E-Book, Deutsch, Band 5
Reihe: Café Hannah
Wir müssen reden
E-Book, Deutsch, Band 5
Reihe: Café Hannah
ISBN: 978-3-945932-69-8
Verlag: 26|books
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Während Hannah um Andy kämpft, drohen auch andere Beziehungen zu zerbrechen. Und immer wieder lernen die Beteiligten: Miteinander reden kann durchaus nützlich sein!
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2 – Ein neuer Mann (Kassandra »Kassie« Kleiber)
Kassie zog den Reißverschluss der Reisetasche zu und trug sie zur Tür. »Jannis? Bist du fertig?«, rief sie Richtung Bad. »Ja, gleich«, kam die Antwort. Tatsächlich tauchte ihr Sohn ein paar Sekunden später auf. Wie immer war seine Frisur perfekt gestylt. »Gut siehst du aus«, sagte Kassie. »Danke.« Jannis nahm die Tasche, beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Bis Sonntagabend.« »Ja, viel Spaß.« Kassie hielt die Tür auf und ließ ihn vorbei. »Und sauber bleiben, hörst du?« Sie gab ihrer Stimme einen ironischen Klang. »Aber immer«, erwiderte Jannis entrüstet und rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Irgendwann würde er stolpern und … Kassie schloss die Augen. Sie wollte sich das nicht vorstellen. Sie wartete, bis die Haustür ins Schloss fiel, machte erst dann die Wohnungstür zu. Sie wollte keine Glucke sein, aber sie konnte nicht verhindern, dass sie sich Sorgen machte. Jannis hatte das Attentat am Olympia-Einkaufszentrum definitiv besser verarbeitet als sie, obwohl er mittendrin gesteckt hatte, während sie hilflos zu Hause hatte warten müssen. Sie hatten psychologische Betreuung erhalten, einzeln und als Familie. Es hatte sie und Bruno wieder näher zusammengebracht, dennoch hatten sie entschieden, weiterhin getrennte Wege zu gehen. Zumindest was ihre Beziehung anging. Wenn es ihren Sohn betraf, hielten sie zusammen – manchmal sehr zum Leidwesen von Jannis, der eine Zeitlang versucht hatte, sie gegeneinander auszuspielen. Diese Phase war zum Glück vorbei. Jannis würde bald achtzehn werden und damit volljährig. Sie hatten ihm klargemacht, dass er ihr vollstes Vertrauen genoss, solange er sich entsprechend verhielt. »Ihr habt mich erzogen, also liegt es an euch«, hatte er lachend geantwortet. Tatsächlich hatte es wenig Anlass zur Sorge gegeben. Kassie entschied, ihren Sohn fürs Erste aus ihren Gedanken zu verbannen und sich auf ihre eigenen Pläne zu konzentrieren. Sie hatte zwei Tage sturmfreie Bude und würde das ohne schlechtes Gewissen auskosten. Sie griff zum Telefon, wählte eine Nummer und sagte, als abgehoben wurde: »Du kannst kommen.« Wie alle Jugendlichen interessierte Jannis sich nicht allzu sehr dafür, was seine Mutter trieb, weshalb sie das Wochenende quasi unter seinen Augen hatte vorbereiten können, ohne dass er stutzig geworden war. Sie war bei Petér gewesen und hatte sich Strähnchen gegönnt, bei Hannah ein viergängiges Menü für zwei bestellt und bei Christine ein paar kleinere dekorative Blumensträuße gekauft. Hannah, der selten etwas entging, hatte ihr gesagt, wie gut ihr der neue Look stehen würde. Kassie hatte nur gelächelt. Sie warf einen Blick in den Spiegel, um ihr Aussehen zu überprüfen. Niko würde in zirka dreißig Minuten eintreffen, es war ausreichend Zeit, den Tisch zu decken und noch einmal alles zu kontrollieren. Aber Kassie wusste, dass alles vorbereitet war, sogar das Bett. Bei dem Gedanken musste sie kichern. Es war nicht das erste Mal, dass sie mit Niko schlafen würde, aber es war das erste Mal bei ihr zu Hause. Edi hatte es sich nicht nehmen lassen, eine kurze Anleitung zum Menü mitzuliefern. Kassie ging in die Küche, schaltete den Backofen ein, in dem das Hauptgericht stand, schaltete ihn nach kurzer Überlegung wieder aus. Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass sie sich zunächst sittsam an den Tisch setzen und etwas essen würden. »Du bist ein schlimmer Finger«, sagte sie leise und lachte. Niko klingelte bereits nach zwanzig Minuten, er musste geflogen sein. Er rannte die Treppe herauf und stand kurz darauf schwer schnaufend vor ihr, in der Hand drei langstielige rote Rosen. »Danke«, sagte sie und küsste ihn zur Begrüßung und zum Dank. Es führte genau zu dem, was sie erwartet und erhofft hatte: zu heißem Sex im Schlafzimmer. Edis wunderbares Essen genossen sie am nächsten Tag. Sie saßen sich in der Küche gegenüber und erfreuten sich an der Gegenwart des anderen. »Ob Zoi etwas ahnt?