Haarmann | Die Erfindung des Rades | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 6497, 192 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Haarmann Die Erfindung des Rades

Als die Weltgeschichte ins Rollen kam

E-Book, Deutsch, Band 6497, 192 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-79728-6
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Räder und Wagen sind erstaunlich junge Errungenschaften. Der Kulturwissenschaftler Harald Haarmann erklärt anhand neuerer Funde und Forschungen, warum die bahnbrechende Erfindung eher in Alteuropa und der Eurasischen Steppe – nicht im Zweistromland – zu verorten ist und wie sie sich von hier aus in der Alten Welt verbreitet hat. Als religiöse Symbole zeugen Räder und Wagen bis heute davon, wie tiefgreifend sie die frühen Hochkulturen geprägt haben.

Als man in Alteuropa, Ägypten und Mesopotamien längst Städte baute, Hochöfen betrieb und schreiben konnte, wurden Lasten noch von Eseln, Kamelen und Menschen geschleppt oder – als Gipfel der Technik – auf Schlitten durch den Sand und über rollende Stämme gezogen. In den südamerikanischen Hochkulturen gab es überhaupt keine Räder. Harald Haarmann zeigt zunächst, wie um 5000 v. Chr. in der Donauzivilisation das Töpferrad erfunden wurde. Es sollte noch einmal rund tausend Jahre dauern, bis in der Eurasischen Steppe – in einer hochmobilen Gesellschaft und einem geeigneten Gelände – erstmals Wagen aufkamen. Von hier aus verbreitete sich die Innovation schnell in alle Himmelsrichtungen: nach Europa, Mesopotamien, Indien und China. Um 2000 v. Chr. begann die Ära der Streitwagen, mit denen sich weite Räume beherrschen ließen. Es war die Blütezeit der altorientalischen Großreiche. Die Verdrängung der Streitwagen durch hochmobile Reitereien konnte den Siegeszug des Rades nicht aufhalten: Transportwagen, Schöpfräder, Spinnräder und Zahnradgetriebe haben die Welt verändert und tun das bis heute.
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Einleitung
Der lange Weg zu einem einfachen Prinzip Das Rad – in elementarer Ausführung eine runde Scheibe mit Achse – zählt neben dem Gebrauch des Feuers, der Metallverarbeitung und der Schrift zu den wichtigsten Erfindungen der Menschheit. In konventionellen Handbüchern zur Kulturgeschichte findet man bis heute die veraltete Ansicht, Rad und Wagen seien in Mesopotamien erfunden worden (so noch der Tenor in dem Sammelband von Fansa/Burmeister 2004). Damit folgte man der seit Langem vorherrschenden Ansicht, dass in Mesopotamien der Ursprung aller frühen zivilisatorischen Errungenschaften zu suchen sei. Die ältesten Wagenfunde dort werden ins frühe 3. Jahrtausend v.u.Z. datiert. Inzwischen sind aber ältere Funde außerhalb des kulturellen Einzugsgebiets von Mesopotamien gemacht worden, und die weisen auf die Kontaktzone von Ackerbauern und Viehnomaden im Grenzland der Eurasischen Steppenlandschaft. Was die Revolution in der Transporttechnologie (Rad und Wagen) betrifft, so zeichnet sich heute ein differenzierteres Bild ab, in dem die Bedeutung Südosteuropas und des eurasischen Raumes sichtbar wird. Damit wird aber auch eine neue Perspektive für die Geschichte der frühen Hochkulturen eröffnet. Sie lässt sich anhand einer Geschichte des Rades in Umrissen darstellen. Wenn man von der Erfindung des Rades spricht, ist dies eine sehr pauschale Vorstellung. Es war ein vielschichtiger Prozess: Die Umsetzung der Idee des sich drehenden Rades machte vielerlei spezielle Erfindungen erforderlich, bis schließlich die angestrebte praktische Nutzung realisiert werden konnte. Immer wenn es gelungen war, Radtechnologie in einem bestimmten Bereich konkret umzusetzen, und sich damit die Erfahrungen