Hagemeier | Postpolitische Konstellationen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Hagemeier Postpolitische Konstellationen

Zu Erfahrung, Wissen und Handlungsmacht

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-7460-2400-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ebenso wie ein «Sei doch mal spontan» eher selten wirkt, ist der Appell eines «Seid kooperativ» nur bedingt wirkungsvoll. Klar, eine Aufforderung kann motivieren. Allein die Notwendigkeit zum Appell verdeutlicht bereits, dass es offensichtlich Hindernisse gibt, die einer konstanten Spontanität oder Kooperation im Wege stehen. Warum wird die individuelle Entscheidung zugunsten sozialer Kooperation seltener getroffen? Warum ringen wir uns nicht öfter dazu durch, die Verhältnisse gemeinsam zum Besseren zu ändern? Dieses Buch charakterisiert die gegenwärtigen postpolitischen Konstellationen und skizziert Wege zu einer Konzeption kooperativer Handlungsmacht.

Martin Hagemeier, Dr. phil., studierte Philosophie, Politikwissenschaft und Soziologie in Münster und Berlin.
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1 Einleitende Impulse
Postpolitische* Konstellationen stehen am Anfang dieses Textes.1 Postpolitische Konstellationen? Das sind die Bedingungen, unter denen sich politisches und soziales Handeln heute vollzieht. Ihre Symptomatik zeigt sich besonders im Umgang mit einer zentralen Herausforderung: Die zunehmende soziale Komplexität führt auf der einen Seite zu einem Anwachsen individueller und kollektiver Entscheidungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite drängt sich der Eindruck auf, dass es an gesellschaftlichen Alternativen mangelt, um entschieden – über den individuellen Lebensentwurf hinaus – auf die Anforderungen komplexer werdender Gesellschaften zu reagieren. Hier ist bezeichnend, dass wir zwar durchgehend mit den sozialen Auswirkungen der postpolitischen Konstellationen konfrontiert werden, aber nur eingeschränkt auf sie Einflussnehmen können. Dieses Spannungsfeld erschließt sich mir im Folgenden über die Suche nach individueller und kollektiver Handlungsmacht. In diesem Zusammenhang ergründe ich, inwiefern unter den postpolitischen Konstellationen Autonomie* weiterhin formuliert, begründet und behauptet werden kann. Im weiteren Verlauf des Textes wird dies vornehmlich eine erkenntnistheoretische Auseinandersetzung, die sich auf die Grundlagen unserer sozialen Erfahrung und die Bedingungen der Formulierung von Wissensansprüchen fokussiert. Die Diskussion einer Begründung kooperativer Handlungsmacht schließt diesen Text letztlich ab. Der eingenommene Ausgangspunkt und die dazu aufgeworfenen Aspekte eröffnen bereits eine breite Palette an Themen. Wie lassen sie sich unter einen Hut bringen? Eine meiner flapsigeren Einsichten besteht darin, dass es diesen einen Hut nicht geben wird. Abhilfe verschafft allerdings eine Theorie des Subjekts. Damit bietet sich uns ein Abstecher in die Praxis an. Wir können uns an Subjekte wenden und sie direkt befragen: Warum beteiligst Du Dich nicht an Wahlen? Warum bist Du nicht in einer Gewerkschaft, einem Verein oder einer Partei aktiv? Wann warst Du zum ersten oder auch letzten Mal auf einer Demonstration? In welche kooperativen Strukturen bist Du involviert? Warum hörst Du Dir die Stammtischparolen an, widersprichst aber nicht der platten Polemik? Solange uns Subjekte nicht darauf antworten, können uns Soziologie und Politikwissenschaft zu diesen Fragen Auskunft geben. Allerdings ist dann weniger von Subjekten die Rede, als von sozialen Akteuren. Weitere Elemente der Theoriebildung sind ebenso anzupassen. Autonomie passt zwar thematisch, ich bevorzuge allerdings das Konzept von Agency*, von Handlungsmacht. Wollen wir den Konsequenzen der postpolitischen Konstellationen entkommen, brauchen wir eine Bestimmung von Agency, als sozialer und politischer Handlungsmacht. Dieses Konzept umfasst ein aktives Moment, das in den geläufigen Verständnissen von Autonomie oft zu kurz kommt. Agency verweist auf einen vorantreibenden Impuls, mit dem Prozesse initiiert und im Idealfall auch soziale Kooperationen gefördert werden. Dazu gehört ebenfalls die Auseinandersetzung mit den Motivationen des eigenen Handelns und Urteilens und mit dem Ziel, etwas zu tun. Egal was. Unterzeichne eine Petition. Backe einen Kuchen. Kette Dich vor das Parlament. Organisiere einen Protest. Diskutiere mit anderen. Tritt in die Öffentlichkeit oder besuche nur ein Museum. Aber mache es aus einem guten Grund und teile Deine Motivationen und Begründungen mit anderen. Teile zumindest den Kuchen. Kuchen geht immer. Mein Augenmerk richtet sich dazu besonders auf Zugänge zu den Elementen der Formierung subjektiver Handlungsmacht und kollektiver Wissensansprüche. In Umformulierung der klassischen kantischen Fragen ist dies eine Auseinandersetzung mit drei Aspekten: Wie kann ich etwas Wissen? Sollte ich wirklich daran glauben? Und eigentlich müsste es jetzt heißen: „Wie bekomme ich den Ar*** hoch?“ Aber wir haben uns gerade erst kennengelernt, da verweise ich lieber auf Mahatma Gandhi: „Sei der Wandel, denn du in der Welt sehen willst.