E-Book, Deutsch, Band 310, 64 Seiten
Reihe: Der Notarzt
Graf Der Notarzt 310 - Arztroman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7325-5994-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der schlimmste Einsatz seines Lebens
E-Book, Deutsch, Band 310, 64 Seiten
Reihe: Der Notarzt
ISBN: 978-3-7325-5994-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Seit er sich vor wenigen Wochen von seiner Verlobten Vivian getrennt hat, hat für Ben ein ganz neues Leben begonnen. Vorher war er ein ausgesprochen gut verdienender Plastischer Chirurg in der exklusiven Schönheitsklinik seines zukünftigen Schwiegervaters, doch die Welt des schönen Scheins und Vivians Oberflächlichkeit haben ihn auf Dauer mit Abscheu erfüllt. Also hat er seine Verlobte ohne Erklärung in Berlin sitzen lassen und sich in den Zug nach Frankfurt gesetzt.
Er möchte in der renommierten Sauerbruch-Klinik noch einmal als Assistenzarzt ganz von vorn beginnen und seinem Dasein einen wirklichen Sinn geben. Bis hier eine entsprechende Stelle frei wird, kann es jedoch noch etwas dauern, daher beschließt Ben, seine medizinischen Kenntnisse aufzufrischen, indem er als Rettungssanitäter zu Noteinsätzen mitfährt. Die Arbeit als Sanitäter macht ihm viel Spaß, und sie erweist sich vor allem als überaus lehrreich. Alles ist gut, bis zu einem schicksalhaften Tag: Ben wird zu einem Einsatz gerufen, und als er an der Unfallstelle ankommt, sieht er gleich, dass es für die schwerverletzte Person nicht gut aussieht. Als er dann aber genauer hinsieht, durchfährt ihn ein eisiger Schreck, der ihn erstarren lässt ...
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Alle, die Ben Rogers kannten, waren sich einig – er musste bei der Verteilung der guten Schicksale ganz vorne gestanden haben. Nicht nur, dass er von Anfang an alles nur vom Feinsten in die Wiege gelegt bekommen hatte – eine unverwüstliche Gesundheit, gutes Aussehen, Intelligenz und Wohlstand –, nein, sein gesamtes Leben schien wie frisch geölt abzulaufen. Eins fügte sich stets zum anderen. Wenn er etwas brauchte, war es auch schon da, und für jedes Vorhaben bot sich ihm umgehend die passende Gelegenheit zur Verwirklichung. Ben hatte Medizin studiert, sein Praktikum an der Frankfurter Sauerbruch-Klinik absolviert und ein Jahr lang als Assistenzarzt in der dortigen Notaufnahme verbracht. Dann war ihm Vivian Erlacher über den Weg gelaufen. Vivian war eine wahre Schönheit mit nur einem ziemlich unbedeutenden Makel: Besonders helle war sie nicht. Aber wen störte das schon? Sie war die Tochter des Chefarztes und Besitzers der exklusivsten Schönheitsklinik von Berlin. Ben lebte dort nun schon seit fast vier Jahren wie die sprichwörtliche Made im Speck. Er war von seinem zukünftigen Schwiegervater zum plastischen Chirurgen ausgebildet worden und operierte von Montag bis Donnerstag. Freitag, Samstag und Sonntag hatte er frei. Dafür bekam er ein Monatsgehalt, das selbst einem Spitzenpolitiker Freudentränen in die Augen getrieben hätte. Nach der Hochzeit, die im Mai stattfinden sollte, würde er als gleichberechtigter Partner zur Hälfte am Gewinn der Klinik beteiligt sein, und wenn Dr. Klaus Erlacher sich zur Ruhe setzte, würde der Laden ihm gehören. Bis vor Kurzem war Ben Rogers mit seinem Leben glücklich und rundum zufrieden gewesen. Doch offensichtlich konnte jedes Zuviel auf Dauer unerträglich werden. Auch ein Zuviel des Guten. Seit ein paar Wochen hatte er das Gefühl, dass ihm irgendetwas entging. Oder fehlte. Oder dass er irgendwo eine falsche Abzweigung genommen hatte und in eine völlig verkehrte