über ein Erfolgserlebnis akkumulierten, war dies ein Ansporn für weitere Anstrengungen zum Zweck praktischer Anwendungen. Vor diesem Erfahrungshintergrund konnten Inspirationsquellen für zahllose spezialisierte Erfindungen mobilisiert werden, die sich rasant in die verschiedensten Bereiche der Technik ausfächerten. Das Rad ist nicht nur einmal erfunden worden. Zumindest lassen sich zwei Ursprungszentren identifizieren, in denen – unabhängig voneinander – Radtechnologie praktisch umgesetzt wurde. Dies ist zum einen die alteuropäische Donauzivilisation, zum anderen die mesopotamische Zivilisation im Mittleren Orient. In beiden Regionen beginnt die angewandte Radtechnologie aber nicht mit einer Revolution der Transporttechnologie, also nicht mit Rad und Wagen, sondern mit dem Töpferrad. Das heißt, die Anwendung des Rades in der Töpferei ist deutlich älter als die Experimente mit Rad und Wagen. Es gibt Forscher, die die verfügbaren archäologischen Erkenntnisse dahingehend interpretieren, dass es sogar mehr als zwei Zentren gegeben hat, von denen aus sich die Radtechnologie in andere Regionen verbreitete: aus der Kontaktzone von Ackerbauern und Steppennomaden in der westlichen Ukraine nach Mitteleuropa, aus dem Kaukasusvorland nach Mesopotamien, von dort nach Indien. Im vorliegenden Buch kommen die verschiedenen Hypothesen zur Sprache. Zieht man das Fazit aus den neueren Forschungen, dann gelangt man zu der Erkenntnis, dass zwar das Töpferrad an zwei verschiedenen Orten der Alten Welt erfunden wurde, dass aber die Innovation im Transportwesen, die Erfindung von Rad und Wagen, nur einmal erfolgte, und zwar am Rand der Eurasischen Steppe (siehe Kapitel 2). Die praktische Umsetzung von Funktionen für das Rad erfolgte in mehreren Innovationsschüben, die – so der kulturgeschichtliche Gesamteindruck – auf das Konto günstiger Zufälle zu verbuchen sind. Entscheidend war jeweils das Zusammenspiel produktiver Wirkungsfaktoren, also die Inspiration für eine Problemlösung und die Mobilisierung von technischem Know-how zur rechten Zeit am rechten Ort. Die Erfindung von Rad und Wagen war zwar einmalig, aber die Entwicklung von verschiedenen Wagentypen und -modellen für die unterschiedlichsten Funktionen zog sich über einen langen Zeitraum hin. Vom klobigen Kastenwagen mit robusten Vollscheibenrädern bis hin zum schnittigen und wendigen Streitwagen mit Speichenrädern sind dies rund zweitausend Jahre. Wenn die Geschichte der Schubkarre miteinbezogen wird, spannt sich der Bogen für die Entwicklung von Wagentypen – des vierrädrigen und zweirädrigen Wagens und der einrädrigen Karre – sogar über drei Jahrtausende. Die erste Erwähnung einer Karre mit nur einem Rad stammt aus dem antiken Griechenland und datiert ins späte 5. Jahrhundert v.u.Z. Der anfängliche Innovationsschub einer Anwendung der Radtechnologie zur Revolutionierung des Transportwesens hatte nachhaltige Auswirkungen auch für Innovationsschübe im kulturellen Bereich. Die Erfindung von Rad und Wagen war wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird und Wellen auslöst. Die Auswirkungen für die kulturelle Entwicklung der frühen Zivilisationen manifestieren sich in wellenartigen Sequenzen von Innovationsschüben. In einigen Kontexten lassen sich komplexe Innovationssequenzen beobachten. Eine solche ist beispielsweise für die militärtechnische, politische und kulturelle Entwicklung im Nahen Osten und in Ägypten während der Bronzezeit festzustellen. Das 2. Jahrtausend v.u.Z. brachte in dieser Großregion zahlreiche Neuerungen, die ihren Ausgang in unvorhersehbaren grundstürzenden Verschiebungen im Kräfteverhältnis der Großmächte nahmen – eine Art Big Bang, der zahlreiche