Griesbach | Das Prinzip der Mittelmäßigkeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 273 Seiten

Griesbach Das Prinzip der Mittelmäßigkeit

Science-Fiction-Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95765-960-6
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Science-Fiction-Roman

E-Book, Deutsch, 273 Seiten

ISBN: 978-3-95765-960-6
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Historiker H'Thüsos Maisyn ist fremd in der deutschen Kleinstadt, in die er durch Raum und Zeit gereist ist. Auf seiner Suche nach weisen Alten und fruchtbaren Frauen verirrt er sich an sonderbare Orte und verliert sein Herz an Menschen, die ihn nicht verstehen. Er unterzieht Cordelia in langen Gesprächen einer Prüfung, um herauszufinden, ob sie die Richtige ist, um sich mit Leib und Leben der Zukunft seiner eigenen Welt zu opfern. Doch sie misstraut ihm und will ihm nicht folgen. Dann begegnet er Catrin. Ist sie vielleicht die zukünftige Retterin der letzten Menschen? In einem Strudel aus Hoffnung und Verzweiflung versucht Maisyn, in einer untergehenden Welt die richtige Entscheidung zu treffen. Dieser Roman ist wie das Drehbuch zu einem Film, in dem Zeitreisen das geringste Problem sind und es um nicht weniger geht als um das Überleben der Menschheit. Das Titelbild schuf Thomas Franke.

Die 1967 in Marbella geborene Corinna Griesbach ist Autorin von Kurzgeschichten verschiedener Genres und legt hier ihren ersten Science-Fiction-Roman vor.

