Gösweiner | Traurige Freiheit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Gösweiner Traurige Freiheit

Roman

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-85420-982-9
Verlag: Literaturverlag Droschl
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein genauer Blick auf das Wechselspiel von Hoffnungen, Resignation und Aufbruch
in der Generation der Dreißigjährigen:
Am Anfang steht der Entschluss zur Flucht nach vorn: Um in Berlin als Journalistin durchzustarten, nimmt Hannah die Trennung von Jakob in Kauf. Ein Volontariat soll den Einstieg in die Karriere bringen, aber anstatt sich aus ihrer prekären Lage befreien zu können, schlittert Hannah immer weiter in eine Lebenskrise. Alles scheint ihr zu entgleiten, Karriere und feste Verhältnisse lassen auf sich warten, bis eine zufällige Begegnung sie neuen Mut fassen lässt. Doch was daraus wird, ist ungewiss – so wie alles andere auch. Wenigstens gibt es Miriam, Hannahs beste Freundin, und Skype, denn Miriam lebt in Moskau.
Auch so kann sich Freiheit anfühlen: wie ein endloser Fall in die Tiefe. Präzise und konzentriert erstellt Friederike Gösweiner ein Psychogramm aus dem Prekariat und erzählt zugleich von den Verhältnissen, vom Leben jenseits aller Sicherheiten, vom Bewusstsein einer neuen »verlorenen Generation«.
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1 »Dann hat es wohl keinen Sinn mehr«, sagte Hannah. Es klang fragend, sie sprach leise, wie zu sich selbst. Sie sah Jakob an, der auf dem Bett lag, er lag auf ihrer Seite, nicht auf seiner, fiel Hannah auf, das sah ganz ungewohnt aus. Den Blick starr auf seine Füße am Bettende gerichtet, schwieg er, zögerte, dann hob er seinen Kopf leicht, blickte zu ihr. »Ich möchte doch nur sehen, ob ich überhaupt gut genug bin. Ob ich eine Chance habe in Berlin. Ein halbes Jahr oder ein ganzes. Mehr nicht. Ist das so viel verlangt?«, fuhr sie fort, suchte Jakobs Blick, seine Augen. Aber er sah jetzt an ihr vorbei, sah zum Fenster hinaus, schluckte, schwieg, er schwieg lange, und sie schwieg auch. Sie wusste nicht mehr, was sie noch sagen sollte. Erschöpft ließ sie sich am Türpfosten entlang zu Boden gleiten. Sie hatte keine Lust mehr zu streiten, es hatte keinen Sinn. Immer wieder hatten sie die gleiche Diskussion geführt in den letzten Wochen, seit Hannah die Zusage bekommen hatte für das Volontariat bei der Zeitung in Berlin. Immer wieder hatte sie versucht, Jakob zu erklären, warum sie das machen wollte, warum das so wichtig war für sie, warum sie nicht mehr länger hier sitzen wollte und darauf warten, dass ein Wunder geschähe und das Magazin, für das sie als Freie schrieb, sie plötzlich doch noch als Redakteurin einstellte. Eine andere Hoffnung für sie als Journalistin gab es nicht in der Stadt, in der sie lebten, und sie hatte es satt, sich Jakob, der Assistenzarzt auf der Kinderstation der Klinik war, so unterlegen zu fühlen. »Warum kann ich nicht die ganze Miete übernehmen?« Jakob sah sie nicht an, als er das sagte, immer noch blickte er zum Fenster hinaus, in die Ferne. »Aber wir leben doch nicht im 19. Jahrhundert, wie oft soll ich das noch sagen! Das ist doch keine Lösung, wenn ich mich finanziell vollkommen von dir abhängig mache!« Hannahs Stimme klang gereizt. »Und es geht außerdem doch nicht nur ums Geld!« Nach einer kurzen Pause fuhr sie mit leiserer Stimme fort: »Ich weiß, dass das nett gemeint ist von dir. Ich weiß das. Ich weiß es wirklich. Aber es macht mich rasend. Versteh das doch! Stell es dir umgekehrt vor, bitte, stell dir vor, du würdest immer noch denselben Job haben, den du als Student hattest, du würdest immer noch so wenig verdienen wie damals, du hättest auf fünfzig Bewerbungen nur Absagen bekommen, und dann würde ich zu dir sagen: Lass mich doch einfach zahlen und alles ist gut!