Goldberg Gangsterland
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-17489-7
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-641-17489-7
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hart und zynisch - ein moderner amerikanischer
Thriller
Mafiakiller Sal Cupertine hat es vermasselt. Durch Verquickung unglücklicher Umstände hat er in Chicago drei FBI-Beamte getötet - ein böser Fehler. Statt dafür von seinem Boss selbst ins Jenseits befördert zu werden, landet er nach diversen Gesichtsoperationen und entsprechendem Intensivstudium als Rabbi David Cohen in einer jüdischen Gemeinde in Las Vegas. Aber auch dort hat die Mafia ihre Finger im Spiel. Bald geht Rabbi Cohen nicht nur wieder seinem alten Gewerbe nach, sondern entdeckt weitere lukrative Betätigungsfelder, die sich mit der Rolle als Seelsorger aufs Beste vereinen lassen.Mit viel Witz verbindet Tod Goldberg in einem raffinierten Plot die Welt des organisierten Verbrechens mit Tora und Talmud - und das alles im glitzernden Las Vegas, diesem ruchlosen Gangsterland mitten in der Wüste.
Tod Goldberg, geboren 1971 in Berkeley, Kalifornien, ist Autor und Journalist, er unterrichtet Creative Writing an der University of California und gründete 2013 den podcast Literary Disco. Er lebt in La Quinta, Kalifornien.
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1 David Cohen. Sal Cupertine schob den Namen im Mund hin und her. David Cohen. Als er klein war, hatte er seinen Namen gehasst, weil wahrscheinlich jeder Junge im Block einen Onkel namens Sal gehabt hatte. Als er aber älter wurde, hatte er sich mit dem Namen immer mehr angefreundet, hatte gespürt, dass er Macht und Bedrohlichkeit ausstrahlte, zwei Dinge, die ihm gefielen, theoretisch zumindest. David, ein biblischer Name, das war an sich schon was wert. Sal war nicht religiös, war es nie gewesen und konnte es auch schlecht sein, solange er seinen Lebensunterhalt mit dem Töten von Menschen bestritt. Mit den Gewissensbissen, die ihn deshalb gelegentlich plagten, konnte er umgehen, aber sich ernsthaft und rational mit einem anderen Leben auseinandersetzen, das nach dem Tod beginnen soll? Mit so einem Bockmist brauchte man Sal nicht zu kommen. Cohen. Na ja. Das war was anderes. Sal hatte eine ganze Menge Juden gekannt, die Familie war auch immer gut mit der Kosher Nostra ausgekommen, die die College-Campusse mit Ecstasy und gefälschten Seminararbeiten versorgte. Diese Typen waren meistens Israelis oder russische Juden; die Tage von Bugsy Siegel und Meyer Lansky waren spätestens dann vorbei gewesen, als sie festgestellt hatten, dass man auch reich werden konnte, wenn einem Hollywood und die Banken gehörten. Die Israelis und Russen in Chicago waren jung und hatten noch Respekt, weil die Familie für sie etwas geradezu Mystisches war, das sie nur aus dem Fernsehen und dem Kino kannten. Sie hießen Yaakov oder Boris oder Vitaly oder Zvika, hatten einen starken Akzent und trugen Westen und dicke Uhren und fuhren einen Range Rover, damit alle wussten, dass sie nicht zu den alteingesessenen Rosenblatts und Levys gehörten. Wenn es ums Geschäft ging, waren sie allerdings nicht zimperlich. Wollten sie jemandem eine Botschaft zukommen lassen, brachten sie seinen Hund und seine Freundin um; machten ihn für den Rest seines Lebens fertig, ohne ihm selbst auch nur ein Haar zu krümmen. Schuldet dir einer Geld, dann machst du ihn gefügig, und er wird immer zahlen, so ihre Devise. Sal gab es nur ungern zu, aber da war was dran. Das Problem war nur, dass die Familie sich so lange im Geschäft gehalten hatte, weil sie sich nie an unschuldigen Zivilisten