Halimi / Cojean | Seid unbeugsam! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Halimi / Cojean Seid unbeugsam!

Mein Leben für die Freiheit der Frauen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8412-2842-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mein Leben für die Freiheit der Frauen

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-8412-2842-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Unerbittlich, kämpferisch und leidenschaftlich bis zum Schluss.« Spiegel Online

Gisèle Halimi war eine entscheidende Wegbereiterin und Ikone der internationalen Frauenbewegung. Wofür hat sie gekämpft? Was hinterlässt sie uns? Im Gespräch mit Annick Cojean kehrt Gisèle Halimi zu den Schlüsselmomenten ihres Lebens zurück: Mit 16 verweigert sie die tunesisch-jüdische Heirat, geht zum Jura-Studium nach Paris und gehört zu den ersten Frauen am Gericht. Als Anwältin setzt sie sich unter anderem für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein und für die Begnadigung der algerischen Aktivistin Djamila Boupacha. Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und Simone Veil unterstützen sie dabei mit allen Mitteln. Gisèle Halimi kämpfte für die Freiheit und die Rechte der Frauen - unerschrocken und mutig wie keine andere.

Ein bewegender Rückblick auf ein bewegtes Jahrhundertleben und der Appell an uns Frauen: »Seid unbeugsam!«



Gisèle Halimi, 1927 in Tunesien geboren und 2020 in Paris gestorben, gilt als Ikone der Frauenbewegung. Als Rechtsanwältin setzte sie sich u.a. für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Frankreich ein. Ihr Einsatz für die algerische Freiheitskämpferin Djamila Boupacha an der Seite von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre machte sie weltberühmt. Annick Cojean arbeitet als internationale Korrespondentin für die französische Tageszeitung Le Monde. Sie hat bereits mehrere preisgekrönte Bücher veröffentlicht, zuletzt den Frauen-Porträtband 'Was uns stark macht' (2019) über Patti Smith, Virginie Despentes, Joan Baez, Asli Erdogan, Vanessa Redgrave u.a.  Kirsten Gleinig hat Germanistik, Kunstgeschichte und Romanistik in Göttingen und Aix-en-Provence studiert. Seit 2002 ist sie freiberuflich als Lektorin tätig sowie als Übersetzerin und Autorin mit den Schwerpunkten Belletristik, Biografien, Kunst, Frankreich und Reise.
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Warum Feminismus Handeln bedeutet


Gisèle Halimi und ich trafen uns durch Zufall. Man könnte sagen, sie überraschte mich, denn eigentlich war ich mit Recherchen zu Simone de Beauvoir beschäftigt, der großen Schriftstellerin, Philosophin und Feministin. Und da war sie plötzlich: Gisèle Halimi, eine Frau, die mindestens ebenso viel für die Gleichberechtigung und Emanzipation der Frauen getan hat wie Beauvoir, und von der ich trotzdem noch nie gehört hatte. Warum, kann ich mir im Nachhinein nicht genau erklären. Vielleicht, weil Halimi eher eine Arbeiterin als eine Intellektuelle war, weil sie sich in ihrem Beruf als Anwältin täglich für eine gleichberechtigtere Gesellschaft abrackerte, und mein Zugang zum Feminismus als Teenager und Anfang-20-Jährige doch eher theoretisch war. Sehr wahrscheinlich hätte ich damals eine Gisèle Halimi gar nicht zu schätzen gewusst. Heute hingegen, da weiß ich, wie wichtig gerade Menschen wie sie sind – Menschen, die über Gleichberechtigung nicht nur diskutieren, sondern vor allem nach praktischen und rechtlichen Wegen suchen, diese zu erreichen. Die amerikanische Feministin Gloria Steinem hat einmal gesagt, Feminismus bedeute auch, etwas dafür zu tun, dass die Verhältnisse sich ändern. Das scheint heute manchmal in Vergessenheit zu geraten, wo Unternehmen mit Feminismus Geld machen und plötzlich vieles, von BHs über Lippenstift bis hin zu Deodorants, als irgendwie »empowernd« beworben wird. Umso wichtiger ist es, sich daran zu erinnern, dass Feminismus aktives Handeln bedeutet. Und wie dieses Handeln konkret aussehen kann, zeigt Gisèle Halimi.

