E-Book, Deutsch, 211 Seiten
Reihe: zur Einführung
E-Book, Deutsch, 211 Seiten
Reihe: zur Einführung
ISBN: 978-3-96060-026-8
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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2. Steuerung als Analysegegenstand
von Timo Schemer-Reinhard Über alle disziplinären Grenzen hinweg besteht in der theoretischen Beschäftigung mit Computerspielen Einigkeit in (wenigstens) einem Punkt: Der Modus Operandi besteht im Spielen. Ein Computerspiel zu spielen bedeutet, in Bezug auf ein Spiel zu handeln und dieses Handeln beständig (mal mehr und mal weniger zeitkritisch) mit den im Spiel auftauchenden Effekten eben dieses Handelns neu abzugleichen. Technisch gesehen handelt es sich beim »Prozess Computerspiel« also zunächst um einen klassischen kybernetischen Regelkreis, um eine systematische Koppelung von Mensch und Maschine. Tatsächlich dient dieses Modell des kybernetischen Regelkreises auch vielen Arbeiten zum Computerspiel (mal implizit, mal explizit) als Grundlage (z.B. Pias 2002; Crawford 2003: 262; Heaton 2006; vgl. auch Kap. 3 und 6).8 Paradoxerweise läuft diese Modellierung, obwohl sie sachlich zutreffend ist, der Erfahrung eines Spielers üblicherweise zuwider: Ein Spieler steuert keine Maschine, er spielt oft nicht einmal ›mit einem Spiel‹, sondern er spielt einfach nur. Der Eindruck, es mit einer Maschine zu tun zu haben, kommt besonders deutlich vor allem dann auf, wenn ernsthafte Fehler das Spielerleben irritieren (vgl. Kap. 6). Dieses Phänomen ist allerdings kein exklusives Spezifikum von Computerspielen. Im Wesentlichen lassen sich zwei große Bereiche beschreiben, in denen ein systematisches Ausblenden der technisch-materialen Gebundenheit von Handlungen zur inhärenten Logik der jeweiligen Anwendungsformen gehört. Dies sind zum einen prinzipiell alle Werkzeuge und zum anderen Medien. In Bezug auf Werkzeuge hat Martin Heidegger das Phänomen prägnant mit der Unterscheidung von Vor- und Zuhandenheit auf den Begriff gebracht. Gegenstände begegnen uns zunächst nicht objektiv-neutral (als »vorhanden«), sondern eingebettet in Funktionszusammenhänge, in potenzielle Dienlichkeit (als »zuhanden«). In der Zuhandenheit wird die Funktion gegenüber dem Gegenstand an sich dominant, der Gegenstand selbst verschwindet zugunsten seiner funktionalen Dienlichkeit aus dem Bewusststein: »Das Eigentümliche des zunächst Zuhandenen ist es, in seiner Zuhandenheit sich gleichsam zurückzuziehen […].« (Heidegger 1969: 69) Erst wenn die Dienlichkeit durch Widerstände irritiert wird, kommt der Gegenstand als solcher ins Bewusstsein: »Die Modi der Auffälligkeit, Aufdringlichkeit und Aufsässigkeit haben die Funktion, am Zuhandenen den Charakter der Vorhandenheit zum Vorschein zu bringen.« (Ebd.: 74; vgl. auch Kap. 6) Was Heidegger noch gerne am handgreiflichen Hammer exemplifiziert hat, trifft in noch stärkerem Maße auf das modernste Werkzeug, den Computer, zu. Die ›universelle Maschine‹ ist ein Werkzeug, welches Werkzeuge zur Verfügung stellt. Die Bedienoberfläche eines Computers gerät damit zum Werkzeug zur Steuerung von Werkzeugen. Ein Interface ist insofern ein Spezialfall des Werkzeugs: ein Werkzeug zweiter Ordnung. Dass die Bedienung eines Computers – also eines äußerst komplexen ›Werkzeugsystems‹ – dennoch relativ einfach gelingen kann, verdankt sich genau dem Umstand, dass im Modus der Zuhandenheit eine Konzentration des Nutzers auf die Funktion an sich stattfindet und alle zwischengeschalteten Momente ausgeblendet werden. Zwar lassen sich technische Medien durchaus auch als Werkzeuge fassen (und in diesem Sinne sind auch die beschriebenen Mechanismen hier wirksam), allerdings zeigt sich bei Medien noch eine spezifisch eigene Logik des Verschwindens: Medien verschwinden in der Wahrnehmung zugunsten des vermittelten Inhalts. Der Werkzeugcharakter eines Fernsehers zeigt sich vor allem dann ungebrochen, wenn er noch ausgeschaltet im Zimmer steht. Er ist dann ein Gerät, ›um fernzusehen‹, diese Funktion ist aber inhaltlich unspezifisch. Ist der Fernseher in Betrieb, treten solche Zuschreibungen hinter der unmittelbaren Evidenz der durch ihn gezeigten Inhalte zurück – der Fernseher funktioniert als Medium. Sybille Krämer macht dieses Phänomen zum Ausgangspunkt einer Unterscheidung zwischen Werkzeugen und Medien und zeigt auf, dass Medien qua ihrer Darstellungsfunktion etwas leisten, was ohne Medien schlicht nicht möglich wäre. Das Werkzeug Hammer unterstützt uns darin, einen Nagel in die Wand zu treiben, aber Nägel existieren durchaus ohne Hämmer: »[…] ein Instrument wird gebraucht und zurückgelassen, es bleibt der zu bearbeitenden Sache durchaus äußerlich.