Glöckler | Madre | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Glöckler Madre

Erzählung
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-941184-75-6
Verlag: Elfenbein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erzählung

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-941184-75-6
Verlag: Elfenbein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ralph Roger Glöcklers Erzählung beruht auf den überlieferten, durch die Kirche zensierten und bisher unveröffentlichten Notizen der Nonne Teresa da Anunciada (1658–1738), die im Kloster „Nossa Senhora da Esperança“ in Ponta Delgada auf der Azoreninsel São Miguel lebte und den Kult um die Büste des „Senhor Santo Cristo“ begründete. Seit drei Jahrhunderten wird dort ein Fest begangen, das viele Emigranten aus aller Welt heimkehren lässt und zum größten religiösen Ereignis auf dem Archipel der Azoren geworden ist. In den Notizen scheint die Besessenheit der Nonne auf, die Figur des „Senhor Santo Cristo“ für sich und andere zum Leben zu erwecken und zu instrumentalisieren – verfasst in der Form eines Bewusstseinsstroms ihrer letzten Lebensstunden, eines Todes-Deliriums, in dem sich Erinnerungsbilder entfalten und Wahrnehmungsebenen verschieben: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verlaufen hier parallel. Teresa da Anunciada wird vor ihrem endgültigen Hinweggleiten in die Zukunft, in die heutige Zeit, versetzt, um den Kult, den sie selbst geschaffen hat, nicht mehr wiederzuerkennen und ihn als Götzendienst zu erfahren …

»Madre« ist der dritte Teil von Glöcklers Azoren-Trilogie.

