E-Book, Deutsch, 111 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Ein Schauspiel (Reclams Universal-Bibliothek)
E-Book, Deutsch, 111 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
ISBN: 978-3-15-961044-3
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Johann Wolfgang Goethe (seit 1782: von; 28. 8. 1749 Frankfurt a. M. - 22. 3. 1832 Weimar) hat als Lyriker, Prosa-Autor und Dramatiker Epoche machende Werke des Sturm und Drang und der Klassik mit europaweiter Wirkung verfasst. Von Herzog Karl August von Sachsen-Weimar für den Weimar Hof verpflichtet, wo er u. a. für das Theater zuständig war, prägte er in der Zusammenarbeit mit Schiller besonders die Epoche der Weimarer Klassik. Goethes Interessen erstreckten sich auch auf unterschiedlichste Wissenschaften, zu denen er umfangreiche Schriften beitrug.
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Erster Aufzug
Erster Auftritt
Gartenplatz, mit Hermen der epischen Dichter geziert. Vorn an der Szene zur Rechten Virgil, zur Linken Ariost. Prinzessin. Leonore. PRINZESSIN. Du siehst mich lächlend an, Eleonore, Und siehst dich selber an und lächelst wieder. Was hast du? Lass es eine Freundin wissen! Du scheinst bedenklich, doch du scheinst vergnügt. LEONORE. Ja, meine Fürstin, mit Vergnügen seh ich5 Uns beide hier so ländlich ausgeschmückt. Wir scheinen recht beglückte Schäferinnen Und sind auch wie die Glücklichen beschäftigt. Wir winden Kränze. Dieser, bunt von Blumen, Schwillt immer mehr und mehr in meiner Hand,10 Du hast mit höherm Sinn und größerm Herzen Den zarten schlanken Lorbeer dir gewählt. PRINZESSIN. Die Zweige, die ich in Gedanken flocht, Sie haben gleich ein würdig Haupt gefunden, Ich setze sie Virgilen dankbar auf.15 (Sie kränzt die Herme Virgils.) LEONORE. So drück ich meinen vollen frohen Kranz Dem Meister Ludwig auf die hohe Stirne – (Sie kränzt Ariostens Herme.) Er, dessen Scherze nie verblühen, habe Gleich von dem neuen Frühling seinen Teil. PRINZESSIN. Mein Bruder ist gefällig dass er uns20 In diesen Tagen schon aufs Land gebracht, Wir können unser sein und stundenlang Uns in die goldne Zeit der Dichter träumen. Ich liebe Belriguardo, denn ich habe Hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt,25 Und dieses neue Grün und diese Sonne Bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück. LEONORE. Ja es umgibt uns eine neue Welt! Der Schatten dieser immer grünen Bäume Wird schon erfreulich. Schon erquickt uns wieder30 Das Rauschen dieser Brunnen, schwankend wiegen Im Morgenwinde sich die jungen Zweige. Die Blumen von den Beeten schauen uns Mit ihren Kinderaugen freundlich an. Der Gärtner deckt getrost das Winterhaus35 Schon der Zitronen und Orangen ab, Der blaue Himmel ruhet über uns Und an dem Horizonte löst der Schnee Der fernen Berge sich in leisen Duft. PRINZESSIN. Es wäre mir der Frühling sehr willkommen,40 Wenn er nicht meine Freundin mir entführte. LEONORE. Erinnre mich in diesen holden Stunden, O Fürstin, nicht wie bald ich scheiden soll. PRINZESSIN. Was du verlassen magst, das findest du In jener großen Stadt gedoppelt wieder.45 LEONORE. Es ruft die Pflicht, es ruft die Liebe mich Zu dem Gemahl der mich so lang entbehrt. Ich bring ihm seinen Sohn, der dieses Jahr So schnell gewachsen, schnell sich ausgebildet, Und teile seine väterliche Freude.50 Groß ist Florenz und herrlich, doch der Wert Von allen seinen aufgehäuften Schätzen Reicht an Ferraras Edelsteine nicht. Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht, Ferrara ward durch seine Fürsten groß.55 PRINZESSIN. Mehr durch die guten Menschen, die sich hier Durch Zufall trafen und zum Glück verbanden. LEONORE. Sehr leicht zerstreut der Zufall was er sammelt. Ein edler Mensch zieht edle Menschen an Und weiß sie festzuhalten, wie ihr tut.60 Um deinen Bruder und um dich verbinden Gemüter sich, die eurer würdig sind, Und ihr seid eurer großen Väter wert. Hier zündete sich froh das schöne Licht Der Wissenschaft, des freien Denkens an,65 Als noch die Barbarei mit schwerer Dämmrung Die Welt umher verbarg. Mir klang als Kind Der Name Hercules von Este schon, Schon Hyppolit von Este voll ins Ohr. Ferrara ward mit Rom und mit Florenz70 Von meinem Vater viel gepriesen! Oft Hab ich mich hingesehnt; nun bin ich da. Hier ward Petrarch bewirtet, hier gepflegt, Und Ariost fand seine Muster hier. Italien nennt keinen großen Namen,75 Den dieses Haus nicht seinen Gast genannt. Und es ist vorteilhaft den Genius Bewirten: gibst du ihm ein Gastgeschenk, So lässt er dir ein schöneres zurück. Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,80 Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder. PRINZESSIN. Dem Enkel, wenn er lebhaft fühlt wie du. Gar oft beneid ich dich um dieses Glück. LEONORE. Das du, wie wenig andre, still und rein 85 Genießest. Drängt mich doch das volle Herz Sogleich zu sagen was ich lebhaft fühle, Du fühlst es besser, fühlst es tief und – schweigst. Dich blendet nicht der Schein des Augenblicks, Der Witz besticht dich nicht, die Schmeichelei90 Schmiegt sich vergebens künstlich an dein Ohr: Fest bleibt dein Sinn und richtig dein Geschmack, Dein Urteil grad, stets ist dein Anteil groß Am Großen, das du wie dich selbst erkennst. PRINZESSIN. Du solltest dieser höchsten Schmeichelei95 Nicht das Gewand vertrauter Freundschaft leihen. LEONORE. Die Freundschaft ist gerecht, sie kann allein Den ganzen Umfang deines Werts erkennen. Und lass mich der Gelegenheit, dem Glück Auch seinen Teil an deiner Bildung geben,100 Du hast sie doch, und bist’s am Ende doch, Und dich mit deiner Schwester ehrt die Welt Vor allen großen Frauen eurer Zeit. PRINZESSIN. Mich kann das, Leonore, wenig rühren, Wenn ich bedenke wie man wenig ist,105 Und was man ist, das blieb man andern schuldig. Die Kenntnis alter Sprachen und des Besten, Was uns die Vorwelt ließ, dank ich der Mutter; Doch war an Wissenschaft, an rechtem Sinn Ihr keine beider Töchter jemals gleich;110 Und soll sich eine ja mit ihr vergleichen, So hat Lucretia gewiss das Recht. Auch kann ich dir versichern hab ich nie Als Rang und als Besitz betrachtet, was Mir die Natur, was mir das Glück verlieh.115 Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen, Dass ich verstehen kann wie sie es meinen. Es sei ein Urteil über einen Mann Der alten Zeit und seiner Taten Wert; Es sei von einer Wissenschaft die Rede,120 Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet, Dem Menschen nutzt indem sie ihn erhebt, Wohin sich das Gespräch der Edlen lenkt Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen. Ich höre gern dem Streit der Klugen zu,125 Wenn um die Kräfte, die des Menschen Brust So freundlich und so fürchterlich bewegen, Mit Grazie die Rednerlippe spielt; Gern, wenn die fürstliche Begier des Ruhms, Des ausgebreiteten Besitzes Stoff130 Dem Denker wird, und wenn die feine Klugheit, Von einem klugen Manne zart entwickelt, Statt uns zu hintergehen uns belehrt. LEONORE. Und dann nach dieser ernsten Unterhaltung Ruht unser Ohr und unser innrer Sinn135 Gar freundlich auf des Dichters Reimen aus, Der uns die letzten lieblichsten Gefühle Mit holden Tönen in die Seele flößt. Dein hoher Geist umfasst ein weites Reich, Ich halte mich am liebsten auf der Insel140 Der Poesie in Lorbeerhainen auf. PRINZESSIN. In diesem schönen Lande, hat man mir Versichern wollen, wächst vor andern Bäumen Die Myrte gern. Und wenn der Musen gleich Gar viele sind, so sucht man unter ihnen145 Sich seltner eine Freundin und Gespielin, Als man dem Dichter gern begegnen mag, Der uns zu meiden, ja zu fliehen scheint, Etwas zu suchen scheint das wir nicht kennen, Und er vielleicht am Ende selbst nicht kennt.150 Da wär es denn ganz artig, wenn er uns Zur guten Stunde träfe, schnell entzückt Uns für den Schatz erkennte, den er lang Vergebens in der weiten Welt gesucht. LEONORE. Ich muss mir deinen Scherz gefallen lassen,155 Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief. Ich ehre jeden Mann und sein Verdienst Und ich bin gegen Tasso nur gerecht. Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum; Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;160 Was die Geschichte reicht, das Leben gibt, Sein Busen nimmt es gleich und willig auf: Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt, Und sein Gefühl belebt das Unbelebte. Oft adelt er was uns gemein erschien,165 Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts. In diesem eignen Zauberkreise wandelt Der wunderbare Mann und zieht uns an Mit ihm zu wandeln, Teil an ihm zu nehmen: Er scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern;170 Er scheint uns anzusehn, und Geister mögen An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen. PRINZESSIN. Du hast den Dichter fein und zart geschildert, Der in den Reichen süßer Träume schwebt. Allein mir scheint auch ihn das Wirkliche175 Gewaltsam...