E-Book, Deutsch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-95988-208-8
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Frank Göhre, aufgewachsen im Ruhrgebiet, lebt in Hamburg. Der Autor der der inzwischen legendären »Kiez Trilogie« wurde drei Mal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zuletzt für seinen Krimi »Verdammte Liebe Amsterdam« (2020), für den er auch den Stuttgarter Krimipreis 2021 erhielt. Im September 2021 erschien bei CulturBooks sein aktueller Krimi »Die Stadt, das Geld und der Tod«.
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6
Wilfried hatte Garfield am Schwanz gepackt und schleifte das Stofftier über den Boden. Angelika stellte sich ihm in den Weg. Bevor sie etwas sagen konnte, beugte er sich zu Garfield herunter. »Was kommt dir zufolge noch mal dabei heraus, wenn wir eine Katze mit einem Hund kreuzen?« »Leg ihn zurück auf die Couch.« »Ich höre. – Was nuschelst du da? Deutlicher, bitte. – Ah, ja – eine blöde Katze.« Er richtete sich zufrieden nickend auf. »Eine blöde Katze kommt dabei heraus. Ein kluges Tierchen. – Auf die Couch? Will Geli unseren süßen Garfield nicht mehr in ihrem Bettchen haben? Nein?« Er zog einen Schmollmund. »Auf die Couch«, wiederholte Angelika. Wilfried nahm das Stofftier zu sich hoch. »Armer Kater«, sagte er und schaute den Gestreiften betrübt an. Und dann seine Frau. Sie war eine großgewachsene, schlanke Frau. Ihr dunkelblondes, gewelltes Haar hatte sie zurückgebunden. Ihr Gesicht war gerötet. Sie trug noch ihren grauen Jogginganzug. Die Hosenbeine waren bis zu den Knien mit Dreckspritzern gesprenkelt. Die Nikes waren stark verschmutzt. »Frauchen muss duschen.« Angelika presste die Lippen aufeinander. Wilfried zuckte die Achseln und trottete zur Couch hinüber. »Ein Herr Mahlzahn hat angerufen«, sagte er mit veränderter Stimme. Ruhig und sachlich. »Er ist bereit, die geforderte Summe zu akzeptieren.« »Hast du etwa mit ihm gesprochen?« »Nein, wie käme ich dazu. Die Nachricht ist auf Band. – Ist das der Mahlzahn?« »Es gibt nur einen in der Branche.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Gut. – Er hat es sich zu lange überlegt.« »Hast du schon verkauft?« »Ja. Gestern Abend. An den Stern.« Wilfried hatte Garfield platziert, rückte Bibo und Karlchen zurecht und zupfte an Wendelin. Als Angelika und er vor vierzehn Jahren geheiratet hatten, war sie in ihn vernarrt gewesen, hatte all ihre Liebe ihm allein gegeben. Nicht diesen Plüschtieren, den unzähligen Teddies und Bären, die überall in der Wohnung ihren bestimmten Platz hatten. Wilfried hörte, dass Angelika den Reißverschluss ihrer Jacke aufzog. Er drehte sich nicht zu ihr um. Siebenhundertzweiundneunzig Nächte schlief er jetzt schon allein. Immer noch zählte er. Und jedes Mal wurde sein Hals wieder eng. Er schluckte und wartete, bis sie die Schuhe abgestreift hatte und ins Bad ging. Kurz darauf rauschte die Klospülung. Garfield grinste ihn fett an. »Was betrachtest du noch als Selbstverstümmlung? – Gymnastik, ja. Und Fasten. – Ja, du fetter Lasagne-Fresser. Und Selbstmord. – Schwachkopf. Ich springe nicht aus dem Fenster. – Oh, nein. Wilfried springt nicht.