Thriller
E-Book, Deutsch, 252 Seiten
ISBN: 978-3-7487-0742-4
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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Erstes Kapitel
Ich glaube, Thanksgiving war an allem schuld. Zunächst einmal ist es sowieso ein Ersatzfeiertag, den Roosevelt erfunden hat, um die Banken ein paar Tage schließen zu können. Außerdem webt sich ein echt imperialistischer Mythos drumherum, einschließlich sauertöpfischer Pilger-Väter und edler Rothäute, die ihnen den Weg weisen. Aus dem Geschichtsunterricht weiß ich nur noch, dass die Pilgerväter in der Wildnis am Verhungern waren, als Häuptling Squanto und die Algonkin-Indianer per Zufall vorbeikamen und die gegrillten Maiskolben erfanden. Die Pilgerväter erwiesen ihnen ihre Dankbarkeit, indem sie sie ohne Fass über die Niagara-Fälle schickten. Später hat man dann ein Hotel nach den Algonkins benannt. Trotzdem freute ich mich am Abend von Thanksgiving auf die Feierlichkeiten zu Hause bei meinen Eltern in Brooklyn, auf das Treffen mit der ganzen verzopften Verwandtschaft und die Kämpfe mit dem gedämpften Puter und den Asphaltkartoffeln - Balsam für meine verwundete Seele. Ich hatte seit Monaten gesoffen, rumgehurt und gearbeitet, in der Reihenfolge, und ich musste mal Pause machen. Nach Abenteuer stand mir wirklich nicht der Sinn. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich zehn Tage später eine gebrochene Nase, einen Haftbefehl gegen mich laufen und blaugetretene Eier hätte, hätte ich sofort das Land verlassen. Aber das hat mir niemand gesagt. Während ich in meinem Junggesellenbett schlummerte und Visionen von Alka Seltzer in meinem Gehirn herumsprudelten, fuhr die Ben-Gurion, ein israelischer Dampfer, mit einer Ladung Gesellschaftsreisender an Bord in Richtung Hafen. Sie kamen aus der Karibik - ihre Taillen trugen neuerdings Ersatzreifen vom vielen Essen, ihr Geschlechtstrieb war befriedigt worden, und ihre Koffer platzten fast aus den Nähten von all dem zollfreien Alkohol und Parfüm, aus den exotischen Häfen von Curasao, den holländischen Antillen, Montserrat, etc. Dabei würden sie alle behaupten, dass diese Häfen nicht anders aussähen als Miami. Indessen, ohne dass meine Landsleute auf See - oder auch meine Wenigkeit - etwas davon ahnten, stampfte ein schwedischer Frachter, die Charles XII., mit einer Ladung Blondinen, Volvos, Fleischklopsen oder was auch immer, ebenfalls in gleicher Richtung. Obwohl die beiden Schiffe aus verschiedenen Richtungen kamen, fuhren sie auf den gleichen Punkt zu. Und dann trafen sie krachend und malmend irgendwo vor der Einfahrt zu den Narrows aufeinander. Schreie und Flüche stiegen gen Himmel, und die Rettungsboote wurden zu Wasser gelassen. Ein schwedischer Matrose schloss sich in der Kombüse ein, trank Riesenmengen norwegisches Bier und kletterte dann an Deck, wo er seine Absicht kundtat, mit dem sinkenden Schiff unterzugehen. Als ihn niemand davon abhielt, schlurfte er sanftmütig zu den Rettungsbooten, rutschte jedoch beim Hineinklettern aus und verschwand im Wasser, ohne dass eine Blase aufstieg. Er war der einzige Tote. Beide Schiffe schickten ihre Notsignale aus, und die Küstenwache antwortete sofort. Jedes Handelsschiff in der Umgebung eilte ihnen zu Hilfe, wie es auf See unter Seeleuten üblich ist. Unglückseligerweise tat es auch jeder andere Schiffsbesitzer, der ein Funkgerät an Bord und ein soziales Bewusstsein hatte. Die Küstenwache war so sehr damit beschäftigt, diese kühnen Seefahrer aus dem Wasser zu ziehen und ihre Boote zurück an Land zu bringen, dass die Opfer geduldig in ihren Rettungsbooten auf Hilfe warten mussten. Die New Yorker Hafenpolizei fing den Notruf ebenfalls auf und ergriff ihrerseits Rettungsmaßnahmen. Der Notruf tickerte über den Fernschreiber der Polizei, der alle Rufe in einem bestimmten Bezirk auffängt und an das Polizeihauptquartier weitergibt. Der Presseraum im Hauptquartier der Polizei in Manhattan hat einen eigenen Fernschreiber, damit die Reporter bei saftigen Geschichten gleich alarmiert sind. Aber bei den Zeitungsfritzen, die von Mitternacht bis acht Uhr morgens die Hummerschicht schieben, besteht die unausgesprochene Vereinbarung, dass sie alles ignorieren, es sei denn, es würde der nationale Notstand ausgerufen. Somit können sich ihre Redakteure und das Publikum der Illusion hingeben, dass in den frühen Morgenstunden keine Schurken unterwegs sind. Dies ist die menschenfreundlichste Art der Manipulierung von Nachrichten - und ich pflichte ihr aus vollem Herzen bei. Aber irgendjemand hatte es versäumt, einen jungen Mann von der AP, der ganz neu aus dem Büro von Wyoming nach New York gekommen war, über diese wohlwollende Nichtbeachtung zu informieren. Er ließ, als er am Fernschreiber die Nachricht von dem Zusammenstoß las, einen solchen Krächzer los, dass er den UPI-Mann aufweckte