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für Günter
»So´ o amor livre e sem sujeitos existe eternamente...« Teresa Balté
… mich, Liebster, wird es bald nicht mehr geben, werde, wenn der Tag erwacht, nur noch in der Erinnerung sein und, wenn du es wünschst, aus dem Nichts wirken, dem Nichts, wie sie es nennen, weil wir, weil ich, Teresa da Anun­cia­da, nicht in Worte fassen kann, was mich erwarten wird … ich dein Nichts, aufgeschwollen, verkrustet, Maden in eiternden Wunden, Liebs­ter, alle Worte, die ich dir zuflüstere, atmen Gestank in dein Gesicht, faulige Gase, die deinen, mich betreuenden Bräuten die Besinnung nähmen, würden sie sich nicht wie der Duft meiner Tugenden für sie entfalten, wie berauschendes, das Kloster erfüllendes Aroma blühender Daturen, Lügen, mit denen sich schlich­te See­len betrügen, ja, Liebster, Gestank, der mich ekelt, für den ich mich schämen würde, wäre es nicht Qualm aus den Trümmern dieses Gefängnisses, aus dem ich, wenn es hell wird, zu deinem höherem Lobe befreit sein werde, du mein Alles, sehe dich, wenn ich die Lider öffne, vor mir, sehe in deine liebevollen, braunen Augen, die mir bedeuten, dass alles durch­litten, alles vergeben, dass die Ewigkeit für mich bereitet ist, Liebs­ter, fühle, ja, jetzt kann ich es sagen, wachen die Beichtväter doch nicht mehr über meine Gedanken, fühle deine Lippen, deinen belebenden, mei­ne Wunden besänftigenden Kuss … wenn ich die Augen schließe, sehe ich dein gerahmtes Bild an der Wand gegenüber, erwache für Sekunden zu jener Wirk­lichkeit, in der du, in der wir nur Abbild sind und die Schwestern über mich geneigt darauf warten, mein Ha­bit zu zerschneiden, ­Reliquien, Liebster, Reliquien für alle Fälle, damit wir auch weiterhin, wie sie es nennen, Wunder vollbringen können, ein­fache, sich fügende Din­­ge, höre Scheren- und Messerwetzen, sehe, wie sie in Gedanken an meinem Gewand zerren, an meinen Haaren, an Finger- und Fußnägeln, ja, wenn sie mir die Augen entfernen, die Zunge herausschneiden, mein Herz zerteilen, wenn sie mein Blut in Lappen aufsaugen könnten, einen für jede von ihnen und einige zum Verkaufen … ich, dein Nichts, liege in reinen Tüchern, eine brennende Kerze in der rechten, ein Medaillon der Heiligen Mutter in der linken Hand, würde, wenn ich die Augen schlösse, die Schatten der betenden Schwestern auf den Wänden dieser Zelle sehen, den in wandernden Wolken verlöschenden Mond … diese Zel­le ist, Liebster, nicht meine Zelle, diese Laken nicht mein Lager, meines, auf dem ich sterben wollte, war aus faulendem, blutig verkrustetem Stroh, kantigen Höl­­zern, Wur­zelknoten bereitet, die mich verletzten, meine Wunden nässen, eitern, die mich in Schmerzen mit dir verschmelzen ließen, innige, Liebster, sich im Schoß entzündende Qual – sie haben es weggekarrt, mit Spiritus übergossen, angezündet, ließen meine Liebe grell, krachend fla­ckern, Wind trug die Asche davon – wo sind die Disziplinen, die Wachskugeln voller Glassplitter, wo der treue Freund, mein stachliges Pektoral – in einer Kis­te, siehst du’s, später, auch wenn sie es noch nicht wissen, in ­einer Vitrine, ungereinigt, voll eingetrockneten Martersekrets, ach … … gehe, so träume ich, in die Kirche hinüber, um einen Strauß weißer, duftender Lilien in einer Vase auf deinen Altar zu stellen, habe es eilig, weil ich in der letzten Zeit nachlässig, in meinem Dienst nicht so aufmerksam gewesen bin, wie es meine Pflicht gewesen wäre, hetze durch den Kreuzgang, auch wenn ich mir verzeihe, mich über meine Leichtsinnigkeit mit Worten hinwegtröste, die du mir gesagt haben könntest, stoße die Tür zum unteren Chorraum auf, halte überrascht inne: eine Prozession bewegt sich langsam, schwer­fällig dahin, Stimmen murmeln Gebete, Seufzer, einzelne gequälte Schreie, die Peitschen der Flagel­lan­ten knallen, zerfetzen die sündige Haut, Blut spritzt auf meine Hände, dann sehe ich den Herrn, der sich, das massige Kreuz auf den Schultern, dahinschleppt, Schritt vor wankendem Schritt, den Blick gesenkt, Aka­ziendornen stecken in der Stirn, Blut rinnt übers Gesicht, über die Brust, die Knochen knarren unter dem Gewicht der Balken, Herr, stoße ich hervor, Herr, Liebs­ter, frage, wer ihm das angetan habe, halte den Atem an, will ihm die Lilien überreichen, als bedürfe es nur dieser Blumen und meines Mitgefühls, ihn zu erlösen, er aber schüttelt den Kopf, sagt, ich solle gehen, geh weiter, hebt den Arm, mich meiner Wege zu weisen, sieht mich finster, feindselig an – als ob ein Pfeil meine Seele durchbohren, in unergründliche Tiefen schießen würde, ja, Herr, verdiene ich doch, von dir verachtet, für meine Sorglosigkeit bestraft zu wer­den, ja, gewiß und nicht nur, sondern für die mir ein­geborenen Fehler … aber warum nimmst du diese Blumen nicht an, schau, diese herrlichen, von dir erschaffenen, Düfte