Gray | Ein klarer Fall von Schicksal | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Gray Ein klarer Fall von Schicksal


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-455-01669-7
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-455-01669-7
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Hera ist in ihren Zwanzigern und hat gerade ihr Studium beendet. Als Online-Community-Managerin einer Zeitung hat sie einen langweiligen, aber auskömmlichen ersten Job. Ansonsten ist Hera auf der Suche nach Stabilität in einer Welt, in der die sozialen Medien das Sagen haben und alle immer erreichbar sind. Und so passt sie sich dem Ennui im Großraumbüro an, der nur unterbrochen wird durch das Aufleuchten des grünen Punktes, der anzeigt, wenn ihr älterer Kollege Arthur online ist. Wohlwissend, dass Arthur seine Frau niemals verlassen wird und alles nur schief gehen kann wie in den großen Romanen, die Hera alle kennt, stürzt sie sich dennoch Hals über Kopf in eine Affäre. Und alles kommt anders, als es kommen muss.

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Weitere Infos & Material


Cover
Verlagslogo
Titelseite
Widmung
Motto
Mit Mitte zwanzig war [...]
Erster Teil
Zweiter Teil
Dritter Teil
Vierter Teil
Fünfter Teil
Als ich dieses Buch [...]
Biographien
Impressum


Eine Woche nach meiner Bewerbung kriege ich einen Anruf von einer mir unbekannten Nummer. Ich bin für die Stelle als Kommentar-Moderatorin zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie sind sehr beeindruckt von meinem Lebenslauf (drei Abschlüsse in Geisteswissenschaften?!). Vorstellungsgespräche haben mir noch nie gelegen, und ich glaube, das hängt damit zusammen, dass ich als Kind keine Freunde hatte: In jeder Gesprächssituation wird sofort deutlich, dass ich alles darauf anlege, gemocht zu werden. Leider führt dieser zwanghafte Drang, alle Gesprächspartner für mich gewinnen zu wollen, dazu, dass ich mich verhaspele, absurde Gesten mit den Händen vollführe und überhaupt ziemlichen Blödsinn von mir gebe, den ich selbst nicht eine Sekunden lang glaube. Mir ist klar, dass jedes Vorstellungsgespräch etwas von einer Verzweiflungstat hat, insofern als eine Person den Stein hat, auf den eine andere Person scharf ist. Aber wie gesagt, ich wollte bislang eigentlich gar keinen Job – nur dass man ihn mir anbietet. Ich möchte wissen, dass ich ihn haben könnte, wenn ich wollte, und dann will ich ihn ablehnen können. Allerdings ist es im Leben nun mal so, dass man für Dinge bezahlen muss, und deshalb bewarb ich mich als Studentin auf unzählige furchtbare Jobs, von denen ich die meisten nicht bekam. Ich erinnere mich, wie ich im zweiten Studienjahr einen fünfzehnminütigen »Plausch« mit Diane hatte, Personalleiterin einer Firma, die Konferenzen organisierte. Sie suchten einen »Rezeptionisten« beziehungsweise Bürosklaven (w/m/d), keine Berufserfahrung nötig. Die Firmenzentrale nahm die ganze Etage eines grauen Innenstadtgebäudes in der Nähe des Hafens ein. Ich war zu spät gewesen, weil ich immer zu spät bin. Es war heiß und stickig. Die kleinen Locken an meinem Haaransatz klebten wie verschwitzte Schamhaare an meiner Stirn, und mein Make-up tropfte vom Gesicht auf den Kragen meines bauchfreien Tops. Sobald ich aus dem Aufzug in die Empfangshalle trat, wusste ich, dass ich den Job nicht bekommen würde. Es lag nicht an der Büroumgebung, auch wenn die wenig überraschend furchtbar war, sondern daran, wie die toten Blicke der Angestellten verwirrt an mir hängenblieben. Als könnten sie den Wahnsinn spüren, der mich bis in die Spitzen meiner nicht rasierten Beinhaare elektrisch auflud. Sie konnten spüren, dass bereits meine Anwesenheit diesen traurigen, gedämpften Ort aus dem Gleichgewicht brachte. Es war glasklar, dass ich noch nie mit Excel zu tun gehabt hatte. Kaum hatte ich mich gesetzt, wurde ich auch schon von Diane aufgescheucht. Sie tauchte hinter einer Schiebetür auf und bedeutete