E-Book, Deutsch, 108 Seiten
Griesbach ALIEN LOVE
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-95765-822-7
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Science-Fiction-Kurzgeschichten
E-Book, Deutsch, 108 Seiten
ISBN: 978-3-95765-822-7
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In diesem Band sind Kurzgeschichten versammelt, in denen reale Bedrohungen und mögliche Chancen unserer Zeit Wirklichkeit werden: Raumfahrt, Begegnung mit anderen intelligenten Spezies, die Ausbeutung und das besenreine Verlassen unserer Welt werden zu denkbarer Fiktion.
Maschinenwesen erfüllen ihren Auftrag, Familie bekommt eine neue Bedeutung und die Liebe bleibt vielleicht, was sie immer schon war: bedingungslos.
Am Ende des Buches tritt ein Held auf, der aus einem Stapel von Endzeit-DVDs hervorgekrochen ist, der im Fernsehzimmer der Autorin hinter einer gefräßigen Monstera dahinstaubt. Nehmen Sie den Helden bitte nicht zu ernst!
Corinna Griesbach, geboren 1967 in Marbella, Spanien, lebt und arbeitet in der Eifel als Autorin, Herausgeberin und Rezensentin. 2018 erschien ihr Science-Fiction-Roman: »DAS PRINZIP DER MITTELMÄSSIGKEIT« (ISBN 978 3 95765 094 8). Die Autorin bei Instagram: corinna_griesbach_autorin.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Das Ende der Welt
Das ist hier nicht das Ende der Welt. Sagt Ben. Es ist nur ein kleiner Sonnensturm. Im Foyer sagen sie: Es ist keine nukleare Katastrophe. Heftige Stürme erschüttern die Oberfläche der Sonne. Steht im Newsfeed. Die Röntgenteleskopaufnahmen zeigen … Flecken. Erster Tag
Es ist viele Jahre her, dass mir ein Mann seine Zigarettenschachtel entgegengehalten hat wie eine Einladung, weil das höflich und cool war. Weil das eine wacklige Brücke über einen Tisch hinweg von ihm zu mir bauen sollte. J. saß neben einem anderen Mann in der verglasten Raucherzone, in die ich mich vor den verwirrt telefonierenden Menschen, ihren Rufen und teilweise sogar ihrem Weinen und ihren Kindern geflüchtet hatte. Vor dem Tisch stand ein einziger freier Plastikstuhl. Andere waren an andere Tische herangezogen worden. Ich sagte etwas wie darf ich oder Entschuldigung und hatte nicht vor, ihre Antwort abzuwarten. Ich saß nach hinten gelehnt, zwischen den Füßen die kleinste Tasche, die ich in Japan hatte finden und kaufen können, eine Knotentasche mit blauer Sashiko-Stickerei, den Blick nur aus Höflichkeit noch auf mein Gegenüber gerichtet. Beide rauchten. Alle hier drinnen erschienen entspannter als die vor dem Glaskäfig. J. streckte mir ernst und gleichzeitig mit einem Lächeln die halb leere Packung hin. Danke, sagte ich und hob sicher auch abwehrend die Hände. Ich kannte überhaupt niemanden mehr, der rauchte. Mein Mund öffnete sich zu einem noch breiteren, lautlosen Lächeln, als mir das klar wurde. Seine Geste war aus einer Zeit, in der wir übereinander hergefallen waren wie Frettchen, die wie von Zauberhand jedes Jahr überwältigt wurden von ihrem Verlangen, und sich an das vorherige Jahr nicht mehr erinnern konnten. Deren Drang so unüberwindlich wurde, dass sie ihm in jedem Fall nachgeben mussten und dafür über die Leichen ihrer Rivalen gingen. Frettchen, Kater, Wildsäue. Ich aber wusste bereits, dass ein Frühling vorbei gehen konnte und der Sommer ausblieb. Dass ich in ewigem Herbst herumirren konnte in der Hoffnung auf Winter. Das hatte ich der Sau voraus. Nur lebte ich immer weiter und konnte mich trösten und fühlte irgendwann Freude an diesem und jenem und fühlte mich ganz gut. J. schien den anderen Mann nicht wirklich zu kennen. Sie sagten ab