« Wieder war sie lauter geworden, als sie wollte. Sie stockte, suchte Jakobs Blick, und diesmal sah er sie an. Er sah müde aus, erschöpft wie sie, dachte Hannah. »Gar nichts ist gut. Für mich ist es nicht gut.« Sie flüsterte fast, und jetzt war sie es, die sich von ihm abwandte und nach unten blickte, auf den Boden. Wieder schwiegen sie. Hannah hörte, wie der Kühlschrank in der Küche ansprang. Sie begann, die Parkettstäbe zu zählen, von der Tür bis zum Bett, auf dem Jakob lag, und zurück. Dann richtete sich Jakob plötzlich entschlossen auf und erhob sich schwungvoll vom Bett. Aber als er dann neben dem Bett stand, setzte er sich sofort wieder, an den Bettrand, als sei ihm ganz plötzlich entfallen, was er eben noch geglaubt hatte, so entschlossen tun zu müssen. Die Energie, die für Momente in ihm gewesen war, war wieder verpufft, und er wirkte noch müder als zuvor. Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und durch die Haare, stützte seine Arme auf den Knien auf, seufzte laut und sagte dann, und es klang genervt: »Es wäre doch nicht für immer! Vorübergehend. – Ich habe von Anfang an gesagt: Ich zahle die Wohnung vorübergehend allein. Du wirst etwas finden, hier, ganz sicher wirst du etwas finden, früher oder später. Vielleicht wird es nicht dein Traumjob sein, aber die Arbeit ist ja nicht alles, oder? Uns gibt es doch auch noch! Was haben wir davon, wenn ich allein hier sitze und du allein in Berlin und wir uns alle paar Wochen für 24 Stunden oder meinetwegen für 48 Stunden mal sehen? Das ist doch keine Beziehung!« Er sah sie an. »Ich möchte nicht, dass meine Freundin irgendwo in Berlin sitzt, achthundert Kilometer entfernt von mir, und ich hier bin, allein in unserer Wohnung. Und wenn du jetzt sagst, das ist egoistisch, dann ist mir das völlig egal! Es ist genauso egoistisch, dass du unbedingt weg willst – von mir!« Und er sah sie zornig an, als er das sagte, zornig und traurig zugleich. Hannah wusste nicht mehr, wie oft sie genau an diesen Punkt gekommen waren in den letzten Wochen. Es waren immer die gleichen Sätze, die sie einander gesagt hatten, und immer waren sie bis hierher gekommen. Entweder war Hannah dann wütend ins andere Zimmer gelaufen und hatte kopfschüttelnd die Tür hinter sich zugeknallt oder Jakob hatte sich gekränkt umgedreht und war wortlos gegangen. Und irgendwann hatte einer von beiden dann an der Tür des anderen geklopft und sie hatten sich umarmt, sich wortlos versöhnt. Ein paar Tage lang hatten sie dann einfach nicht mehr darüber gesprochen, bis sich an irgendeiner Kleinigkeit wieder die Diskussion entzündete und alles von vorn begann. Je näher der Beginn des Volontariats rückte, desto häufiger stritten sie. In sechs Wochen sollte Hannah in Berlin sein. Und sie wusste nicht, was geschehen würde, ginge sie tatsächlich, ob Jakob insgeheim damit rechnete, dass sie nicht gehen würde, weil sie das Risiko, ihn damit zu verlieren, nicht eingehen wollte, oder ob am Ende gar nichts passieren würde, er sie zum Bahnhof brächte und sie dann zwei Wochen später in Berlin besuchen würde. Miriam, Hannahs beste Freundin, hatte gemeint, sie solle abwarten, alles würde gut gehen, er würde sich schon nicht trennen, »doch nicht im Vorhinein, ohne eine Fernbeziehung zu versuchen«, hatte sie gesagt, und später würde er sich schon daran gewöhnen oder einfach auch nach Berlin kommen, was war schon dabei für ihn, als Arzt. »Komm doch einfach mit nach Berlin. Als Arzt findest du überall sofort Arbeit«, sagte Hannah, aber sie sagte es ohne jede Überzeugung. Sie hatte ihm das einmal schon vorgeschlagen und er hatte ganz gereizt reagiert. Auch dieses Mal schüttelte Jakob den Kopf, er schien jetzt richtig verärgert: »Dann geht es also gar nicht nur um ein halbes Jahr, oder? Ich werde ja nicht meine Stelle kündigen, um für ein halbes Jahr etwas in Berlin zu suchen!