ein Navajo-Fellläufer gewesen – Hexer und Gestaltwandler in einem, also ein Zauberer mit einer unvorstellbaren Macht. Leider hatten diese Kräfte seinen eigenen Tod nicht verhindern können. Ich glaube allerdings kaum, dass überhaupt irgendetwas das vermocht hätte, denn er hatte ja sterben wollen. Ich fühlte mich trotzdem schuldig. Was daran liegen könnte, dass ich ihm mit bloßen Händen das Herz herausgerissen hatte. Es war ein erotischer Traum, wie meist, wenn Sawyer darin vorkam. Er war eine Art Katalysator-Telepath: Er brachte die übernatürlichen Fähigkeiten anderer durch Sex zum Vorschein. Es hatte etwas damit zu tun, sich zu öffnen, und zwar sich selbst gegenüber, dem Universum und den magischen Möglichkeiten darin – laberlaber, blablabla. Ich habe nie ganz kapiert, was er da getan hat oder wie er es getan hat. Aber es funktionierte. Nach einer Nacht mit Sawyer hatte ich so viele Kräfte, dass ich kaum noch wusste, wohin damit. Im Traum befand ich mich in meinem Apartment in Friedenberg, einer Vorstadt im Norden von Milwaukee, im Bett. Sawyer lag in der Löffelchenstellung hinter mir. Seine Hand ruhte auf meiner Hüfte. Da wir etwa gleich groß waren, spürte ich seinen Atem in meinem Nacken, sein Haar ergoss sich lang, schwarz und seidig über meine Haut. Ich legte meine Hand auf seine und wollte mich umdrehen. Dabei kamen sich unsere Beine in die Quere. Er machte seine ganz steif und hielt mich an der Hüfte fest. »Nicht«, sagte er mit einer unendlich tiefen und befehlenden Stimme. »Aber …« Er knabberte sanft an meiner Halsbeuge, und ich schnappte nach Luft – sowohl vor Überraschung als auch vor Erregung. Ich wusste zwar, dass es ein Traum war, aber mein Körper reagierte, als wäre es keiner. Alles fühlte sich so lebendig an – seine geschmeidigen, festen Muskeln spielten tatsächlich unter der glatten, heißen Haut. Sawyer war ausnehmend gut gebaut. In den Jahrhunderten, die er schon auf dieser Erde weilte, hatte er mehr als genug Zeit gehabt, jede einzelne Muskelgruppe mehrere Jahrzehnte lang zu trainieren und jeden Zentimeter so perfekt zu formen, dass Frauen bei seinem Anblick geradezu anfingen zu sabbern. Er wäre mir sogar ganz vollkommen erschienen, wären da nicht diese Tattoos gewesen, die seinen gesamten Körper bedeckten. Fellläufer benutzen für ihre Verwandlung einen Umhang, auf dem ihr Tierwesen abgebildet ist. Sawyer brauchte keinen solchen Umhang, stattdessen waren auf seiner Haut die Abbilder vieler Raubtiere verewigt. Im Feuerschein schienen sie manchmal zu tanzen. »Warum bist du hier?«, fragte ich. »Was glaubst du?« Er schob die Hüfte vor und drückte seine Erektion gegen mich. Ich konnte nicht anders, als mich an ihn zu schmiegen. Okay, es war erst ein paar Wochen her, aber ich vermisste ihn trotzdem schon. Ich würde ihn für den Rest meines Lebens vermissen. Ohne Sawyer steckten die Mächte des Guten – auch die Föderation genannt – ziemlich tief in der Scheiße. Natürlich war ich auch einigermaßen mächtig und sogar gerade dabei, noch mächtiger zu werden. Aber ich war auch recht unvorbereitet in diese Situation geraten. Ich kam mir wie ein magischer Elefant in einem ziemlich vollen Porzellanladen vor: stapfte durch die Gegend und machte Dinge und Menschen kaputt. Bis jetzt hatte ich gerade noch verhindern können, dass meine Leute ausgelöscht wurden, allerdings auch nur, weil ich dabei Hilfe gehabt hatte. Von Sawyer. »Ist ein ganz schön weiter Weg aus der Hölle, nur für ein Schäferstündchen«, murmelte ich. Seine Zunge kitzelte meinen Hals genau an der Stelle, an der er eben geknabbert hatte. »Ich bin nicht in der Hölle.« »Wo bist du dann?« Er ließ seine Hand von meiner Hüfte zu meiner Brust wandern. »Wonach fühlt es sich denn an?« Er strich mit dem Daumen über meine Brustwarze. Das Gefühl jagte mir ein Kribbeln durch den ganzen Körper. »Ich weiß, dass du nicht hier bist«, sagte ich. »Du wirst nie wieder hier sein.