Neue Redewendungen und ihre Herkunft – warum wir sagen, was wir sagen
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-7453-1113-6
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Norbert Golluch deckt in seinem neuen Buch die Herkunft moderner Redewendungen auf und erklärt deren Entstehung und Bedeutung.
Und das ist zum Glück kein Fail, sondern ganz großes Kino.
Autoren/Hrsg.
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Was man halt so macht
abharzen
Dieses Verb und damit verbundene Formulierungen bezeichnen die Neue Deutsche Faulheit (NDF), keineswegs mit der Neuen Deutschen Welle (NDW) zu verwechseln. Wer abharzt, genießt dank Vater Staat das Leben mit einer soliden finanziellen Basis, kann ohne Zukunftssorgen faul auf dem Sofa abhängen, chillen und herumgammeln – Hartz IV sei Dank. Womit auch klar ist, dass die korrekte Schreibweise des Verbs eigentlich abhartzen sein müsste, aber die abharzende Klientel hat es nicht so sehr mit der Rechtschreibung. Womit endlich das Maß der Stereotype voll ist, denn jedem sollte klar sein, dass cooles Abhängen mit Hartz IV nur Menschen mit dem Gemüt und Intelligenzquotienten eines Sofakissens ohne Beschwerden gelingen kann. So richtig wohl fühlt sich mit Hartz IV wohl kaum einer – außer vielleicht Kinder der zweiten oder dritten Generation, die es wie früher machen: Vaters (oder Mutters) Beruf erlernen: Hartzi. Sie kennen es nicht anders. Ohne die gemütliche Vorsilbe ab- wird aus dem harzen sogar eine aktive Tätigkeit. Auf die Frage: »Und, was machst du beruflich?« erfolgt die Antwort: »Na was schon? Harzen!« angesagt sein
Bezeichnet ein aktuelles Thema, etwas ist modern, aktuell, im Schwange, in Mode oder zeitgemäß. Es ist der Zeitgeist, der eine Ansage macht, könnte man glauben, denn wer sonst könnte es sein? Allenfalls noch die Meinungsführer aus den Medien oder sogar die Schwarmintelligenz, die eine kollektive Ansage formuliert. Einer der Ansager oder Ansagerinnen aus Rundfunk und Fernsehen war es jedenfalls nicht – dann schon eher ein Blogger oder eine Influencerin, an deren Lippen die Trends hängen. Wir wissen, was die Redewendung bedeutet – woher die Formulierung kommt, ist noch ungeklärt. auf Achse sein
Ob mit einem Fahrzeug, also auf Rädern, oder zu Fuß – auf Achse ist jedermann, der unterwegs ist. In der Redewendung steckt die indogermanische Silbe ag-, die auch im lateinischen Verb agere = bewegen, handeln, (vorwärts) treiben wirkt und des Weiteren in Wörtern wie Aktion, Agent, Achsel und eben auch in Achse ihren Niederschlag findet. Zwar hätte die Redewendung auch schon in mittelalterlichen Zeiten Verbreitung finden können, aber richtig in Schwung kam das »auf Achse sein« erst im 20. Jahrhundert mit der Einführung des Automobils, auf dessen Achsen man sich in die neue Zeit fortbewegte. den Abflug machen
Einfach nur sagen, dass man den Ort des Geschehens verlässt, ist nicht jedermanns Sache. Auf die Variante Ich bin dann mal weg! kommen wir noch, es gibt aber etliche andere Möglichkeiten im Bereich der Redensarten jenseits von Tschüss!, Auf Wiedersehen! oder Pfüat di!, um auf seine künftige körperliche Abwesenheit hinzuweisen: Ich mach die Fliege! beschreibt zum einen die hohe Geschwindigkeit des Abgangs, zum anderen vermuten manche Quellen eine Verbindung zu dem Verb fliehen. Bei der Variante Ich mach die Biege! könnte sich diese Vermutung weniger auf das Verb biegen als auf die erweiterte Form abbiegen beziehen. Wer die Biege macht, kratzt sozusagen die Kurve – er verschwindet vom Ort des Geschehens, um nicht angetroffen oder erwischt zu werden. Einbrecher zum Beispiel machen die Biege, wenn der Sicherheitsdienst erscheint. Noch schwieriger liegt die Erklärungslage bei der Variante Ich mach die Flatter!, denn weder erhebt sich der Sprechende tatsächlich in die Lüfte, noch zeichnet irgendetwas an ihm schmetterlingshafte Leichtigkeit aus. Und wenn man die ausführlichere Version Ich mach den Flattermann! zur Unterstützung der Deutungsversuche heranzieht, wird das Chaos nur noch größer: Flattermann ist in manchen Regionen die Bezeichnung für das Brathähnchen. In solchen Zuständen macht jede germanistische Logik die Flatter. die Pupille auf Null drehen
Ein schönes Bild aus der Jugendsprache: Wer sich zum Schlafen legt oder geistig abwesend ist, dreht die Pupille auf Null. Diese Floskel ersetzt so abgegriffene sprachliche Lösungen wie das lalldeutsche Bubu machen, das altväterliche an der Matratze horchen oder das bildungsbürgerliche in Morpheus’ Armen liegen. Einmal ausgesprochen, weckt es auch noch Interesse beim Zuhörer: Ich dreh mal die Pupille auf Null! Wie bitte? eine Auszeit nehmen
