Guillo Die Schöne von Carnac
2. Auflage 2014
ISBN: 978-3-937357-56-0
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Bretagne-Krimi
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Reihe: Edition 211
ISBN: 978-3-937357-56-0
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Paparazzo Vincent Hermelin folgt von Paris bis Genf den Spuren einer Kindesentführung. Neben dem Ministersohn ist aber auch dessen Mutter verschwunden. Die wiederum beschuldigt über ihre Anwälte den Minister des Missbrauches des eigenen Kindes. Fotograf Hermelin, der bei diesen Recherchen auch den Part seines schreibenden Kollegen übernehmen muß, stößt schnell auf ein Fluchthilfe-Netzwerk. Dieses hilft scheinbar uneigennützig Frauen und Kindern in Not. Die Affaire ist bald aufgeklärt und Vincent hat die Story seines Lebens. Damit könnte der Fall ad acta gelegt werden.
Wäre da nicht die journalistische Neugier. Diese und der Zufall bringen an den Tag, dass das hilfreiche Netzwerk weniger humanistischen Interessen verpflichet ist, sondern ganz eigennützigen Zwecken dient: Vincent findet im Fluchtauto versteckte antike Goldmünzen und macht sich auf die Suche. Darin verwickelt soll die mysteriöse 'Schöne von Carnac' sein, so wird eine der Fluchthelferinnen genannt. Vincents Nachforschungen führen ihn in das bretonische Dorf Carnac, wo bis dahin unentdeckt heimliche 'Unterwasser-Raubgrabungen' stattfinden. Die Artefakte verschwinden auf dem illegalen Kunstmarkt. Räuber, Kunstschmuggler, Hehler und Käufer gehören den sogenannten besten Kreisen an. Je näher Vincent dem kriminellen Treiben kommt, um so mehr Morde geschehen unter den Beteiligten. Ganz aufklären kann er daher diesen Fall nicht, wohl aber entdecken, um wen es sich bei der 'Schönen von Carnac' tatsächlich handelt.
Gisèle Guillo studierte moderne Literatur und gehört zu den Bretoninnen, die es beruflich nach Paris verschlagen hat. Doch ihre Liebe gehört weiterhin ihrer heimischen Bretagne, besonders dem Ort Arradon, wo sie sich oft aufhält. Die Bretagne ist ein fruchtbarer Boden für das literarische Verbrechen, viele Autoren schreiben hier. Gisèle Guillo gehört heute mit zu den erfolgreichsten bretonischen Krimiautorinnen, ihr Roman erschien in der französischen Originalversion unter dem Titel 'La Belle de Carnac' im Verlag Alain Bargain, Quimper.
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I
Das Klingeln ließ sie zusammenfahren. Sie fuhr ein wenig langsamer. Ihre linke Hand griff fester um das Lenkrad, während ihre rechte vorsichtig den leeren Beifahrersitz abtastete. Sie nahm das Handy und hielt es ans Ohr: »Ja bitte?« »Ich bin’s.« »Na endlich!« Einen kurzen Augenblick stellte sie sich das Gesicht der Unbekannten vor, deren Stimme ihr vertraut zu werden begann, eine weibliche Stimme, ein wenig schrill, mit einem fast kindlichen Tonfall. »Wo sind Sie?« »Ich bin fast angekommen. Einen Augenblick bitte …« Sie überholte einen Lieferwagen, reihte sich wieder in die rechte Spur ein, griff erneut nach dem Handy. »Hallo? Entschuldigen Sie, ich habe überholt …« »Ich meinte … wo sind Sie genau?« Die Stimme hatte nun einen schneidenden, ungeduldigen Ton. »Es sind nur noch wenige Kilometer …« »Etwas genauer.« »Etwa drei Kilometer vor dem Grenzübergang. Ich habe gerade das Schild gesehen. Crassier, so heißt es doch?« Ihre ansteigende Nervosität schien spürbar zu sein, denn der Ton ihrer Gesprächspartnerin wurde beschwichtigend. »So ist es. Entspannen Sie sich, die Schweizer Zöllner konzentrieren sich auf die Grenzübergänge an der Autobahn. Man sieht sie selten in Crassier. Und Ihr Passagier?« »Angeschnallt, auf der Rückbank. Er schläft. Ich habe ihm das Nötige verabreicht.