und die Männer von der Times und News von ihrem Rommee ablenkte. Da er vernünftigen Argumenten nicht zugänglich war, rief er doch tatsächlich sein Büro an und informierte die Leute über den Zwischenfall, was bedeutete, dass die anderen Reporter das Gleiche tun mussten. Und dann ging er mit der Präzision einer guten Journalistenschule vor und rief die Küstenwache, die Schifffahrtslinie, die Hafenpolizei und alle betroffenen Parteien an, die ihm gerade einfielen, wodurch er seine nunmehr höchst verärgerten Kollegen dazu zwang, es ihm nachzutun. Der Rundfunk unterbrach seine üblichen Übertragungen, die Glocken läuteten, und auf dem Fernschreiber leuchtete DRINGEND auf. Hiermit sollten die Redakteure im ganzen Land darauf hingewiesen werden, dass gleich eine Geschichte von ungewöhnlichem Interesse übertragen würde. Bevor irgendwelche Details bekannt waren, kündigte die erste Zeile die Geschichte bombastisch an: Israelischer Vergnügungsdampfer und schwedischer Frachter kollidieren. Und das reichte aus, um den ganzen Apparat einer größeren amerikanischen Zeitung in Gang zu setzen. Deren Hauptaktion bestand dann in einem Telefonanruf bei mir. Ich bin Reporter für den New Yorker Event. Ich bin schon acht Jahre dabei. Außer dass ich dort Dienstältester bin, habe ich mir ein gerüttelt Maß an Langeweile, Verbitterung und eine beginnende Leberzirrhose eingehandelt - die alle nicht als zusätzliche Sozialleistungen im Gewerkschaftsvertrag angeführt sind. Ich sollte nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit geweckt werden dürfen, um über Mord- und Unglücksfälle sowie alle nur möglichen unzivilisierten Vorkommnisse zu schreiben. Hierfür sollen wir eigentlich irgendeinen jungen Jack London in unserem Stab haben, einen eifrigen Kläffer, der auf die Chance lauert, seine Berufung als Reporter unter Beweis zu stellen. Es müsste also irgendeinen in unserem Verein geben, der gern in einer kalten dunklen Nacht herumrast, blödsinnige Fragen stellt, die falschen Antworten bekommt und sie dann völlig falsch zitiert. Ich tue es auf keinen Fall gern. Und doch rufen sie gerade immer mich zu solchen Jobs. Sie tun dies jedoch nicht etwa, weil ich als Reporter ein As bin - zuverlässig ausdauernd, scharf, der einzige Mann für den Job. Nein, sie rufen mich an, weil die Geschäftsleitung mich hasst. Larry Persky, der stellvertretende Nachtredakteur, versteht nicht, warum ich schlafen darf, wenn er arbeitet. Manchmal weckt er mich einfach so auf und erzählt mir Blödsinn am Telefon, bevor er wieder aufhängt. Diesmal hatte er einen Grund. »Hab' ich dich geweckt, Krales?«, brüllte er fröhlich. »Nein«, krächzte ich. »Ich wollte gerade die Schweine füttern.« »Haste 'ne Biene bei dir, Krales?« »Stimmt genau, wenn du mich so direkt fragst, hab' ich.« »Du spinnst, Krales. Du kämst ja noch nicht einmal im Puff zum Zug.« Ich konnte hören, wie Perskys Mitarbeiter im Hintergrund lachten. »Steh auf und tu was für dein Geld.« Es war vier Uhr fünfunddreißig. Fast im gleichen Augenblick begann die Charles XII. zu sinken. »Was ist los?« »Schiffskollision vor den Narrows.« »Was soll ich machen, rausschwimmen und Amen sagen?« »Sie bringen die Überlebenden zu den Docks von Brooklyn«, sagte Persky, »zum Armee-Terminal. Riesenrettungsgeschichte. Wir brauchen einen schönen Bericht. Ianelli und Jill Potosky gehen mit dir. Sie macht das Feature-Zeugs. Du konzentrierst dich auf die Hauptstory. Wir wollen wissen, wer schuld war.« »Was ist, wenn die Israelis schuld hatten?«, fragte ich. »Dann wirst du der Public-Relations-Mann für die El Fatah. Servus.« Ianelli und Jill? Das war eine Verschwörung, um mich fertigzumachen, überlegte ich mir beim Anziehen. Ianelli war ein dreiundsiebzig Jahre alter Fotograf, der stur an seiner 30-Pfund-Grafelex festhielt, einer Kamera, wie man sie noch in den alten Filmen sieht, und die ich letzten Endes für ihn schleppen musste. Er hatte früher für die alte New Yorker Graphic über Schifffahrtsnachrichten berichtet und erzählte gern, dass bei ihm mehr Schauspielerinnen die Röcke gehoben hätten als bei Errol Flynn. Jill Potosky war eine Emanze - der liebe Gott möge mir meine gehässigen Worte verzeihen -, die Eleanor Roosevelt an Bissigkeit noch übertraf. Sie war groß und blond, trug keinen Büstenhalter, hatte eine sehr königliche Haltung und ein feministisches Gehabe. Aber es machte ihr auch nichts aus, sich an unseren sexbesessenen Redakteur ranzuwerfen, wenn es ihrer Karriere förderlich war. »Das Telefon klingelte. »Hallo Partner.« Es war Jill. »Schon wach?« »Nein, ich habe gerade einen schönen feuchten Traum, Hauptstar sind Sie.« »Ich hoffe, Sie haben Ihre Windeln an«, sagte sie. »Hab' ich. Warum kommen Sie nicht her und wechseln sie mir?« »Klar, bevor Sie noch mehr von Ihrer infantilen Persönlichkeit offenbaren. Ich möchte, dass Sie mich auf Ihrem...