Hall | Bei den Wölfen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Hall Bei den Wölfen

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-16578-9
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine starke Frau zwischen Wildnis und Zivilisation - 'Sarah Halls Prosa ist meisterhaft.' Chicago Tribune
Eigentlich wollte Rachel Caine nie mehr nach England und zu ihrer schwierigen Familie zurück. Die Wolfsexpertin lebt seit zehn Jahren in Amerika und geht in ihrer Arbeit auf. Doch dann stürzt das Angebot eines einflussreichen Lords, auf seinen Ländereien ein Wölfspärchen anzusiedeln, sie in Konflikte. Aber zu ihrer eigenen Überraschung sind ihre Heimkehr, eine ungeplante Schwangerschaft und die intensive Arbeit in der wilden Landschaft des Lake District die beste Medizin für ihre Seele. Sie kann sich sogar vorsichtig auf eine neue Liebe einlassen und kommt zur Ruhe. Bis ein unvorhergesehenes Ereignis die eigentlichen Motive ihres Arbeitgebers entlarvt.In Sarah Halls außergewöhnlichem Roman verbinden sich eine lyrische und zugleich kraftvolle Sprache, starke und ungewöhnliche Bilder, vielschichtig-kantige Figuren sowie ein attraktives Thema zu einem Leseerlebnis der Extraklasse.

