Garde | Das Lachen der Wale | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 231 Seiten

Garde Das Lachen der Wale

Eine ozeanische Reise

E-Book, Deutsch, 231 Seiten

ISBN: 978-3-406-68958-1
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Man muss sich Jonas als einen glücklichen Menschen vorstellen, schreibt François Garde über den biblischen Propheten, den ein großer Fisch verschlang und vor Ninive wieder ausspuckte – immerhin war dieser Fisch ein Wal. Ein Wesen, das die Phantasie, die Jagdlust, den Hunger, das Sprachvermögen und die Abenteuersehnsucht der Menschheit seit jeher befeuert, ein mythisches Tier. François Garde erzählt in seinem charmanten, kurzweiligen, klugen und durchaus auch komischen Buch alle erdenklichen Geschichten und Kuriositäten über den Wal. Er reist dem Meeresriesen nach, zu den Walhäfen und dem einzigen Walrestaurant, aber er mustert auch Straßenschilder und Sternenbilder und die literarischen Spuren, die das gewaltige Tier hinterlassen hat. Ein glänzend geschriebenes, ebenso lehrreiches wie unterhaltsames Buch über eines der spannendsten und mysteriösesten Wesen der Natur.
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II DIE JAGD
18 Im Baskenland
43° 29' N. – 1° 34' W. Die verschiedenen Walarten tragen einfallslose, schlicht zusammengesetzte Namen: Blau- oder Grauwal, Buckelwal, Glattwal. Einzigartig im Meer wie auf dem Land ist der Atlantische Nordkaper (Balaena glacialis), im Französischen als «baleine des Basques» (Baskenwal) bekannt. Er ist nicht nach einer Gegend oder Stadt benannt, sondern nach dem Volk, das sich mit seiner Jagd einen Namen gemacht hat. Ich kenne kein anderes Beispiel eines zoologischen Namens, der nach diesem Modell gebildet wurde. Diese Walrasse und dieses Volk bleiben für alle Zeiten vereint, wie die Spitze einer Harpune und das Ende der Leine, an der sie hängt. Die in der Sprache bestehende Verbindung zwischen dem Wal und den Basken ist auch in den Landschaften der Provinz Labourd sichtbar. Auf Anhöhen entlang der Küste hatte man kleine, dem Meer zugewandte Türme errichtet, auf denen ein Posten Wache hielt und Alarm schlug, indem er eine Glocke läutete oder ein Feuer anzündete, wenn sich ein Wal oder sein Blas zeigte. Unmittelbar nach dem Signal gingen die Seeleute an Bord und begaben sich auf die Jagd. Sie umzingelten ihre Beute, versuchten ihr den Weg aufs offene Meer zu versperren, stellten ihr nach, harpunierten sie und schleppten sie schließlich an den Strand, um sie dort zu zerlegen. Diese besonderen Türme heißen atalayes. Heute existiert anscheinend nur noch ein einziger zwischen Bidart und Guéthary. Und die Landzunge Pointe de l’Atalaye in Biarritz bewahrt nicht mehr als die Erinnerung daran. Die meisten Touristen, die dort spazieren gehen, um den Sonnenuntergang über dem Meer zu bestaunen, haben keine Ahnung von der einstigen Funktion dieses Ortes noch von dem verschwundenen Bauwerk, dessen Namen er trägt, in einer Sprache, die sie nicht kennen. Dennoch beansprucht Biarritz in seinem Wappen die Rolle eines bedeutenden Walfängerhafens: «Auf Blau das Boot mit fünf Mann besetzt, von denen zwei sich anschicken, einen Wal zu harpunieren, der in die Fluten abtaucht, alles in natürlichen Farben; im Haupt auf Gold drei Muschelschalen, in natürlichen Farben, die linke verschwindend unter einem roten Obereck mit silbernem Stern.» Das Wappen von Hendaye zeigt einen Wal unter einem Bündel Harpunen und einer Krone, flankiert vom Anfangs- und Endbuchstaben des Namens der Gemeinde. Aber diese Beschreibung muss an Genauigkeit wie an Poesie der Heraldik den Vorrang lassen: «Auf Blau der silberne Wal, schwimmend in einem ebensolchen Meer, überragt von drei Harpunen, zwei schragenweise, eine pfahlweise, und im Haupt von einer königlichen Krone begleitet, flankiert von den Großlettern H rechts und E links.» Und hier das Wappen von Guéthary: «Auf Silber ein blaues Meer, belegt mit einem silbernen linksgewendeten Wal und einem goldenen Boot mit rotem Segel ins obere Feld ragend, besetzt mit sechs Fischern in natürlichen Farben, rechts der erste linksgewendet, links der letzte, den Wal harpunierend; das Ganze rechts begleitet von einer Klippe in natürlichen Farben, auf der ein Sandwachtposten steht.» Ich verharre einen Moment nachdenklich vor diesem Sandwachtposten auf seinem natürlichen atalaye, als der ihm die Klippe dient – bevor ich nachschlage und feststelle, dass in der französischen Heraldik «Sand» die Bedeutung von «schwarz» hat … Was die «Liebeskammer» in Anglet betrifft, soll sie ihren Namen den Liebesspielen der Wale verdanken, die von der Küste aus zu beobachten waren, und nicht jener Legende eines in einer Grotte von der Flut überraschten Liebespaares, die erst im Second Empire mit dem Tourismus aufkam … Das Walfleisch war für diese Küstenbewohner lange Zeit eine wichtige Proteinquelle, und so verdanken sie es ihrer eigenen Unerschrockenheit und Entschlossenheit zur Jagd, dass ihre Beute heute ihren Namen trägt. Die Basken