E-Book, Deutsch, Band 2, 384 Seiten
Reihe: Hanna Hemlokk
Küsten Krimi
E-Book, Deutsch, Band 2, 384 Seiten
Reihe: Hanna Hemlokk
ISBN: 978-3-86358-819-9
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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EINS »Ach, kleit mi doch am Mors!« Ich stand vor der geschlossenen Tür des Schönberger Rathauses und drohte dem Schild in der Glastür mit der geballten Faust, das sich allerdings – Überraschung! – selbst von der plattdeutschen »Leck mich doch …«-Variante wenig beeindrucken ließ. Am Morgen hatte ich spontan beschlossen, meine Existenz als Private Eye endlich auf eine solide und das heißt hierzulande amtliche Grundlage zu stellen, und war gleich nach dem zweiten Matulke’schen Brötchen losgezogen, um einen Gewerbeschein zu beantragen. Wer mich kennt, weiß, dass ich das entsprechende Schild an meiner Villa bereits seit Langem vor mir sehe: Hanna Hemlokk Privatdetektivin Diskret. Zuverlässig. Schnell. Sprechstunde nach Vereinbarung Stunden hatte ich an den zurückliegenden langen Winterabenden vor meinem dänischen Kaminofen darüber nachgegrübelt, ob es nun »nach Vereinbarung« oder »n. Vereinbarung« heißen sollte. Schließlich hatte ich mich für die ausgeschriebene Fassung und damit gegen den allgemeinen Abkürzungswahn entschieden. Es sah irgendwie nicht so gehetzt aus, fand ich. Und nun das: Die komplette Belegschaft des Rathauses befand sich auf Betriebsausflug und hoffte auf das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger, danke. Na ja. Meines hielt sich an diesem Morgen in engen Grenzen, um ehrlich zu sein. Denn auf der kurzen Fahrt von Bokau nach Schönberg hatte ich mir bereits in den schönsten Farben ausgemalt, wie ich heute Abend auf meiner Gartenbank sitzen und mit einem Glas Sekt in der Hand das erhebende Gefühl des gesellschaftlichen Aufstiegs genießen würde. Auf die ständig wiederkehrende Frage »Und was machen Sie so beruflich?« würde ich zukünftig nicht mehr mit einem verschämt gemurmelten »Och, ich arbeite als Tränenfee und produziere Schmalzheimer für die Yellow Press« antworten, sondern cool, lässig und selbstsicher »Ich bin Privatdetektivin« schnarren. »Und sogar eine ziemlich erfolgreiche, Baby, denn bislang habe ich noch jeden Fall geknackt.« Woraufhin mein sprachlos-bewunderndes Gegenüber entweder einen spitzen Schrei ausstieß, wenn es weiblich war, oder sein Glas Whisky in einem Zug abstürzte, um zu bemänteln, wie beeindruckt er war, wenn es sich um einen Kerl handelte. Tja, aus der Traum. Zumindest für heute. Beim nächsten Anlauf würde ich mich sicherheitshalber vorher telefonisch erkundigen, ob das Amt geöffnet hatte oder sich möglicherweise tutti completti auf einer betrieblichen Fortbildung zum Thema »Probsteier Charme – Fluch und/oder Segen?« befand. »Hanna!« Ich wandte mich um. »Moin, Theo«, begrüßte ich den Freund und Mitstreiter meiner Freundin Marga. »Was treibt dich denn in die City? Das Rathaus hat dicht.« »Verdammter Mist«, entfuhr es ihm. Ich stutzte. Theo Keller war ein durch und durch lieber älterer Herr, und Fluchen, auch wenn es sich um eine harmlose Variante handelte, gehörte normalerweise nicht zu seinem Repertoire. »Was ist los? Kann ich dir irgendwie helfen? Ist etwas mit Marga?« So neu war meine Freundin schließlich auch nicht mehr, und ich hatte sie ein paar Tage lang nicht gesehen, obwohl wir ziemlich dicht beieinander wohnten. »Nein, nein, keine Bange«, beruhigte er mich. »Unsere Frau Schölljahn ist gesund und munter wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Das wird noch ein bisschen dauern, bis ich ihren Totenschein vom Amt holen muss.« Hm. Entsprang der Ausspruch nun altersweiser Abgeklärtheit oder drögem norddeutschen Humor? Plötzlich begann er mich so nachdenklich zu mustern, als käme ihm bei meinem Anblick eine blitzgescheite Idee. Und siehe, seine hängenden Altherrenwangen, auf denen zahlreiche geplatzte Äderchen von einem guten Leben zeugten, strafften sich unmerklich, und der müde, niedergeschlagene Ausdruck in seinen Augen verschwand. Ich wartete geduldig, bis er scheibchenweise mit der Information herüberrückte. »Weißt du, Marga brütet schon wieder einen ihrer verrückten Pläne aus, und ich mache mir da ein wenig Sorgen. Aber das ist es eigentlich nicht, was mir auf der Seele liegt. Hast du ein bisschen Zeit, Hanna? Ich lade dich auf einen Kaffee bei Inge ein.