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Gerigk | CAPRICE 01 | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 314 Seiten

Gerigk CAPRICE 01

Fantastische Kurzgeschichten
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-95765-696-4
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Fantastische Kurzgeschichten

E-Book, Deutsch, 314 Seiten

ISBN: 978-3-95765-696-4
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



CAPRICE 01 ist die erste Anthologie dieser Art von Kurzgeschichten aus verschiedenen Bereichen der Fantastik, vor allem der Science-Fiction. Die Autoren ließen sich durch eine Auswahl an Grafiken inspirieren. Sie suchten sich eine aus, um hiermit eine ihrer besten Storys zu schreiben. So entstanden Geschichten von Axel Aldenhoven, Anja Bagus, Gabriele Behrend, Dieter Bohn, Maike Braun, Kris Brynn, Jan Gardemann, Gerry Hayalny, Uwe Hermann, Thomas Le Blanc, Michael Marrak, Jacqueline Montemurri, Alexander Röder, Danijela Rüppel, Friedrich Salzmann, Tamara Schinner, Regina Schleheck, Franck Sezelli, Arthur Gordon Wolf und Maximilian Wust. Titelbild & Illustrationen von: Frank G. Gerigk

Herausgeber und Autoren werden innerhalb des Buches so ausführlich vorgestellt, dass dies hier den Rahmen des Möglichen sprengen würde. Wir bitten um Verständnis.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Gabriele Behrend: Schwestern


1. Mokta singt


Heute war der große Tag des Vorsingens. Mokta war nervös. Sie ging noch einmal im Geist den Song durch, den sie anbieten wollte. Sie hatte ihn noch niemandem vorgespielt, erst recht nicht ihrem Vater, der sonst alles zu hören bekam, was ihr durch den Geist flog. Aber dieser Song war anders, nicht so heiter und fröhlich wie all die anderen kleinen Lieder, harmlos und freundlich. Aber da dies das große Vorsingen war, die Audition, an der ihr ganzes Herz hing, hatte sie in ihrem Inneren geforscht und einen Punkt gefunden, den sie sonst tunlichst nicht anrührte. Weil er zu schmerzvoll war, mit Unsicherheit behaftet und mit Trauer versehen. Und wenn sie schon so durcheinander war, wenn sie nur daran dachte, warum sollte sie dann ihren Vater damit belasten? Also hatte sie sich die traurigen Gedanken abgerungen, einen Song daraus geknüpft und alles für sich behalten. Bis nachher. In ungefähr zwei Stunden öffnete die Akademie ihre Kuppel und ließ die hoffnungsvollen Aspiranten der schönen Künste eintreten, auf dass sie auf ihr Können, ihre Attitude und ihr Potenzial geprüft würden.

Mokta machte sich fertig und verließ ihre Wohnkuppel im Botanischen Bezirk. Dort lebte sie seit ihrem dritten Lebensjahr, zuerst in der Kuppel mit ihrem Vater. Danach, als sie sechs Jahre alt war, bezog sie ihre eigene kleine Kuppel, die sie mit einer Rotte Meerschweinchen und unzähligen Grünpflanzen teilte. Die Meerschweinchen wurden immer wieder ausgetauscht, es war ganz normal, dass sie als Nahrung dienten, die Pflanzen aber wucherten und verwandelten die Kuppel inzwischen in einen formidablen Dschungel. Ihr Vater scherzte gerne, dass dies daran lag, dass Mokta ihren Pflanzen so gerne vorsang und sie in ihrer Musik badete. Das Grün im Inneren einer ansonsten vorwiegend roten Welt war eine Konstante in ihrem Leben, die sie stets beruhigte. So war es nicht verwunderlich, dass Mokta über ein ausgesprochen ausgeglichenes Wesen verfügte. Sie war ein hoch emotional intelligenter Mensch, voller Empathie und Mitgefühl, dem die Herzen ihrer Menschen schon nach kurzer Zeit zuflogen. Die meiste Zeit machte sie sich über diesen Umstand keine Gedanken, nicht dass sie undankbar wäre, es war einfach kein Thema. Sie war freundlich und ging davon aus, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. So einfach war das. Heute allerdings war gar nichts einfach. War es richtig, mit einer gedankenschweren Ballade anzutreten, wenn man anderes von ihr gewohnt war? Wen sahen die Prüfer vor sich, wenn sie sich ihnen stellen würde? So viele Fragen. Und keine Antworten.

