Konzepte und Methoden für Health Professionals
E-Book, Deutsch, 296 Seiten
ISBN: 978-3-456-76279-1
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auf Basis eines salutogenetischen Grundverständnisses führen die Herausgeber*innen und Autor*innen die wichtigsten Konzepte und Methoden der Therapiewissenschaften ein. In den einzelnen Kapiteln wird komplexes Grundlagenwissen mit praktischen Beispielen aus den Therapieberufen Logopädie, Ergo- und Physiotherapie verknüpft und praxisnah vermittelt.
Jedes Kapitel beinhaltet Lernziele, Merkboxen und Exkurse sowie Reflexionsfragen und Hinweise zu weiterführender Literatur. Darüber hinaus sind ausgewählte Inhalte der einzelnen Kapitel durch zahlreiche Abbildungen illustriert und in medialen Beiträgen (Podcasts und Videos) ergänzend aufbereitet.
Grundlage für eine evidenzbasierte Praxis ist die Klassifikation der WHO (ICF), flankiert von Ethik der Therapieberufe, Clinical Reasoning, interprofessionelle Zusammenarbeit und die Prozesse der digitalen Transformation aus der Perspektive der Therapieberufe.
Zielgruppe
Lehrende und Studierende der Therapieberufe Physiotherapie,
Ergotherapie, Logopädie.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
|35|3 Evidenzbasiertes Arbeiten und Handeln
Christiane Lücking, Cordula Völkel Lernziele des Kapitels Sie entwickeln ein erweitertes Verständnis für den Begriff der wissenschaftlichen Evidenz. Sie definieren den Begriff der Evidenz, differenzieren ihn im Hinblick auf mögliche Evidenzquellen. Sie verstehen das grundlegende Verfahren einer evidenzbasierten Praxis und lernen es anzuwenden. Sie lernen verschiedene Formen der Evidenzgenerierung kennen. Zusammenfassung Der Ruf nach evidenzbasierter Gesundheitsversorgung wird immer drängender und beeinflusst maßgeblich die Qualifizierungsentwicklung und fortschreitenden Akademisierungsbestrebungen der Gesundheitsberufe. Therapeut*innen haben zunehmend den Anspruch, dem Paradigma einer evidenzbasierten Praxis zu folgen und Patient*innen die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bestmögliche Therapie anzubieten. Jedoch zeigt sich häufig in therapeutischen Fachgebieten eine lückenhafte Forschungssituation, die sowohl einer noch unzureichenden wissenschaftstheoretischen Entwicklung und therapeutischer Theoriebildung als auch der Dynamik scheinbar evidenzbasierter Praktiken und diversen therapeutischen Reflexionen geschuldet ist. Das Anliegen des Kapitels ist es, ein erweitertes Verständnis für den Begriff der wissenschaftlichen Evidenz zu entwickeln. Das erfolgt zunächst durch die Begriffsdefinition und eine Differenzierung im Hinblick auf mögliche Evidenzquellen. Das grundlegende Verfahren der evidenzbasierten Praxis wird anhand einer konkreten Problemstellung aus der therapeutischen Praxis (Fallbeispiel Herr L. mit Morbus Parkinson) erfahrbar gemacht und nachvollziehbar erläutert. Dabei finden die folgenden Verfahrensschritte detaillierte Berücksichtigung: Formulierung einer recherchetauglichen, strukturierten und wissenschaftlich beantwortbaren Fragestellung zu einem klinischen Problem Entwicklung einer umfassenden Informationskompetenz, indem strukturierte und systematische Literaturrecherchen computerunterstützt durchgeführt werden Kritische Überprüfung der Ergebnisse der identifizierten Studien hinsichtlich der Gütekriterien Beurteilung der Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf das spezifische Patient*innen?problem und Evaluierung der klinischen, therapeutischen Umsetzung. |36|3.1 Methoden, Grundlagen und Begriffsbestimmung