Sarah Hall, 1974 in Cumbria geboren, studierte Literatur an der schottischen Universität St. Andrews. Sie hat Romane und Storys veröffentlicht, die mit bedeutenden Preisen und Stipendien ausgezeichnet und von der Kritik bejubelt wurden. Feministische Themen und intensive Naturbeschreibungen verbinden sich in ihrem Werk, das in 16 Sprachen übersetzt ist, auf überraschende, ungewohnte Weise. Zuletzt erschien 2021 ihr Roman »Die Töchter des Nordens«. Sarah Hall lebt mit ihrer Familie in Kendal.
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Der Flughafen ist ein braunes Steingebäude, kompakt und zweckmäßig, mit einem einzigen Schalter für Horizon Airways, einer Pick-up-Vermietung, einem Geschenkartikelladen und einem kleinen Café. Auf dem Schild über dem Ankunftsgate steht Willkommen in Nez Perce Idaho. Auf der anderen Seite des Plastik-Absperrseils wartet Kyle auf sie, einer von einem Dutzend Leuten, die vor dem quietschenden Gepäckband stehen, um Reisende zu begrüßen oder Koffer zu holen. Jeansstoff, Schlangenhaut, teure Anzüge und Aktentaschen, zu Zöpfen geflochtene Haare: Pendler, regionale Händler und Rancher, die Reichen. Kyle ist hochgewachsen, größer als alle anderen, seine Haare sind oberhalb des Nackens zusammengebunden, er trägt keinen Hut. Die Hände in den Taschen, wartet er, ohne eigens nach ihr Ausschau zu halten, fast lässig. Seine Anwesenheit ist beunruhigend. Sie hat damit gerechnet, eine Verbindung nach Kamiah zu nehmen, dann anzurufen und sich abholen zu lassen. Left Paw, denkt sie, schlechte Nachrichten. Sie geht hinüber und setzt ihre Tasche neben ihm ab. »Was machst du denn hier?« Er lässt die Hände in den Jeanstaschen stecken. »Ich fliege auf die Bermudas. Was glaubst du denn, was ich hier mache, Rachel. Guten Flug gehabt?« Zunächst ist alles, woran sie denken kann, ihn mit Fragen zu löchern. Haben sie ein Signal aufgefangen und eine systematische Suche veranstaltet? Haben sie seinen Kadaver gefunden? Innerhalb oder außerhalb des Reservats? Kyle zieht die Augenbrauen hoch und betrachtet sie einen Moment lang. Dann greift er nach unten, um ihre Tasche zu nehmen. »Das ist eine erbärmliche Begrüßung, du verrücktes Huhn. Ich dachte, in England legt man Wert auf gute Manieren?« »Ja, schon recht, aber was machst du denn nun hier?« »Ich biete dir eine Mitfahrgelegenheit an. Ich war in der Stadt.« »Sie haben ihn abgeschossen, stimmt’s?« »Herrgott noch mal! Ich war einfach in der Stadt. Ich hatte was zu erledigen.« »Was zu erledigen?« »Was zu erledigen. Brr.« Er legt ihr einen Moment lang die Hand auf die Schulter, als beruhigte er ein scheuendes Pferd, dann schwingt er sich ihre Tasche über die Schulter, dreht sich um und geht in Richtung Ausgang. Sie folgt. »Von Paw haben wir nichts gehört«, sagt er. »Aber den anderen geht es gut. Wir haben gestern einen Bericht über eine Sichtung aus der Luft bekommen. Sie sind gut hundertfünfzig Kilometer von der Grenze entfernt. Sieht nicht so aus, als müssten sie auf Aasfresserei zurückgreifen. Sie sind im westlichen Korridor. Vielleicht laufen sie dem Cascade-Rudel über den Weg, aber da dürfte eigentlich nichts passieren.« Sie ist immer noch angespannt, auf schlechte Nachrichten gefasst, obwohl die inzwischen überbracht worden wären. Kyle ist arglos; er hält mit nichts hinterm Berg. Wenn er sagt, er habe in der Stadt etwas zu erledigen gehabt, dann war es auch so. Sie geht neben ihm her. Er hat lange Beine, bewegt sich jedoch langsam, ein Schlenderer, ein Bummler, der nicht zur Eile neigt. Ohne Stiefel reicht sie ihm kaum bis zur Schulter. Seltsam, dass jemand so Vertrautes nach nur einer Woche Abwesenheit so neu für das Auge aussehen kann. Nach den blassen Nordengländern und den Pflegeheimbewohnern wirkt er riesig, sehr amerikanisch. »Du hast dich rasiert«, sagt sie. »Ich habe mich rasiert.« »Hast du ein Date?« »Nein.« »Warte mal einen Moment.« Sie bleiben vor dem Café stehen. Rachel bestellt sich einen schwarzen Kaffee und eine Zimtschnecke. Sie durchsucht ihre Hosentaschen und ihre Brieftasche nach Dollarscheinen. »Willst du auch eine?« »Nein. Das Zeug bringt dich noch um. Hast du im Flugzeug nichts zu essen gekriegt?« »Seit wann bist du denn so gesundheitsbewusst?« Er legt sich die Hand auf den Bauch. »Seit ich vierzig geworden bin.« »Ach du Scheiße. Ich habe deinen Geburtstag verpasst.« »Ich war ja selber nicht so präsent. Bin ins Barn gegangen. Tequila.« Rachel lächelt. Sie kann sich die Szene vorstellen. Für einen großen Mann verträgt Kyle nicht sehr viel Alkohol – das Ende kommt normalerweise ganz plötzlich, man muss ihn hinaustragen, ihn auf den Pick-up verfrachten und ihm die Schlüssel abnehmen, ihn auf die Seite drehen. Nachdem sie mit Binny und Thomas Pennington zu tun gehabt hat, ist es eine Erleichterung, mit jemand zusammen zu sein, den sie kennt und mag, jemand vergleichsweise Unkompliziertem, und sie spürt, wie sich ihre Anspannung löst. Aber Kyle hat auch seine undurchsichtigen Seiten. In der Treibhaus-Atmosphäre des Zentrums mit seinen schlecht gewahrten Geheimnissen, seinem Klatsch und Hüttenkoller ist er ein Lieblingsthema. Für die Praktikanten ist er der heimliche Star, halb Lapwai-Indianer, was ihn anscheinend weder mit Stolz erfüllt noch gleichgültig lässt: Er interessiert sich nur begrenzt für die Stammesräte, obwohl er der Vertreter des Zentrums ist, und die lokalen Angelegenheiten – Petitionen zur Schließung der Nazi-Camps, Klagen gegen Umweltverschmutzer – scheinen ihn kaltzulassen. Im Sommer segelt er. Im Winter fährt er Ski. Wenn Kinder, die das Zentrum besuchen, ihn fragen, ob er mit Chief Joseph verwandt ist, lässt er sie auf einen Stuhl steigen und die »Ich kämpfe niemals wieder«-Rede vortragen, dann sagt er ihnen, sie sei von einem Armeeoffizier erfunden worden. Gelegentlich hat er eine Freundin. Rachel weiß, dass es oft so erscheint, als wären er und sie ein Paar: Sie sprechen die vertraute Sprache ihrer Arbeit – Ethogramme, Prädationsrate, Biomasse –, sie veranstalten gemeinsam Grillfeste, besuchen sich gegenseitig zum Biertrinken auf ihren Terrassen. Oran gibt sich oft eifersüchtig. Aber sie bleiben schlicht Freunde. Die Terminaltür gleitet auf, ein Schwall herber Luft löst den Mief des Flughafens auf. Sie treten hinaus in das grelle, gleißende Licht, den neuen Schnee. Tief am Horizont eine pazifische Wintersonne. Der Himmel ist von üppigem Blau; es ist die Stunde vor der Abenddämmerung. Die braunen Hügel des Tals tragen weiße Kappen, und es ist gut fünf Grad kälter als zum Zeitpunkt von Rachels Aufbruch nach England. »Brauchst du noch irgendwas aus der Stadt?«, fragt Kyle. »Ich glaube nicht. Ist die Straße frei?« »Ja.« Sie gehen über den Parkplatz zu Kyles Pick-up. Auf den Wegen knirschen Salz und Streusand unter den Füßen, und an den Rändern der Rollbahn liegen Wälle aus zusammengeschobenem Schnee. Die Propeller der Dash, mit der Rachel von Seattle hergekommen ist, springen an, ihr Ton wird höher und lauter. Das Flugzeug fährt ruckend an, summt vom Terminal weg, rollt die Startbahn hinunter und hebt schon nach kurzer Distanz ab. Es wird kaum 1600 Meter hochsteigen, ehe es in Pullman landet, und dann zum Sea-Tac Airport weiterfliegen. Kyle schließt den Pick-up auf. »Ich kann fahren, wenn du magst. Ich bin nicht so müde.« »Quatsch. Du warst die ganze Woche auf der falschen Seite unterwegs.« Sie öffnet die Beifahrertür, bleibt aber noch draußen stehen. Die kalte Luft zwickt ihr in die Ohren, erfrischt nach der abgestandenen Luft des Flugzeugs ihre Lunge. »Und, wie war’s?«, fragt er über das Dach des Pick-ups hinweg. »Du meinst, ob ich den Job angenommen habe?« »Ich meine den Besuch bei deiner Mutter. War ja schon eine Weile her.« »Prima. Das Pflegeheim ist nett. Es ist eine private Einrichtung.« »Das ist gut.« Sie steigen ein und schließen die Türen. Kyle lässt den Motor an und schaltet die Heizung ein. Sie verstellt die Position des Beifahrersitzes – einer der langbeinigen männlichen Mitarbeiter des Zentrums hat vor ihr daraufgesessen. Er schaut kurz zu ihr herüber und stößt rückwärts aus der Parklücke. »Hast immer noch die feine Hose an, wie ich sehe.« »Sehr witzig.« »Was hast du mir mitgebracht?« »Wenn du es genau wissen willst, ich habe einen Artikel über die Grauwölfe von Tschernobyl für dich. Er ist ziemlich interessant.« »Ach, schön. Lupus radio-activus – habe ich recht?« »Ich habe Latein gehabt, weißt du.« »Na schön, dann beeindrucke mich.« »Inter canem et lupum crepusculum.« »Sehr schick. Was heißt das?« »Zwischen dem Hund und dem Wolf die Dämmerung.« »Du bist an die Bewohner der Kolonien einfach verschwendet.« Kyle nimmt die Flughafenausfahrt auf den Highway und hält auf die Brücke zu. Der Verkehr ist dünn. Der Pick-up schnurrt über die gebogene Betonspanne. Der Fluss darunter ist ein tiefer, breiter Einschnitt von Blau. »Ich gewöhne mich nie daran«, sagt sie. »Woran?« »Mount Rainier vom Flugzeug aus so nahe zu sehen. Zu Hause gibt es so etwas nicht.« »Ja, er ist nicht gerade hässlich.« Nach zehn Minuten fahren sie vom Highway ab und folgen einem Konvoi leerer Holztransporter in Richtung Norden. Kyle setzt den Blinker und überholt. Der vorderste Lkw lässt seine Schweinwerfer kurz aufleuchten, als sie ihn passieren. Sie halten an einer Raststätte und bestellen Burger. Sie unterhalten sich über die Praktikanten, die bevorstehende Tagung in Montana. Die örtlichen Neuigkeiten. In der Nähe des Lolo ist eine Leiche gefunden worden. Ein Senator ist mit einem Strichjungen im Bett ertappt worden; KTVB-Reporter haben sich vor dem Hotel seiner Frau versammelt. »Du warst also noch nicht mal in Versuchung, für den Prinzen zu arbeiten?«, fragt Kyle. »Den Earl. Nein. Ich weiß auch nicht. Eigentlich nicht. Er ist ein...


Stingl, Nikolaus
Nikolaus Stingl, 1952 geboren, übersetzte u.a. William H. Gass, Ben Lerner, Thomas Pynchon, Colson Whitehead und Emma Cline und wurde mit mehreren wichtigen Übersetzerpreisen ausgezeichnet.

Hall, Sarah
Sarah Hall, 1974 in Cumbria geboren, studierte Literatur an der schottischen Universität St. Andrews. Sie hat Romane und Storys veröffentlicht, die mit bedeutenden Preisen und Stipendien ausgezeichnet und von der Kritik bejubelt wurden. Feministische Themen und intensive Naturbeschreibungen verbinden sich in ihrem Werk, das in 16 Sprachen übersetzt ist, auf überraschende, ungewohnte Weise. Zuletzt erschien 2021 ihr Roman »Die Töchter des Nordens«. Sarah Hall lebt mit ihrer Familie in Kendal.


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