Galsworthy | John Galsworthy: Die Freelands | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 445 Seiten

Galsworthy John Galsworthy: Die Freelands

E-Book, Deutsch, 445 Seiten

ISBN: 978-3-7562-1597-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Auf einem Feld in der Grafschaft Worcestershire, dem einzigen Feld dieser Gegend, das man noch nicht in Rasenland verwandelt hatte, schritt eines Nachmittags zu Beginn des April ein stark gebauter, hochgewachsener Sämann langsam über die Furchen hin und schwang den behaarten braunen Arm im Rhythmus harmonischer Kraft. Er trug weder Rock noch Hut; die offene Weste über dem blaugewürfelten Hemd schlug gegen die durch einen Gurt gehaltene braune Hose aus geripptem Kord; auch das kantige Gesicht und das verstaubte Haar waren von dem gleichen fahlen Braun. Die Augen sahen traurig drein mit dem seltsam beweglichen und doch starren Blick des Epileptikers; die Lippen waren wulstig, und ohne den sehnsüchtigen Blick hätte das Gesicht fast brutal gewirkt. Er schien unter seiner Verschlossenheit zu leiden. Die Ulmen am Feldrain waren erst frisch belaubt, hoben sich aber dunkel von dem blassen Himmel ab. Ein leichter Wind trug schon den Geruch von Schollen und jungen Trieben mit - noch war es zeitig im Frühjahr. Im Westen ragten die grünen Malvern-Hügel empor; nicht weit davon stand ein langgestrecktes, von Bäumen eingefaßtes Herrenhaus mit verwitterten Ziegelmauern, dessen Front nach Süden ging. Außer dem Sämann und einigen Krähen, die von einer Ulme zur anderen flogen, war in dem weiten grünen Land kein Lebewesen zu sehen. Und still war es - eine seltsame, brütende Stille. Felder und Hügel schienen der Hecken und Mauern, der sie durchschneidenden Straßen, Gräben und Furchen zu spotten; das grüne Land und der blasse Himmel hatten sich verschworen, über dies nichtige Menschenwerk hinwegzusehen. So einsam war es, alles in Schweigen versunken, ein Schweigen, viel zu tief, zu drückend für die Menschen. Wieder und wieder schritt der Landarbeiter über den braunen Lehm und brachte verdrossen sein Tagewerk zu Ende; dann streute er die letzten Saatkörner in einen Winkel und blieb stehen. Drosseln und Amseln begannen ihr Abendlied; über alle Maßen froh und freudig klang es, wie die Verheißung ewiger Jugend an das Land. Er hob seinen Rock vom Boden auf, warf ihn über, hängte sich eine strohgeflochtene Tasche über die Schulter und trat auf die grasumsäumte Straße zwischen den Ulmen. An der Zauntür eines von Schlingpflanzen umrankten Bauernhauses, das hoch über der Straße zwischen Obstbäumen lag, stand ein schwarzhaariger Junge mit leichtgebräuntem Gesicht, neben ihm ein Mädchen mit krausem Braunhaar und mohnroten Wangen. Er rief dem unten vorbeigehenden Landarbeiter zu: "Bob ...