„Ich behandle nur, wenn es Evidenzen gibt und mache nur das, was wissenschaftlich nachgewiesen ist!” – eine Aussage, die von ambitionierten Therapeut*innen wahrscheinlich in den ein oder anderen Teams schon einmal in dieser oder ähnlicher Formulierung geäußert wurde (Lücking & Wolf, 2024). Sie bringt eine Reihe nachhaltiger therapeutischer Konsequenzen mit sich, die bedacht sein wollen. Denn nicht alle therapeutischen Behandlungsansätze und -methoden sind wissenschaftlich evaluiert. Hinzu kommt, dass evaluierte Therapieansätze und -methoden in der Regel nur unter Berücksichtigung der untersuchten Einschlusskriterien der Stichprobe auf eine limitierte Grundgesamtheit übertragbar sind. Eine solche Betrachtungsweise schränkt die eigenen therapeutischen Möglichkeiten ein bzw. führt – bei unsachgemäßer Anwendung – in der Konsequenz zur Handlungsunfähigkeit (Lücking & Wolf, 2024). Die aufgeführten Konsequenzen sind nicht vollständig und lassen sich nach intensiver Betrachtung des Evidenzbegriffes und Reflexion einer im weiten Sinne betrachteten Evidenztheorie ergänzen. Das Kapitel bietet einen offenen Diskurs zum Umgang mit Evidenzen gleich welcher Herkunft, die für unsere Verpflichtung zur bestmöglichen Behandlung unserer Patient*innen unerlässlich und nicht zuletzt Kernaufgabe einer verantwortungsvollen, wissenschaftlich reflektierenden Praktikerin oder eines Praktikers ist. 3.1.1 Wege der wissenschaftlichen Erkenntnis Die Paradigmen der konventionellen Methodenlehre empirisch-quantitativer Forschung „Jede Wirksamkeitsbeurteilung einer therapeutischen Maßnahme ist eingebunden in die generelle Zielsetzung, eine heilende, lindernde oder vorbeugende Wirkung zu erreichen. […] wichtig aber ist zu wissen, ob für die jeweilige therapeutische Maßnahme die Aussicht besteht, ein ursächlicher Faktor für eine derartige Gesundung zu sein; andernfalls könnte oder sollte man die Maßnahme unterlassen.” (Kiene, 2001, S. 9) Im Rahmen der evidenzbasierten Praxis ist es notwendig, die Wirksamkeit der therapeutischen Maßnahmen nachweisen zu können bzw. solche zu verwenden, die wissenschaftlich bewiesen sind. Das wird i.?d.?R. im Bereich der quantitativen Forschung auch genauso umgesetzt und das vor dem Hintergrund eines objektiven Wahrheitsverständnis. Der Goldstandard der objektiven Wirksamkeitsbeurteilung im Bereich der quantitativen Forschung ist die randomisierte Studie. Sie ist deswegen der Goldstandard, weil diesem Studiendesign vier Paradigmen (Kiene, 2001) zugrunde liegen: Paradigma des Experiments – Francis Bacon im 17. Jahrhundert Paradigma der wiederholten Beobachtung – David Hume im 18. Jahrhundert Paradigma der Vergleichskontrolle – John Stewart Mill im 19. Jahrhundert Paradigma der Randomisation – Ronald Fisher im 20. Jahrhundert Das Paradigma des Experiments, bedeutet, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die dafür sorgen, dass keinerlei sonstige Außeneinflüsse auf diesen Messvorgang einwirken, d.?h. wir müssen für sogenannte Laborbedingungen sorgen. Zudem ist es wichtig, dass wir innerhalb des Experiments Messungen vornehmen, die natürlich bestenfalls wiederholt beobachtet werden können (Paradigma der wiederholten Beobachtung). Die Wahrheit wird also gewissermaßen nur dann abgebildet, wenn die Messungen auch wiederholt zu denselben Ergebnissen kommen. Das dritte Paradigma ist das Paradigma der Vergleichskontrolle. Es könnte ja sein, dass sich unsere Messungen, die wir an der Versuchsgruppe vornehmen, rein zufällig er|37|geben. Damit es auch hier eine Kontrollmöglichkeit gibt, wird i.?d.?R. eine zweite Untersuchungsgruppe mit untersucht, die entweder diese Maßnahme nicht erhält oder eine vergleichbare andere Maßnahme erhält (Kontrollgruppe). Schlussendlich werden die betreffenden Wirkungen der entsprechenden Outcomes ermittelt und verglichen, um dann zu sagen, dass z.?B. die eine Maßnahme der anderen überlegen ist oder überhaupt wirksam ist. Das letzte Paradigma ist das Paradigma der Randomisation. Randomisiert bedeutet, dass die Proband*innen/Studienteilnehmer*innen zufällig zu den entsprechenden Gruppen, also entweder Interventions- oder Kontrollgruppe, zugeordnet sind. Dazu gibt es verschiedene Randomisierungsverfahren. Als Beispiel für eine „echte” Randomisierung sollen hier der traditionelle Münzwurf oder die Bestimmung zufälliger Zahlenreihen per Zufallsgeneratoren im Computer z.?B. mit Excel dienen. Für eine „quasi” Randomisierung kann eine Zuordnung gemäß gerader und ungerader Kalendertage oder auch die Zuordnung gemäß des...