« Er wandte sich ab und sah hinaus auf die Straße. Der Bus zum Flughafen fuhr vorbei. Wilfried zählte drei Fahrgäste. Wie so oft fragte er sich, wohin sie fliegen würden. In den ersten Ehejahren war er mit Angelika nach Portugal und Spanien, nach Griechenland und in die Türkei gereist. Mittelklassehotels, Halbpension. Sie hatten gebadet und Ausflüge gemacht. Abends in Lokalen gesessen, Wein getrunken. Sie hatte von zu Hause erzählt, von ihren Eltern, der älteren Schwester, den jüngeren Brüdern. Wie sie um Anerkennung hatte kämpfen müssen. Ständig. Den ganzen Haushalt geführt. Putzen und Waschen und Bügeln. Einkaufen, Essen kochen. Vorbei, hatte sie oft gesagt. Nie, nie wieder stelle ich mich an den Herd. Er hatte sie verständnisvoll angelächelt und sie beruhigt. Das brauche sie auch nicht mehr: Ich mache das Frühstück und ansonsten gehen wir aus. Oder lassen uns was kommen. Vom Griechen oder Chinesen. Legen uns dabei hin und sehen fern. Ganz gemütlich. Kuschelig. Beine hoch – Amerika. Beine breit. »Vorbei«, sagte er jetzt leise. Er begriff nach wie vor nicht, warum es seit einer Ewigkeit so war wie es war. Mit gesenktem Kopf schlurfte er in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein. Er nahm Teller und Tassen aus dem Schrank und begann, den Frühstückstisch zu decken. Alf saß auf seinem Hocker in der Ecke. Wilfried war versucht, dem Viech eine zu langen. Es in den Mülleimer zu stopfen. Katzenfresser. Wenn er doch nur der blöden Katze ins Genick beißen würde. Damit sie nach Hilfe schrie. Nach ihm, ihrem Mann. Angelika fand einen Platz vor dem Klett. Sie parkte ein, nahm ihren Aktenkoffer vom Rücksitz und stieg aus. Es war in diesen letzten Dezembertagen ungewöhnlich mild. Angelika hatte eine rostrote kragenlose Jacke angezogen und dunkelbraune Bermudas. Die ebenfalls rostrote Strumpfhose würde die Blicke der Beamten auf ihre Beine lenken. Sie hatte sich in diesem Outfit schon einmal der Presse gestellt. Das Hamburger Abendblatt hatte das Foto auf der ersten Seite gebracht, in Farbe und unter der Schlagzeile: DIE KÜHLE UND DER KILLER – RECHTSANWÄLTIN ANGELIKA GARBERS-ALTMANN ÜBERNIMMT DIE VERTEIDIGUNG DES KARL »ZAPPA« WEBER. Sie war mit Glenn Close (Gefährliche Liebschaften) verglichen worden – ihre Schönheit ist ihre Kälte. Das hatte ihr geschmeichelt, obwohl sie den Film bislang nicht gesehen hatte. Es gefiel ihr aber, als eiskalt und überlegen gehandelt zu werden. Sie wollte faszinieren – in jeder Hinsicht. Ein Radfahrer verlangsamte und schaute zu ihr herüber. Er grüßte nickend. Sie wusste sich erkannt und tat, als sei es ihr lästig, blickte an ihm vorbei in Richtung Schlump. Der junge Mann drehte sich noch einmal um. Angelika war bereits auf dem Weg. Webers Wohnung lag über dem Waschsalon im ersten Stock. Mit großem Balkon zur Straße hin. In den Tagen nach Zappas Verhaftung hatten vor dem Haus unzählige Journalisten und Fernsehteams darauf gewartet, Renate oder Julia abfangen und befragen zu können. Doch Angelika hatte Julia angewiesen, vorerst bei ihrem Freund in Wandsbek zu bleiben und Renate hatte sich ohnehin verschanzt. Auch jetzt noch ließ sie die Kette vor und öffnete die Tür nur einen Spaltbreit. »Gute Neuigkeiten«, begrüßte Angelika sie. »Ich werde heute den Vertrag vorgelegt bekommen. Dreihunderttausend – exklusiv. Titelstory und eine weitere Folge. Es wird nichts gedruckt, was ich nicht vorher abgesegnet habe.