Folgereaktionen auslöste. Der Kriegerelite der Mitanni, die aus Zentralasien kommend um 1500 v.u.Z. weite Gebiete im Mittleren und Nahen Osten eroberten, gelang es, sich als neue regionale Großmacht zu etablieren. Ihre militärischen Erfolge verdankten sie dem taktischen Einsatz ihrer überlegenen Kriegsmaschine: des technisch aufgerüsteten Streitwagens. In der Folge musste sich der Nachbar im Süden, das Pharaonenreich, mit dem neuen Machtfaktor arrangieren. Dies taten die Pharaonen der 18. Dynastie im 14. Jahrhundert v.u.Z.: Amenophis III. und sein Nachfolger, Amenophis IV. (Echnaton), unterhielten enge diplomatische Beziehungen zum Reich von Mitanni, und diese Beziehungen wurden durch den Austausch von Prinzen und Prinzessinnen zwischen den Herrscherhäusern verstärkt. Dabei gelangten zwei Prinzessinnen der Mitanni nach Ägypten, die Geschichte schrieben: Teje, die Mutter von Echnaton, und Nofretete, die als «Große Königsgemahlin» an der Seite ihres Gemahls, des Pharao Echnaton, glänzte. Der rege soziale und kulturelle Austausch mit den Mitanni umfasste auch eine Intensivierung des Transfers von technischem Know-how. Ägyptische Techniker verwerteten das Wissen der Wagenbauer von Mitanni, und es gelang ihnen, ein ausgereiftes Streitwagenmodell zu entwickeln (siehe Kapitel 4). Als Pharao Ramses II. im 13. Jahrhundert v.u.Z. seine Feldzüge im Nahen Osten durchführte, war er auch deshalb militärisch erfolgreich, weil er die damals modernste Kriegsmaschine der Welt einsetzen konnte: den Streitwagen mit Federung der Achsenaufhängung. Auf lange Sicht bewirkte die technologische Überlegenheit eine militärische und somit eine geopolitische Stärkung des Reichs am Nil. Seit der Erfindung des Streitwagens wurde dieses Gefährt in zwei grundverschiedenen Funktionen eingesetzt: zum einen als Kriegsmaschine, die die militärischen Operationen revolutionierte, denn die bewegliche Kriegsführung nahm mit dem Streitwagen ihren Ausgang; zum anderen als Repräsentationsvehikel, auf dem sich Leute von Rang in der Öffentlichkeit zur Schau stellten. So fuhr der Tyrann Peisistratos auf einem Streitwagen in Begleitung einer als Athene verkleideten Hetäre in Athen ein, um die Athener zu beeindrucken, und lange vor ihm zeigte sich schon Nofretete auf einem Streitwagen der staunenden Menge. Die Geschichte der Streitwagen als Repräsentationsvehikel ist sogar länger als die der Kriegsmaschine. Sie reicht bis in unsere Tage, beispielsweise in enger Verbindung mit der vielleicht bekanntesten politischen Ikone der neueren deutschen Geschichte, dem Brandenburger Tor: Auf diesem Bauwerk – und nicht nur auf diesem – prangt eine Quadriga, ein vierspänniger Streitwagen, hier mit der Figur der römischen Siegesgöttin Victoria als Wagenlenkerin (siehe Kapitel 5). Die praktische Umsetzung von Radtechnologie in Form des Töpferrads und des Wagens auf Rädern markiert den Anfang einer unendlichen Kette von speziellen Radfunktionen, deren Nutzung das technologische Niveau der frühen Zivilisationen beständig angehoben hat. Die Verwendung von Wagen bedeutete eine neue Herausforderung für die verkehrstechnische Infrastruktur, nämlich die Erschließung eines Verkehrsnetzes mit befestigten Wegen und Straßen....


Harald Haarmann gehört zu den weltweit bekanntesten Sprach- und Kulturwissenschaftlern. Er wurde u.a. mit dem Prix Logos der Association européenne des linguistes, Paris, sowie dem Premio Jean Monnet ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Bei C.H.Beck erschienen u.a. "Geschichte der Schrift" (2017), "Vergessene Kulturen der Weltgeschichte" (2019) sowie zuletzt "Die seltsamsten Sprachen der Welt" (2021).


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