John Galsworthy lebte von 1867 bis 1933 und war ein englischer Schriftsteller.
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de persönliche Note geradezu peinlich unterdrückte, sondern zu diesem grauen Ding mit schmalem schwarzem Band – es stand ihm übrigens recht gut, paßte zu seinem mattbraunen Gesicht mit dunkelbraunem, leicht graumeliertem Schnurrbart, zu dem mit einer Borte eingefaßten schwarzen Cutaway, der mattbraunen Weste und den eleganten, vom Staub des ersten Mai ein wenig bedeckten, mattfarbenen Schuhen. Sogar die Augen, graue Freeland-Augen, schienen etwas matt und gedämpft, wohl vom vielen Stubenhocken und den Dingen, die ihn beschäftigten. So gewahrte er zum Beispiel, daß die Vorübergehenden, Männer und Frauen, jämmerlich häßlich aussahen, ganz besonders häßlich darum, weil ihnen ihre Häßlichkeit gar nicht zum Bewußtsein kam. Im Weitergehen drängte sich ihm der Gedanke auf, es sei doch wirklich seltsam, daß die Bevölkerung des Landes trotz der vielen häßlichen Gesichter immerhin einen Zuwachs aufweise. Bei seinem ungewöhnlichen Scharfblick für Schönheitsfehler schien ihm diese Tatsache fast ein Wunder. Eine schwankende, schäbige Gesellschaft, hier diese Schar von Leuten, die Einkäufe besorgten, dort die Demonstranten der Arbeiterpartei! Ein Haufe hoffnungsloser Durchschnittsvisagen! Was ließ sich da machen? Ja, was nur? Offenbar kam ihnen ihre traurige Gewöhnlichkeit gar nicht zum Bewußtsein. Kaum ein schönes oder lebhaftes Gesicht, kaum ein wirklich bösartiges, kein einziges, das verklärt, leidenschaftlich, furchtbar oder edel war. Kein Zug, der ans Griechentum, an die Frührenaissance, die Zeit der Königin Elisabeth erinnert hätte, nicht einmal an jene behäbigen, bier- und bratenfrohen Tage George des Ersten, Zweiten oder Dritten. Alle schienen irgendwie beschränkt, ausgesogen – das Gesicht der Menge trug ungefähr den Ausdruck eines Menschen, der sich beinahe warm und behaglich fühlt, während sich schon eine Schlange an ihm emporwindet und ihn zu erdrücken anfängt. All dies übte auf Felix Freeland einen gewissen Reiz, bereitete ihm fast Vergnügen. Es war ja sein Beruf, zu beobachten und die Ergebnisse später mittels Tinte und Feder der Nachwelt zu überliefern. Seiner Ansicht nach verstanden nicht viele so zu beobachten wie er, und diese Fähigkeit gab ihm in seinen Augen einen wertvollen Vorrang vor den anderen. Jawohl, wertvoll! Diesen Wert bestätigten ihm die Zeitungen, die, wie er wohl wußte, seinen Namen mehrere tausendmal im Jahre drucken mußten. Als Mann von Kultur und Grundsätzen verschmähte er allerdings in der Theorie den eitlen Ruhm und war der Ansicht, ein wahrhaft vornehmer Mensch verachte die öffentliche Meinung, ganz besonders, wenn jenes flatterhafte Geschöpf, die Presse, ihr Ausdruck gab. Allein ebenso wie in der Frage des grauen Zylinders hatte er sich auch hier unbewußt zu einem Kompromiß entschlossen, er las die Artikel über sich und sein Werk in den Blättern, unterzog aber all diese Kritiken, einerlei, ob sie nun günstig, abfällig oder unparteiisch klangen, auch selbst wieder der Kritik, hieß sie »Quatsch« und ihre Verfasser »Bursche«. Das Gefühl, sein Heimatland sei auf schiefe Bahn geraten, war ihm übrigens keineswegs neu. Im Gegenteil, diese Überzeugung stand schon längst bei ihm fest, und er war bereit, dafür klare, stichhaltige Beweise zu erbringen. In erster Linie schrieb er das Unheil der Industrialisierung zu, die während der vergangenen hundert Jahre das Volk unterjocht und die Bauern von der Scholle fortgelockt hatte; in zweiter Linie dem Einfluß jener beschränkten, ränkesüchtigen Bürokratie, die das Volk allmählich jeder Selbständigkeit beraubte. Darum war er jetzt, auf dem Weg zu einer Beratung mit seinem Bruder John, einem hohen Regierungsbeamten, und seinem Bruder Stanley, einem Häuptling der Schwerindustrie und Besitzer der Morton-Pflugwerke, sich einer gewissen Überlegenheit bewußt. Er Felix Freeland, trug wenigstens nicht dazu bei, das Land zu lähmen und auf den Hund zu bringen. Er schlenderte weiter und sah dabei immer matter und farbloser aus, bis er endlich den Marble-Arch-Torbogen durchschritt und den Rednerplatz im Hydepark erreichte. Hier standen Gruppen von Jünglingen voll ritterlichem Idealismus, die sich darin gefielen, die kläglichen Überreste einer gesprengten Suffragettenversammlung fortzuscheuchen und zu verhöhnen. Felix stand unschlüssig, ob er seine Körperkraft und Zungenfertigkeit mit der ihren messen oder sie nicht weiter beachten und forteilen solle. Aber am Ende siegte derselbe Instinkt, der ihn bewogen hatte, einen grauen Zylinder zu tragen: er tat keines von beiden, sondern blieb stehen und maß die jungen Leute mit stummer Entrüstung; das zog ihm rasch liebenswürdige Bemerkungen zu, wie etwa: »runter damit!« oder »Aufbehalten!« oder »Herrje, die Angströhre!