« »Sind Sie sicher, dass Sie nicht verfolgt werden?« Sie warf einen Blick in den Rückspiegel. Da war dieser dunkle, hochrädrige Wagen, der seit einiger Zeit hinter ihr fuhr … »Ich glaube nicht«, sagte sie. »Ich will wissen, ob Sie sicher sind.« Die Stimme klang gereizt. »Ich bin sicher.« »Sie tun nun Folgendes«, fuhr die Stimme fort. »Gleich nach Crassier fahren Sie in Richtung Signy, das ist ein Einkaufszentrum. Parken Sie dort in der ersten Etage des Parkhauses. Dort findet die Übergabe statt.« »Und dann?« »Dann wird man sich Ihrer annehmen. Wir kümmern uns um alles. Wo sind Sie jetzt?« »Fast da. Ich sehe den Grenzübergang … Warten Sie! Bleiben Sie dran!« »Was ist denn?« »Zöllner!« »Zöllner oder Polizisten?« »Ich weiß nicht! Sie halten den Lieferwagen vor mir an! Der Fahrer zeigt seine Papiere … Sie werden auch meine sehen wollen!« Ihre Gesprächspartnerin schnitt ihr erneut das Wort ab: »Regen Sie sich nicht auf! Tun Sie, was ich Ihnen sage. Fahren Sie langsamer, um die Grenze zu passieren. Sie halten nur selten zwei Wagen hintereinander an. Fahren Sie vor allem wie immer.« »Ich kann nicht!« Ihre Hände zitterten auf dem Lenkrad. Sie unterdrückte ein Schluchzen. So nah am Ziel! Es war einfach zu dumm … »Ich kann nicht!« Sie bemerkte, dass sie geschrien hatte. Die Unbekannte ließ nicht locker: »Ihr Motor hat die Drehzahl geändert. Was machen Sie?« »Ich kehre um …« »Tun Sie das nicht! Sie werden sich erwischen lassen! Sie werden alles vermasseln!« »Ich kann nicht!« Vincent drückte mit aller Macht auf die Bremse. Reifenquietschen. Der Geländewagen blieb sofort stehen. Ohne auch nur einen Zoll von der Spur abzuweichen. Ein guter Kauf, dieser Toyota … Vor ihm hatte der Peugeot wagemutig zurückgesetzt und versperrte nun quer die Straße. Verblüfft sah Vincent, wie er in die Gegenrichtung davonpreschte. Er konnte gerade noch mit einer heftigen Lenkbewegung in Richtung Straßenrand ausweichen. Sie hätte mich doch tatsächlich gerammt! Was ist bloß in sie gefahren? Keine Zeit zu verlieren … eine rasche Kehrtwendung, der Toyota drehte sich auf der Stelle. Wirklich ein toller Wagen. Die beiden Wagen fuhren hintereinander den Weg in Richtung Divonne zurück, in einer von Gärten gesäumten Avenue. Vincent gelang es, den Namen der Straße zu entziffern: Avenue du Mont-Blanc. Vor ihm wurde die Fahrerin immer langsamer und hielt das Handy ans Ohr gepresst … Vincent war so konzentriert, dass er Selbstgespräche führte. »Man gibt ihr Anweisungen … wird sie versuchen, die Grenze hier zu passieren? Ganz schön gefährlich! Nach ihrem überstürzten Wendemanöver sind die Zöllner sicherlich alarmiert …« Der Peugeot bog nach rechts ab, in Richtung Zentrum, und Vincent sah, wie er auf dem Zentralparkplatz vor dem Supermarkt ›Casino‹ einparkte. Drei Plätze weiter parkte auch er ein. Die Fahrerin stieg nicht aus. Sie wartet auf jemanden. Er schnappte seine Leica, hatte aber keine Zeit, den Sucher einzustellen: sein Handy klingelte. Es war Jean-Luc. »Wie läuft’s?« »Merkwürdig. Sie hat versucht, die Grenze bei Crassier zu passieren. Ganz kurz davor hat sie eine Kehrtwendung gemacht.« »Wo seid ihr jetzt?« »In Divonne, auf dem Zentralparkplatz. Im Augenblick steigt sie nicht aus dem Auto aus.« »Was ist das für ein Wagen?« »Ein 307, blaumetallic, funkelnagelneu. Sie sitzt immer noch drin, sie wartet.« »Hat sie dich entdeckt?« »Ich glaube nicht.« »Bist du sicher, dass sie es ist?« »Zu neunzig Prozent. Allerdings habe ich sie bis jetzt nur von hinten sehen können.« »Hast du Fotos gemacht?