Es gibt diese Geschichte, die Halimi immer wieder erzählte. Es ist die Geschichte vom Hungerstreik, und die geht so: Als gerade einmal zehnjähriges Mädchen beschloss Gisèle, die Nahrungsaufnahme bis auf weiteres zu verweigern – um dagegen zu protestieren, dass ihre Brüder zu Hause wie zwei kleine Paschas behandelt wurden, vor allem von der Mutter. Die beiden Töchter hingegen hatten keine Vorrechte, sie mussten ihre Brüder am Tisch bedienen und im Haushalt mithelfen. Das erschien der kleinen Gisèle, die damals noch Zeiza Gisèle Élise Taïeb hieß, ungerecht. Warum sollten die Jungen anders behandelt werden als die Mädchen? Wer machte diese unsinnigen Regeln? Der Hungerstreik, so Halimi, sei ihr »erster feministischer Sieg« gewesen, und die Art, wie sie von diesem Sieg erzählte, sagt viel darüber aus, wie Halimi als Mensch war: unterhaltsam, lebhaft, resilient. Nie ging es ihr darum, bemitleidet zu werden. Sie sagt aber auch viel darüber aus, was Halimi als Anwältin so erfolgreich und berühmt-berüchtigt machte: ihr unschlagbares Gespür für das passende Narrativ.

Gisèle Halimi war das, was einige heute despektierlich eine »Aktivistin« nennen würden. Sie war in allem, was sie tat, auf der Seite der Frauen – und damit parteiisch. Das stieß schon damals so manchem Anwaltskollegen übel auf, schließlich, so heißt es, erfordere die juristische Tätigkeit Objektivität und Distanz gegenüber den Fällen, die man verhandelt. Man solle sich nicht gemein mit einem Anliegen, einer Sache machen. Ärgerlich nur für die Kollegen, dass Halimi das ziemlich egal war: »Tatsächlich war mir meine Rolle als Anwältin nie genug. In mir meldete sich auch die, die selbst beteiligt und engagiert war, die Streiterin für Recht und Freiheit.« Die vielbeschworene Objektivität und Distanz, das stellte Halimi schon früh in ihrer Karriere fest, sind ein Mythos. Jeder Mensch hat Interessen, für die er eintritt. Jeder Mensch ist parteiisch. Warum also nicht offen zeigen, wer man ist und wofür man steht? Überhaupt: Feministin sein, das war für Halimi keine Teilzeitbeschäftigung oder ein Hobby – sondern Teil ihrer Identität. Immer und immer wieder hat sie gezeigt, dass man einen guten, einen sehr guten Job machen kann, nicht trotz, sondern dank der Werte und Haltungen, die man vertritt. Und mal ehrlich: Gisèle Halimi, die mit zehn Jahren in den Hungerstreik getreten war, sich mit 14 Jahren einer arrangierten Ehe mit einem älteren Mann widersetzte, und es schließlich durch Fleiß und Beharrlichkeit geschafft hatte, ihre tunesische Heimat gegen Paris einzutauschen, um dort Rechtswissenschaften, Philosophie und Politikwissenschaften zu studieren – diese Gisèle Halimi hatte all das sicher nicht auf sich genommen, um sich für den Rest ihres Lebens männlichen Regeln zu unterwerfen. Sich sagen zu lassen, wie sie als Frau zu sein hatte.