«, doch weiter nichts Gefährliches. Und er dachte: Kultur! Würde sie sich je Bahn brechen unter diesen blinden Parteigängern, diesen Kerlen, die auch geistig stets nur von der Hand in den Mund lebten, vom billigen, aufregenden Schund der Großstadt? Die Gesichter dieser jungen Leute, der Tonfall ihrer Stimmen, selbst ihre steifen Hüte schienen ein »Nein!« zu rufen. Das undurchdringlich Pöbelhafte ihres Wesens blieb der Kultur für immer verschlossen. Diese unsagbar widerwärtigen Burschen hier – das also war der Nachwuchs der Nation! In der Tat, England hatte sich allzuweit von der »Scholle« entfernt. Und diese ausgesprochen städtische Gewöhnlichkeit blieb keineswegs auf den Gesellschaftskreis beschränkt, dem diese Jungen entstammten. Auch unter den Mittelschul- und Universitätskollegen seines Sohnes hatte Felix ihre Spuren wahrgenommen – sie litten keine Selbstzucht, waren mit Leckerbissen überfüttert und dadurch abgestumpft gegen alles, was nicht Vergnügen oder Erregung versprach. Ihr ganzer Ehrgeiz ging dahin, vom Staat oder der Industrie fette Pfründen zu ergattern. Auch sein eigener Sohn Alan war davon angekränkelt, trotz der Einflüsse des Elternhauses, trotz der künstlerischen Atmosphäre, die man mit solchem Eifer um ihn verbreitet hatte. Er wünschte in die Pflugfabrik seines Onkels Stanley einzutreten. Allmählich aber waren die letzten Weiberfeinde verschwunden. Felix besann sich darauf, daß es wirklich spät sei, und eilte davon … In seinem Arbeitszimmer, einem angenehmen, wenn auch vielleicht gar zu ordentlichen Raum, stand John Freeland vor dem Kaminfeuer, rauchte eine Pfeife und starrte sinnend ins Leere. Er dachte tatsächlich nach, und zwar mit der Beharrlichkeit eines Mannes, der mit Fünfzig im Ministerium des Innern bereits einen einflußreichen Dauerposten erobert hat. Seine Laufbahn hatte er bei den Königlichen Armeeingenieuren begonnen, und noch immer verrieten Gestalt und Gesicht den früheren Soldaten; er hatte festblickende Augen, einen Hängeschnurrbart (beides um eine Schattierung grauer als Felix) und eine Stirn, die offenbar im Dienst der Gerechtigkeit und in Sorge um seine Dokumente und ihren Aufbewahrungsort so hoch und kahl geworden war. Sein Antlitz war hager, sein Kopf schmaler als der des Bruders; auch hatte er sich einen eigenartigen Blick angewöhnt, der sein Gegenüber an sich selbst zweifeln ließ und dessen Gründe und Beweisführungen über den Haufen warf. Er war, wie gesagt, in Gedanken vertieft. Sein Bruder Stanley hatte ihm an diesem Morgen gedrahtet: »Fahre heute per Auto geschäftlich nach London; bitte lade Felix um sechs zu Besprechung der Vorgänge bei Todd.« Was war bei Todd nur los? Allerdings hatte er bereits etwas munkeln gehört – über Todds Kinder, die über die Behandlung der Landarbeiter Lärm geschlagen hätten. Die Sache war ihm gegen den Strich gegangen. Auch sie waren also von jener weitverbreiteten Unrast angesteckt und von den neuen demokratischen Ideen, die England noch auf den Hund brachten. Denn nach seiner Meinung befand sich das Vaterland auf schiefer Bahn, und Schuld daran trugen die Industrialisierung mit ihrem die Volksgesundheit schwer schädigenden Einfluß und der moderne analytische Intellektualismus, dessen anarchische Auswirkung die Moral zersetzte. Man machte sich nur schwer eine Vorstellung von dem Unheil, das diese Entwicklung anrichtete. Und auch jetzt, knapp vor der Unterredung mit seinen Brüdern – der eine ein Schwerindustrieller und der andere ein Literat, dessen hypermoderne Bücher er nie las – fühlte er, obzwar vielleicht nur dunkel, er habe reinere Hände als sie beide. Dann hörte er, wie draußen ein Auto anhielt, trat ans Fenster und blickte hinaus. Wahrhaftig, es war Stanley! Stanley Freeland war mit dem Auto von Becket, seinem in der Provinz Worcestershire nahe den Pflugfabriken gelegenen Landsitz, gekommen; nun blieb er einen Augenblick auf dem Pflaster stehen, streckte die langen Beine und gab dem Lenker Befehle. Er war unterwegs zweimal angehalten worden, weil er seiner Meinung nach die gesetzlich zulässige Fahrtgeschwindigkeit – nicht überschritten hatte, und schien noch immer etwas verärgert. War es nicht sein fester Grundsatz, wie in allen Dingen, auch in der Eile Maß zu halten? In diesem Augenblick fühlte er stärker denn je, daß das Vaterland auf schiefer Bahn sei: die Bürokratie sog ihm das Mark aus, alberne Paragraphen drosselten Fahrtgeschwindigkeit und persönliche Freiheit. Und diese neumodischen Schriftsteller und anderen Intellektuellen schwatzten unentwegt über die Rechte und Leiden der Armen! Auf keinem dieser Wege war ein Fortschritt denkbar. Wie er so auf dem Pflaster stand, sehnte er sich danach, John ein paar deutliche Worte über die Einmengung der Behörden in die persönlichen Angelegenheiten der Bürger zu sagen und dem guten Felix wegen seiner kostbaren zersetzenden Theorien und unablässigen Angriffe auf das Kapital und die obern Zehntausend einen Nasenstüber zu versetzen. Hätte Felix an Stelle des Alten neue Werte zu setzen gewußt, dann stünde es freilich anders. Das...


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