Alle sind gestresst, leiden unter ihrer Arbeit, kämpfen mit dem Burn-out und würden nur allzu gerne eine Auszeit von ihrem Alltag nehmen – bis hin zum Sabbatical oder Sabbatjahr, der tarifrechtlich geregelten Superauszeit. Dass dessen Bezeichnung mit dem jüdischen Feiertag Sabbat zusammenhängt, liegt auf der Hand, aber woher kommt die Auszeit? Schuld ist vermutlich der Sport: Das englische timeout bezeichnet eine Unterbrechung eines Spiels, die von einer der beteiligten Mannschaften in Anspruch genommen werden kann. Deutsche Sportler übersetzen diese Regelung völlig korrekt mit Auszeit. Über viele Auszeiten in Basketball, American Football, Eishockey, Hockey, Handball, Tischtennis und etlichen anderen Sportarten bürgerte sich das Wort langsam ein und wurde zunehmend auch für andere Bedeutungsbereiche genutzt. Heute nehmen sich Menschen Auszeiten nicht nur im Freizeitsport, sondern vor allem im Arbeitsleben und in ihren persönlichen Beziehungen, und zwar aus den gleichen Gründen wie im Sport: Wenn es mal nicht so richtig gut läuft – nimm doch einfach eine Auszeit! einen im Tee haben
Es wird vermutet, dass diese Redensart norddeutschen Ursprungs ist, denn dort wird die Sitte praktiziert, das Heißgetränk Tee mit Rum »aufzuwerten«. Demnach müsste die Redewendung vollständig lauten: einen (Rum) im Tee haben. Das allerdings dürfte noch nie jemand irgendwo gehört haben, was aber nicht unbedingt gegen die Richtigkeit des Zusammenhangs sprechen muss. Wer sich darüber nicht den Kopf zerbrechen mag, kann auch einen in der Krone haben, sich einen auf die Lampe gießen, einen in der Kiste haben oder zu tief ins Glas schauen. Neuerdings kann man übrigens auch angehopft sein (Rausch durch Bier). einen Polnischen machen
Viele Ethnien haben einen Platz in unserer Sprache gefunden, etliche davon werden sich – ironisch gesagt – dafür bedanken. Wer etwas türkt, der täuscht in böser Absicht etwas vor, und damit er nicht erwischt wird, macht er den Polnischen – er entfernt sich unauffällig – denn sonst drohen ihm schwedische Gardinen. Sie verstehen das nicht, das kommt Ihnen spanisch vor? Das wird schon. Einen Polnischen machen oder einen polnischen Abgang machen benennt die polnische Sitte – so unterstellt man mit dieser Redewendung –, ohne Verabschiedung zu verschwinden, vermutlich noch unter Mitnahme von Teilen des Inventars. Diese Floskel könnte man als diskriminierend und rassistisch deuten (ist sie ja auch), aber wir bösen Deutschen sind damit nicht allein in der Welt. In den Vereinigten Staaten nennt man denselben Sachverhalt irish goodbye und die Briten umschreiben wenig freundlich das diskrete Verschwinden mit einen Franzosen machen. Dank Brexit kommt noch eine neue, hochaktuelle Variante hinzu: british goodbye – sich verabschieden, aber erst mal nicht gehen. Schließlich hat es ja aber doch noch geklappt mit dem britischen Abschied. Wer sprachlich politisch korrekt sein will, verschwindet unauffällig. etwas auschecken
Das Ein- und Auschecken am Flughafen oder im Hotel hat mit der Redewendung, wie sie heute gebraucht wird, wenig zu tun, denn es geht nicht um das An- oder Abmelden in einem Datensystem, sondern um Übersicht und Kontrolle, und da kommt bestenfalls die Checkliste ins Spiel. Abgehakt? Gecheckt! Besonders in der Jugendsprache breitete sich das Wort checken oder auschecken als ein Synonym für die Verben überprüfen, kontrollieren und nachsehen aus. Heute checkt man die Lage, der Aufreißer checkt, ob bei der Schnitte etwas geht, und das Auto wird in der Werkstatt durchgecheckt. Alles eine Frage der Kontrolle. Haben Sie das gecheckt? Auf einer zweiten Bedeutungsebene ist checken also ein Synonym für verstehen, begreifen, ein Sinn, den das englische Verb to check nicht enthält. »Hast du ihm das erklärt?« »Ja, aber der Typ checkt es einfach nicht!« Die Wurzeln des englischen, aber auch des deutschen Wortes liegen in Frankreich; eschacquier bedeutet Schach spielen und so heißt das Spiel im Englischen heute zwar chess, doch bedroht ein Mitspieler den König des anderen mit dem Ausruf: »Check!« etwas durchziehen
Diese Redewendung ist mit der Bedeutung etwas auch gegen Widerstände durchsetzen oder zu Ende bringen in Gebrauch. Eine Variante davon, seinen Stiefel durchziehen, hat etwa dieselbe Bedeutung, aber eine gute Portion Sturheit mehr. Ob ein Zusammenhang zur Drogensprache – einen (Joint)...