Richtung unterwegs war. Er wusste selbst nicht so genau, was das Unbehagen auslöste, das in seinem Innersten heranwuchs und sich von Tag zu Tag stärker und vehementer bemerkbar machte. Noch überlegte er, ob er vielleicht einfach nur der sprichwörtliche Esel war, der aufs Eis tanzen gehen wollte, weil es ihm zu gut ging, oder ob er tatsächlich einen falschen Weg eingeschlagen hatte und sein Unterbewusstsein ihn zu einer Kurskorrektur drängte. Und dann kam der Tag, an dem ihm die Augen aufgingen und sich sein schönes bequemes Luxusleben als das entpuppte, was es in Wirklichkeit war: ein gemachtes Nest, in das er sich gesetzt hatte und das für die Spezies, zu der er gehörte, überhaupt nicht geeignet war. Es war Montag am frühen Nachmittag. Wie so oft hatte Vivian ihren Verlobten zum gemeinsamen Mittagessen im nobelsten und teuersten Restaurant Berlins abgeholt. Schon kurz nach der Vorspeise war Ben zum ersten Mal so richtig bewusst geworden, dass er im Begriff war, sich für immer an eine Frau zu binden, mit der er über nichts anderes als über Gesellschaftsklatsch und Mode reden konnte. Vivian zog die Blicke aller Männer im gesamten Restaurant auf sich. Doch Ben war sich ziemlich sicher, dass die meisten von ihnen das Interesse schlagartig verlieren würden, wenn sie mitbekämen, welch verbalen Mist die hohlköpfige Schönheit absonderte. Beim Nachtisch überlegte er bereits angestrengt, mit welchen Worten und Begründungen er sich entloben sollte, und wenn er bis dahin noch Zweifel gehabt hatte, so zerstreute Vivian diese auf dem Rückweg zur Klinik restlos. „Es gibt immer mehr Obdachlose“, stellte Ben fest, nachdem er einem fast zahnlosen Mann, der im Eingangsbereich eines Warenhauses auf dem Gitter saß, durch das Warmluft ausströmte, ein bisschen Geld gegeben hatte. „Manchmal frage ich mich, wie das in einem angeblichen Sozialstaat überhaupt sein kann.“ „Du solltest denen kein Geld geben!“, tadelte Vivian ihren Verlobten. „Damit unterstützt du deren Faulheit.“ „Faulheit? Wie meinst du das?“ „Weil es nicht nötig ist, obdachlos zu sein. Allein in unserem Wohnviertel stehen drei Villen leer. Der Kerl bräuchte bloß zu einem Makler zu gehen, der würde ihm sagen, dass es genug freie Häuser gibt. Aber vom faul Herumsitzen und Schnaps trinken kommt natürlich nichts.“ Ben lachte höflichkeitshalber, weil er es für einen Scherz hielt. Doch Vivian bekräftigte ihre Meinung mit einem energischen „Na, ist doch so“. „Leer stehende Wohnungen gibt es noch viel mehr“, fügte sie noch hinzu. „Aber dass jemand keine Wohnung möchte, das kann ich verstehen. Das ist eher etwas für arme Leute, die höchstens fünftausend Euro oder so im Monat verdienen. Und man weiß dabei nie, was für Nachbarn man bekommt.“ Was sollte man darauf erwidern? Ben rang sich ein ironisches „Tja, nicht alle sind so klug wie du“ ab, und Vivian freute sich über das Kompliment, denn mit feiner Ironie oder gar Selbstkritik hatte sie auch nichts am Hut. Man musste Vivian der Fairness halber zugutehalten, dass man auch bei Ida Erlacher – Vivians Mutter – nicht Gefahr lief, von einem Geistesblitz erschlagen zu werden. Und da Ida es mit Schönheit und Sexappeal im Leben zu etwas gebracht hatte, hatte sie auch ihre Tochter in dieser Hinsicht erzogen und sie davor bewahrt, sich durch übermäßiges Denken oder gar Lesen unnötige Falten einzuhandeln. Noch zögerte Ben, sämtliche Türen hinter sich zuzuschlagen. Mit Vivian müsste er sich natürlich auch von seinem lukrativen Job und seiner glorreichen Zukunft als steinreicher Leiter einer Schönheitsklinik trennen. War es das wert? Der kleine Schubser, der ihm zu diesem radikalen Schritt noch fehlte, kam eine halbe Stunde später in sein luxuriös ausgestattetes Büro geschneit. „Guten Tag!