E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Hanna Hemlokk
Küsten Krimi
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Hanna Hemlokk
ISBN: 978-3-96041-598-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
In einem luxuriösen Seniorenwohnpark an der Ostsee geht der Tod um. Scheinbar wahllos rafft er Rentnerin um Rentner dahin. Ist das wirklich nur der natürliche Lauf der Dinge – oder hilft da jemand nach? Hanna Hemlokks Spürnase juckt. Kaum zu glauben, welche geballte kriminelle Energie diese
Senioren zwischen Taubenzüchterverein und Häkelclub entfalten. Hanna, selbst ernanntes "Private Eye", riskiert Leib und Leben, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
Autoren/Hrsg.
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ZWEI
Ich gebe es unumwunden zu: Ich war ziemlich neugierig auf Karl Lißners Erbin, die Amigurumi-Spezialistin Freya Schüssler-Knack. Mit ihr musste ich natürlich als Erstes reden, um ihre Version der Geschichte zu hören und um zu sehen, was das überhaupt für eine war. Außerdem interessierte mich diese Wohnanlage namens »Elysium« schon, in die man sich erst einkaufen und einziehen konnte, wenn einem mindestens fünfundfünfzig Lenze in den Knochen steckten, wie Marga mir berichtet hatte. Sicher, ich plante nach wie vor keinesfalls, irgendwann meine Villa gegen ein dortiges Apartment zu tauschen, weil das Konzept einfach nicht meins war. Denn derart viele Methusaleme auf einem Haufen, das musste zwangsläufig eine völlig eigene Welt sein. Doch Margas Worte und Schilderungen hatten ihre Wirkung auf mich nicht verfehlt. Deshalb beschloss ich, mich gleich am Nachmittag auf die Socken zu machen und mit den Ermittlungen zu beginnen. Der Vormittag jedoch gehörte wie schon seit Monaten Richard und Camilla, meinem Protagonistenpaar in den Geschichten für die Yellow Press. So nenne ich ihn stets am Anfang einer Liebesgeschichte, während sie ständig Camilla heißt, bis ich die Namen der beiden Herzchen in einem der letzten Arbeitsschritte individualisiere. Dann wird er zu Lukas, Paul oder Fred und sie zu Anne, Carmen oder Marie. Als ich es noch nicht so gemacht hatte, wechselte des Öfteren nach meinem Mittagessen der Heldenname in der Geschichte. Was gar nicht gut ankommt. Also brühte ich mir die für diese Arbeit unumgängliche traditionelle Kanne Earl Grey auf, verwandelte meinen Ess- in einen Arbeitstisch, indem ich ihn von meinem Frühstücksteller befreite und meinen Laptop draufstellte – und checkte mein Smartphone. Doch da fanden sich nur die üblichen morgendlichen Tralala-Meldungen über eine Promi-Trennung nach sagenhaften sechs Tagen Ehe (»Wir haben hart an unserer Beziehung gearbeitet«) und einen Pudel, der singen konnte, wenn man ihm nur genug Bier gab; also nichts, womit ich mich guten Gewissens hätte ablenken können. Pech gehabt. Streng befahl ich daher meinem Alter Ego, das unter dem Pseudonym Vivian LaRoche für die Sülzheimer zuständig ist: Keine Ausflüchte mehr, mach hinne, Mädchen! Lass Richard und Camilla lieben und leiden, auf dass die Schwarte kracht. Doch Vivian, das Mimöschen, verweigerte sich wieder einmal. Statt das Melodram des Jahrhunderts auf drei bis sechs Seiten oder in vier bis fünf Folgen zu entwerfen, schaute die dumme Nuss aus dem Fenster und sah dem Gras beim Wachsen zu. Na ja, grün war da Ende März noch nichts, hier oben an der Packeisgrenze erwachte die Natur erst später zum Leben. Und es regnete, feinfieselig