« Er brach ab, sah sie herausfordernd an, schwieg. Hannah zögerte, und als sie endlich antworten wollte, setzte Jakob hinzu, und es klang ungewohnt scharf: »Sag nicht immer, es geht um ein halbes Jahr oder ein ganzes! Es geht doch gar nicht um dieses Volontariat. Du willst weg von hier! Das ist die Wahrheit. Du willst endlich weg von hier. Du wolltest schon nach Berlin, als Miriam hingezogen ist. Du hast gar nicht vor zurückzukommen!« Hannah schwieg. Sie schluckte, biss sich auf die Lippen. Sie fühlte sich ertappt. Im Grunde hatte er Recht. Sie wollte tatsächlich weg von hier. Sie hatte immer gedacht, irgendwann würden sie beide fortgehen, zusammen, es würde der Moment kommen, in dem Jakob die Klinik, in der er arbeitete, in der er seine gesamte Ausbildung absolviert hatte, zu klein würde. Aber es war nie passiert. »Ich bin jetzt endlich da, wo ich immer hinwollte – endlich. Das war nicht leicht, das weißt du. Und jetzt soll ich es hinschmeißen? Einfach so?«, fuhr Jakob fort, und seine Stimme klang jetzt wieder viel ruhiger als vorhin. »Nein, nicht einfach so«, sagte sie. Sie hatte jetzt begonnen, mit der Rechten mechanisch auf ihrem Oberschenkel über den Jeansstoff der Hose zu streichen, der an einer Stelle ein wenig dünner war. »Ich verstehe dich ja. Es war dumm von mir, das vorzuschlagen. Ich weiß ja auch noch gar nicht, wie das wird dort in der Redaktion und was danach sein wird. Ich weiß gar nichts«, sie lehnte den Kopf zurück an den Türstock, schloss kurz die Augen und spürte wieder diese bleierne Müdigkeit in sich. »Du bist da, wo du immer hinwolltest, das ist gut, das ist sehr gut, das sollst du nicht einfach so aufgeben, bestimmt nicht. Aber es ist eine Wahnsinnschance für mich, verstehst du? Von dreihundert Bewerbern haben sie acht genommen. Nur acht! Und ich bin dabei. Das ist großartig. Im Prinzip ist das absolut großartig und sonst gar nichts«, sagte Hannah und es lag etwas Flehentliches in ihrer Stimme, als sie das sagte. »Natürlich ist das großartig. Aber ich werde dich eben auch großartig vermissen, wenn du dann dort bist«, sagte Jakob. »Vermissen ist dämlich. Ich hasse Skype. Ich hasse SMS. Ich hasse diesen ganzen virtuellen Käse. Ich mag live.« »Ich mag auch live am liebsten«, sagte sie. »Eben«, setzte Jakob fort, »es kann doch nicht nur um die Arbeit gehen.« Er sah sie erwartungsvoll an, es schien, als warte er ungeduldig auf ihre Zustimmung, um dieses Gespräch endlich beenden zu können. Hannah schwieg. Und ganz plötzlich wurde sie wieder wütend auf ihn. Sie drehten sich im Kreis. Er verstand nichts, er wollte nicht verstehen! Sie sagte: »Nein, natürlich kann es nicht nur um die Arbeit gehen. Aber es kann auch nicht nur um die Beziehung gehen. Gerade du müsstest das wissen! Man hat ja keine Garantie, dass die Beziehung ewig dauert.« Und noch im selben Moment, als sie das ausgesprochen hatte, tat es ihr schon wieder leid. Jakob schüttelte den Kopf, sah sie an und schüttelte dann wieder den Kopf. »Sind wir jetzt wieder an dem Punkt, ja? Ich dachte, das hätten wir hinter uns. Ich dachte, wenigstens das hätten wir endlich hinter uns – endlich! Ich dachte, wir sind gut, wir sind okay!« Er pausierte, sah ihr direkt in die Augen, und sein Blick...


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