“ Auch wenn dies keine Frage ist. Es ist nicht mal ein korrektes Zitat von Gandhi.2 Während der Arbeit an diesem Buch präsentierte mir meine Facebook-Filterblase beständig weitere Zitate, die so nie gesagt oder gemeint gewesen sein konnten. Zumeist unterlegt mit Schwarz-Weiß-Fotografien bekannter Gesichtern oder malerischer Ansichten. Mit dem Schlagwort des Postfaktischen wurden plötzlich Behauptungen als Grundlage von Begründungen angeführt, die einer jeden Grundlage entbehren oder sich jeder rationalen Begründung entziehen. Getrumpft nur noch durch die Redeweise von alternativen Fakten. Davon grenze ich mich ab. Es ist nicht das Ziel, Tatsachen zu widerlegen, falsche Behauptungen aufzustellen oder nicht nachvollziehbare Legitimationen anzuführen. Das angestrebte Theoriedesign* dreht sich vielmehr um Formen des Begründens und um die Frage, wie wir mit den Widersprüchen konfligierender Begründungen umgehen können. Verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel tiefer Meinungsverschiedenheiten.3 Tiefe Meinungsverschiedenheiten verweisen auf innergesellschaftliche Konfliktlinien und charakterisieren sich durch die in ihnen zum Ausdruck kommenden ungelösten gesellschaftlichen Spannungen. Abtreibung? Atomkraft? Dürfen wir Tiere essen? Diese Themenfelder eröffnen jeweils eine stringente Argumentation dafür und dagegen. Nur überzeugen die jeweiligen Begründungen eben nicht alle. Argumente werden mich nicht davon überzeugen können, dass Atomkraft gut sein könnte, oder gar die Todesstrafe in bestimmten Situationen gerechtfertigt sei. Hier situiere ich mich in normativen Ordnungen, die diese Denkweise nicht vorsehen. Bei der Abtreibung ist es anders. Hier bin ich für eine liberale Fristenregelung. Vielleicht weil ich keine Antwort darauf finden kann, warum es akzeptabel sein soll, ein lebensfähiges acht Monate altes ungeborenes Kind zu töten. Aber liegt hier nicht ein Widerspruch vor? Natürlich! Jemand kann vehement gegen die Todesstrafe sein und dann bei Abtreibungen doch weich werden. In einer argumentativen Entgegnung darauf finde ich den Hinweis: „Damit machst Du es Dir aber ganz schön einfach“ durchaus für angebracht. Nur dreht sich die Debatte um tiefe Meinungsverschiedenheiten weniger um das Untersuchen von argumentativen Plattitüden als um das Aushalten von Widersprüchen. Und dies nicht nur in Bezug auf die inneren Widersprüche einer Person, sondern auch um gesellschaftliche Widersprüche und Spannungen. Hier brauchen wir soziale Antworten. Tiefe Meinungsverschiedenheiten lassen sich nicht per Dekret lösen. Die aufeinandertreffenden Argumentationslinien sollten zumindest juristisch geregelt sein, damit klar ist, unter welchen Umständen Abtreibungen legal möglich sind. Grauzonen sind dabei vorprogrammiert. Momente, in denen das konkrete Leben uns mit politisch ungelösten Situationen konfrontiert, oder auf Vorbehalte und Meinungen reagieren soll, die nicht durch juristische Kniffe gelöst sind. In Bezug auf die Gesellschaft ist danach zu fragen, wie sozialkooperative Gruppierungen mit fehlenden oder konfligierenden Horizonten der Begründung umgehen. Wie wirken sich diese Konflikte auf soziales Handeln aus? Wie gewinnen Akteure in ihrer sozialen Praxis eine Erkenntnis der dominierenden normativen Ordnung? Welche Einstellungen bilden sich hier gegenüber der sozialen Praxis und der normativen Ordnung heraus? Um Fragestellungen und Aspekte dieser Art zu bearbeiten, ist es entscheidend die sozialen Bedingungen normengeleiteten Handelns zu untersuchen. Auch, um später individuelle und kollektive Handlungsmacht zu lokalisieren, mit der diese Normen geändert werden können. Dazu ist es angebracht, zu erörtern, unter welchen Bedingungen individuelle oder kollektive soziale Akteure sich in großen oder kleinen Formaten an soziale Praktiken der Ausgestaltung der normativen Ordnung anschließen. Mit diesen Aussagen kann ich mein spezifisches Erkenntnisinteresse formulieren: Mich interessieren die sozialen Bedingungen normengeleiteten Handelns und die sozialen Erfahrungen, die wir im Umgang mit normativen Ordnungen machen. Besonderes Interesse bringe ich der Frage entgegen, wie wir die Normen und Urteilskriterien unseres Handelns und Erkennens verändern können. Autonomie und der Fluch der inneren Freiheit
Ehe ich einen Überblick über den folgenden Text gebe, ist ein konkreteres Eingehen auf die Absage an den Begriff der Autonomie angebracht. Als Schlagwort wird Autonomie oft mit Freiheit oder Unabhängigkeit in Verbindung gebracht oder als Moment der Selbstbestimmung charakterisiert. Autonomie bedeutet allerdings auch Selbstgesetzgebung. Damit werden ergänzende Aspekte der Selbstbeschränkung und Selbstbegrenzung in die Auseinandersetzung um die Bestimmungen von Autonomie und Freiheit eingebracht.4 Als Selbstgesetzgebung ist Autonomie die Situierung innerhalb einer sozialen Ordnung. Wir sind nicht autonom, wenn wir frei, unabhängig und bindungslos existieren, sondern wenn wir um unsere sozialen Bindungen wissen und uns einer selbst gewählten Ordnung gegenüber verpflichten. Dieser Gedanke der sozialen Einbindung findet sich bereits in der Antike: „Jeder, der keine Gemeinschaft mit anderen bilden kann oder in seiner Autarkie nicht...


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