Hampe | Das vollkommene Leben | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Hampe Das vollkommene Leben

Vier Meditationen über das Glück
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-446-24237-1
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Vier Meditationen über das Glück

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-446-24237-1
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Warum fühlen wir uns so selten glücklich, wo es doch an klugen Rezepten zum Glücklichsein nicht mangelt? Der Philosoph Michael Hampe fordert in diesem Meisterstück erzählender Philosophie zu einem Gedankenexperiment auf. In vier von verschiedenen Traditionen inspirierten Essays entwickelt er Vorschläge, wie das Ziel des vollkommenen Lebens erreicht werden könnte: allein durch Verstand oder durch Spiritualität, durch skeptische Distanz zur Welt oder durch die Harmonie zwischen Menschen und Dingen. Vollkommenes Glück, vermutet Hampe, kann letztlich nur in einem Leben liegen, das sich von Doktrinen befreit hat und sich deshalb der Betrachtung der Welt überlässt.

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      2. KAPITEL Wissenschaftlich-technischer Fortschritt als Abschaffung des Unglücks Einleitung
Unser Weg zum Glück liegt in der Vermeidung des Unglücks. Das ist die erste These dieser Untersuchung. Das beste Mittel, das wir zur Vermeidung des Unglücks haben, sind Wissenschaft und Technik, so die zweite These. Um diese Thesen zu verstehen und zu akzeptieren, müssen wir den Fortschritt der Wissenschaften und der Technologie betrachten. Denken wir uns den Prozess der Wissenschaften unendlich fortgesetzt, so werden wir in der fernen Unendlichkeit alles messen können, auch den Grad des Glücks oder des Unglücks einer Person. Es mag sein, dass dies noch hundert, zweihundert oder fünfhundert Jahre dauern wird. Doch die erfolgreichste Sicht auf die Welt, die wir kennen, sagt uns, dass diese gesetzmäßig ist: Sie ist ein Zusammenhang von Größen, die in Abhängigkeit voneinander variieren. Auch unser Glück variiert in Abhängigkeit von vielen, uns bis jetzt noch nicht bekannten Faktoren. Es sind Fakten in unserem Bewusstsein und Affektleben, die für das Glück entscheidend sind. Wir werden diese Faktoren als Größen und die Arten ihrer Abhängigkeit voneinander bestimmen. Irgendwann wird sich uns alles aufschließen. Die Mysterien werden verschwinden. Am Ende, wenn die Wirklichkeit, einschließlich wir selbst, für uns transparent geworden ist, wird es uns wie Schuppen von den Augen fallen, sobald wir sehen, wie verständlich die Welt im Innersten ist. Um diese Hoffnung, dass das Glück von unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig und durch sie realisierbar ist, zu begründen, müssen wir uns mit den Kritikern der modernen Wissenschaft, vor allem mit den Kritikern des Fortschritts und den Verächtern der wissenschaftlichen Wahrheit, auseinandersetzen. Dies ist unsere erste Aufgabe. Danach werden wir in einer Art Utopie die Möglichkeiten der Selbsttransparenz und ihre Konsequenzen für das menschliche Glück untersuchen. Es gibt Fortschritt: Was uns die Geschichte der Wissenschaften lehrt