Und so kämpfte Gisèle Halimi zu Beginn ihrer Karriere, Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre, nicht nur für ihre Mandantinnen und Mandanten, sondern auch dafür, als Frau in ihrem Beruf ernstgenommen zu werden. Sie wollte, dass man(n) ihr zuhörte, wollte überzeugen, und zwar durch Argumente. Sie arbeitete hart, härter, am härtesten, um den Makel, der ihr von ihren Eltern so oft vorgehalten worden war, vergessen zu lassen: weiblich zu sein. Gleichzeitig wollte Halimi nicht nur one of the boys sein und sich ihrem männlichen Umfeld anpassen. Sie war nun einmal eine Frau – und warum genau sollte sie sich dafür ständig rechtfertigen müssen? Also ging Halimi in die Offensive, wie um zu sagen: Stimmt, ich bin eine Frau, und was für eine. Zum Ärger ihrer Kollegen bestand sie für sich auf der weiblichen Berufsbezeichnung avocate, bestand auf diesem »e« am Ende, statt sich mit der angeblich universellen – tatsächlich männlichen – Bezeichnung avocat zufrieden zu geben. Ihre simple Erklärung lautete, sie sei nun einmal eine Anwältin, eine Frau, und sie gebe ihr Leben »nicht an der Garderobe ab«, sobald sie einen Gerichtssaal betrete. Man kann sich vorstellen, wie viel Applaus sie dafür in einem Land wie Frankreich erhielt, wo weibliche Berufsbezeichnungen auch heute noch ein Streitthema sind (vom Gendern der Sprache mal ganz abgesehen).

Der Kampf gegen – unsinnige – Regeln und Normen, die von Männern gemacht wurden und Frauen benachteiligen, zieht sich durch Gisèle Halimis Karriere. Ihr Name ist verknüpft mit einigen der wichtigsten Prozesse der französischen Nachkriegsgeschichte, Prozesse, die Frankreich nachhaltig verändert haben. Der erste ihrer Fälle, der sich in das nationale französische Gedächtnis gegraben hat, ereignete sich 1960. Damals wurde Djamila Boupacha, eine 22-jährige Agentin der Algerischen Nationalen Befreiungsfront FLN – die für die algerische Unabhängigkeit kämpfte – festgenommen, weil man sie verdächtigte, in einem Restaurant in Algier eine Bombe deponiert zu haben. In der Haft wurde sie von französischen Soldaten brutal gefoltert, auch sexuell, ihr Geständnis erzwungen. Viele algerische Frauen hatten vor ihr ein ähnliches Schicksal erlebt, aber Boupacha war bereit, auszusagen. Für Halimi, deren Heimat Tunesien bereits 1956 die Unabhängigkeit von Frankreich erlangt hatte, enthielt der Fall Boupacha die »Essenz meines kämpferischen Engagements«: gegen Folter und Vergewaltigung, für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Sie überzeugte Boupacha, die französischen Behörden wegen Folter zu verklagen, und schaffte es, Frankreichs damalige Vorzeige-Intellektuelle Simone de Beauvoir für eine gemeinsame Aktion zu gewinnen. Beauvoir schrieb einen kämpferischen Artikel in Le Monde (»Für Djamila Boupacha«) und schon standen die Promis Schlange, um Halimi und ihre Klientin zu unterstützen. Später erschien ein Buch mit Texten zu dem Fall sowie Auszügen aus Boupachas Gerichtsakte. Das Cover, eine Zeichnung der jungen Algerierin, stammte von Pablo Picasso höchstpersönlich. Bei der Wahl der Mittel war Halimi nicht zimperlich. Natürlich, gab sie später unumwunden zu, habe sie gegen das Gesetz und ihr Berufsethos verstoßen, indem sie im Buch Details aus der Akte Boupacha veröffentlichte. Aber am Ende sei Boupacha der Todesstrafe entgangen (wenn auch, das muss angemerkt werden, durch eine Amnestierung 1962 und nicht aufgrund eines gewonnenen Prozesses) und sie, Gisèle Halimi, habe die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dort gehabt, wo sie sie haben wollte: auf dem Thema Vergewaltigung durch französische Soldaten in den französischen Kolonien. Anders gesagt: Das Ergebnis zählte, und dafür war Halimi bereit, vieles in Kauf zu nehmen. Auch, dass sie als Person, als Anwältin, als Frau, angezweifelt, bedroht und beschimpft wurde.

Der Fall Boupacha illustriert sehr anschaulich die Methode Halimi. Die bestand darin, einen Prozess erstens zu nutzen, um ein grundsätzliches Thema zu verhandeln. Zweitens ...



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