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2 Füchse in der Stadt
    Der Fremde stand am Rande der Geisterstadt. Der Staub über der Landstraße, die zum Ort geführt hatte, war aufgewirbelt. Lastwagen und Kettenfahrzeuge pflügten sich über das, was von der Straße übrig war. Frischer Teer wurde aufgeschüttet, um Löcher und Risse zu stopfen. Maisyn lief unbehelligt den Fahrzeugen hinterher, ihm war übel vom Gestank. Es war nicht nur der Teer, es waren tote, verwesende Fische. Kot. Aufgebrochene Abwasserleitungen, verdorbenes, gärendes Essen. Er blieb vor einem eingestürzten Haus stehen und sah einem Mann zu, der mit einer beschädigten Gartenschaufel getrockneten Schlamm von seiner Hauswand schlug. Er würde ihm helfen. »Hast du noch eine Schaufel?« »Ein Brett«, antwortete der Mann und trat beiseite. H’Thüsos Maisyn nahm die Latte, auf der der Mann gestanden hatte. Der sank sofort ein wenig in die Erde, Matsch besudelte seine Knöchel und Maisyn sah, dass er nackte Füße hatte. Vorsichtig klopfte Maisyn die dünne Schicht Schmutz von der Wand. Eine nutzlose Arbeit. »Wirst du bleiben?«, fragte er. »Was sonst?« Maisyn nickte. Es wäre umsonst gewesen, zu antworten. Er klopfte zwei Stunden an der Hauswand herum, versank tiefer im Matsch und legte irgendwann das Holz in den Schmutz. Als er ging, drehte der Mann sich nicht um.   Außer ihm war nun niemand mehr zu sehen. Er drang in das Innere der Stadt vor, dorthin, wo die Kettenfahrzeuge nicht kommen konnten, ohne die von Geröll verschütteten Straßen völlig zu zerstören. Vier Wochen war es her. Die Häuser waren unbewohnbar. Es würde Geld geben, viel Geld, diese Stadt würde wieder aufgebaut werden, die Sonne würde über den neu errichteten Dächern aufgehen. Die Häuser, die äußerlich noch stabil wirkten, deren Fassade noch aufrecht stand, waren mit rotem Flatterband wie mit Geschenkband eingewickelt. Einmal herum um ein Zuhause: Betreten verboten. Ein anderer Mann kam Maisyn entgegen, von weit her winkte er ihm zu. Bleib weg! Komm näher! Was immer es heißen sollte. Höflich winkte der Fremde zurück. In einer Nacht im September war die kleine Stadt von einer Flutwelle vernichtet worden, unglaubliche Wassermassen hatten Garagen, Steine, Felsen, Autos, Bäume und Menschen über den Ort gespült, Häuser einstürzen und Kinder in ihren Betten ertrinken lassen. Hunderttausend Tonnen Schutt hatten die Überlebenden bereits aus der Stadt geschafft, kleine Bagger, Schubkarren, private Fahrzeuge waren eingesetzt worden, bevor das Militär mit Räumfahrzeugen eine Schneise bis zum Stadtrand gefräst hatte. Die meisten Häuser waren mit wenigen Schlägen abgerissen worden, wenige standen noch aufrecht, noch weniger waren in ihrem jetzigen Zustand bewohnbar. Die Abwasserkanäle waren geborsten, es gab weder Strom noch Frischwasser. Der Katastrophenschutz hatte fast alle Menschen evakuiert; denen, die bleiben wollten, lieferten sie mit Hubschraubern Wasser, Nahrung, Campingtoiletten und Generatoren. Es wurde alles getan, was die Hochwasseropfer wollten. Keine Diskussion über Sinn und Unsinn. Keine Umsiedlungspläne. Keine Grundsatzdebatten. Und alle, die evakuiert worden waren, würden zurückkommen. Aufräumen, anpacken, neu bauen. Egal, um welchen Preis. Maisyn blickte in den Himmel. Regen zog herauf. Er verlangsamte den Schritt und blieb schließlich stehen. Er hatte eine Mission zu bestehen.   Wenn er fremd war in einer der Städte, die er bereiste, suchte er oftmals lange nach den wahren Zentren der Macht. So hatte er viele Stunden lang an den Nachmittagen in dieser vielversprechenden Mediathek zugebracht. Er hatte im Schein des künstlichen Lichts dort, das ihn so verwirrte, die Meinung der unterschiedlichsten Menschen eingeholt und alles hatte darauf hingewiesen, dass genau hier ein verstecktes Machtzentrum liegen mochte: zwischen den von Plakaten verhangenen Fenstern, im Dämmerlicht flackernder Neonröhren. An diesem dunklen, windigen Morgen stand er nun frierend vor der geschlossenen Tür der Mediathek, sein schwarzer Mantel flog im kalten Morgenwind um seine Hüfte. Der Fremde fror fürchterlich, er spürte die Kälte bei jedem Anflug des Windes, mit jedem Atemzug. Ihm war niemals klar, wann welche Tür sich ihm öffnen würde und ahnte nicht, warum diese jetzt geschlossen war und er allein vor ihr stand. Hier wollte er Cordelia treffen. Wie so oft war sie nicht da, und wahrscheinlich war das wie meistens seine Schuld. Richtiger Ort, falsche Zeit. Er lugte durch eine Lücke zwischen den Plakaten ins Innere. Dort hatte er DVDs geliehen, über Kriegsführung und das Raumfahrtprogramm der Russen gesprochen und