Unsere wissenschaftliche Kultur gibt es erst seit 400 Jahren. Erst seit etwas mehr als 100 Jahren haben wir ein Bild davon, was im Inneren der Materie und im Gehirn abläuft. Wenn das Unternehmen der experimentellen und mathematisierenden Wissenschaften noch weitere 3000 Jahre verfolgt werden wird – so lange, wie es eine geistige Kultur, die zuerst mit den wenig geeigneten Mitteln des Mythos, der Religion und der Philosophie nach Wissen, Welt- und Selbstbeherrschung strebte –, dann werden wir Dinge und Prozesse erkennen und technisch beeinflussen können, die uns heute intellektuell völlig unerreichbar erscheinen. So, wie die Phänomene der beschleunigten Bewegung, des Lichts, des Magnetismus, der Elektrizität und der Fortpflanzung einst als geheimnisvolle Prozesse und Kräfte aufgefasst wurden, erscheint uns heute das Bewusstsein und das qualitative Erleben als etwas ganz anderes als die Natur. Vor Newton wurde der Magnet als etwas Lebendiges oder Beseeltes angesehen. Noch Goethe hielt das Licht für göttlich, und Driesch postulierte um 1900 eine gleichsam seelische Lebenskraft, um die Fortpflanzung zu erklären. Da, wo wir etwas nicht verstehen, ziehen wir uns auf religiöse Bilder und obskure philosophische Überzeugungen zurück. Doch die Geschichte der modernen Wissenschaft ist eine der Entzauberung dieser Bilder und Überzeugungen. Denn die Welt ist unserem berechnenden Verstand zugänglich. Das meiste, das einmal mysteriös erschien, hat sich bisher als mess- und berechenbar erwiesen. Deshalb können wir induktiv aus der Vergangenheit folgern, dass alles, was wir jetzt für nicht messbar und nicht berechenbar halten, in Zukunft einmal mess- und berechenbar sein wird, ebenso wie die Dinge, die wir in der Vergangenheit für niemals mess- und berechenbar hielten, die uns jedoch heute intellektuell vollkommen zugänglich geworden sind. Was für die Antike die beschleunigte Bewegung war, für die frühe Neuzeit der Magnetismus, die Elektrizität und die Fortpflanzung, ist für uns heute das Bewusstsein und das qualitative Erleben. Niemand konnte die Bedeutung der Infinitesimalrechnung antizipieren, bevor sie nicht durch Newton und Leibniz entwickelt worden war. Doch das Rechnen mit unendlich kleinen Größen machte berechenbar und mit dem menschlichen Verstand nachvollziehbar, was Platon und Aristoteles mathematisch unerfassbar und unregelmäßig erschien: die beschleunigte Bewegung. Ebenso zerstörten das Fernrohr von Galilei und die Gravitationstheorie von Newton die Trennung von sublunarer Natur und translunarer, vermeintlich göttlicher Welt. Mars, Merkur, Venus Jupiter, die Sonne – diese ehemals göttlichen Wesen jenseits des Mondes – erwiesen sich als Körper, als Gesteine oder Gasmassen. Wir haben Menschen und Roboter zu diesen Himmelskörpern geschickt und gewinnen Energie in Atomkraftwerken, weil wir das Innere der Materie, die überall dieselbe ist und nirgendwo in der Welt aufhört, verstanden haben. Das Verständnis des nicht göttlichen Lichts hat es möglich gemacht, mit Lasern im Operationssaal chirurgisch Menschen zu heilen und mit Solarzellen unsere Häuser zu heizen. Die Einsicht in die Natur des nicht beseelten Magneten hat uns Verkehrsmittel bauen lassen, die sich fast ganz ohne Reibungsverluste bewegen. Und die Entdeckung der DNS hat gezeigt, dass der Prozess der Fortpflanzung ein rein materieller Vorgang ist. Seitdem sind wir in der Lage, Erbkrankheiten wie die Phenylketonurie zu erkennen, zu heilen und können sogar Organismen nach unseren Vorstellungen konstruieren. Es besteht deshalb gar kein Zweifel daran, dass die Wissenschaften sich in einer ständigen Fortschrittsbewegung befinden. Man muss dazu freilich den Fortschritt nicht als eine Bewegung auf ein Ziel hin, auf die Wahrheit oder die Gewissheit verstehen, sondern muss ihn als eine Bewegung weg vom Mythischen, Religiösen, obskur Philosophischen und hin zum Mess-, Berechen- und technisch Beherrschbaren begreifen. Wenn wir uns auf die Ziele der Wahrheit und Gewissheit konzentrieren, begehen wir leicht eine irreführende Induktion der folgenden Art: In der Vergangenheit haben sich noch alle wissenschaftlichen Theorien als falsch erwiesen, also werden sich auch