« »Natürlich! Auch vom Nummernschild. Dabei fällt mir ein, rufe den Detektiv mal wieder an. Versuche herauszubekommen, ob sie mit jemandem im Departement Morbihan Kontakt aufgenommen hat. Der Wagen ist dort zugelassen. Warte mal, sie greift wieder nach ihrem Handy, man hat sie wohl angerufen. Sie fährt wieder los. Ich lege auf.« Der Peugeot hatte sich in die Autoschlange nach Divonne, in Richtung Grenzübergang, eingereiht. Vincent schlängelte sich durch, ihm nach. Die meisten Wagen waren in der Eidgenossenschaft registriert. Das war nicht weiter verwunderlich. Vincent wusste, dass alle ›Waadtländer‹ gerne herüber nach Frankreich zum Einkaufen kamen, der günstigeren Preise wegen. Die Autos bremsten vor den Zollhäuschen kaum ab. Der Peugeot fuhr ungehindert durch. Vincent passierte seinerseits die Grenze. Zu seinem Erstaunen aber ließ der Peugeot die Autobahn links liegen und bog nach rechts ab. Vincent las das Hinweisschild: Chavannes de Bogis. Wo fährt sie nur hin? In diesem Augenblick rief Jean-Luc zurück. »Wie steht’s?« »Wir sind gerade über die Grenze gefahren … wir kommen an ein Einkaufszentrum. Sie parkt auf dem Parkplatz. Warte mal … ich halte an … es tut sich was …« Ein Wagen hatte neben dem Peugeot eingeparkt, ein VW-Coupé, das im Kanton Genf zugelassen war. Die Wagentür ging auf. Vincent hatte die Fahrerin genau im Blickfeld: eher jung, brünett, mit angenehmem Äußeren, soweit er das beurteilen konnte. Sie stieg aus. Die Insassin des 307 stieg ebenfalls aus und setzte sich sofort eine riesige Sonnenbrille auf. Aber Vincent hatte eine Sekunde lang ihr Gesicht sehen können. Er warf einen Blick auf das Foto, das die Titelseite der Zeitung einnahm, die neben ihm lag. »Kein Zweifel mehr! Das ist sie.« Die beiden Frauen wechselten ein paar Worte und zogen aus dem Heck des 307 ein in eine Decke eingewickeltes Kind. Dann ging alles sehr schnell. Das Kind wurde auf die Rückbank gelegt, ein Koffer wanderte von einem Kofferraum in den anderen. Die Fahrerin des 307 entfernte sich von ihrem Wagen – Vincent bemerkte, dass sie die Fahrertür nicht abgeschlossen hatte – und stieg in den Volkswagen, der sofort anfuhr. Der Wagenwechsel hatte nicht länger als zwei Minuten gedauert. Keine Sekunde zu verlieren: Zündung, Kavaliersstart zur Autobahn in Richtung Genf. Kaum auf der Autobahn angekommen, gab der VW Gas. Vincent folgte ihm, achtete aber gleichzeitig darauf, sich zurückfallen zu lassen, um nicht entdeckt zu werden, was durchaus ein schwieriges Unterfangen war: der VW wechselte oft die Geschwindigkeit und führte überraschende Überholmanöver aus. Ortseingang Genf. Kurz nach dem Parc Mon Repos wurde die Sache schwieriger. Das Schritttempo auf dem Quai du Mont-Blanc ermöglichte es, im Vorbeifahren die Aussicht auf den Quai Gustave-Ador, ein Stück des Sees und die Fontäne zu bewundern. Plötzlich bog der VW rechts in eine der dicht bewohnten Straßen ein, die zum Gare Cornavin führen. Vincent gelang es gerade noch zu folgen. Damit fingen die Probleme aber erst an. Rechts herum, links herum, zurück, Kurven, die in letzter Minute genommen wurden. Die Fahrerin kannte Genf wie ihre Westentasche! Kein Zweifel, sie versuchen, mich abzuhängen! Die werden sich noch umgucken! Als Reporter muss man sich oft wie die Paparazzi benehmen. Vincent war in der Beschattung sehr erfahren und bei diesem Spiel immer erfolgreich! Sie fuhren mit hoher Geschwindigkeit in einem Viertel, das Vincent unbekannt war: eine lange Straße, die direkt auf den Salève zulief … Linkskurve … die Rhône wurde überquert. Was ist das für eine Brücke? Er wusste es nicht. Er fand sich erst wieder in Plainpalais zurecht. Dort herrschte Verkehrschaos: das Viertel war aufgrund von Bauarbeiten mit Apparaten aller Art bestückt. Vincent blieb dem VW dicht auf den Fersen und fuhr...