und ohne Unterlass, seit ich aufgestanden war. Tropfen für Tropfen fiel auf den still daliegenden Passader See. Der dunkelgraue Himmel küsste fast den Boden. War das ein Satz? Ich dachte just darüber nach, ob ich Vivian als weitere Stimulans nicht ein paar Gummibärchen hinstellen sollte, als mein Telefon klingelte. Dankbar nahm ich den Hörer ab. »Maria Glade ist letzte Nacht gestorben«, teilte mir Marga mit Grabesstimme mit, bevor ich mich überhaupt melden konnte. »Neunundsiebzig Jahre alt. Herzversagen, soweit ich gehört habe.« »Aha.« »Nix aha«, äffte sie mich nach. »Maria war knackgesund.« »Du willst also behaupten, dass da auch etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist?«, erkundigte ich mich vorsichtig. »Hör mal, Schätzelchen. Ich mag diesen zweifelnden Tonfall nicht. Ja, das will ich. Weil es schlicht und ergreifend zu viele Leichen auf einmal sind. Das ist ja eine richtige Sterbeepidemie. Wenn da mal nicht einer vom Personal dran dreht.« »Der Todessamariter vom ›Elysium‹, meinst du?« Manchmal schaltete ich schnell. »Spotte du nur. Die gibt’s häufiger, als man denkt. Dieser eine Pfleger da aus Niedersachsen hat über hundert Leute umgebracht, bevor man ihn nicht bloß weiter versetzte, sondern richtig aus dem Verkehr zog. Eine Krähe hackt der anderen eben kein Auge aus. Die Klinikleitungen haben ihn nicht etwa überwacht und angezeigt, als sie Verdacht schöpften, sondern lediglich weggelobt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Genau wie die katholische Kirche mit ihren gefallenen Priestern, die die Hände nicht unter der Soutane lassen können, sondern kleine Mädchen und Jungs angrabbeln. Da war auch nichts mit dem Staatsanwalt und einer gerechten Strafe, sondern ab in die Archive des Vatikans, wenn’s hochkam.« »So war es früher, ja«, sagte ich geduldig. »Jetzt haben sie in Australien aber diesen einen Kardinal richtig verknackt. Der muss über drei Jahre ins Gefängnis.« »Pah, eine Ausnahme. Lass dir doch keinen Sand in die Augen streuen«, meinte sie ruppig. »Das bleibt, wie es war: Man vertuscht, wo man kann und eine Chance sieht, damit durchzukommen. Und schuld an den ganzen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche sind sowieso die Altachtundsechziger, wie sich dieser Ex-Benedikt nicht entblödet hat zu behaupten. Der Mann ist ja senil.« »Der Mann ist über neunzig.« »Na und?« »Da kann es schon mal vorkommen, dass der Verstand schwächelt. Denn auch bei Gottes Stellvertreter auf Erden im Ruhestand lässt es geistig irgendwann mal nach.« »Gut, lassen wir das. Aber du glaubst doch wohl selbst nicht, dass die Leitung des ›Elysium‹ alles schonungslos offenlegen würde. Unerklärliche Todesfälle sind für die das absolut Letzte. Die haben einen Ruf zu verlieren. Und viel, viel Geld. Also tu was, Schätzelchen, und behalte Maria bei deinen Ermittlungen gefälligst im Hinterkopf. Diese Todesserie muss aufhören, noch bevor sie richtig beginnt!