waren vom 11. bis zum 15. Jahrhundert die führenden Waljäger. Um das verwundete Tier zu töten, erfanden sie ein spitzes Werkzeug, halb Lanze, halb Dolch, das nach der Hafenstadt Bayonne benannt wurde und unter dem Namen Bajonett einen gewaltigen und dauerhaften militärischen Erfolg feierte. Wenn im Ersten Weltkrieg die französischen Soldaten bei dem bevorstehenden Angriff auf einen deutschen Schützengraben den schrecklichen Befehl hörten: «Bajonette aufpflanzen!», wussten sie nicht, dass die Waffe, die sie benutzten, die Erfindung eines baskischen Waljägers war. Die Erfolge der Basken im Walfang führten zu einer Verknappung und dann zum Versiegen der Rohstoffquelle. Sie mussten in immer entlegenere Gebiete hinausfahren. Vermutlich haben die Basken Nordamerika vor Christoph Kolumbus entdeckt. Später siedelten sie sich in Neufrankreich an, wo zahlreiche Ortsnamen an sie erinnern. Die Baskeninsel im Sankt-Lorenz-Golf liegt logischerweise nahe einer Bucht des Wals. Den Namen Baskeninsel verlieh Samuel de Champlain auch der Insel Saint-Pierre. Die französische Präsenz auf Saint-Pierre-et-Miquelon ist ein Ergebnis der baskischen Waljagd, und sie fand ihre Fortsetzung im baskischen und normannischen Kabeljaufang. Als am Anfang des 16. Jahrhunderts die Engländer und die Holländer Walfangexpeditionen nach Spitzbergen starten, heuern sie baskische Harpuniere und Rudergänger an, besonders aus Saint-Jean-de-Luz. Ein königlicher Erlass von 1617 verbietet ihnen, an derartigen Fangzügen teilzunehmen, unter Androhung der Todesstrafe und Beschlagnahme des Eigentums, aber ohne tatsächliche Wirkung. Die Basken haben die Engländer und Holländer den Walfang gelehrt, ein Technologietransfer, den sie später bereuen sollten. Von da an beherrschen die Holländer diese Industrie. Weder die baskische Erfindung des Auskochens des Walspecks an Bord der Schiffe zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die auf diesem Gebiet unserer Industrie erneut einen Vorsprung verschafft, noch die Kriege Ludwigs XIV. mit den Niederlanden vermögen ihre Vorherrschaft zu gefährden. Das Know-how der baskischen Seeleute bleibt indessen unangefochten, und die Walfangreeder der anderen Häfen der Atlantikküste vervollständigen ihre Mannschaften in Labourd, bevor sie ihre Fangzüge beginnen. Die dahinschwindenden Fänge vor Grönland und Island, die Konflikte mit den englischen Schiffen, das Fallen der Ölpreise schmälern das Interesse weiter. In einer typisch französischen Tradition versucht eine Politik der Subventionen und Steuerbefreiung diese Aktivität wiederzubeleben, vergeblich. Der Verlust Kanadas im Jahr 1763 verschließt endgültig den Zugang zum Sankt-Lorenz-Golf. Kann man es besser sagen als die Encyclopédie? Von allen Arten des Fischens, die im Atlantik und im Mittelmeer ausgeübt werden, ist der Walfang zweifelsohne am schwierigsten und gefährlichsten. Die Basken und darunter vor allem die, die in der Gegend Labour leben, haben ihn als Erste unternommen, trotz der Rauheit der nördlichen Meere und der Eisberge, die zu passieren waren. Die Basken sind auch die Ersten, die die seefahrenden Völker Europas zu den verschiedenen Eigenheiten dieser Fischerei ermutigt haben, vor allem die Holländer, die daraus einen ihrer wichtigsten Handelsgegenstände machen und dafür drei- bis vierhundert Schiffe einsetzen und zwei- bis dreitausend Matrosen, was ihnen ganz beträchtliche Summen einbringt. […] Die Basken, die die anderen Völker zum Walfang ermutigt haben, haben ihn selbst fast aufgegeben: Er begann ihnen fast zu schaden, denn nachdem sie die Meerenge von Davis der grönländischen Küste vorgezogen hatten, trafen sie in dieser Meerenge in den letzten drei Jahren, die sie dort anwesend waren, kaum noch Wale an. Die französische Waljagd kommt während der Revolutionskriege und des Kaiserreichs fast vollständig zum Erliegen. Erst in der Restauration lebt sie mit dem Beistand amerikanischer Kapitäne und Harpuniere an anderen Häfen wieder auf. Die Basken spielen dabei keine Rolle mehr. Der Baskenwal ist heute eine fast ausgestorbene Art, und mit ihr ist auch der Walfang verschwunden. 19 Heldenepos
Seit zehn...


François Garde, geboren 1959 in Le Cannet, nahe der französischen Mittelmeerküste, war als hoher Regierungsbeamter u. a. auf Neukaledonien tätig. 2012 erschien bei C.H.Beck auf Deutsch sein Roman „Was mit dem weißen Wilden geschah“, für den Garde in Frankreich mit acht Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, darunter der Prix Goncourt für den ersten Roman. 2013 erschien bei Gallimard der Roman „Pour Trois Couronnes“.
Thomas Schultz, geboren 1957, lebt in Berlin und ist als Übersetzer aus dem Französischen und Spanischen tätig. Neben zahlreichen Dokumentarfilmen und Essayfilmen übersetzte er Kunst-Essays für das Museo Thyssen-Bornemisza. Für den Verlag C.H.Beck übersetzte er u. a. Werke von Elisabeth Badinter, Marie-France Hirigoyen, Norberto Fuentes und François Cheng.


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