E-Book, Deutsch, Band 2, 384 Seiten
Reihe: Vikki Victoria ermittelt
Vikki Victorias zweiter Zwischenfall – Krimi
E-Book, Deutsch, Band 2, 384 Seiten
Reihe: Vikki Victoria ermittelt
ISBN: 978-3-423-44602-0
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dass der Großunternehmer Adi Dietz seinem Kumpel Olaf eine Privatnachricht schickt, in der er die Vikki mit einem bestimmten unflätigen Begriff beleidigt, kann der Vikki wurst sein. Bis, ja bis leider der Olaf die Nachricht öffentlich macht (mit besten Absichten, natürlich!) und Vikki dadurch mitten in einen Publicitystrudel zieht, der sich gewaschen hat. Als Vikki dann genau diesen Olaf tot in seinem Homeshopping-Sender-Chefbüro auffindet, macht die Polizei sie flugs zur Hauptverdächtigen. Um ihre Unschuld zu beweisen, sucht die Vikki nach dem echten Mörder, wobei da mehrere Gestalten infrage kommen. Und dann taucht auch noch die Rotlichtlegende Erwin 'Dampfhammer' Faltermeyer auf und mischt mit. Da reicht's einem doch schon wieder.
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Quotentranse! Der höchste Chef aus Zürich schickt also seinem befreundeten Geschäftsführer von Shop Drop TV eine kumpelmäßige Privatnachricht, in der er mich despektierlich als jemanden bezeichnet, der bloß angeheuert wurde, um die Vielfaltsquote des Senders zu erfüllen. Klar kann man dem jetzt entgegnen: Also alles, was recht ist! Geht’s noch? Oder: So reden Cis-Männer alter Schule eben untereinander! Hemdsärmelige Geschwätzigkeit, nichts weiter! Quotentranse! Mal ganz abgesehen davon, dass ich keine Transe bin, mit Verlaub. Wie abschätzig das schon klingt, mich würgt’s fast. Eine Transe ist in der Regel ein Mann, der sich aus Leidenschaft Frauenkleider überzieht und im Bedarfsfall »I Will Survive« zum Playback schmettert. Ich hingegen bin längst ganz und gar Frau. Mit allem, was dazugehört. Und was eben nicht mehr dazugehört. Das ist etwas ganz anderes. Von der ignoranten Ungenauigkeit von Adi Dietz’ Formulierung also mal abgesehen, ist die Verwendung dieses Ausdrucks ein starkes Stück, zugegeben. Wie man das aber schlussendlich findet, spielt eigentlich überhaupt keine Rolle, glaub’s mir, weil jetzt kommt’s! Tada! Unmittelbar nach Erhalt dieser witzig gemeinten WhatsApp, fällt doch meinem Senderchef Olaf Kreischke tatsächlich nichts Besseres ein, als genau diese Nachricht schnurstracks auf seinem Instagram-Account zu veröffentlichen und dabei explizit darauf hinzuweisen, von wem der Text stammt. Nämlich vom Adi Dietz! Olafs Instagram-Post mit besagter WhatsApp ging natürlich direkt viral. Eruption. Die Medien haben Olafs Anprangerung sofort aufgegriffen, spinnst du, so schnell konntest du gar nicht schauen. Züricher Medienunternehmer und Mobilfunkmogul Adi Dietz diskriminiert Transgender-Mitarbeiterin! Es stand überall. Die letzten drei Tage war da derart Dampf drauf, dass du dem gar nicht mehr ausgekommen bist. Das Unwort Quotentran-und-so-weiter war ein gefundenes Fressen für die Pressegeier, denn der Adi Dietz ist ja Multimilliardär und in der Schweiz ein absoluter A-Promi. Er sitzt in zahllosen Aufsichtsräten, ist Eigentümer von Hightech-Unternehmen, Lebensmittelfabriken und Softdrink-Marken, Großaktionär bei Audi und, ach, noch unendlich mehr. Im Nu gab es einen Aufschrei und eine Welle der Political Correctness, da kannst du dich mittlerweile darauf verlassen. Adi Dietz’ Privatsphäre wurde dabei politically aber eher incorrect behandelt, muss