« Oha. Das hatte es noch nie gegeben. Es musste sich also wirklich um etwas Ernstes handeln. »Ja, klar«, sagte ich munter. Eigentlich hatte ich am Nachmittag eine Radtour durch die blühenden Rapsfelder geplant – der schwere Geruch sowie das intensive Gelb vor blitzblauem Himmel waren einfach eine Wucht –, doch wenn der moralisch-freundschaftliche Dienst rief, musste das Vergnügen warten. Schweigend stiefelten wir zum Parkplatz hinunter, nickten uns zu, stiegen in unsere Autos und fuhren los. Theo war erst im Januar ins Dorf gezogen, wobei natürlich seine Freundschaft zu Marga den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben hatte. Die beiden mochten sich zweifellos sehr. Ob sie auch ein Liebespaar waren, wusste ich nicht. Sie teilten jedoch etliche Überzeugungen, angefangen vom Wert einer frisch zubereiteten Pizza bis hin zu der Notwendigkeit des unbedingten Schutzes der Meere. Wobei Marga immer dann, wenn es darum ging, zur Tat zu schreiten und der Welt zu zeigen, wo es ihr an Vernunft gebrach, die Nase vorn hatte, während Theo eher zur Fraktion der Zögerer und Zauderer gehörte. Womit er ganz auf meiner Linie liege, wie Marga nicht müde wurde, mir vorzuwerfen. Sein Wagen stand bereits auf Inges Parkplatz, als ich ankam. Ich stellte meinen daneben und marschierte zur Terrasse. Theo hatte, obwohl der Wind für Mitte Mai reichlich frisch blies, einen der Außentische für unser Gespräch gewählt, weil wir dort garantiert ungestört bleiben würden. Denn im Gegensatz zum Gastraum war auf dem Freisitz nicht viel los. Lediglich Fiete, Inges Golden Retriever, schnarchte in seiner Ecke vor sich hin, und drei eingemümmelte Paare trotzten den nicht gerade schweißtreibenden Temperaturen, indem sie sich an ihren heißen Tassen festhielten. Die Damen und Herren hatten sich so weit auseinander gesetzt, dass sie sich untereinander und uns nicht einmal dann hätten belauschen können, wenn sie die Ohren tellergroß aufgesperrt hätten. Ich wurde immer neugieriger, was Theo von mir wollte, sauste jedoch noch einmal zurück, um den dickeren Pullover aus dem Wagen zu holen. Als Privatdetektivin, die im sturmumtosten Schleswig-Holstein ermittelt und ein Faible für toughe Krimi-Frauen in der Literatur hat, führe ich den stets griffbereit bei mir, genau wie die obligatorische Ersatzunterhose und die Zahnbürste für alle Fälle. Denn man weiß ja nie. Heute ermittelt unsereins noch im beschaulichen Husum, morgen ist man bereits einem Mörder in London auf den Fersen. Dermaßen gerüstet, setzte ich mich Theo gegenüber. »Kaffee? Oder einen Tee?«, fragte er. »Oder lieber etwas von diesem Latte, Matte, Tralala-Zeugs? Ich glaube, den hat Inge auch.« »Nein, Kaffee ist okay.« Denn der war bei Inge Schiefer wirklich gut. Frisch gebrüht, heiß und stark, und im Winter bei Bedarf mit einem guten Schuss Rum versehen sowie mit einem ordentlichen Klacks Sahne veredelt, weckte der die Lebensgeister nach einem strammen Spaziergang bei drei Grad Celsius und Nieselregen zuverlässig wieder auf. Doch auch bei angenehmeren Temperaturen schmeckte er einfach köstlich. Theo winkte Inge, die drinnen geduldig hinter dem Tresen wartete, kurz zu. Das reichte als Bestellung aus, denn in einem Dreihundert-Seelen-Dorf wie Bokau, wo jeder über die bevorzugte Klopapiersorte des Nachbarn – fünflagig, parfümiert oder nass – bestens Bescheid weiß, gehört das Wissen über jedermanns und -fraus Trinkgewohnheiten für die einzige Gastwirtin am Ort quasi zur Allgemeinbildung. Anschließend sagte er – nichts. »Theo?«, stupste ich ihn nach einer Weile an. Ich hatte nicht vor, den ganzen Tag mit ihm zu verbringen. »Was hat Marga sich denn nun wieder für einen tollen Plan ausgedacht?« Vielleicht fiel es ihm ja leichter, auf den eigentlichen Punkt zu kommen, wenn er sich erst ein bisschen über unsere gemeinsame Freundin warmgeredet hatte. Und es klappte tatsächlich. Theos Gesicht verfinsterte sich augenblicklich. »Marga Schölljahn ist verrückt«, teilte er mir mit. Das war nichts Neues, das wusste jeder, der mit der Dame engeren Kontakt pflegte. »Stell dir vor, sie hat uns beide für die Prüfung zum Sportbootführerschein See angemeldet. Bereits übermorgen geht es los. Und meinst du, sie hat mich vorher gefragt, ob ich mitmachen will? Nein, hat sie natürlich nicht. Dabei habe ich überhaupt keine Lust dazu. Aber so etwas lässt sie ja nicht gelten.« »Und wozu soll das gut sein?«, fragte ich verwundert. Unsere gemeinsame Freundin war nicht der Typ, der aufs Meer hinausfuhr, um mit verklärtem Blick dem Sonnenuntergang beizuwohnen. So etwas hielt sie für kitschig, gefühlsduselig und langweilig. Nein, die Gute bezweckte mit diesem Schritt irgendetwas äußerst Handfestes, aber hundertprozentig. Theo schwieg unglücklich. Jetzt legte ich mich richtig ins Zeug. »Will sie sich etwa für das Weltklima in einem Wingsuit von der Holtenauer Hochbrücke stürzen? Und wenn sie im Kanal landet, sollst du sie mit dem Boot rausfischen, während sich die Presse vor Begeisterung über die aktive Seniorin überschlägt?« Marga ging mittlerweile stramm auf die siebzig zu. »Oder will sie mit der spektakulären Aktion den gesammelten Walfangflotten der Ostsee an die Bordwände pinkeln?« Über Theos Gesicht huschte ein müdes Grinsen. »Wale gibt es abgesehen von den Tümmlern eher...