E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Reclam XL - Text und Kontext
[Reclam XL - Text und Kontext] - Textausgabe mit Kommentar und Materialien - Tragödie um den Teufelspakt des Faust mit Mephisto - Goethe, Johann Wolfgang - 16103
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Reclam XL - Text und Kontext
ISBN: 978-3-15-960470-1
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Johann Wolfgang Goethe (seit 1782: von; 28. 8. 1749 Frankfurt a. M. - 22. 3. 1832 Weimar) hat als Lyriker, Prosa-Autor und Dramatiker Epoche machende Werke des Sturm und Drang und der Klassik mit europaweiter Wirkung verfasst. Von Herzog Karl August von Sachsen-Weimar für den Weimar Hof verpflichtet, wo er u. a. für das Theater zuständig war, prägte er in der Zusammenarbeit mit Schiller besonders die Epoche der Weimarer Klassik. Goethes Interessen erstreckten sich auch auf unterschiedlichste Wissenschaften, zu denen er umfangreiche Schriften beitrug.
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[4]Vorspiel auf dem Theater
DIREKTOR. THEATERDICHTER. LUSTIGE PERSON. DIREKTOR. Ihr beiden, die ihr mir so oft, In Not und Trübsal, beigestanden, 35Sagt was ihr wohl in deutschen Landen Von unsrer Unternehmung hofft? Ich wünschte sehr der Menge zu behagen, Besonders weil sie lebt und leben lässt. Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen, 40Und jedermann erwartet sich ein Fest. Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen, Gelassen da und möchten gern erstaunen. Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt; Doch so verlegen bin ich nie gewesen; 45Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt, Allein sie haben schrecklich viel gelesen. Wie machen wir’s, dass alles frisch und neu Und mit Bedeutung auch gefällig sei? Denn freilich mag ich gern die Menge sehen, 50Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt, Und mit gewaltig wiederholten Wehen Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt, Bei hellem Tage, schon vor Vieren, Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht 55Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren, Um ein Billet sich fast die Hälse bricht, Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute Der Dichter nur; mein Freund, o! tu es heute! DICHTER. O sprich mir nicht von jener bunten Menge, 60Bei deren Anblick uns der Geist entflieht. Verhülle mir das wogende Gedränge, Das wider Willen uns zum Strudel zieht. Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge, Wo nur dem Dichter reine Freude blüht; 65Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen Mit Götterhand erschaffen und erpflegen. Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen, Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt, [5]Missraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen, 70Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt. Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen Erscheint es in vollendeter Gestalt. Was glänzt ist für den Augenblick geboren; Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren. 75LUSTIGE PERSON. Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte; Gesetzt dass ich von Nachwelt reden wollte, Wer machte denn der Mitwelt Spaß? Den will sie doch und soll ihn haben. Die Gegenwart von einem braven Knaben 80Ist, dächt ich, immer auch schon was. Wer sich behaglich mitzuteilen weiß, Den wird des Volkes Laune nicht erbittern; Er wünscht sich einen großen Kreis, Um ihn gewisser zu erschüttern. 85Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft, Lasst Phantasie, mit allen ihren Chören, Vernunft, Verstand, Empfindung Leidenschaft, Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören. DIREKTOR. Besonders aber lasst genug geschehn! 90Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn. Wird vieles vor den Augen abgesponnen, So dass die Menge staunend gaffen kann, Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen, Ihr seid ein vielgeliebter Mann. 95Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen, Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken! 100Solch ein Ragout es muss Euch glücken; Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht. Was hilft’s, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht, Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken. DICHTER. Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei! 105Wie wenig das dem echten Künstler zieme! Der saubern Herren Pfuscherei Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime. [6]DIREKTOR. Ein solcher Vorwurf lässt mich ungekränkt; Ein Mann, der recht zu wirken denkt, 110Muss auf das beste Werkzeug halten. Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten, Und seht nur hin für wen Ihr schreibt! Wenn diesen Langeweile treibt, Kommt jener satt vom übertischten Mahle, 115Und, was das Allerschlimmste bleibt, Gar mancher kommt vom Lesen der Journale. Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten, Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt; Die Damen geben sich und ihren Putz zum Besten 120Und spielen ohne Gage mit. Was träumet Ihr auf Eurer Dichter-Höhe? Was macht ein volles Haus Euch froh? Beseht die Gönner in der Nähe! Halb sind sie kalt, halb sind sie roh. 125Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel, Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen. Was plagt ihr armen Toren viel, Zu solchem Zweck, die holden Musen? Ich sag Euch, gebt nur mehr, und immer immer mehr, 130So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren, Sucht nur die Menschen zu verwirren, Sie zu befriedigen ist schwer – – Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen? DICHTER. Geh hin und such dir einen andern Knecht! 135Der Dichter sollte wohl das höchste Recht, Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt, Um deinetwillen freventlich verscherzen! Wodurch bewegt er alle Herzen? Wodurch besiegt er jedes Element? 140Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt, Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt? Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge, Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt, Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge 145Verdrießlich durcheinander klingt; Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt? Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe, [7]Wo es in herrlichen Akkorden schlägt? 150Wer lässt den Sturm zu Leidenschaften wüten? Das Abendrot im ernsten Sinne glühn? Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten Auf der Geliebten Pfade hin? Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter 155Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art? Wer sichert den Olymp, vereinet Götter? Des Menschen Kraft im Dichter offenbart. LUSTIGE PERSON. So braucht sie denn die schönen Kräfte Und treibt die dicht’rischen Geschäfte, 160Wie man ein Liebesabenteuer treibt. Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt Und nach und nach wird man verflochten; Es wächst das Glück, dann wird es angefochten, Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran, 165Und eh man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman. Lasst uns auch so ein Schauspiel geben! Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt, Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant. 170In bunten Bildern wenig Klarheit, Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit, So wird der beste Trank gebraut, Der alle Welt erquickt und auferbaut. Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte 175Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung, Dann sauget jedes zärtliche Gemüte Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung, Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt, Ein jeder sieht was er im Herzen trägt. 180Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen, Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein; Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen; Ein Werdender wird immer dankbar sein. DICHTER. So gib mir auch die Zeiten wieder, 185Da ich noch selbst im Werden war, Da sich ein Quell gedrängter Lieder Ununterbrochen neu gebar, Da Nebel mir die Welt verhüllten, [8]Die Knospe Wunder noch versprach, 190Da ich die tausend Blumen brach, Die alle Täler reichlich füllten. Ich hatte nichts und doch genug, Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug. Gib ungebändigt jene Triebe, 195Das tiefe schmerzenvolle Glück, Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe, Gib meine Jugend mir zurück! LUSTIGE PERSON. Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls, Wenn dich in Schlachten Feinde drängen, 200Wenn mit Gewalt an deinen Hals Sich allerliebste Mädchen hängen, Wenn fern des schnellen Laufes Kranz Vom schwer erreichten Ziele winket, Wenn nach dem heft’gen Wirbeltanz 205Die Nächte schmausend man vertrinket. Doch ins bekannte Saitenspiel Mit Mut und Anmut einzugreifen, Nach einem selbgesteckten Ziel Mit holdem Irren hinzuschweifen, 210Das, alte Herrn, ist eure Pflicht, Und wir verehren euch darum nicht minder. Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht, Es findet uns nur noch als wahre Kinder. DIREKTOR. Der Worte sind genug gewechselt, 215Lasst mich auch endlich...