oder Haustieren vergriffen hatte. Legst du die Kinder oder den Köter von einem um, landet so was in der Zeitung, und die Polizei interessiert sich dafür. Legst du einen Drecksack um, hast du bloß einen Drecksack weniger. Legst du vier Bundesbeamte um, kann sich deine ganze Welt verändern. Aber David Cohen? Das war kein tougher Typ. So hieß der Typ, der einem die Brille richtete. So hießen Anwälte. »David Cohen«, sagte Sal, aber es klang irgendwie nicht richtig und würde wahrscheinlich auch die nächsten beiden Wochen nicht richtig klingen, zumindest nicht, solange sein Kiefer noch verdrahtet war. Ein halbes Jahr war er jetzt fort, und in der ganzen Zeit hatte keiner ihn direkt angesprochen oder ihm in die Augen gesehen. Sieben Tage hatte er in verschiedenen Fleischlastern verbracht, bis sie wussten, was sie mit ihm anstellen sollten, und ihn schließlich in Las Vegas abluden. Jedenfalls war er sich ziemlich sicher, dass es Las Vegas war. In der örtlichen Zeitung, dem Review-Journal, verbreitete ein Kolumnist namens Harvey B. Curran in der Hälfte seiner Zeit Klatsch über die in der Stadt ansässigen »Mafiosi« und in der anderen Hälfte Klatsch über die Leute, die von den »Mafiosi« Bestechungsgelder annahmen, um deren wie auch immer geartete Interessen zu befördern. Und da war die Tatsache, dass Oscar Goodman wahrscheinlich zur Bürgermeisterwahl antreten würde. Jeden Abend kam in den Lokalnachrichten wieder ein Bericht darüber, wie er der Stadt neues Leben einhauchen und die alte Rat-Pack-Atmosphäre wiederbeleben wollte, und keiner scherte sich einen feuchten Dreck darum, dass er das Sprachrohr des ganzen verdammten Olymp war – von Lansky, Leonetti, der gesamten Scarfo-Familie. Alles lag offen zutage. Außer natürlich für Sal. Ein halbes Jahr lang hatte er sich im selben Haus aufgehalten, hatte vorn nicht rausgehen dürfen, sondern nur durch die Hintertür und nur in der Nacht. Nicht dass er Lust aufs Reisen gehabt hätte, nicht nach den zahllosen chirurgischen Eingriffen, die er über sich hatte ergehen lassen: neue Nase, neues Kinn, ein paar Zähne waren gezogen und durch Implantate ersetzt worden. Sie hatten ihm seine Tattoos weggelasert, den Schädel kahl geschoren, ihn gezwungen, eine Brille zu tragen. Und das Letzte, hoffte er, war der neue Kiefer. Sogar die Operationen wurden heimlich durchgeführt – mitten in der Nacht hatte man ihn hinten in einem fensterlosen Lieferwagen durch die Stadt kutschiert, ihn in eine Arztpraxis gescheucht, wo man ihn mit Betäubungsmittel vollgepumpt hatte, dann war er im Haus wieder aufgewacht. Mittlerweile war er an einem Punkt, wo er noch nicht mal mehr Schmerzmittel nahm. Es gab keine Stelle an seinem Körper, die nicht wehtat, und alles Paracetamol der Welt machte es nicht besser, nicht solange er eingesperrt war in diesem todschicken einstöckigen Haus mit Salzwasserpool, Whirlpool und Sauna, voll ausgestattetem Fitnessraum und gut fünfhundert Kabelsendern, die in jedem Zimmer zur Verfügung standen. Und jetzt das: David Cohen. Sal trainierte im Fitnessraum mit den Hanteln, als Slim Joe, der junge Kerl, der bei ihm wohnte, reinkam und ihm einen wattierten Umschlag überreichte. »Was ist das?«, fragte Sal. »Soll ich dir geben. Hat Bennie gesagt«, antwortete Slim Joe. »Ich stell keine Scheißfragen.