Friedrich | Im Sternbild der Hydra | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 500, 350 Seiten

Reihe: KBV-Krimi

Friedrich Im Sternbild der Hydra

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, Band 500, 350 Seiten

Reihe: KBV-Krimi

ISBN: 978-3-95441-640-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Sterne stehen schlecht für Verbrecher

Im Jahr 2001 liegt die Sommerhitze über dem Münsterland. Die neunzehnjährige Paulina, von allen Polly genannt, wartet sehnsüchtig auf eine Zusage der Uni, weil sie endlich dem Dunstkreis ihrer Heimatstadt Neuenkirchen entfliehen will. Um sich den Traum vom Astronomiestudium in der Großstadt leisten zu können, jobbt sie beim Lokalblatt und vertickt heimlich selbstgebrannte Raubkopien von Videospielen und Filmen.

Als ein Pressetermin sie zum »Katzenmann«, einem Messie mit übergroßer Tierliebe führt, findet sie den Alten inmitten seiner vermüllten Wohnung, tot von der Decke hängend. Für die Zeitung ist der offensichtliche Selbstmord kein Thema, aber als Polly erfährt, dass die Polizei überraschenderweise in Richtung Mord ermittelt, ist ihre Neugier geweckt.

Inmitten der Schwüle des Sommers findet sie zwischen Vereinsheimen, Nobelvillen und einem ehemaligen elitären Sportinternat vor den Toren der Stadt immer neue Spuren, die Licht ins Dunkel des mysteriösen Todesfalls bringen. Schon bald ahnt sie, dass sie mitten in ein turbulentes Abenteuer geraten ist, das weitaus gefährlicher ist als jedes ihrer Computerspiele.

