E-Book, Deutsch, Band 2, 333 Seiten
Reihe: Die Südstaaten-Krimis
Haines Das Mädchen im Fluss
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7325-5639-7
Verlag: beTHRILLED
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 2, 333 Seiten
Reihe: Die Südstaaten-Krimis
ISBN: 978-3-7325-5639-7
Verlag: beTHRILLED
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Carolyn Haines (*1953) ist eine amerikanische Bestsellerautorin. Neben den humorvollen Krimis um Privatermittlerin Sarah Booth Delaney hat die ehemalige Journalistin auch hochgelobte Südstaaten-Romane geschrieben, die auf sehr atmosphärische Weise die Mississippi-Gegend im letzten Jahrhundert porträtieren. Für ihr Werk wurde Haines mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Harper Lee Award.
In Mississippi geboren, lebt die engagierte Tierschützerin heute mit ihren Pferden, Hunden und Katzen auf einer Farm im Süden Alabamas.
Homepage der Autorin: http://carolynhaines.com/.
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1
Staubwolken wirbelten auf, als das schwarze Cadillac-Cabrio den Sandweg entlangraste. Der geschwungene Wagen verschwand hinter einer Ansammlung von dunklen Kiefern, die der Landschaft etwas unerklärlich Ödes verliehen. Neben dem Weg, auf einer von der gleißenden Sonne versengten Wiese, weidete ein altes Maultier; aus dem Schatten einer klapprigen Scheune ertönte das Muhen einer Kuh. Der Wagen, nicht mehr als eine flüchtige Erscheinung, jagte daran vorbei, nur sich setzender Staub und der Geruch von versengter Erde blieben zurück. Hinter dem Steuer schob Marlena Bramlett die dunkle Sonnenbrille etwas höher. Ein weißer Schal schützte ihre Frisur, lediglich einige mit Haarspray befestigte Locken fielen ihr in die Stirn. Die Abnäher ihrer rot-weiß gestreiften Bluse betonten die schmale Taille. Ihr Profil erinnerte an die Gallionsfigur eines Schiffes. Neben ihr auf der Mitte des Sitzes stand ein sechsjähriges Mädchen mit dem Gesicht im Fahrtwind, stürmisch flatterten seine braunen Zöpfe mit den weißen Schleifen an den Spitzen. »Ich seh ihn!« Suzanna zeigte nach vorn. Ihre Kinderstimme überschlug sich vor Aufregung. »Er ist da. Er wartet auf uns.« »Setz dich«, sagte Marlena. »Du benimmst dich ja wie eine Wilde.« »Ob er Oliven hat? Die mit den roten Dingern in der Mitte?« Suzanna hüpfte auf dem Sitz auf und ab. »Ich weiß es nicht.« Marlena strich sich mit dem Handrücken über die Stirn und glättete ihre blonden, erst vor einer halben Stunde so mühevoll hindrapierten Locken. »Big Johnny wohnt am roten Weg, und er riecht nach Schokolade«, sagte Suzanna. »Er schenkt dir Schokolade«, korrigierte Marlena sie. »Und er hält dich für ziemlich schlau. Aber das ist unser Geheimnis, vergiss das nicht. Wenn du es irgendjemandem verrätst, darfst du nicht mehr mit.« Schatten fielen über den Wagen, als sie in ein dichtes Kieferngehölz fuhren. Der Weg verengte sich, die Räder wühlten Sand auf. »Ich werde nichts verraten.« Gekränkt sah Suzanna zu ihrer Mutter. »Ich erzähl nie was über dich.« Marlena brachte den Wagen zum Stehen. Sie zog ihre Tochter an sich. »Ich weiß, dass du nichts erzählst. Du hast mich doch am meisten lieb.« Sie küsste Suzanna auf die Wange und wischte ihr den feinen Staub von der Haut. »Wenn ich dir nicht trauen könnte, würde ich dich nicht mitnehmen. Aber jetzt wollen wir uns doch mal vergewissern, ob wir auch gut aussehen.