« Slim Joe stellte wirklich keine Scheißfragen. Was ganz gut war. Sal hätte das ganze Haus in Brand setzen können, und Slim Joe hätte nicht ein Wort gesagt, hätte nur dagesessen und zugesehen, wie es loderte, vor allem, wenn Sal ihm sagte, er habe auf Befehl von Bennie das Feuer gelegt. Bennie, das war Bennie Savone, ein Name, der Sal, als er noch in Chicago gelebt hatte, nicht viel sagte, der in Las Vegas aber anscheinend einiges an Gewicht hatte … Zumindest so viel, um ziemlich regelmäßig in Currans Klatschkolumnen aufzutauchen. Er hatte einen Strip-Club in der Stadt, das Wild Horse. Ständiges Thema in der Kolumne aber war seine Einheirat in eine religiöse jüdische Familie, die Kales’, die mit der organisierten Kriminalität ansonsten nichts am Hut hatten. Nicht dass Bennie irgendwas davon gegenüber Sal erwähnt hätte. Sal wusste noch nicht mal, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass er bei der Savone-Familie versteckt wurde, schließlich hatte es zwischen der Familie in Chicago und ihr bislang keine Geschäftsbeziehungen gegeben. Es stand ihm nicht zu, das zu wissen oder danach zu fragen. Aber so, wie Bennie ihn behandelte – respektvoll, trotzdem eindeutig als Untergebenen –, vermutete Sal, dass es sich hier um ein längerfristiges Arrangement handelte. Wofür auch die vielen Gesichtsoperationen sprachen. Sal nahm den Umschlag mit in sein Zimmer und leerte den Inhalt auf sein Bett. Eine Geburtsurkunde, ein Sozialversicherungsausweis, Universitätsdokumente des Hebrew Union College in Cincinnati, sogar alte Stromrechnungen, alles auf den Namen David Cohen ausgestellt. Angeheftet an die Kopie des Mietvertrags für das Haus, in dem er schon wohnte – ein Vertrag, der eben am heutigen Tag zwischen ihm und dem Tempel aufgesetzt worden war –, war ein Post-it mit einer Notiz in Bennies sorgfältiger Handschrift: Das bist du. Präg dir alles ein, Rain Man. Alles. Rain Main. Den Namen hatte er seit Chicago nicht mehr gehört. Es gab noch mehr: David Cohens Familienstammbaum, der bis ins Polen des neunzehnten Jahrhunderts zurückreichte; eine abgegriffene Talmud-Ausgabe mit Goldschnitt; eine Jarmulke. »David Cohen«, sagte er wieder. Sal Cupertine stand vom Bett auf und ging ins Badezimmer. Es war das schönste Badezimmer, das er jemals gehabt hatte: Travertinboden, einen im Boden eingelassenen Jacuzzi, zwei Waschbecken, eine Dusche mit Regenbrause und integrierter Sitzmöglichkeit. Sal wusste zunächst nicht, warum um alles in der Welt man in der Dusche unbedingt eine Sitzmöglichkeit brauchte, es sei denn, man duschte nicht allein, ein Gedanke, der dazu führte, dass er seine Frau Jennifer urplötzlich so sehr vermisste, dass ihm ganz elend wurde. Also stellte er die Sitzmöglichkeit mit Shampooflaschen und Seifen und Handtüchern voll, mit allem, was er finden konnte, sodass sie jetzt eher einem Regal glich. An der gegenüberliegenden Wand des Badezimmers stand ein begehbarer Schrank, der ungefähr so groß war wie das Schlafzimmer, das er sich mit Jennifer in Chicago geteilt hatte. So groß, dass darin sogar noch ein separater Schrank Platz fand: ein eigens klimatisierter Zedernschrank, der kühler war als das übrige Haus. Darin Designerklamotten: ein Dutzend Anzüge, Hemden, bequeme Hosen, Pullunder, Schuhe … und an allen hing noch das Preisschildchen. Ein Schuhpaar war von siebenhundert Dollar auf fünfhundert reduziert worden – in etwa die Summe, die Sal vernünftigerweise in einem ganzen Jahr für seine Schuhe auszugeben bereit war. Aber das ganze Haus lag ja weit über dem, was er sich jemals hätte leisten können, wenngleich es sicherlich für jemanden wie seinen Cousin Ronnie erschwinglich war. Oder für jemanden wie Rabbi David Cohen. Die Wahrheit war, im vergangenen halben Jahr hatte Sal sich immer wieder überlegt, wie er möglicherweise flüchten könnte. Nur wusste er nicht, wohin, denn eine Rückkehr nach Chicago wäre reiner Selbstmord gewesen – entweder würde er durch die Bullen oder durch die...