Die junge Ermittlerin Polly nimmt Sie mit auf eine Zeitreise zurück ins Millennium, in die Tage der Videotheken und Klingeltonwerbungen.
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KAPITEL 1
Einsatz auf Phobos
Schrotkugeln gruben sich aus kürzester Distanz in den Rücken des ahnungslosen Space Marines. Die massive Wucht der Detonation riss quadratische Fetzen aus seinem Fleisch und schleuderte sie durch das Dämmerlicht der Halle. Pauline trank einen Schluck aus ihrer Cola-light-Dose, als sie durch die Blutlachen der verstümmelten Kadaver watete, die ihren Weg pflasterten. Mit einem kräftigen Zug am Vorderschaft der Shotgun schob sie frische Munition ins Patronenlager. Sie liebte das ästhetische Klicken, wenn die perfekt konstruierten Metallteile des Schlittens ihre Bestimmung erfüllten wie ein Uhrwerk made in Switzerland. Sie hatte genügend Patronen dabei. Sie nickte im Takt der Heavy-Metal-Riffs, schob ihre Brille mit dem Mittelfinger die Nase hoch und drückte auf den roten Schalter am Ende der Halle. Die stählerne Tür glitt mit einem gierigen Sog senkrecht in die Wand, als herrschte in der Fuge Unterdruck. Dahinter warteten zwei weitere Space Marines darauf, zur Strecke gebracht zu werden. Polly drückte ab. »Netter Versuch, Jungs. Aber so läuft das nicht!« Pauline kannte die exakte Position jedes Gegners, hätte mit verbundenen Augen einen pixelperfekten Grundriss der Weltraumstation zeichnen können. Zwei Schüsse aus ihrer Shotgun, und die ausgeweideten Space Marines lagen auf dem Fußboden der Basis irgendwo auf der kraterübersäten Oberfläche von Phobos, dem größeren der beiden Marsmonde, achtundsiebzig Millionen Kilometer vom Erdball entfernt. Selbst Jahre nach dem Release blieb Pauline dem treu, worin sie sich eine meisterhafte Leistung antrainiert hatte: Doom. Als sie in die siebte Klasse ging, hatte sie den Ur-Ego-Shooter auf dem Familien-PC entdeckt – ein Doppelklick auf die EXE-Datei hatte ihr Leben verändert. Ihr Vater hatte das Spiel in einem Unterordner mit dem Titel Wichtige Dokumente versteckt. Nicht, weil er sich geschämt hätte, sondern, um das Erwachsenenspiel vor den Kindern geheim zu halten. In den Neunzigern war es ein gesellschaftliches Sakrileg, seinen Kindern Ballerspiele zu erlauben. Die Bundesprüfstelle verbannte Doom auf den Index. Pauline zockte heimlich. Jede Minute, die ihre Eltern nicht zu Hause waren, war sie durch die unendlichen Gänge der Marsbasis marschiert. Mit krummem Rücken hatte sie auf dem beigen Velours-Teppichboden unter einer Schräge des elterlichen Schlafzimmers gehockt. Die Lämpchen des Rechners hatten den Einbauschrank mit den frischen Hand- und Badetüchern in grelles Licht getaucht. In Neongrün und Neonpink – die Nationalfarben der Neunziger. Sie hatte Phobos unzählige Male auf jedem Schwierigkeitsgrad von der Dämoneninvasion befreit, als die Deathmatch-Welle Deutschland erreichte – erst die Großstädte, dann ländliche Regionen. Man traf sich zu LAN-Partys. Jeder brachte seinen großen, grauen Computer mit, schleppte hinkelsteinartig den tonnenschweren Bildschirm und verzichtete von freitagabends bis sonntagmittags auf Schlaf, um sich gegenseitig um die Wette abzuschießen. Im Computerclub an ihrer Schule war Pauline die begabteste Killerin von allen – obwohl sie die einzige Teilnehmerin ohne eigenes Gerät war. Der dicke Karl aus der Oberstufe lud sie zu geheim organisierten Turnieren des Clubs ein. Er machte sich einen Spaß daraus zu sehen, wie Pauline sich durch die volljährigen Experten fräste, die bei Großstadtturnieren mit hundert und mehr Spielern auf Top-Plätzen landeten. Sie war die gekrönte Doom-Königin der Schule, hochachtungsvoll von den anderen Zockern »Schwarze Witwe« genannt, was sie zu ihrem Nickname machte: Bl4ckW1d0w. Vor dem Bildschirm konnte sie ihre arachnoiden Instinkte ausleben. In der echten Welt hatte sie nicht diese körperliche Macht. Während sie beim Zocken über sich hinauswuchs, stoppte ihr physisches Wachstum in der Frühphase der Pubertät. Auf Klassenfotos überragten sie alle Mitschüler, teilweise um eineinhalb Köpfe. Sogar ihre drei Jahre jüngere Schwester überholte sie größentechnisch. Als ihr Vater Ende der Neunziger zu Hause aus- und mit einer jüngeren Frau zusammenzog, überließ er seiner Großen den Rechner. Ein Trostpflaster aus Platinen und einem abgenutzten Keyboard, dessen Pfeil- sowie W-, A-, S- und D-Tasten glatt gerieben waren. Pauline wäre lieber mit der Familie in dem großzügigen Einfamilienhaus wohnen geblieben, anstatt mit Mutter und Schwester in die Siebzig-Quadratmeter-Wohnung zu ziehen, bei der das verblichene Gelb im Treppenhaus von dunklen Rissen gekennzeichnet war, als hätte ein Erdbeben gewütet. Seitdem waren die einzigen Lebenszeichen des Vaters