« Sie drehte den Rückspiegel zu sich und betrachtete ihren rubinroten Lippenstiftmund. »Hält Big Johnny mich wirklich für schlau?« Suzanna drehte beide Zöpfe ineinander. »Er sagt, dass ich hübsch bin, genau wie du.« »Tut er das?« Marlena sah zu dem Mann, der im Schatten seines Wagens kaum zu erkennen war. Langsam fuhr sie an den zweifarbigen Chevy heran und blieb parallel zu ihm stehen. Der Mann hinter dem Steuer war groß, er hatte schwarzes, mit Brylcreme nach hinten gekämmtes Haar, sein weißes Hemd stand am Kragen offen. Schlank und braun gebrannt lag die Hand an der Fensterscheibe; die Nägel waren sauber geschnitten, kein Ring. Rhythmisch trommelte er mit einem Finger gegen die Tür. »Du kommst zu spät.« »Ich konnte nicht weg. Lucas hat jemanden zum Essen mitgebracht.« Suzanna spürte die Spannung zwischen den beiden Erwachsenen. Big Johnny war wütend, er wirkte erhitzt, innerlich wie äußerlich. Seine gebräunte Haut glänzte vor Schweiß, in seinen schwarzen Augen lag ein brennender Blick. Noch Tage danach war ihre Mutter völlig durcheinander, wenn sich Johnny ihr gegenüber wieder einmal scheußlich benommen hatte. »Ich kann bis hundert zählen«, sagte Suzanna. »Tut mir leid, dass es so spät geworden ist«, sagte Marlena. »Es ging nicht früher.« »Wir haben Eistee dabei«, sagte Suzanna. Big Johnny liebte Eistee. Sie hielt den schweren Krug hoch. Zitronen trieben auf der Oberfläche, Eiswürfel schlugen gegen das Glas. »Ich hab auch Gläser. Und Mama hat mir Würmer ausgegraben.« Jetzt endlich hatte sie Big Johnnys Aufmerksamkeit. »Du hast Würmer mitgebracht?« Er klang aufgesetzt fröhlich. »Würmer für Susie-Belle-Ring-o-ling?« Big Johnny stieg aus, auf den Lippen ein angestrengtes Lächeln. In der Hand hielt er einen Lederbeutel. Er ging zur Beifahrertür und stieg ein. Suzanna stand zwischen den beiden Erwachsenen auf dem Sitz, und plötzlich hatte sie das Gefühl, in der Falle zu stecken. Marlena legte den Gang ein und fuhr langsam los. »Ich hab dich vermisst«, sagte Marlena. Sie hatte die Hände am Steuer, ihr Blick war auf den Weg gerichtet, der sich vor ihnen durch den Kiefernwald schlängelte. »Wo hast du gesteckt?« »Oben in Mendenhall und Magee, Collins und Hattiesburg. Ich hab Lews Route übernehmen müssen, er hat mit Fieber im Bett gelegen. Ich hätte dich angerufen, aber das geht ja nicht.« Er klang verbittert. »Könnte ja sein, dass dein Mann rangeht.« Marlena sah ihn an. Suzanna bemerkte ihren flehenden Blick. »Tut mir leid. So ist es nun mal.« »Ich habe es satt, dass es so ist«, sagte Big Johnny leise. Er starrte vor sich hin. Suzanna lehnte sich gegen den Sitz, an ihren Beinen spürte sie das aufgeheizte, verstaubte Leder. Sie mochte es nicht, wenn ihre Mutter und Big Johnny wütend aufeinander waren. Sie mochte es, wenn sie lachten und sich neckten, dann funkelten die blauen Augen ihrer Mutter, und sie war wunderschön und fröhlich. Wenn sie wütend waren, wich alle Freude aus ihrer Mutter, bis nur noch die harte, kalte Schale ihres Körpers übrig blieb. »Mama sagt, wir können heute angeln gehen«, sagte Suzanna. Meistens gefiel es Big Johnny, wenn sie angeln gingen. »Ich hab keine Zeit.« Es klang wie eine Bestrafung. »Bitte, Johnny.« Marlena wandte sich ihm zu. »Ich hab mir was einfallen lassen müssen, damit ich für drei Stunden wegkann. Es ist schwierig, überhaupt so viel Zeit aufzubringen.