« Und weg war sie. Nachdenklich schenkte ich Vivian und mir noch eine Tasse Tee ein. Zwei Tote in einer Rentnerresidenz mit über vierhundert Leuten innerhalb von zwei Wochen. Das war nun wahrhaftig keine mysteriöse Todesserie, sondern eher das normale Ende der Fahnenstange. Langsam wurde das bei Marga wirklich zu einer fixen Idee. Ob das an ihrem Alter lag und sie Angst vor ihrem eigenen Ende hatte? Höchstwahrscheinlich spielte das eine durchaus wichtige, wenn nicht sogar die zentrale Rolle bei ihr. Aber ich würde ihr selbstverständlich den Gefallen tun und die Sache untersuchen, allein schon, um sie zu beruhigen. Und nachzuweisen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen war, konnte doch nicht so schwer sein. Ich war ja quasi unbelastet, weil noch lange nicht in dem Alter, wo dieses schreckliche »Elysium« und der Sensenmann auf mich warteten. Voller Behagen schaute ich mich in meiner Villa um. Ich würde die phantastische Lage direkt am See zwischen den Ortschaften Passade und Fahren wohl nie als selbstverständlich hinnehmen. Nein, ich liebte dieses Heim, das zwar winzig, aber meins war: Küchenzeile, Schlafkabuff, Wohnzimmer, Bad, alles zusammen um und bei satte fünfundvierzig Quadratmeter. Dazu kam ein zwölf Quadratmeter großes Gärtlein, in dem in den warmen Monaten mein Schildkröterich Gustav mit seiner Angebeteten Hannelore und seiner vierköpfigen Brut hauste. Mir reichte das, obwohl ich mir manchmal schon etwas mehr Stauraum gewünscht hätte. Oder ein Gästezimmer, denn Harry und ich passten gerade so auf meine Matratze, wenn er die Beine geschickt anwinkelte oder die Füße heraushängen ließ. Ach Harry. Der Mann befand sich in einer Melancholie-Krise, keine Frage. Ich verstand ihn ja. Richard und Camilla hingen mir, wie gesagt, auch oft genug zum Hals heraus. So wie jetzt. Der kurzzeitige Anflug von guter Laune war verflogen. Trübsinnig starrten Vivian und ich auf den blinkenden Cursor. Und wenn die LaRoche in dieser Story aus dem an sich grundguten Camillchen mal eine ganz miese, fiese Erbschleicherin machte, die ihr Herz für den dauerhäkelnden Softie Richard entdeckte? Ein Bild von einem Mann, der nichts schöner fand, als Amigurumi-Würmer zu stricken, zu häkeln, zu nähen oder wie immer man das sonst machte? Und auf der Flucht durch die Probstei würden sie dann wie Bonnie und Clyde … Hemlokk, hörte ich Harry genervt bölken, komm auf den Teppich. Du sollst keinen Actionthriller zu Papier bringen, sondern eine Sülzlette. Was ein Wort war – genau wie der Schmalzheimer –, das ungestraft nur Vivian und ich für unsere Liebesromane benutzen durften. Für jeden anderen waren beide Begriffe tabu, da konnte ich ziemlich sauer werden. Der Regen nahm noch einen Tick zu, und dicke Tropfen schlidderten jetzt auf faszinierende Weise die Scheibe hinab. Es hatte etwas Meditatives. Ob ich vielleicht doch endlich eine Privatdetektivin mit Lizenz und dadurch dann vor allen Dingen mit vermögenden Auftraggebern in großer Zahl aus mir machen sollte? Bislang hatte ich es einmal probiert, war damals jedoch vor verschlossenen Türen gescheitert, weil sich die gesamte Rathausmannschaft ausgerechnet an jenem Tag auf Betriebsausflug befunden hatte. Ich könnte mich allerdings noch einmal aufraffen. Viel gehörte nämlich nicht dazu. Ich würde einen Gewerbeschein beantragen, dafür löhnen – und schon könnte ich das Schild neben meiner Haustür anbringen: Hanna Hemlokk Privatdetektivin Diskret. Zuverlässig. Schnell. Sprechstunde nach Vereinbarung Denn natürlich würden auch wieder andere Zeiten kommen – in denen die Detektei Hemlokk sich nicht mit höchstwahrscheinlich friedlich im Bett gestorbenen Pensionären herumplagen musste, sondern mit ebenso grausamen wie unentdeckten Morden, Entführungen aller Art sowie Diebstählen und Betrügereien en gros und en détail! Entschlossen fuhr ich den Laptop herunter und klappte ihn zu. Mit der LaRoche war heute nichts mehr anzufangen,...