« Meine Stimme drohte zu brechen, aber ich ließ es nicht zu. Das machte mich stolz. Ich konnte keine Schwäche zeigen, nicht einmal vor ihm. Sawyer sagte nichts, er strich nur weiter mit seinem Daumen hin und her, hin und her. Dann seufzte er und hörte auf. Ich biss mir auf die Lippen, um ihn nicht anflehen zu müssen, weiterzumachen. Seine geschmeidigen, äußerst geschickten Finger strichen über die Kette an meinem Hals und griffen nach dem Türkis, der daran hing. »Du trägst sie wieder?« Sawyer hatte mir diese Kette vor Jahren geschenkt, und erst vor kurzer Zeit hatte ich sie ablegen müssen. Seit seinem Tod trug ich den Türkis nun aber wieder, denn er war alles, was mir von Sawyer geblieben war. Das hoffte ich jedenfalls. »Ich …« Ich verstummte, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich wollte einfach nicht, dass er wusste, wie sehr er mir fehlte, so sehr nämlich, dass ich mindestens ein Dutzend Mal am Tag über den glatten Stein strich und an ihn dachte. »Ich bin ja froh darüber«, sagte er sanft. »Er hat mich zu dir geführt.« Anfangs hatte ich noch geglaubt, die Kette wäre nichts weiter als ein Schmuckstück. Doch dann hatte sich herausgestellt, dass sie magische Kräfte besaß, mich als Sawyers Eigentum auswies und mir sogar schon einmal das Leben gerettet hatte. Außerdem wusste er dadurch jederzeit, wo ich war. Er ließ den Türkis wieder zwischen meine Brüste fallen. »Weißt du noch, was das Letzte war, das ich zu dir gesagt habe?« Ich verspannte mich so abrupt, dass ich mit dem Hinterkopf gegen seine Nase stieß. Der Zusammenprall und das Zischen, das Sawyer dabei ausstieß, klangen ziemlich real, ebenso wie das dumpfe Pochen, das nun in meinem Kopf einsetzte. »Phoenix«, sagte Sawyer eindringlich. »Erinnerst du dich …?« »Beschütze diese Gabe des Glaubens«, wiederholte ich sofort. Er fuhr mit der Handfläche über meine Schulter. »Ja, richtig.« »Was bedeutet das?« »Das wirst du schon sehen.« Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Unmittelbar vor diesem Satz hatte Sawyer noch etwas anderes gesagt. Worte, die mich ebenso um den Schlaf gebracht hatten wie sein Tod: Ich beschließe, ein Kind zu hinterlassen. Die Erinnerung an das, was kurz vor und nach diesen Äußerungen geschehen war, blendete ich aus. Er war in mein Zimmer geschlichen, wo ich als Gefangene meiner eigenen, längst tot geglaubten Mutter ans Bett gekettet war. Sie war ein echter Hauptgewinn. Schon nach fünf Minuten in ihrer Gesellschaft bedauerte ich nicht mehr, als Waise aufgewachsen zu sein. Die Situation war zwar abscheulich gewesen, aber Sawyer hatte mich trotz allem verführt. Ich hatte nicht mehr darüber nachgedacht – bis er verschwunden war. Nun legte ich die Hand auf meinen noch immer flachen Bauch. Hatte er tatsächlich ein Kind gezeugt? »Sawyer«, begann ich. Ich hatte so viele Fragen. Aber ich kam gar nicht dazu, auch nur eine von ihnen zu stellen. »Du musst jetzt aufwachen.« »Warte, ich …« »Phoenix«, sagte er, und dann sanfter: »Elizabeth.« Die meisten nannten mich Liz, aber Sawyer hatte das nie getan. »Jemand ist hier.« Im nächsten Augenblick fiel ich in die Realität zurück, und der Klang seiner Stimme, das Gewicht seiner Hand und die Wärme seines Körpers schwanden dahin. »Jemand oder etwas?«, fragte ich. »Beides«, antwortete er noch, und dann war er verschwunden. Ich schlug die Augen auf und griff schon nach dem silbernen Messer unter meinem Kissen. Die Welt war nicht das, wonach sie aussah. In vielen Menschen verbargen sich Halbdämonen, die nur darauf aus waren, uns zu vernichten. Sie hießen Nephilim und mussten als die Nachkommen von gefallenen Engeln und Menschentöchtern gelten. Es gab sie bereits seit dem Anbeginn der Zeit, in früheren Zeiten wurden sie häufiger gesichtet, damals, als Wolfsmenschen und Frauen aus Rauch noch ganz alltäglich waren. Auf ihnen basierten die Legenden, die man heute fast ausschließlich auf den Kinoleinwänden zu sehen bekam. Es sei denn, man war...