verströmenden Blumen, Lilien, makel­los wie deine Mutter, Liebster, auch wenn ich ­Sünderin nur Verachtung verdiene, Verachtung, wie krie­chen­des, niedriges, übles Getier, werde ich ihn, ob er will oder nicht, mit der Seele suchen, werde diese Blumen auf seinen Altar stellen, Lampen entzünden, auf die Knie sinken, mein Haupt, sollte er es verlangen, auf dem steinernen Boden blutig schlagen und ihn anbeten, ach Herr, verzeih, zwingt mich doch meine Liebe, dir ewig treu zu sein … blickst mich seltsam an, weiß nicht, wie ich den Ausdruck seiner Augen deuten soll, der nicht mehr eisig ist, nein, sondern verständnisvolle, doch mahnende Wärme entfaltet, du öffnest die Arme, ziehst mich he­ran, sinkst schwer auf mich, dringst in mich ein, der Boden gibt nach, ich wanke, muss Halt suchen, mich setzen, um dieser gewaltigen, wer mir nicht treu ist, so du, nulla est redemptio, nein, dieser wuchtigen, ach, wenn ich nur wüsste, wie es zu sagen, um seiner Nähe gewachsen zu sein, nulla est redemptio, Latein, Liebs­ter, verstehe ich nicht … fahre aus dem Traum, das Lager ganz zerwühlt, starre nach Luft ringend auf meinen Schatten an der Wand, nulla est redemptio, den Beichtvater fragen, so er, den Beichtvater, dann weiß ich nichts mehr … … bin ich ja wieder, lieber Onkel, Bruder Estácio da Anunciada, nachdem ich mich nenne, Ihr faltiges Gesicht verschlossen, der Blick gesenkt, knie im Beichtstuhl, um Ihnen die Sünden zu bekennen, was für ein seltsames Mädchen, mit großen Augen, kräftiger Nase, manchmal eingefallenem, blassem, dann wieder vollem, rosigem Gesicht, nein, schön bin ich nicht, auch wenn meine Züge von adeligem Blut zeugen, verarmtem Adel, was keine Sünde ist, im Gegenteil, macht es das Leben doch härter, den Kampf um eine Klausur schwieriger, wer würde die Mitgift bezahlen wollen, wenn nicht eine gütige, verwandte, eine beschwatzbare Seele, Adel, verarmt, ja, aber Gott geneigter und dieser uns, Mutter, der Schwester Joana und mir … knie also neben Ihnen, um meine Schuld zu bekennen, eine unaussprechliche, nicht zu benennende Sündhaftigkeit, suche mit Worten nach einem Makel, der mir, der uns, ich fühle es, anhaften muss, bekenne kleine, alltägliche Verfehlungen, ja, wie gestern, als meine Gedanken in der Messe abschweiften, Verfehlungen, die mir Angst machen und dennoch nicht bedeuten, was sie zu bedeuten scheinen … Vater war schon tot, als ich geboren wurde, noch ein Kind mehr, wird er gedacht haben, das letzte, dreizehnte, wollte gar nicht wissen, ob ich Junge oder Mädchen war, hatte genug, aber was rede ich da, war er doch, wie Mutter sagte, ein kranker, von Schulden gebrochener Mann, dem Gott in seiner Güte, nachdem er Vieh und Äcker verkauft hatte, endlich Ruhe und uns ein karges, ihm geweihtes Leben schenkte, könnte ich gar nicht sagen, wovon wir uns ernährten, dem wenigen, wahrscheinlich, was uns verblieben ist … so viele Geschwister, lieber Onkel, Bruder Estácio, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere, außer an Joana’s und einzelner anderer, schalten sie mich doch Mamas Liebling, verwöhnt, eigensinnig, faul, was, nun ja, verletzend, aber nicht ganz abwegig ist, neige ich doch eher dazu Maria, als die arbeit­same Martha zu sein … rutsche auf den Knien um­her, Bruder Estácio, schweife ab, als wäre nichts zu bekennen, und erzähle, was Sie nicht, was niemand wissen will, bin das ungehörige, um Gott buhlende Mädchen, weisen Sie mich also zurecht und sehen nicht nur stumm vor sich hin, als wäre ich gar nicht anwesend … Ja, Mutter, komm, setz dich zu uns, lies Joana und mir vor, wie jeden Abend, damit die Heilige Birgitta uns den Weg durch die Nacht weisen kann, der Onkel Beichtvater hebt den Blick, sieht uns müde an, nickt, bevor er die Lider wieder sinken lässt, als habe er, alt und weise, nichts zu hören, nichts zu sagen, setze dich zu uns, Mutter, dein Atem riecht nach Wassersuppe und Brot, deine Haare wie offenes Küchenfeuer, aber wie sanft deine Hände auf unserem Haar, blättere das Buch auf, wo wir gestern endeten, sprach der Sohn zu seiner Braut, ja, lies mit fester Stimme, so du die Worte nicht frei erinnerst, bist im Haus der Armut gesäugt worden, weilst nun im Haus der Erhobenen, aber leise genug, um müde Kinder nicht aufzuregen, in einem armen Haus gibt es drei Dinge, du machst eine Pause, fleckige Wände, hältst inne, schädlicher Qualm, blickst uns an, Ruß, überall Ruß … du aber wurdest in ein Haus makelloser Schönheit geführt, blickst von den zerlesenen Seiten auf, schließt die Augen, sprichst wie von weit her, wärmende Feuer ohne beißenden Qualm, Wohlsein ohne Bitternis, das Haus der Armut, meine Töchter, ist die Welt, seine Wände aus Stolz, Gottver­gessenheit, Sünde erbaut, Joana und ich erschauern, halten uns fest in den Armen, hören bereits,...



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