“ „Hi!“ „Sie sind …?“ Ben blätterte in seinem Terminplaner. „Shanaya Krausgruber. Ich habe kein offizielles Date mit Ihnen. Ich dachte, es geht vielleicht auch so?“ Ben warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ich habe noch eine Viertelstunde Zeit. Für eine etwaige Untersuchung reicht das nicht.“ „Brauche ich auch nicht. Untersuchung, meine ich. Ich wollte eh nur fragen, ob Sie was aus mir machen können?“ „Ähm …“ Ben musterte die bildhübsche junge Frau mit kritischen Blicken. Er konnte nichts entdecken, was man eventuell hätte verbessern können. Ihr Name passte nicht recht zu ihr, aber dafür war er nicht zuständig. „Und was genau?“ „Weiß ich nicht. Irgendwas.“ „Also, noch einmal ganz von vorne“, seufzte der ausgebildete Facharzt für plastische Chirurgie. „Weshalb sind Sie zu mir gekommen?“ „Weil ich zum Geburtstag von meinen Eltern einen Gutschein gekriegt habe. Für irgendeine Schönheitsoperation. Egal was und wie viel es kostet.“ „Darf ich fragen, der wievielte Geburtstag das war?“ „Der sechzehnte.“ „Oh! Tolles Geschenk!“ Ben musste schlucken. „Ja, ich konnte mich fast nicht mehr einkriegen vor Freude.“ „Die Sache hat nur einen Haken.“ „Was für einen?“ „Ich kann an Ihnen nichts entdecken, was man verbessern könnte.“ „Einen größeren Busen vielleicht?“ „Mit sechzehn ist das Wachstum noch nicht abgeschlossen. Schon gar nicht das der äußeren Geschlechtsmerkmale. Die beginnen sich doch erst jetzt zu entwickeln. Ihre Brüste könnten noch gut und gerne doppelt so groß werden.“ „Und was, wenn nicht? Dann stehe ich da und hab keine!“ Ben verdrehte stöhnend die Augen. Er hätte dem Mädchen gerne geraten, etwas weiter oben, tief unter den platinblonden Extensions für etwas mehr Volumen zu sorgen, doch er konnte ihr ansehen, dass sie für einen solchen Rat nicht empfänglich war. „Dann vielleicht eine neue Nase?“ „Ihre Nase ist perfekt.“ „Dann saugen Sie mir Fett ab.“ „Wo denn?“ Das Mädchen war spindeldürr. „Irgendwo!“, brauste sie ungeduldig auf. „Sie werden schon irgendwo welches finden, wenn Sie genau gucken.“ Ben wollte die blutjunge Frau schon wegschicken, als Klaus Erlacher, sein zukünftiger Schwiegervater, eintrat. Als Shanaya Krausgruber ihm erklärte, warum sie hier war, brauchte der renommierte Schönheitschirurg keine fünf Minuten, um aus dem bildhübschen Mädchen, bei dem maximal das Gehirn ein bisschen zu klein geraten war, eine Großbaustelle zu machen. „Also, ich fasse zusammen: Sie bekommen höhere Wangenknochen, leicht schräg gestellte Augen, ein feineres Kinn, eine kleinere Nase und einen runderen Po. Sie müssen mit zirka einer Woche Aufenthalt in unserer Klinik rechnen, und das Finanzielle regle ich mit Ihrem Vater. Wir sehen uns dann also am nächsten Montagmorgen.“ Ben wäre beinahe das Mittagessen im Gegenwert des halben Monatslohns eines durchschnittlich verdienenden Menschen wieder hochgekommen. Doch Klaus deswegen zu kritisieren, wäre völlig sinnlos gewesen. Der hatte nämlich dort, wo Shanaya Krausgruber offenbar mit Holzwolle gefüllt war, eine Registrierkasse sitzen. Ben erinnerte sich wieder daran, dass er vor langer Zeit einmal ein Idealist gewesen war. Deshalb hatte er auch Medizin studiert. Um kranke Menschen zu heilen. Und nicht, um völlig gesunde Menschen auseinanderzunehmen und sie anders wieder zusammenzusetzen. Das hatte mit Medizin nun wirklich nichts mehr zu tun. Ganz im Gegenteil. Am Abend packte er in der feudalen Villa, die er mit Vivian...