Endlich kam Mokta an der Akademie an und reihte sich still in die Reihe der Wartenden ein. Eine gespannte Stimmung schwebte über den hoffnungsvollen Talenten, kaum einer wagte zu sprechen.

Da knackte es im Com-Kanal von Moktas Helm. »Bist du auch so aufgeregt, Mokta?« Ohne eine Antwort abzuwarten, plapperte die junge weibliche Stimme munter drauflos. »Also, ich bin es, so richtig, weißt du? Ich konnte kaum schlafen, außerdem habe ich in der Nacht geschnarcht und jetzt ist meine Stimme angegriffen, ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt einen geraden Ton herausbekommen kann. Aber du hast solche Probleme bestimmt nicht. Was gibst du zum Besten? Danse, Danse vielleicht? Das ist doch ein Hit! Ich weiß gar nicht, ob ich dir Glück wünschen soll oder nicht. Auf der einen Seite könntest du mir meinen Platz vor der Nase wegschnappen, auf der anderen Seite, weiß ich eh, dass du weiterkommen wirst. Du hast es einfach drauf. Und hey, Mokta, du weißt ja, ich bin dein größter Fan!«

»Danke dir, Frou Frou. Aber sei mir nicht böse, ich möchte noch einmal an meinem Song arbeiten, mich vorbereiten. Ich wünsch dir alles, alles Gute. Du wirst deinen Traum bestimmt leben können, du packst das.«

Ein helles Kichern ertönte als Antwort, dann knackte es erneut im Com-Kanal und Mokta war nach diesem Überfall wieder alleine mit sich.

»Schwesterherz, ich suche dich.

Schwesterherz, wo versteckst du dich?

Ich weiß, dass es dich gibt,

ich weiß, dass du mich liebst.

In jeder Nacht kann ich dich hören,

wie wir uns schwören,

uns niemals zu verlassen,

egal, wie sich die beiden hassen.

Und doch bist du so lange fort,

bist nicht hier, sondern an einem anderen Ort.

Schwesterherz, ich suche dich,

Schwesterherz, denn ohne dich

bin ich nicht ich.

Ein Teil fehlt, die Sehnsucht webt mir ein Bild von dir,

ich wünschte, du wärst hier…«

Mokta hatte leise hinter ihrem verspiegelten Visier gesungen, der Atem hatte sich feucht an die Innenseite geschlagen. Mokta runzelte die Stirn, dann ließ sie sich ganz in die Sehnsucht und die Wehmut hineinfallen, badete in dem Gefühl der Verlorenheit und atmete tief durch.

Einen Moment später wurde sie in die Kuppel gebeten und zu der Probenbühne geführt. Auf dem Weg setzte sie ihren Helm ab, fuhr sich durch ihren Afro, der darunter zutage kam und schüttelte ihre Arme aus. Nach einer kurzen Vorstellung und der Übergabe ihrer Bewerbung auf einem Datenstick, war es dann schon so weit. Sie sang. Schwesterherz …

Nach ihrem Auftritt war es für einen Moment sehr ruhig. Dann begann eine der Prüferinnen zu applaudieren. Nach und nach fielen alle Mitglieder der Jury ein und Mokta wagte es, die Augen zu öffnen, die sie während ihres Vortrages geschlossen gehalten hatte. Dann lächelte sie – erst verhalten und dann strahlend, war wieder sie, die sie auch sonst war, heiter und unbekümmert und voll unbändiger Freude.

Als sie die Kuppel verließ, war sie ein Student der Akademie, ihr Song sollte in den kommenden Tagen produziert und veröffentlicht werden und was dann geschah, das würde man dann sehen.