«, wollte Niko wissen. Kassie schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht. Aber ich werde es ihr am Montag sagen. Ich will keine Geheimnisse vor ihr haben.« »Sie wird nicht begeistert sein.« »Warum nicht? Du meinst, weil ich ihren kleinen Bruder verführt habe?« »So in etwa. Sie denkt immer noch, sie muss auf mich aufpassen«, sagte Niko. »Tja, da hat sie aber ziemlich versagt«, erwiderte Kassie lachend. »Willst du noch Wein?« Er verneinte. »Was ist mit deiner Familie?« »Auch denen werde ich es früher oder später sagen müssen.« Kassie stopfte den Korken in die Flasche und trug sie zum Kühlschrank. Sie holte Schalen aus dem Schrank, packte die Reste vom Menü hinein und stellte diese ebenfalls kalt. Dann ging sie zum Tisch zurück. »Vermutlich eher früher als später. Jannis wäre es vermutlich egal, er hat sich damit abgefunden, dass Bruno und ich kein Paar mehr werden. Bei meinem Ex bin ich mir nicht so sicher. Solange ich niemanden habe, kann er sich immer noch Hoffnungen machen.« Niko reagierte überrascht. »Ich dachte, ihr seid euch einig?« »Sind wir auch.« Kassie zögerte. War es klug, mit dem Liebhaber über den Exmann zu reden? Andererseits wollte sie von vornherein klare Verhältnisse schaffen. »Wir sind uns einig«, sagte sie bestimmt. »Aber das heißt nicht, dass er sich nicht Hoffnungen machen könnte.« Sie schaute ihn an. »Was ist mit Lydia?« Niko seufzte. »Sie will es nicht akzeptieren. Gestern sagte sie, dass es sicher nur eine vorübergehende Liebschaft ist und sie mich zurücknehmen würde, wenn es vorbei ist.« »Wie großzügig von ihr«, spottete Kassie. Sie schluckte, um den Kloß im Hals loszuwerden, fragte dann leise: »Ist es nur vorübergehend?« Niko griff nach ihrer Hand. »Nein, ist es nicht. Und das weißt du.« Er hob die Schultern. »Natürlich kann ich nicht sagen, es ist für die Ewigkeit, dafür kennen wir uns zu kurz. Aber ich weiß, dass ich mit dir zusammen sein will und nicht mit Lydia. Mit ihr ist es ein für alle Mal vorbei.« Als Kassie am Montagmorgen beschwingt ihren kleinen Laden betrat, schaute Zoi erstaunt hoch. Sie hatte einen sehr frühen Termin eingeschoben, um einer Kundin für ihre standesamtliche Hochzeit die Nägel zu machen. »Was ist denn mit dir los?«, fragte sie, als sie allein waren. Aufmerksam musterte sie Kassie und sagte, noch bevor diese antworten konnte: »Du bist verliebt.« »Ja«, erwiderte Kassie. Zoi sprang auf und umarmte sie. »Oh, ich freue mich so für dich. Wer ist es? Kenne ich ihn? Ich will alles wissen.« Kassie löste sanft Zois Arme und schob sie zurück auf den Stuhl. »Versprich mir, dass du ruhig bleibst«, bat sie. Zoi runzelte die Stirn. »Okaaaay«, sagte sie und schaute Kassie gespannt an. Diese atmete tief durch. »Du kennst ihn, sehr gut sogar. Es ist Niko.« Jetzt war es raus. »NIKO? Mein Niko? Mein kleiner Bruder?« Zois Stimme überschlug sich beinahe. Kassie wartete ab, ob noch etwas kommen würde, aber ihre Angestellte schaute sie nur mit weit aufgerissenen Augen an. »Ja, es ist dein Niko, dein ›kleiner‹ Bruder«, bestätigte. »So klein ist er gar nicht«, fügte sie maliziös hinzu. Zoi gab eine Mischung aus Grunzen und Brummen von sich. »Ich werde dich nicht um deinen Segen bitten«, stellte Kassie klar. »Wir sind beide alt genug.« »Er ist viel jünger als du«, warf Zoi ein. »Na und?« »Er ist zweiunddreißig und du bist – was, vierzig?« Kassie musste wider Willen lachen. »Noch nicht. Noch bin ich neununddreißig.« »Das sind sieben Jahre!« »Ja und? Was ist schon dabei. Wir mögen uns, wir verstehen uns blendend – übrigens auch im Bett«, fügte sie boshaft lächelnd hinzu. »Wo ist das Problem?« »Er ist mein Bruder«, jammerte Zoi wesentlich leiser. »Wolltest du ihn für dich haben?« »Nein, natürlich nicht.« Zoi war jetzt wütend. »Es ist nur …« Sie starrte Kassie nachdenklich an. »Es ist unerwartet«, gestand sie plötzlich. »Da sind wir schon zwei oder vielmehr drei.« Kassie lachte. »Weder Niko noch ich hatten das geplant. Es ist einfach passiert.« »Wo habt ihr …«, begann Zoi, schlug sich dann an die Stirn. »Ich Idiot! Die Party.« Kassie nickte. »Wir haben uns so nett unterhalten, dass wir beschlossen, uns am nächsten Tag auf einen Kaffee zu treffen. Aus dem Kaffee wurden ein ausgedehntes Abendessen und ein weiteres Treffen.« Sie lächelte verträumt. »Ich habe seit Ewigkeiten mit niemandem so lange und so ausführlich geredet. Es gab, es gibt kein Thema, über das wir nicht reden können....