« »Es kommt mir vor, als würde ich dich mieten. Pass auf, wo du hinfährst«, blaffte er. »Sag so was nicht.« »Ist aber so. Ich komme mir so billig vor.« Johnny zog eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. Der Fahrtwind blies den Rauch fort. Er lachte schroff. »Ist das nicht das Beste? Ich komme mir billig vor. Ich will mehr, Marlena.« Es folgte ein langes Schweigen, das Suzanna wütend machte. Sie hasste Big Johnny, und sie hasste ihren Vater. Einfaltspinsel, das waren sie. Das Wort hatte sie in der Schule aufgeschnappt, und sie war mächtig stolz darauf. Schließlich brach Marlena das Schweigen. »Mehr kann ich dir nicht geben, Johnny, im Moment jedenfalls nicht. Wenn du willst, bring ich dich zum Wagen zurück.« Suzanna beobachtete die Mundwinkel ihrer Mutter, die winzigen Kerben in ihren Lippen und ihrer Haut. Ihr Kinn zitterte. Gleich würde ihre Mutter zu weinen anfangen. Wütend ging Suzanna auf den Mann neben sich los. »Ich hasse dich!« Sie holte mit dem Fuß aus und trat ihn in die Rippen. Er gab einen seltsamen Laut von sich und sackte nach vorn. »Suzanna!« Marlena stieg mit voller Wucht auf die Bremse. Der Cadillac geriet ins Schleudern und stellte sich quer, die Räder blockierten, gaben ein Kreischen von sich und schlitterten durch den Sand. »Verdammt noch mal!« Johnny beugte sich über den Sitz, packte das Lenkrad und riss es herum. Der Wagen schlingerte, richtete sich aus und kam mitten auf dem Weg zum Stehen. »Du hättest uns alle umbringen können!« Mit einem Arm hielt er Suzanna, die sich oben an der Windschutzscheibe abstützte, an den Beinen umfasst. »Sie wäre fast aus dem Wagen geflogen, hätte ich sie nicht aufgefangen.« »Es tut mir leid … es tut mir leid.« Marlenas Kopf fiel nach vorn auf das Lenkrad. »Ich weiß nicht, warum ich überhaupt am Leben bin«, sagte sie. »Ich will sterben.« »Mama!« Suzanna wand sich aus dem Griff des Mannes. »Mama, schon gut. Nicht weinen.« Sie drückte sich an die Schulter ihrer Mutter und spürte erneut den Zorn auf den Mann neben sich. Finster sah sie ihn an. »Mach es wieder gut«, forderte sie. Johnny stieg aus und ging um den Wagen herum zur Fahrerseite. Marlena rutschte hinüber und lehnte sich mit dem Gesicht gegen Suzanna. Im Flüsterton sprang der Wagen an, dann fuhr Johnny los. Er sah nicht herüber, er sagte nichts, er legte nur den angewinkelten Arm auf die Tür und fuhr, während ihm der Wind den Schweiß auf der Stirn trocknete. Noch bevor Johnny abbremste, erkannte Suzanna den im Schatten liegenden Holzweg, auf den sie abbiegen mussten. Ihr Lieblingsplatz zum Angeln. Der Weg, nicht mehr als zwei von zahlreichen Schlammlöchern durchzogene Fahrspuren, wand sich zum Fluss. Das langsam fließende braune Gewässer wies tiefe, von verfaulendem Laub verdunkelte Stellen auf, in deren Strudel sich Baumstämme verfingen, dazu verdammt, für immer dort zu bleiben. Es war warm genug, damit sie in die seichten Abschnitte waten konnte, wenn ihre Mutter sie ließ. Sie konnte nicht schwimmen. Keiner hatte bislang Zeit gefunden, es ihr beizubringen. Als der Wagen angehalten hatte, schnappte sich Suzanna vom Rücksitz die Angelrute und die Dose mit den Würmern, die auf dem Boden stand. Sie hasste es, die Würmer an den Haken zu spießen, aber Big Johnny hatte ihr gezeigt, wie es ging, und er würde sich über sie lustig machen, wenn sie sich zickig anstellte. Mit der Rohrrute und der Dose schlenderte sie zum...