man sagen. Er konnte einem fast leidtun. Innerhalb von zwei Tagen wurde er zum Kanonenfutter und von ziemlich allen Posten, die er innehatte, gefeuert. Sein Leben geriet komplett aus den Fugen. Keiner will mehr was mit dem Adi Dietz zu tun haben. Er ist innerhalb von achtundvierzig Stunden zur absoluten Unperson mutiert. Lebenslang abgestempelt, so viel ist jetzt schon sicher. Der Olaf Kreischke, Initiator mit besten Absichten, geriet natürlich auch unter Beschuss. Von der entgegengesetzten Fraktion der Gschaftlhuber und Trolle, die ihn wiederum des Verrats ohne Not an seinem Kumpel Adi Dietz angeklagt haben. Was ja für sich genommen ebenfalls ein stichhaltiges Argument ist. Der Scheißeregen über dem Olaf blieb zwar vergleichsweise harmlos, reicht aber immer noch für einen Kollaps. Menschenskinder. Immer was los da draußen. Und wer steckt mittendrin in diesem furiosen Zweiklang aus dem Olaf Kreischke und dem Adi Dietz? Mittendrin in der Misere? Die Vikki. Immer noch beim Markus Keil im ZDF-Studio in Hamburg-Altona auf dem Sofa, aufgezeichnet wird seit zwanzig Minuten. Die Countdown-Uhr im Eck läuft durchgehend mit, während die Klimaanlage die Raumtemperatur auf kuschelige fünfzehn Grad runterpumpt. Nur eine Schätzung. Hier drinnen fängt’s bestimmt gleich an zu schneien. Gut, dass ich nur ein dünnes Etwas anhab. Draußen brennt’s dir den Schädel weg, verstehst, und hier im Studio herrscht Eiszeitsimulation. Die werden sich schon was dabei gedacht haben. Bloß was? Der Markus Keil sagt zu mir, mit einer Hingabe, als sei er wahnsinnig geworden, was übrigens auch der Fall ist: »Frau Victoria, noch mal zurück zum eigentlichen Thema: Sie sind in der Causa Adi Dietz«, wenn jemand schon Causa sagt, »ebenfalls heftigen Anfeindungen ausgesetzt, weil Sie kurioserweise ausgerechnet Herrn Dietz in Schutz nehmen, obwohl der Sie ja als – ich will das Wort nicht noch ein weiteres Mal in den Mund nehmen – Punkt Punkt Punkt abgekanzelt hat. Trotzdem verteidigen Sie ihn, oder vielmehr sprechen ihn eines moralischen Vergehens frei, was vielen völlig unverständlich erscheint. Warum ist das so?« »Der entscheidende Punkt ist letztlich, dass der Olaf Kreischke …« »Das ist der Chef bei dem Sender, bei dem Sie arbeiten und der wiederum Adi Dietz gehört, nur zur Klarheit«, grätscht der Keil erklärerisch dazwischen. »Genau. Der entscheidende Punkt ist, dass der Herr Kreischke meiner Meinung nach die vertrauliche WhatsApp von Herrn Dietz nie hätte veröffentlichen dürfen.« »Aber er wollte, dass es zu einer öffentlichen Diskussion zum Thema Diskriminierung kommt.« »Das hat er auf beeindruckende Weise auch geschafft«, scherze ich lahm, ohne den Keil anzusehen. »Lenken Sie jetzt nicht ab«, belehrt er mich, auf zwar charmante Art und Weise, aber natürlich zum Kotzen, und wiederholt: »Kreischke wollte das Thema Diskriminierung mit seiner Veröffentlichung sichtbar machen, Frau Victoria, richtig?« »Bloß hat er dabei seinen Freund … ähm, verraten! So muss man das auch sehen«, versuche ich zu vermitteln. Deswegen bin ich ja hier. (Wie anstrengend.) »Ich befinde mich gerade in der schwierigen Situation, den Menschen zu verteidigen, der sich herablassend über mich geäußert hat«, säusle ich. »Aber das erscheint mir nur folgerichtig, weil er es ja nicht mir gegenüber getan hat, sondern in einem Privatgespräch mit einem Freund. In seinem geschützten Innenverhältnis darf er über mich witzeln oder lästern, wie er will. Das dürften Sie auch, Herr Keil. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Es hat mich nichts anzugehen. Ich meine, wo ziehen wir denn grundsätzlich die Linie? Ab wann sehen wir uns berechtigt, eine Privatnachricht an die Öffentlichkeit weiterzugeben und jemanden bloßzustellen?« Der Keil schaut mich aalglatt an, als würde er mich als Störfaktor betrachten. Also antworte ich mir selbst: »Nie! Privates darf niemals indiskret behandelt werden. Und deshalb sollte alles, was unrechtmäßig preisgegeben wird, als gegenstandslos betrachtet werden. Ich verstehe gar nicht, weshalb wir hier eine Diskussionsrunde veranstalten, wo es aus meiner Sicht gar nichts zu diskutieren gibt.« »Stoßen Sie mit Ihrer Haltung nicht wiederum Herrn Kreischke vor den Kopf, der ja mit besten moralischen Absichten und quasi zu Ihrer Inschutznahme diese Nachricht ins Netz gestellt hat?«, flötet der Keil. Das kann man wohl sagen. In meinem malvenfarbenen Kleid mit dem mitteloffenherzigen Ausschnitt zirpe ich: »Aber natürlich hat er es gut gemeint«, und denke: Eher hat er sich wichtig gemacht. »Und ich will seine Aktion auch gar nicht verurteilen …«, klar, ich lüge. Das größte Unheil passiert immer unter dem Vorwand bester moralischer Absichten. »Unterm Strich glaube ich nur, dass der Herr Kreischke den Ruf vom Herrn Dietz dauerhaft ruiniert hat. Das ist wirklich bedauerlich. Da kann einen das Gewissen schon einholen, früher oder später …« Ich spreche in meinem gepflegtesten Münchnerisch, nix Muttersprache Niederbayerisch. Nicht, dass man mich noch Hochdeutsch untertiteln muss. Es entsteht eine ganz kurze Pause, während der der Keil feierlich dreinschaut, Moderationskarten in der Hand, alles in allem wie aus dem Ei gepellt. Dann kommt sein typisches »Verstehe!«, und es klingt etwas zu ungezwungen. Er quengelt: »Und genau für diese Meinung kassieren Sie gegenwärtig ganz schön Kritik aus der LGBTIQ*-Gemeinde … dort sind Sie ziemlich in Ungnade gefallen.« »Das ist noch milde ausgedrückt. Es wird regelrecht gehetzt gegen mich, weil ich nicht bereit bin, mich als empörtes Opfer zu sehen, was in den Augen mancher aber meine Pflicht zu sein schei…« »Okay, verstehe«, knattert mir der Keil mitten in den Satz rein und wird dabei wiederum gleich von dem Schriftsteller zu meiner Rechten unterbrochen, der butterweich stammelt: »Entschuldigen Sie, wenn ich mich da einmische …« »Nein, nein, bitte, bitte«, ist der Keil gezwungen, die Bescheidenheitssimulation des Schriftstellers aufzufangen. Da sind ja die zwei Richtigen beianand. »I…, i…, i…, ist das nicht ein gar sensationeller Twist, dem wir hier, äh, äh, bei… beiwohnen?« Das linkische Benehmen von dem Herrn Schriftsteller mit Adelstitel ist wirklich grandios. Noch grandioser wäre es, wenn es echt wäre. Er kommentiert weiter: »Wir müssen uns das mal vorstellen: Frau Victoria sieht sich gezwungen, die Verteidigung des Täters zu übernehmen, der sich verbal an ihr vergangen hat, da ihr dessen Aufdeckung nicht rechtens erscheint … Ein beinah poetischer Akt der Täter-Opfer-Umkehrung, finden Sie nicht? Doch nun wird Frau Victoria gerade dieser Rollenwechsel nicht zugebilligt, weil unsere Gesellschaft einer solchen Dialektik nicht zu folgen vermag. Opfer hat Opfer zu bleiben, und Täter Täter. In der öffentlichen Wahrnehmung erscheint jede Form von Dualismus ausgeschlossen. Ist das nicht bezeichnend?« Niemand fühlt sich von der rhetorischen Frage angesprochen, und ich schon...