2. Infer flucht


»Wo warst du heute, Infer? Ich habe dich gebraucht, wir haben einen neuen Job. Da ist ein Schiff von der Erde eingetroffen. Fünfzehn Jahre Flug, jede Menge Mikrobeschuss, Sternenstaub und defekte Hitzeschutzkacheln. Das putzt sich nicht von allein.« Suzannes Stimme, rau, heiser, lieblos und hart wurde jetzt noch mit einer Nuance Ärger gewürzt. »Morgen früh um sechs treten wir unsere Schicht an, schieb deinen Hintern dementsprechend früh aus dem Bett, klar?«

»Aber Maman, ich habe die Möglichkeit bei Giuso ein Praktikum als Coderin zu machen. Wenn alles glatt läuft, können wir viel mehr Kohle machen als mit dem Zusammenflicken dieser schrottreifen Wracks.«

»Das war keine höfliche Frage oder Bitte, das war eine Ansage. Schlag dir Giuso aus dem Kopf, du bist eine Schiffsratte, warst es schon immer und das wirst du auch bleiben.« Suzanne hob den Blick von dem technischen Panel ihrer Trockenwaschmaschine. »Das Ding will wieder nicht. Aber ich will mein teuer erarbeitetes Geld nicht in dreckige Wäsche stecken.« Sie überlegte einen Moment. Dann stand sie auf und reichte ihrer Erstgeborenen das Multitool. »Hier, mach dich nützlich und bring das Ding wieder zum Laufen.« Danach stiefelte Suzanne los, die Tiefen des Raumhafens zu erkunden. Sie setzte sich ab, wie so oft, wenn sie nicht weiterwusste.

Infer blieb zurück, das Multitool in der Hand. Ihre Schultern hingen herunter und der Ärger fraß sich durch ihre Innereien. Jeder andere hätte sich einen neuen Automaten gekauft oder wenigstens einen Handwerker, einen Spezialisten beauftragt, um das Ding wieder zusammenzuflicken. Aber jetzt hatte sie den Schrott am Hals. So wie ihr ganzes Leben von Schrott, Unrat und Schmutz geprägt war. Nichts wollte sie lieber, als gerade diesem Leben zu entfliehen. Aber solange sie unter Suzannes Hand dahinvegetierte, würde sich nichts an ihrer Situation ändern.

Sie spielte wieder einmal den einen Gedanken durch. Was, wenn sie sich abnabeln würde von Suzanne? Wenn sie sich ein Zimmer suchen würde, bei Giuso Coderin wäre und ihr eigenes Geld verdiente? Aber das hieße, dass es niemanden gäbe, der ein Auge auf ihre Mutter hätte. Denn je stärker Infer sie hasste, desto stärker war ihr Verantwortungsbewusstsein. Immerhin war es ihre Maman, der einzige Mensch, der ihr verbunden war. Infer spürte tief in ihrem Inneren, dass ihre Mutter ohne sie und die Erinnerungen an die Erde, an Terra Prima, komplett vor die Hunde gehen würde. Und das wiederum wollte Infer nicht auf sich sitzen lassen. Diesen Vorwurf wollte sie sich von niemand machen lassen. Es war wie verhext. Infer spürte, wie es in ihrer Brust eng wurde und nach einem quälend langen Moment entrang sich ihr ein schrilles »Fuck you! Fuck you, bitch!« Und sie knallte das Multitool auf die Waschmaschine. »Mach deinen Scheiß doch alleine!« Infer hieb sich die geballten Fäuste an die Stirn und raufte sich das schulterlange glatte schwarze Haar. Dann schmiss sie den Music-Com an und drehte die Lautstärke bis zum Anschlag auf. Die ersten Stücke waren harte treibende Beats, die Infer halfen, das Problem an dem Waschautomaten zu identifizieren. Als sie dann mit der Reparatur begann, wechselte die Musik zu einer opulenten Ballade. Das Intro war mächtig und zart gleichzeitig. Infer ließ das Multitool sinken, steuerte die Lautstärke etwas niedriger ein und lauschte. Schwesterherz …

Infer saß wie erschlagen auf dem Boden. Der Song rührte eine Seite an, die sie lange vor sich verborgen gehalten hatte. Als sie fünf Jahre alt gewesen war, hatte ihr Leben als Schiffsratte begonnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Suzanne den fremden Mann verlassen, den dunklen Mann mit den krausen Haaren und der breiten Nase. Den Mann, der so anders ausgesehen hatte, wie der Mann, der auf dem Foto in Mamans Portemonnaie lebte. Der war im wahren Leben schon lange tot, noch vor...



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