mir, ihr ins Jenseits zu folgen – was ich tat: Ich sprang mit einem Übereifer auf, der schon mich selbst abstieß, wie sollte es da erst anderen gehen. Diane stellte sich nicht vor, aber ihr ganzes Gebaren und der Name auf dem Absageschreiben, das ich ungefähr eine halbe Stunde später erhalten sollte, ließen mich vermuten, dass sie es war. Sie führte mich in eine hell erleuchtete Höhle und fragte mich, was ich studiert hatte. Ich sagte Kunstgeschichte, auch wenn »Zusammenfassungen von Standardwerken« ehrlicher gewesen wäre. In ihrem Gesicht regte sich daraufhin etwas. Sie erzählte mir, dass sie Architektur hatte studieren wollen. Ich fragte sie, ob diese Hoffnung unerfüllt geblieben sei, weil sie es sich anders überlegt hatte oder weil etwas passiert war, dass sie davon abgehalten hatte. Rückblickend war diese Frage von jemandem in meiner Position ziemlich dämlich. Sie sagte, dass ihr Schnitt nicht gereicht habe, um Architektur zu studieren. Sie sah traurig aus. Ganz eindeutig vollkommen unfähig, die Stimmung im Raum richtig einzuschätzen, grätschte ich mit falschem Lob dazwischen. Ich rief: »Na und schauen Sie mal, was aus Ihnen geworden ist!« Diane blickte an sich hinunter, ich auch. Wir waren beide nicht begeistert von dem, was wir sahen. Diane mochte mich nicht, und ich würde diese Stelle nicht bekommen. Trotzdem spielten wir das Spiel weiter. Diane fragte mich, ob ich gut organisieren könne, und ich sagte ihr, dass ich sehr organisiert sei. Jetzt blickten wir an mir hinunter: Meine ungebügelte Bluse strafte mein angeblich gutes Zeitmanagement Lügen, gleichfalls die verschmierte Mascara. Und dann kam der Hammer – der schlagende Beweis meiner Unfähigkeit, mich in Arbeitsumgebungen einzufügen. Diane schaute mir in die Augen, sie wusste genau, dass ich mich jetzt in die Scheiße reiten würde. Selbstgefällig wie ein Mathegenie, das ein Kleinkind darum bittet, die Riemannsche Hypothese zu erklären, fragte sie: »Und wenn Sie ein Tier wären, welches wären Sie dann und warum?« Ich geriet in Panik. Ich zögerte meine Antwort hinaus, indem ich Diane für ihre geniale Frage lobte. Ich wusste, was von mir erwartet wurde: Ich wusste, dass ich eigentlich sagen sollte, ich wäre ein Golden Retriever, weil ich ergeben bin und Befehle gut ausführe. Oder ein Biber, weil ich fleißig bin und Durchhaltevermögen habe. Oder ich hätte sagen können, dass ich ein Vogel bin, um dadurch meine Fähigkeit zu betonen, immer den Überblick zu behalten, von ganz oben. Aber das alles sagte ich nicht: Ich wählte etwas anderes. »Ich wäre ein Erdmännchen«, sagte ich, »weil ich gut herumschnüffeln kann und nachtragend bin.« Ich würde gern sagen können, dass diese Antwort ein Resultat kapitalismuskritischer Eigensabotage war, doch das wäre leider gelogen. In diesem Augenblick erschien mir meine Antwort richtig. Ich wollte Diane damit vermitteln, dass ich mir als ihre Angestellte die Hände schmutzig machen würde, skrupellos wäre, ihre Parteisoldatin, ihre kleine Privatsklavin. Wenn schon, denn schon, dachte ich wohl. Aus Dianes entgleister Miene lernte ich allerdings, dass Personalleiter in Vorstellungsgesprächen nicht die Wahrheit hören wollen. Sie wollen im abstoßend süßlichen neoliberalen Business-Sprech eine Beziehung zu potenziellen Angestellten herstellen. Diane wollte von mir hören, dass ich Teil eines Teams, ihres Teams sein wollte, und ich ließ sie hängen. Tut mir leid, Diane. Es tut mir leid, was ich dir an diesem Tag angetan habe. Es tut mir leid, wenn ich dir dadurch deinen nachmittäglichen Pausenjoghurt verleidet habe. Es tut mir leid, dass du es nicht geschafft hast, Architektur zu studieren – aber eigentlich auch wieder nicht, weil du in deiner Absagemail eine richtige Zicke warst und ich in deinen spiegelnden Brillengläsern erkennen konnte, dass du sie bereits während des Gesprächs formuliert hast. Aber das sind olle Kamellen. Diesmal, diesmal werde ich wissen, was ich sagen muss. Ich bin jetzt älter als damals, ich hatte mehr Zeit, mir die entsprechende Rhetorik draufzuschaffen, und außerdem interessieren mich an der Stelle als Community-Moderatorin ausschließlich die Einblicke, die sie mir gewähren. Und das zeichnet mich aus. Die Leute werden spüren, dass ich schlau bin, aber gleichzeitig keinen Drang habe, Journalistin zu werden. Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Menschen, die dort vorsprechen und eingestellt werden, eigentlich höher hinauswollen im Unternehmen und dass das die Personalleiter, die einfach nur jemanden haben wollen, der tut, was ihm gesagt wird, nervt. Deswegen werde ich im Bewerbungsgespräch betonen, dass ich keinerlei journalistische Ambitionen habe, dass ich die Arbeit der Journalisten, von denen ich umgeben wäre, schätze, mein Herz aber für die Moderation von Online-Communitys schlage. Ich habe Angst, dass ich mich für das Bewerbungsgespräch falsch kleide, da ich nichts Bürotaugliches besitze und immer, wenn ich etwas in der Richtung anprobiere, entweder wie ein Cosplay-Mädchen oder wie eine altbackene Matrone aussehe. Ich entscheide mich für ein ausladendes pinkes Kleid, was wahrscheinlich falsch ist, aber egal, das Vorstellungsgespräch meistere ich mit Bravour. Das liegt zu großen Teilen daran, dass ich am Wochenende zuvor bei meiner Freundin Sarah bin, um Chardonnay zu kippen und mich vordergründig darauf »vorzubereiten«, durch die Mangel gedreht zu werden. Ich bin fest entschlossen, das Erdmännchen-Fiasko nicht zu wiederholen. Sarah ist meine kompetenteste Freundin. Sie besitzt einen eigenen Ständer für ihre Ohrringe. Und beim Kneipenquiz kommt sie so selbstbewusst mit irgendwelchen Fakten über Transitbestimmungen aus dem Jahr 1987 um die Ecke, dass der Rest von uns nur noch respektvoll nickt, nach dem Motto: Lasst sie machen, Sarah weiß das. Sarah macht PR und hat mir gegenüber noch nie das Wort »Pressearbeit« benutzt – sie macht PR. In der Schule war zunächst Soph meine beste Freundin, in der Uni wiederum wurden Sarah und ich zusammen erwachsen, studierten beide Kunstgeschichte und waren uns einig, dass wir die meisten anderen Studis hassten. Wir verachteten vor allem die etwas älteren Semester unter ihnen, deren Redebeiträge in den Seminaren fast immer damit begannen, dass sie »im Folgenden den Advocatus Diaboli« spielen würden. Sarah und ich outeten uns ungefähr zur gleichen Zeit: sie, indem sie ihre engsten Freundinnen, als müsse sie ein ernstes Gespräch mit ihnen führen, zu sich ins Wohnzimmer einlud, ihnen dann erklärte, dass sie sich für Frauen und Männer, aber vor allem für Frauen interessiere, und ihnen danach Gelegenheit gab, Fragen zu stellen; ich, indem ich meine Freundin zu einer Party mitbrachte und daraufhin für die nächsten paar Jahre bei allen öffentlichen Veranstaltungen wild mit ihr rumknutschte. Sarah weiß, dass ich schlau bin, aber sie weiß auch, dass ich genau genommen eine Vollidiotin bin, und so bietet sie gern ihre Hilfe an,...


Gray, Madeleine
Madeleine Gray kommt aus Sydney, sie ist Autorin und Kritikerin. 2021 war sie nominiert für den Walkley Pascall Prize for Arts Criticism. Sie schreibt u.a. für die Zeitschriften Overland, Meanjin, The Monthly, Sydney Review of Books, Australian Book Review und The Times Literary Supplement. Sie hat an der Universität von Oxford ihren Master in Englischer Literatur erworben und promoviert derzeit an der Universität von Manchester.

Madeleine Gray kommt aus Sydney, sie ist Autorin und Kritikerin. 2021 war sie nominiert für den Walkley Pascall Prize for Arts Criticism. Sie schreibt u.a. für die Zeitschriften Overland, Meanjin, The Monthly, Sydney Review of Books, Australian Book Review und The Times Literary Supplement. Sie hat an der Universität von Oxford ihren Master in Englischer Literatur erworben und promoviert derzeit an der Universität von Manchester.



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