jährliche Päckchen zum Geburtstag. In Paulines Ranking hatte er den Vater-Status verloren; sie hatte ihn zum Erzeuger degradiert – die emotionslose und pragmatische Variante. Die Hardware des ehemaligen Familien-Computers war schlecht gealtert, taugte aber aufgrund der für damalige Verhältnisse superben Grafikkarte bestens für das Training auf Phobos. Selbst jetzt, am 15. August 2001, als in anderen Jugendzimmern die Scheiben in den Playstations kreisten, reiste Pauline mit ihrem Waffenarsenal auf den Marsmond, der traurig missgestaltet an eine stümperhaft gearbeitete Lehmkugel erinnerte. Filigrane Zahnräder griffen am anderen PC ineinander, zwei Brenner warfen synchron CDs aus. Pauline nahm die Edding-Kappe ab und atmete die betörende Chemie der schwarzen Farbe tief ein. Sie kritzelte Shrek CD1 auf die beiden Rohlinge und steckte sie, warm wie frische Brötchen aus dem Bäckereibackofen, in quadratische Papierhüllen, die sie im Tausenderpack gekauft hatte. »Mittagessen ist fertig«, schallte es aus der Küche. Pauline warf die beiden CDs zu den anderen in ihren Rucksack und stellte ihn auf den Schreibtisch neben die aufgestapelten Brenner, von denen sie sich im Frühjahr den vierten angeschafft hatte. Die Laufwerk-Laser arbeiteten emsig für ihre geplante Flucht an die Großstadtuni. Der Geruch von Köttbullar mit Champignonsoße, gepaart mit einer süßlichen Preiselbeerkompottnote, wies ihr den Weg. »Mir schmerzt der Nacken.« Pauline fasste sich in den Nacken und streckte den Kopf bis fast auf die linke Schulter, dann nach rechts. Das laute Knacken mutete wie ein Genickbruch an. Pauline zog ein Schnütchen, die Sommersprossen unter ihren Augen rollten sich zusammen. Sie hatte sich beim Volleyballspielen in der Schule den obersten Wirbel verknackst. Die Beschwerden folgten den verlässlichen Schwingungen einer Sinuskurve. »Einfach nur ekelhaft«, beschwerte sich Juli, die eigentlich Julia hieß. »Muss das sogar beim Essen sein?« An heißen Tagen war die Sechzehnjährige besonders reizbar; eine Katze, die Kinder mit einem Stock gepiesackt hatten. Gekreppte Haare baumelten über dem Nokia 3310, auf dem vom Aufstehen bis zum Einschlafen ihr Zombieblick haftete. Sie hatte das Handy nach monatelangem Betteln zu Weihnachten bekommen und ihm ewige Treue geschworen. Im Gegensatz zu Pauline, die nicht einmal ein geschenktes Handy nehmen würde. Handys brauchten nur Geschäftsleute zum Arbeiten und Assikinder als Statussymbol. »Ich hatte einen Bandscheibenvorfall. Zeig mal ein bisschen Mitgefühl«, ermahnte Pauline ihre Schwester. Mama war genervt von der ständigen Kläfferei. Weil Diskussionen mit Pubertierenden nicht zu gewinnen waren, schwieg sie meistens, wenn Pauline und Juli sich zofften. Sie stellte eine Schüssel mit dampfenden Kartoffeln auf den Esstisch. Aus einer anderen Schale verströmten Fleischklopse ihr würziges Aroma. Mama trug noch ihren petrolfarbenen Schwesternkittel aus dem Krankenhaus. Für Nachtschichten gab es einen Zuschlag. Die permanente Erschöpfung hatte sie seit Monaten mit dunklen Augenringen stigmatisiert. »Wollten wir nicht Nudeln essen?« Pauline steckte einen Finger in die Champignonsoße und leckte ihn ab. In ihrem Beilagen-Ranking standen Kartoffeln hinter Nudeln und Reis abgeschlagen auf dem Bronze-Rang. »Du darfst uns morgen gerne mit einem leckeren Mittagessen überraschen«, sagte Mama. Sie wollte sich auf einen der Holzstühle zu ihren Kindern setzen, da klingelte das Telefon. »Ich geh schon.« »Hetz dich nicht ab. Ist eh nicht für mich«, gab sich Juli großmütig. Die Eltern vieler Freunde hatten ein modernes Telefon mit Akkubetrieb, das man durch die Wohnung tragen und mit dem man auf dem Klo oder der Terrasse telefonieren konnte. Aber ihr dunkelgrünes mit der Wählscheibe und dem eingedrehten Kabel war auf die Kommode im Wohnzimmer betoniert. Die Mädchen argumentierten mit mangelnder Privatsphäre, aber Mama wollte weder Geld für ein schnurloses ausgeben noch eines, das sie in den Zimmern ihrer Töchter suchen musste. Pauline schaufelte sich Fleischbällchen zu den beiden Alibikartoffeln. Juli war Vegetarierin, sie machte nur bei Cheeseburgern eine Ausnahme. Pauline...


Marc Friedrich, geb. 1982 in Essen, studierte Kommunikationswissenschaft und Anglistik, war als Volontär und Redakteur in Lokalredaktionen im Ruhrgebiet und im Sauerland tätig. Heute arbeitet er in der Unternehmenskommunikation. Er liebt Popkultur und ist passionierter Cineast. Mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern wohnt er in Essen.
»Im Sternbild der Hydra« ist sein Krimidebüt. Mit der jungen Laienermittlerin Polly hat er eine Figur geschaffen, die wie ein frischer Wirbelwind durchs Lokalkrimi-Genre fegt.


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