unsere gegenwärtigen Theorien in der Zukunft als falsch erweisen. Wenn Fortschritt die Bewegung der Annäherung an die Wahrheit ist, so können wir eine solche in der Geschichte des Geistes nicht wahrnehmen, sondern nur eine Aufeinanderfolge von falschen Überzeugungssystemen, zu denen mit großer Wahrscheinlichkeit auch unsere gegenwärtigen Überzeugungen gehören müssen. Tatsächlich bewegen wir uns jedoch von immer mehr Unverständnissen und Obskurantismen weg. Daran erkennen wir den wissenschaftlichen Fortschritt, wenn wir den Blick, wie wir es tun müssen, zurückwenden und nicht irgendein abstraktes und imaginäres Ziel wie »die absolute Wahrheit« oder »die unerschütterliche Gewissheit« anzupeilen versuchen. Wenn ich weg von Scranton, Pennsylvania, will, dann ist jede Bewegung, die mich von diesem Ort fortbringt, egal wohin sie führt, ein Fortschritt. Die Wissenschaft will weg vom Unverstandenen, Unberechenbaren, Unbeherrschbaren. Deshalb ist jede Einsicht in eine Gesetzmäßigkeit, jede mathematische Darstellung eines Wirklichkeitszusammenhangs, jede Technologie, die uns erlaubt, die Welt oder uns selbst (bspw. genetisch) nach unseren Vorstellungen zu gestalten, ein Fortschritt. Es war ein Fehler von Hegel (1807), Peirce (1965) und Popper (1963), den Fortschritt in der Entwicklung des Geistes oder in den Wissenschaften teleologisch auf die Annäherung an ein Ziel wie Wahrheit oder Gewissheit hin auszurichten. Wir wissen heute, dass wir nicht verstehen, was »Wahrheitsannäherung« als Bezeichnung der vermeintlichen Teleologie der Wissenschaftsentwicklung bedeuten kann. Doch müssen wir uns deshalb nicht vom Fortschritt verabschieden. Solange wir den Fortschritt teleologisch begreifen und immer wieder einsehen, dass wir nicht wissen, auf was die Wissenschaften eigentlich hinauslaufen, werden wir dem Relativismus und dem Zynismus zuarbeiten. Denn wenn wir die Annäherung an das Ziel der Wahrheit und Gewissheit nicht ausweisen können, werden die Kritiker der Wissenschaften behaupten, dass alle Überzeugungssysteme der Menschheit gleich wahr oder gewiss bzw. gleich unwahr oder ungewiss sind, weil man sie ohnehin nicht miteinander vergleichen kann, sie inkommensurabel sind, weshalb Wissenschaft auch nie ein Mittel sein kann, das Glück zu finden, sofern das Glück von einer absoluten Wahrheit abhängen sollte, die nicht mehr vergeht. Weil wir wissen, dass die Menschen früher glaubten, im Besitz der Wahrheit zu sein, und gleichzeitig unglücklich waren, wir heute glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein, und unglücklich sind, so werden wir auch in Zukunft glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein, und unglücklich bleiben, so der Gedankengang derer, die das Projekt der Aufklärung aufgeben wollen. Doch auch wenn ich nicht weiß, ob Einstein dichter an der Wahrheit und Gewissheit ist als Newton oder beide nur an verschiedenen, von Wahrheit und Gewissheit gleich weit entfernten Orten stehen, so ist doch klar, dass Einstein weiter vom Aberglauben und Irrtum entfernt ist als Newton, der die Gravitation noch für das Denken Gottes hielt und das Alter der Welt auf 6000 Jahre veranschlagte. Dies ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass Paris weiter von Scranton, Pennsylvania,...


Hampe, Michael
Michael Hampe, geboren 1961 in Hannover, studierte Philosophie, Literaturwissenschaft, Psychologie und Biologie in Heidelberg und Cambridge. Nach Professuren in Dublin, Kassel und Bamberg seit 2003 Professor für Philosophie an der ETH Zürich.Zuletzt erschienen: Tunguska oder Das Ende der Natur (2011 und Die Lehren der Philosophie (2014).



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