« Renate ließ sie ein und schloss wieder ab. »Machen Sie es rückgängig«, sagte sie. Angelika reagierte nicht darauf. Sie ging in das Wohnzimmer, legte den Aktenkoffer auf die Couch und ließ die Schlösser aufschnappen. »Das Honorar schließt einige Fotos mit ein, und zwar das vor dem Standesamt, Julias erster Schultag, Karl am Schießstand auf dem Dom und natürlich Ibiza. Mit Detering.« »Nein«, sagte Renate. Sie zündete sich mit ihrer heruntergerauchten Zigarette eine neue an. Angelika nahm einen Hefter aus dem Koffer und setzte sich. Sie schlug die Beine übereinander und schaute zu Renate hoch. »Es ist die Entscheidung Ihres Mannes, Renate. Er hat mich bevollmächtigt, den Kontakt aufzunehmen und die Verhandlungen zu führen.« »Ich will ihn sprechen.« »Ihr Besuchstermin ist morgen 14 Uhr.« »Ich will heute zu ihm – gleich, mit Ihnen.« Sie blickte dabei zu dem kleinen Hängeregal. Angelika musste nicht hinsehen. Sie wollte es auch nicht. Es war ihr peinlich. Das dort aufgestellte Polaroid-Foto zeigte den nackt auf dem Bett liegenden Zappa mit erigiertem Penis. Angelika wartete, bis Renate sich wieder ihr zuwandte. Sie bemerkte, dass Renate Nahtstrümpfe trug und schüttelte leicht den Kopf. »Morgen«, wiederholte sie. »Kann Julia zu Ihren Eltern nach Bochum? Haben Sie das geklärt?« »Sie sehen ihn jeden Tag. Gehen Sie immer so zu ihm?« »Wie meinen Sie das?« »Sie sind mit ihm allein. Länger als eine Stunde. Es ist kühl in dem Raum, feucht. Er trägt unter dem Pullover noch ein Hemd. Frieren Sie nicht?« »Nein«, sagte Angelika ruhig. »Ich nehme allerdings auch keine Drogen.« Renate lachte bitter. »Was ist mit Ihrem Mann? Tablettensüchtig, depressiv – stimmt es, dass Sie nicht mehr mit ihm schlafen?« »Renate -« »Ich liege nachts wach und finde keine Ruhe. Weil mein Mann nicht neben mir liegt, und weil ich ihn brauche. Weil ich ihn spüren will – in mir, Frau Garbers, ganz stark in mir. Ja. – Können Sie das wenigsten verstehen? Auch wenn Sie selbst nicht dieses – das Bedürfnis haben. Oder haben sie es?« »Ich würde sagen, wir haben andere Sachen zu besprechen.« »Lassen Sie sich von ihm anfassen?« »Großer Gott, Renate. Machen Sie mich nicht ärgerlich. Ich verstehe, dass sie enorm belastet sind. Es steht außer Frage, dass Kalli einen schweren Stand hat. Aber es gibt verschiedene Möglichkeiten, ihm die Zeit zu erleichtern. Der Artikel -« »Sie sind rot geworden.« »Der Artikel wird Informationen enthalten aus denen hervorgeht, dass Ihr Mann -« »Kalli – eben haben Sie Kalli gesagt. Kalli!« Angelika legte den Hefter zurück und stand auf. Sie war etwas größer als Renate, die ihre Arme vor der Brust gekreuzt hatte und an der Zigarette sog. Sie hatte sich auffallend geschminkt, die Wimpern getuscht, Eyeliner und einen grellroten Lippenstift benutzt. Um die Taille hatte sie einen breiten, schwarzen Ledergürtel mit einer Löwenkopfschnalle. »Wenn ich jetzt Ihnen gegenüber von meinem Mandanten sprechen soll – bitte, Frau Weber. Ich war der Meinung, dass Sie mir vertrauen. – Was ist passiert? Warum reden Sie so mit mir? Was...