die Ahnungen und Annahmen der Menschen in sich aufgenommen. Sie waren wertvoll für ihn, die verschiedenen Menschen. Männer, Frauen, angeschwemmt von der nahen Straße. Ihm waren ihre Meinungen zum Zustand der Welt wichtig. Jetzt war niemand hier außer ihm selbst. Einer, dessen Worte aus dem Brei der Anschauungen herausragte, einer, der sich Sam nannte, war zum Beginn ihrer Bekanntschaft begeistert gewesen, dass er dem Fremden hier begegnet war. Sam hatten die Fragen und die Zeit, die der Fremde ihm widmete, begeistert. So hatte er sich einmal zu ihm hinüber gebeugt, hatte bewundernd und zufrieden in dessen dunkles Gesicht gesehen und euphorisch gesagt: »Dass ich dich hier kennengelernt habe, mein Junge!« Und hatte ihm anvertraut: »Kaum noch jemand nimmt doch die Russen wirklich ernst!« Mit Sam zusammen hatte Maisyn auch all die Nachrichten über die Dürre in Australien verfolgt. Sam liebte Australien mehr, als er die Russen je gefürchtet hatte, erfuhr Maisyn. Die Flammenfronten im Süden Australiens hatten deshalb auch Sams Herz verzehrt. Tausende von Feuerwehrleuten hatten Brandsperren errichtet und waren verglüht. Pro Tag waren zweihunderttausend Hektar Busch verbrannt, der Norden Australiens war bereits lange vorher in der größten Dürreperiode des Landes verwüstet worden: jeder Blitzschlag ein Feuer. Canberra gab es nicht mehr. Auch mehrere andere Städte waren nicht mehr zu finden, Sam vermutete, Landkarten würden neu geschrieben werden müssen. Maisyn bestätigte Sams Meinung traurig. Er hatte während dieser vielversprechenden Unterhaltungen mit zwei Männern verbotenerweise regelmäßig ein klein wenig Bier getrunken und Skat gespielt. Das Spiel und seine Regeln hatte er bald verstanden. Das war gut, denn über das Spiel hatte er Cordelia kennengelernt. »Erwarte nicht zu viel«, hatte sie gesagt. »Ich bin eine mittelmäßige Spielerin!« »Ich erwarte nicht zu viel«, hatte er fassungslos geantwortet. »Ich bin hier, um das Mittelmäßige in dir zu finden.« Geraucht hatte er nicht. Cordelia hatte erklärt, sie habe vor Jahren eine Zigarette geraucht und sei verurteilt worden. »Jugendstrafe. Das hat mir gereicht.« Georgia, eine große Frau, die ihm zu Beginn ihrer Gespräche erklärt hatte, sie suche einen Weg aus der Mittelmäßigkeit ihres Daseins heraus, rauchte immer. »Frag nicht nach Abendrot, Jungchen«, sagte sie gern und rauchte eine. »Und frag mich nicht, was für eine!«, bedeutete sie ihm und so fragte er nicht. Georgia gehörte der Gesellschaft zur Entdeckung der Langsamkeit an und das hatte ihn eine Weile gehalten, aber dieser Verein zur Verzögerung der Zeit war eine falsche Spur gewesen. Georgia war so falsch gewesen, wie ihr Name, es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie eine Frau im Körper eines Mannes gewesen wäre. Er war dennoch lange Zeit immer wieder hier hergekommen. Wollte Cordelia nicht aus den Augen verlieren. Hatte abgewartet. Es waren so oft die kleinen Orte, sagte er sich, die er suchte und wo er schließlich auch fand. Doch er sah nun ein: Das Zentrum der Macht war diese Mediathek, in der er mit Georgia und Sam so lange herumgelungert hatte, wo er die angeblichen Raumfahrtexperten über den dunklen grünen Teppichboden hatte schlurfen sehen, wohl doch nicht gewesen. Gestrandete, Betrunkene, sinnlos Redende hatten ihm nicht weiter geholfen. Und so nahm er heute Morgen den Laden von seiner inneren Liste. Der Wind wurde heftiger, seine Hoffnung, Cordelia hier zu treffen, schwand, Papier schleuderte über die Gehwege, ein letztes Mal stellte er sich an die dunkle Säule vor der schmutzigen Eingangstür und betrachtete das Waffenarsenal auf dem durch die Glastür dargebotenen Plakat. Die Säule, neben der er stand, war unten nass von Hundepisse. Der Marmor glänzte nur an den Stellen, die in der Nacht übermäßig mit Fuchsurin beschmutzt worden waren. Der Fremde war, gemessen am Rest dieser Welt, von nur mittelgroßer Gestalt, die Spur der höchsten Pinkelfontäne reichte bis an seine Hüfte. Der Wind, ständiger Sturm und Wind, machten ihn auch heute Morgen nervös. Er war darauf vorbereitet gewesen, aber es machte ihn verrückt. Es war fast so schlimm wie das Rückwärtssitzen in Bussen. Schrecklich. Alles war entsetzlich: Busse und das Rückwärtssitzen darin, Bier und seine sofortige Wirkung, die Bilder der Waffen in den Schaufenstern, die so fassbar und echt wirkten, Vereine zur Verlangsamung der Zeit, die ohne Wirkung blieben. Ein letzter Blick um die Ecke, die Straße entlang in die Richtung, aus der er Cordelia erwartete, dann verließ er den Ort.   Regen...



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