und zu etwas wie hört man da was oder es geht heute wohl nicht mehr weiter. Der andere sah mich nicht an, nicht mal durch den Rauch seiner Zigarette. J. sah aus, als ob er zögerte, sich zu erkennen zu geben. Vielleicht hatte er mich nicht erkannt. Ein Angestellter des Flughafens kam herein und informierte darüber, dass es freie Getränke gebe. Und heute kein einziger Platz in irgendeinem Flugzeug, egal ob innerhalb Japans oder über die Kontinente hinweg, zu vergeben sei. Röntgen- und UV-Strahlen drangen in diesen Minuten durch die Atmosphäre. Die Raucher fluchten, blieben aber sitzen. Mobiltelefone piepten. Laptops surrten. Als wenn uns innerhalb dieses Glases die Katastrophe nicht so brutal treffen könnte, wie da draußen. Der Mann sagte etwas zu J., beide hatten eins ihrer Beine über das andere geschlagen, J.s linkes Bein wippte in der Luft. Es war mir unbegreiflich, dass er Schuhe trug, die größer waren, als ich seine Füße in Erinnerung hatte. Unmöglich war auch seine Statur. Er war breit und kräftig. Dabei hatte er doch kaum Haare auf der Brust gehabt. Ich würde heute sagen müssen: ein Kind. Und ich war das Kind, das ihn immer noch wollte. Das nicht verstand, warum er dort saß und ich hier und ein Tisch voll Aschenbecher zwischen uns stand. Eine leere Bierdose als Krönung. Der Mann sagte, solange das Handynetz nicht gestört ist, könne es nicht so schlimm sein. J. nickte dem Mann zu, beide schienen zufrieden und dann sagte er etwas: Ben hier, er nimmt uns mit ins Flughafenhotel. Wir teilen uns das Zimmer. Und dann, nach einer Pause, in der ich nicht gelächelt, aber auch nicht den Kopf geschüttelt hatte: Wir können abwechselnd schlafen, jedenfalls sollten wir das Zimmer sofort belegen, bevor es jemand anderem gegeben wird. Ben sagte etwas. Ja, antwortete J., essen sollten wir auch. Morgen ist vielleicht nichts mehr da. Er lachte sein Lachen, ein Kollern in sich hinein, nie aus sich heraus. Immer hinein, wobei er sein Gesicht kaum verzog, kein Grübchen. Ich starrte ihn an, eine Theorie über Urzeitkrebsmimik, die gerade bewiesen worden war, hätte mich nicht mehr verstören oder im Innersten aufwühlen können. Ben klopfte vorsichtig an und kam erst herein, als wir ihn riefen. Sie sagen etwas von einem katastrophalen Unfall, sagte er. Stufe sieben. Was heißt das?, wollte J. wissen. Große Sonneneruption, sagte Ben. Europa hat keinen Strom mehr. Telekommunikationssatelliten und GPS-Satelliten, sagte Ben. J. sagte nichts. Ich sah aus dem Fenster. Die Fenster sollen geschlossen bleiben, sagte Ben. Unten verteilen sie Atemmasken. Gasmasken?, fragte ich. Nein, so was für Krankenhäuser. Ich musste in Erinnerung an andere Masken lachen: J. hatte diese Low-Budget-Sache gedreht, auf dem Gelände einer halb abgerissenen Schwimmhalle. Überall Kacheln, Staub, Beton. Und ich lief in Unterwäsche, mit einer weißen Maske aus der Apotheke vor dem Gesicht, durch das Gebäude. Meine Freundin Ina schüttete Wasser von oben eine Wand herunter, es sollte aussehen, als laufe Kühlwasser die Wände entlang. Ich redete und redete, zeigte hektisch auf Sand und Wasser und griff in die Luft. Meine Stimme wurde nachher herausgeschnitten und der Fünf-Minuten-Film mit Klaviermusik unterlegt. Ab und zu trank ich durch einen Strohhalm roten Wein und hustete ihn gegen den Mundschutz. Und zum Schluss war das Wasser, das die Kacheln herunterlief, auch rot. Aber das war ein Filmtrick – für den ich J. sehr bewundert hatte. Ich setzte mich in meiner Unterwäsche in den Staub, ließ den weinnassen Mundschutz über dem Gesicht und wollte, dass er