« (Krämer 1998: 83) Ein Medium hingegen erzeugt im Zuge seiner Funktion Sachverhalte, die unabhängig vom Medium nicht existieren. Der Sachverhalt »Tatort« ist als Wahrnehmungsgegenstand nur im und durch einen Fernseher existent – und er macht diesen Fernseher dabei zugleich gewissermaßen unsichtbar (vgl. ebd.: 74). Im Unterschied zu verbreiteten medienwissenschaftlichen oder technikphilosophischen Ansätzen, in denen Technik – z.B. als Extensionen des Körpers (McLuhan 1994) – sowohl »klassische« Werkzeuge als auch technische Medien (Krämer nennt sie in Unterscheidung von Werkzeugen »Apparate«) umfasst, differenziert Krämer also innerhalb der Sphäre der Technik dezidiert zwei Funktionstypen: »Die Technik als Werkzeug erspart Arbeit; die Technik als Apparat aber bringt künstliche Welten hervor, sie eröffnet Erfahrungen und ermöglicht Verfahren, die es ohne Apparaturen nicht etwa abgeschwächt, sondern überhaupt nicht gibt.« (Krämer 1998: 85) Dabei schließen sich beide Funktionstypen – werkzeughaft und medial – nicht etwa aus: »Vielmehr spielen beide Perspektiven – und zwar bei jedem technischen Artefakt – zusammen, allerdings mit je unterschiedlichem Gewicht.« (Krämer 1998: 85) Während Krämer das anhand des Computers an sich, welcher sowohl als Werkzeug als auch als Medium benutzt werden kann, exemplifiziert, lässt sich zeigen, dass dieselben Zusammenhänge auch innerhalb jeweils spezifischer Computeranwendungen – und ganz besonders deutlich sogar beim Computerspiel – zutreffen. Im Computerspiel sind nämlich alle hier beschriebenen Mechanismen gleichermaßen wirksam. Es ist Werkzeug, insofern es sich als technisch-materiales Artefakt im Hinblick auf eine spezifische »Dienlichkeit« anbietet; es ist dazu da, »um zu« spielen. Es bedarf darüber hinaus in seiner Nutzung zusätzlicher (weil durchaus unabhängig beschreibbarer und oft auch universell einsetzbarer) Werkzeuge, um es zu bedienen; ein Spiel zu bedienen bedeutet in erster Instanz eigentlich, ein Interface zu bedienen. Darüber hinaus machen Computerspiele massiven Gebrauch von inszenatorischen Funktionen, welche eigentlich die Kernkompetenzen von Medien darstellen: Sie erzeugen Texte, Klänge, Bilder. Diese Texte, Klänge und Bilder fungieren zudem zumindest teilweise auch als (Feedback-)Moment des Interfaces. Das verweist darauf, dass Interfaces allerdings eine Art blinden Fleck in Krämers Modell darstellen. Viele (möglicherweise manchmal sogar alle) derjenigen Momente, welche technischen Artefakten graduell medialen Charakter verleihen, sind nämlich bei genauem Hinsehen als Momente der Interfaces dieser Artefakte identifizierbar. Ein Interface ist aber ein Werkzeug an sich, denn es ist dazu da, etwas anderes zu steuern – »es bleibt der zu bearbeitenden Sache durchaus äußerlich« (Krämer 1998: 83). Dass diese »Äußerlichkeit« im Zuge der Benutzung dem Nutzer üblicherweise nicht bewusst wird, verdankt sich seiner »Zuhandenheit«. Aufgrund der Wirksamkeit solcher Zuhandenheit kann es (wie bei Krämer geschehen) in einem pragmatischen Sinne durchaus angemessen sein, ein technisches Artefakt samt seinem Interface als Entität zu betrachten. Zur Analyse von Interfaces hingegen ist es unerlässlich, diese getrennt von den durch sie gesteuerten Anwendungen zu untersuchen. Interfaces tendieren damit aus zwei unterschiedlichen Gründen dazu, aus der Wahrnehmung zu verschwinden. Zum einen führt ihr Werkzeugcharakter dazu, dass sie hinter ihrer Funktion zurücktreten. Zum anderen weisen sie potenziell mediale Aspekte auf, wodurch sie hinter den damit verbundenen Inhalten zurücktreten. Beide Mechanismen lassen graduelle Abstufungen zu. Die Qualitäten des Verschwindens sind dabei jeweils unterschiedlich: Werkzeug wird als Werkzeug in seiner potenziellen Dienlichkeit zunächst durchaus wahrgenommen; erst im Akt der tatsächlichen Benutzung wird es als Artefakt sekundär. Medien hingegen sind Medien erst, wenn sie Inhalte erzeugen (sonst sind sie Werkzeuge); damit neigen Medien immer und unmittelbar dazu, hinter ihren Inhalten zu verschwinden. Eine Analyse von Interfaces richtet also den Blick auf Momente des Computerspiels, welche im Akt der Benutzung tendenziell ausgeblendet sind, die aber zugleich den pragmatischen Kern dessen, was das Computerspiel ausmacht – das Spielen als Handlung –, wesentlich moderieren. In diesem Kapitel werden zunächst die konkreten Mittel, die Computerspiele den Spielern zur Interaktion zur Verfügung stellen,...