in dem Betonstaub des alten Schwimmbads mit mir schläft. Warst du als Kind mal hier, als das noch ein Schwimmbad war?, fragte ich. Und zog ihn zu mir. Wenn er schon einmal hier gewesen war und ich vor vielen Jahren auch schon einmal, dann hieße das, wir würden uns schon viele Jahre beinahe gekannt haben. Ina wurde wütend und schimpfte mich aus wie ein kleines Kind. Zieh dich an, nimm das Ding ab, wie das klingt durch den nassen Mundschutz. Siehst du nicht, dass dich jeder sieht? Ich hörte durch ihre Stimme hindurch die Stimme meines Vaters, schlimmer: die meiner Mutter und ihrer Mutter und aller Mütter vor ihnen. Trotzdem hatte ich immer noch Lust. Ich war hungrig und durstig durch eine Schwimmbadruine getorkelt, hatte Wein verschluckt und dem Untergang der Welt wieder und wieder, bekleidet in Unterhosen, ins Gesicht gesehen. Da half doch nur Sex oder nichts. Das sah sie nicht so. Ben und J. rauchten jetzt und sahen aus dem geschlossenen Fenster. Ich wusste, wir würden diese Fenster nie mehr öffnen, egal, wie lange das hier dauern würde. Hatten sie die Klimaanlage abgeschaltet? Ja? Nein? Was war besser? J. war im letzten Jahr auf der Berlinale gewesen. Ich hatte davon gehört und fand diese Information, die mir alte Freunde, allen voran Ina, mehrfach ins Postfach gespült hatten, so intim, dass ich drei Wochen lang keine Feuilletons mehr las und keine Infotainments im Fernsehen ansah. Alles, was ihn betraf, gehörte in einen engen Radius zwischen Schulhaus, dem Zimmer der Studienberatung, dem abgerissenen Schwimmbad, dem Bauland davor und seinem alten Kinderzimmer. Hätten wir es in meinem Zimmer gemacht, ich hätte das Haus meines Vaters abgebrannt, bevor ich nach München gegangen bin. So blieb es stehen. Er war mit seinen Filmen von Festival zu Festival gezogen, hatte an allen Türen gekratzt und letztes Jahr diesen Achtungserfolg erzielt. Wow. Alle, die ihn kannten, waren aus dem Häuschen. Ich auch. Ich war verwirrt. Was tat er, auf derselben Erde, oft genug auf demselben Kontinent – ohne mich? Warum existierte er weiter, obwohl er nicht mehr mir gehörte? Was mir keiner gesagt hatte, erzählte er mir jetzt. Er hatte ein Kind. Ein Kind! Er sah so glücklich aus, als hätte ich nicht eins für ihn wegmachen lassen. Er ist mit einer Frau zusammen, die langes, rotblondes Haar hat, zu dünn natürlich, aber ihre Augen sind unglaublich, und ihr Blick auf das Baby, das genauso aussieht wie sie, ist atemberaubend. Gott sei Dank sieht es nicht aus wie er, dachte ich. Aber vielleicht würde sich das noch ändern. Die blonden Haare des Babys waren eher blond als rötlich und standen so starr vom Kopf ab, als wäre es eine Comicfigur, die in eine Steckdose gefasst hatte. Natürlich erfuhr ich den Namen des Kindes und den Namen der Frau und alles, was er dazu sagen wollte. Als hätten wir alle Zeit der Welt. Auf seiner Visitenkarte, die er mir nicht gegeben hat, steht: Drehbuchautor, Kameramann, Regisseur. Sein Film, der auf der Berlinale gezeigt wurde, heißt Das Zölibatssyndrom. Er gewann einen kleinen Preis, irgendwas mit Dialog oder Perspektive. Man kennt nun seinen Namen. Als wenn ich ihn nicht immer gekannt hätte. Zweiter Tag
Ich öffnete seine Kameratasche und versuchte, seine Kamera irgendwie auf Play zu schalten. Dann stellte ich den Ton lauter und sah mir etwa eine Stunde lang Filmschnipsel an. Straßenaufnahmen aus Japan, Tokio als hypermoderne Megacity, der Shibarikyu-Park vor einigen Tagen. Bilder eines Taifuns. Schöne, gepflegte, modische Menschen ohne Makel, die keinen Sex haben. Hybridautos und Menschen in...